IBI-Weblog » Buchhandel http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Der digitale Lesestrudel: Diese Woche lohnt die APUZ-Lektüre http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=7527/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=7527/index.html#comments Tue, 13 Oct 2009 20:02:21 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=7527 Wird das Urheberrecht als “Nervengerüst des Informationszeitalters” also aus seiner zentralen Stellung in der Regelung informationeller Handlungsrechte verdrängt oder von privaten Arrangements überlagert, wie manche meinen? Neue Formen der Wissensorganisation wie die Creative-Commons-Lizenz, das Open-Source-Modell in der Softwareentwicklung oder an Open Access orientierte Publikationsformen in der Wissenschaft sprechen für diese These. Für die aktuelle Ausgabe [...]]]>

Wird das Urheberrecht als “Nervengerüst des Informationszeitalters” also aus seiner zentralen Stellung in der Regelung informationeller Handlungsrechte verdrängt oder von privaten Arrangements überlagert, wie manche meinen? Neue Formen der Wissensorganisation wie die Creative-Commons-Lizenz, das Open-Source-Modell in der Softwareentwicklung oder an Open Access orientierte Publikationsformen in der Wissenschaft sprechen für diese These.

Für die aktuelle Ausgabe von Aus Politik und Zeitgeschichte (und nicht nur dafür) lohnt diese Woche die Ausgabe des einen Euros, den die Zeitung Das Parlament im Einzelverkauf kostet. Denn in ihr geht es um die Zukunft des Buches und während dieser Tage im SPIEGEL und auch an anderer Stelle nicht unbedingt sonderlich fundierte Artikel zum Thema E-Book und P-Book und sterbende Buchmärkte erscheinen – seit Jahren bester Indikator für die beginnende Buchmesse – finden sich in APUZ 42-43/2009 durchaus lesenswerte Reflexionen mit etwas mehr Tiefgang und Fundament. Für diejenigen, die sich alltäglich aus der fachlichen und/oder fachwissenschaftlichen Perspektive mit den Aspekten Digitalisierung und Veränderung des Leseverhaltens sowie dem Google Book Settlement und Urheberrechtsproblemen befassen, bleibt das Heft zwar immer noch weitgehend im Oberflächenwasser. Einsteiger in die Thematik sowie die allgemeine Öffentlichkeit sollten mit der Ausgabe aber trotz leichter Unschärfen an der einen oder anderen Stelle einen recht guten Überblick erhalten.

So verwendet die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann in der Überschrift zu ihrem Beitrag Zukunft der digitalen Bibliothek den Begriff der “Digitalen Bibliothek” nun nicht unbedingt so, wie ihn die Bibliothekswissenschaft diskutiert. Sie bietet aber einen vergleichsweise sehr aktuellen und verständlichen Überblick über Anlass, Hintergründe und Diskussion des Google Book Settlement und benennt wichtige Probleme. Die Bibliotheken selbst spielen nur am Rande zum Thema passend eine Rolle, beispielsweise wenn sie das Problem der Metadaten bei der Google Book Search kurz erwähnt und Geoff Nunbergs berühmten Metadata Trainwreck Text zitiert.

Auch die Überlegungen des Germanisten Albrecht Hausmann zur Zukunft der Gutenberg-Galaxis kann man durchaus mal durchsehen. Eine so interessante wie eigentlich naheliegende Aussage des Textes lautet, dass es in der Debatte um das gedruckte Buch und seine Bedrohung durch die Digitalität gar nicht um das Medium geht, sondern um das “mit dem Verlagssystem verbundene ökonomische Prinzip, das auf der Finanzierung von Publikationen durch Kapitalgeber beruht. ” Andererseits darf man natürlich auch nicht vergessen, dass anspruchsvollere Netzpublikationen durchaus etwas kosten können, sei es über Programmier- und Infrastrukturaufwand oder einfach auch die Arbeit, die die Erstellung der Inhalte dann doch erfordert. Nicht ganz überzeugend ist Hausmanns Sicht auf das Nutzerverhalten: Er sieht hier m.E. mehr Zweckrationalität als tatsächlich vorliegt, wenn er schreibt:

