Das “Urmedium der Demokratie”, der “Digitalismus” und eine “Nationale Initiative” – ein paar Überlegungen

So richtig beruhigend ist es nicht, dass die Frontenbildung Print/Digital dort, wo die Argumente klamm werden, nicht viel mehr Potential als rhetorisches Schlammschlachten besitzen. Im Bibliothekswesen hat man dies in mancher Facette erlebt, aber die Gegenideologie, die einige Vertreter des Qualitätsjournalismus momentan dem – wie auch immer man es eingrenzen möchte – Web 2.0-Publizierens, auf die Agenda spülen, steigert die Don Quichotterie in frische Höhen. Ein schönes Zitat soll hier bewahrt werden. So liest man im kress-Report anlässlich des Anschubs einer “Nationalen Initiative Printmedien” im Berliner Kanzleramt folgendes über und von der ZEIT-Redakteurin Susanne Gaschke:

“Zeit”-Redakteurin Gaschke kritisierte die um sich greifende “Ideologie des Digitalismus”, nach der technischer und gesellschaftlicher Fortschritt zusammenfallen. Auch bei Verlegern und Journalisten verfange diese Ideologie zunehmend, das “Geraune irgendwelcher Blogger” werde auch in den eigenen Reihen teilweise für erfolgreicher gehalten als das Geschäft mit gedruckten Medien. “Wir müssen wirklich daran glauben, dass die Zeitung mehr zu bieten hat als das Informationsfrikassee aus dem Internet. Aber tun wir das?”

Die Kritik am ungebremsten “Digitalismus” in allen berechtigten Ehren, aber ist diese “Ideologie” als solche überhaupt ein weitreichend und dräuendes Massenphänomen. Mich dünkt mitunter, dass bei der Darstellung gewisser Entwicklungen die qualitätsjournalistische Zunft die Kirche eben nicht im Dorf lässt und dadurch, dass sie auf die wenigen Spatzen, die hier besonders aggressiv ausziehen, um das Ende der Zeitung und vielleicht sogar des gedruckten Romanheftes von den Dächern zu pfeifen, mit stilistischen Kanonenschlägen zu bearbeiten versuchen, erst etwas herbeigeschrieben wird, was es so gar nicht gibt.

Die Krise der Zeitung wird in der permanenten Beschwörung vielleicht tatsächlich vorangetrieben, zumal die jeweiligen Finanzinvestoren mitunter sogar glauben, was ihre Blätter schreiben. Selbsterfüllende Prophezeiungen und hysterische Frontenbildung sind allerdings für alle Seiten die vermutlich perspektivisch unglücklichste Variante und die Lust an der Schmähattacke zeugt andererseits auch nicht von allzu großem Sportsgeist.
Hier geht es in gewisser Weise natürlich nur bedingt um die Bewahrung demokratischer Kommunikationsqualität sondern hauptsächlich um einen schnöde ökonomisch motivierten Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Leser.

Die Bibliotheken stehen übrigens vor einem recht ähnlichen Problem. Die Medienrezeption unterliegt trotz allem Multitasking und “information snacking” in puncto Verdichtbarkeit deutlichen Begrenzungen. Frische, neue Medienformen wirken, wenn sie mal zum Trend werden, mächtig anziehend und jeder probiert einmal alles mit Begeisterung aus und einige dieser jungen Prinzipien schaffen es in die nächste Saison und in die übernächste. Unmittelbar geht dies zu Lasten dessen, was es bisher gab.
Dass man sich aber als alterwürdige Institutionen mit Jahrhunderte währenden Traditionslinien von zugegeben heftigen, aber eben auch sehr schnelllebigen Trends derart kirre machen lässt, sorgt schon für Verblüffung.

Die Krise, bzw. darüber zu lamentieren, gehört leider momentan fest zum Handwerkszeug und hier, nämlich in diesem gepflegten, grundständigen Dauerpessimismus in der Selbstwahrnehmung, sehe ich das eigentliche Problem. Sicher haben Bibliotheken und auch die Zeitungen etwas langsam reagiert, als die Erkenntnisse der digitalen Datenverarbeitung auf einmal auch in Freizeitbereiche Einzug hielten und Zielgruppen erfassten, denen man so etwas gar nicht zugetraut hätte. Aber jetzt weiß man es und weiß es eigentlich besser, als hier mit dieser unsympathischen, häufig durchbrechenden Melange aus Aggression, Anbiederung und Imitation loszustürmen.

Sowohl die Bibliotheken wie auch die Zeitungen wird interessieren, dass sich zunehmend wieder Teile der Bevölkerungsgruppe, die frühzeitig und sehr intensiv quer durch die Blogosphäre rauschten, Verhaltensweisen, die man als Downshifting bezeichnen kann, pflegt. Allerdings lesen sie dann lieber ein gutes Buch als ein schlechtes Feuilleton, in dem man sich gern um Anpassung an einen antizipierten Zeitgeist (hier liegt Susanne Gaschke also gar nicht mal so neben der Spur) bemüht und beispielsweise der Volksseele mit der grandiosen Erfindung des Leserkommentars ein Ventil gibt, das man gut bedienen und dessen Dampfdruck man schön kalkulieren kann. Dahinter steckt in der Hauptsache die Entdeckung des Wertes der Click-Raten, denn im Normalfall dürfte das inhaltliche Interesse bei den Redakteuren an den meisten Äußerungen gering sein. Wenigstens beim Tagesspiegel – der aber vielleicht auch nie Aushängeschild des Qualitätsjournalismus war – hofft man dies sogar.