“Wie der mittelalterliche Schreiber selektiv abschreibt, weil er Material und Zeit sparen will, so lädt der moderne Internetnutzer nur das aus dem Netz auf die Festplatte seines PCs der auf seinen MP3-Player, was er wirklich braucht – und spart damit Speicherplatz und Zeit. “

Wenn etwas erfahrungsgemäß im Lifestyle-Programm der Generation iPod keine Berücksichtigung mehr findet, dann ist es die Frage nach dem Speicherplatz, denn der reicht im Normalfall für mehr Musik, als man in der Lebensdauer des Geräts überhaupt durchhören kann. Und für die These, dass die Nutzung der digitalen Inhalte des Internets Zeit spart, wird man in der Nutzergruppe wohl kaum einen Gewährsmann finden. Eher könnte man von einer Verdichtung des Medienkonsums sprechen.

Weiterhin recht gut zu lesen ist der Beitrag des NZZ-Kulturkorrespondenten Joachim Güntner, der dem Buchmarkt im Strudel des Digitalen beim Rotieren zusieht und den Bogen vom Thema E-Book über das Thema Open Access bis zum Thema “flexibler Mensch dank Reader” spannt, also auch die soziologische Komponente im Technischen sieht. Seine These: Mit elektronischen Büchern geht der Distinktionswert der Privatbibliothek verloren. Buchinhalte werden wie andere Informationen funktional verstanden – ihre physische Repräsentation wird als Ballast empfunden, den zu minimieren die Lesegeräte versprechen.

Nicht sonderlich lesenswert ist dagegen der Beitrag des Hirnforschers Ernst Pöppel, der sich und uns fragt: Was geschieht beim Lesen? Für das Lesen seines Textes heißt die Antwort: eine Verwunderung stellt sich ein. Das liegt weniger an der interessanten These, dass das Lesen das Gehirn nicht etwa ge- sondern missbraucht, weswegen Lesekompetenz und Lesen als Kulturtechnik falsch bis überbewertet werden. Sondern daran, dass der Wahrheitsgehalt des an sich sehr interessanten Gedankens entgegen dem Versprechen des Eingangsparagraphs weder “beherzt” noch überzeugend verteidigt wird. Es wird schlicht nicht deutlich, worin der Zugewinn in der normativen Aufladung der Debatte liegt, die die Formulierung “Missbrauch” nun einmal mit sich bringt. Dass er den Leib-Seele-Dualismus ablehnt ist in erster Linie ein philosophisches Problem und seine Interpretation, dass die Schriftlichkeit an diesem schuld sei, womöglich sogar eine legitime. Aber gerade die Tatsache, dass man gegen Descartes Unterscheidung anschreiben und -lesen kann, zeigt, dass das Gehirn auch in der Schrift geschmeidig genug ist, eine Transzendenz des Problems anzuregen. Ob dies ohne Schriftlichkeit gelänge, ist eine andere Frage. Laut Ernst Pöppel bestünde dann aber das Problem wohl gar nicht. Was wenigstens die, die sich in Schrift und Lektüre pudelwohl fühlen, bedauern würden.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=7527 3
9 1/2 Milliarden und davon fast nichts durch E-Books: Der Buchhandelsumsatz 2008 http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=7223/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=7223/index.html#comments Mon, 06 Jul 2009 15:25:44 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=7223 Jedenfalls wandert im Bereich Wissenschaft ein ganzer Publikationszweig ins Internet ab, was keineswegs nur Nachteile für die Forschenden bedeutet, wie die Befürworter des “Open Access” zu betonen nicht müde werden. So bleibt beispielsweise die akademische Qualifizierung unabhängig von den mächtigen Verlagen und deren Forderungen nach teilweise horrend hohen Druckkostenzuschüssen. Dei Frankfurter Rundschau meldet heute, dass [...]]]>

Jedenfalls wandert im Bereich Wissenschaft ein ganzer Publikationszweig ins Internet ab, was keineswegs nur Nachteile für die Forschenden bedeutet, wie die Befürworter des “Open Access” zu betonen nicht müde werden. So bleibt beispielsweise die akademische Qualifizierung unabhängig von den mächtigen Verlagen und deren Forderungen nach teilweise horrend hohen Druckkostenzuschüssen.

Dei Frankfurter Rundschau meldet heute, dass der deutsche Buchhandel trotz allgemeiner Untergangsstimmung im Jahr 2008 immerhin  9,614 Milliarden Euro Umsatz zusammenbrachte. Das Medium “E-Book” spielt dagegen “in Deutschland wirtschaftlich noch überhaupt keine Rolle”. Ein wenig irritiert dies schon angesichts der heftigen Diskussionen zu diesem Thema. Die vermischen allerdings gern E-Books und andere elektronische Publikationsformen und damit in gewisser Weise den Publikumsmarkt und den wissenschaftlichen Markt.

Dass das E-Book-Angebot z.B. in den Universitätsbibliotheken, welches nicht selten analog zum E-Zeitschriften-Angebot gehandhabt wird, wirtschaftlich unerheblich ist, mag man angesichts der Paketpreise kaum glauben. Allerdings scheint es nicht unerwartbar, dass sich das E-Book in diesem Bereich ohnehin bald medial mit anderen Formen vermengt und in nicht allzu ferner Zukunft eher dynamische und vernetzte Dokumentstrukturen als Einzeldokumente vorliegen. Das Lehrbuch erscheint dabei als je nach individuellen Bedürfnissen temporär zusammengestellter Baustein (oder Knoten) in einer Sphäre von verknüpften Texten, Bildern, etc. und gern auch Primärdaten, der mit dem traditionellen Lehrbuch so wenig zu tun hat, wie Google Maps mit einem Atlas. Dann spätestens erweist sich die Buchmetapher hinter dem E als Anachronismus.

Den Text der Franfurter Rundschau gibt es hier: Krise verschont Buchhandel: Ein kleines Wunder.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=7223 2
Die Antiquiertheit des Buches: Im Börsenblatt wird durch- und abgerechnet http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6710/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6710/index.html#comments Mon, 16 Mar 2009 19:40:04 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6710 Die E-Book-Debatte geht weiter und zwar im Börsenblatt, in dem Ralf Schweikart durchrechnet, warum das aktuelle Geschäftsmodell kein Erfolg werden kann: Gehen wir mal davon aus, dass sich die Verlage in Bälde darauf verständigen, den Preis für elektronisch publizierte Inhalte fühlbar unterhalb der Buchpreise anzusiedeln – Pascal Zimmer von Libri empfiehlt 10 % bis 20 [...]]]>

Die E-Book-Debatte geht weiter und zwar im Börsenblatt, in dem Ralf Schweikart durchrechnet, warum das aktuelle Geschäftsmodell kein Erfolg werden kann:

Gehen wir mal davon aus, dass sich die Verlage in Bälde darauf verständigen, den Preis für elektronisch publizierte Inhalte fühlbar unterhalb der Buchpreise anzusiedeln – Pascal Zimmer von Libri empfiehlt 10 % bis 20 % unter dem Ladenpreis der vergleichbaren Buchausgabe. Den Mittelwert von 15 % angenommen, bedeutet das bei einem Hardcover von 19,90 Euro einen E-Buch-Preis von gerundet 16,90 Euro. Ersparnis: drei Euro. Die Rechnung ist einfach: Das 100ste Buch ist der private Break even, jetzt spart der Leser. Setzen wir das in Relation mit dem Einkaufverhalten der Gruppe der Power-Buchkäufer, der Gruppe der 20-29j-ährigen mit durchschnittlich 4,7 gekauften Büchern pro Jahr, dann lohnt sich die Hardware-Investition in ein E-Book nach genau 21 ein viertel Jahren: Selbst ein Finanzberater der Lehmann Bank hätte das nur schwerlich zu einer lohenden Investition hinbiegen können.