Schaut man sich also den Umgang mit den Web 2.0-Werkzeugen an und reflektiert darauf die Hysterie, die um die Blogosphäre und die (Bertelsmann-)Wikipedia losgetreten wird, so fällt auf, dass es bisher offensichtlich nicht gelungen ist, die potentiell sehr sinnvoll und erweiternd einsetzbaren Werkzeuge aus dem Web 2.0-Umfeld in großem Umfang auch so sinnvoll und erweiternd in einer Weise in die Presselandschaft zu integrieren. Die eigentliche Bedrohung durch die Weblogs erscheint mir dagegen eher gering zu sein. Die meisten Blogs habe darüber hinaus überhaupt nichts mit dem zu tun, was Zeitungen tun. Worunter die Zeitungen vermutlich weitaus eher leiden bzw. was mir die Zeitungen verleidet, sind nicht die Blogger als Konkurrenzjournalisten, sondern, dass sie mit den ziemlich zusammengestrichenen Redaktionen naturgemäß nicht mehr durchgängig sowohl inhaltlich wie qualitativ auf einem Niveau operieren können, welches ein anspruchsvoller Leser nun mal erwartet. Darüberhinaus steigt das Anspruchsniveau des Lesers natürlich mit der Zahl der verfügbaren Quellen und wenn ich die Reuters-Meldungen zeitnah lesen kann, warte ich nicht darauf, dass sie mir von meiner Tageszeitung am nächsten Tag noch einmal originalgetreu abgedruckt wird. Vielmehr erwarte ich, dass die Meldung bei Relevanz in solider journalistischer Tradition nachverfolgt und -recherchiert wird, so dass ich eine inspirierende Kontextualisierung und vielleicht auch Analyse des Geschehens vorfinde.

Auf die Abschlussfrage von Susanne Gaschke lautet meine Antwort demnach, dass ich natürlich fest daran glaube, dass die Printzeitung mehr zu bieten hat, als das “Informationsfrikassee” (welch ein alberner Ausdruck), beispielsweise von den Webangeboten der (mehr oder weniger selbst ernannten) deutschen Qualitätspresse und vielleicht Bild und Spiegel Online. Und Bibliotheken haben auch mehr anzubieten, als virtuelle Räume zum digitalen social networking. Nur leider werden hier die entsprechenden Mehrwerte zu Dingen in Beziehung gesetzt und gegengespielt, mit denen sie nicht viel zu tun haben.

Die Bemündigung des Lesers und Nutzers unter dem Trugbild einer blauen Blume der konsequenten Nutzerpartizipation offenbart hier ihre Grenzen: Dadurch, dass man sich in der Presse und in Bibliotheken zunehmend darauf versteift, die Bedürfnisse des Lesers bzw. Nutzers antizipieren zu müssen und das eigene Angebot darauf auszurichten versucht, führt man ihn eigentlich zurück in einen Zustand radikaler Bevormundung.

Nur wurzelt das Ganze nicht, wie einst, in einem eher abstrakten Verständnis dessen, was eine Zeitung oder eine Bibliothek an sich repräsentieren sollte, also darin, wie die, die diese Institution betreiben, diese – auch vor dem Hintergrund einer Standesehre – sehen. Die Basis, so der Eindruck, bildet eine wie auch immer – und nicht selten eher schwach – fundierte Vorstellung davon, was der vermeintliche Kunde, Nutzer, Leser vom Angebot erwartet und wie er es sich wünscht.

Man unterschätzt dabei, dass die Beschleunigung der medialen Prozesse und die Zerstückelung in schnelle, kurze und leicht lesbare Informationshäppchen von der Zielgruppe gar nicht so sehr gewünscht wird. Sowohl für die Presse wie auch für die Bibliotheken wäre es daher sinnvoller, sich einmal durch das Web 2.0 und die Unmittelbarfolgen hindurch zu denken und die sich daraus ergebenden Desiderate aufzugreifen.

Im Prinzip müssen Zeitungen (und Bibliotheken) gar nichts weiter tun, als ihre traditionellen Aufgaben in der hergebrachten Art und Weise weiterzuführen, z.B. sauber recherchierte Recherchen und stilistisch angenehmer Ausführung zur vertiefenden Darstellung von Sachverhalten anzubieten. Und auf dieser Basis Alternativen an den Stellen zu schaffen, an denen andere Angebote wenig anbieten. Die “Printmedien”-Initiative ist dahingehend gar nicht so schlecht, als dass sie analog zur Bibliotheksführung etwas aufzeigen kann, was man sonst nicht ganz prominent wahrnimmt.

Nur die Überbetonung der Rolle der Presse macht ein wenig stutzig und deutet auf eine tiefe Verunsicherung und womöglich Ratlosigkeit hin. Und ebenso stutzt man darüber, dass einerseits die Kampagne mit einer Fotografie eines Handelsblatt-Lesers geschmückt ist, während ausgerechnet im Handelsblatt-Weblog zu lesen ist: Warum die “Nationale Initiative Printmedien” Geldverschwendung ist… Aber das ist sicher nur ein amüsanter Zufall.

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