Dafür fängt er gleich wieder Feuer, aber immerhin ist selbiges in der Debatte drin. Man darf gespannt sein, wie lang die Halbwertzeit des Themas tatsächlich ist.

Auffällig an dem sich hier abspulenden Technikdiskurs ist u.a. auch die Parallele zu dem, was sich in den letzten zwei, drei Jahren, besonders unter dem Schlagwort “Bibliothek 2.0″, im Bibliothekswesen beobachten lies. Der Kommentar von Matthias Ulmer ist gerade ein idealtypisches Beispiel. Hieß es auf der einen Seite “Bibliotheken auf die Agenda” und wurde Bibliotheksmarketing zum Königsweg des Überlebens, freut sich der Kommentator über die wilde Aufmerksamkeit ” wirklich jede[r] Tageszeitung und jede[s] Radiosende[s]“. Die Qualität der Berichterstattung wird zum nachgeordneten Merkmal. Wichtig ist, dass man im Gespräch bleibt. So wird im Verlagswesen auch gern davon gesprochen, dass ein schlechtes Buch, das verrissen wird, besser (=kommerzieller sinnvoller) ist, als ein gutes, dass gar keine Rezension abbekommt.

Beim Kommentar im Börsenblatt zeigt sich dies besonders deutlich an der Nivellierung der Akteure: “Bushido oder Bohlen oder Grass”, das ist Matthias Ulmer zunächst eines und in jedem Fall ist Presseberichterstattung über Inhalte schlechter, als das oft hilflose und redundante Rapportieren über ein technisches Gerät, an dem vor allem zunächst der Hersteller (Sony) verdienen wird. Dass der Buchhandel mit seinem aktuellen Verständnis des Mediums hier kein großes Geschäft zu erwarten hat, wird mit den Rechenbeispielen Ralf Schweikarts durchaus so einsichtig, dass kaum ein Widerspruch möglich ist.

“Toll also, dass wir den Journalisten so etwas bieten können.”

Der Buchmarkt bietet eigentlich seit Jahr und Tag dem Feuilleton massiv Material und auch die anderen Teile der Tageszeitungen drucken regelmäßigen Besprechung um Besprechung. Dass man solch einen peinlichen Kniefall vor der massenmedialen Verwurstung aus dem Bibliothekswesen eher nicht wahrgenommen hat, wirkt beinahe beruhigend. Die nächste Naivität vor dem Herrn kennt man allerdings nur zu gut:

“Und toll, dass unsere Branche mit Innovation und nicht nur mit Behäbigkeit und Antiquiertheit assoziiert wird.”

Dies sagt schon sehr viel über das gespaltene Selbstbild von Branchenvertretern aus. Definiert sich die Fernsehwelt eigentlich auch so sehr über Plasmabildschirme?  Der Antiquariatsbuchhandel z.B. lebt gerade von Antiquiertheit. Die Buchbranche, man kann es nur betonen, hat mit der Technik der Innovation E-Book so gut wie nichts zu tun. Und das ist kein Makel, denn ihre Aufgabe liegt nicht in der Optimierung der technischen Darstellung, sondern im Herausgeben von Lektüreinhalten.

Für Bibliotheken liegt die Sache etwas anders, denn sie sind traditionell Vermittler dieser Inhalte und im Idealfall Kommunikationsort. Dennoch steht es auch ihnen besser, einfach professionell ihre Arbeit zu tun und nutzergerechte Angebote zu entwickelen, als viel darüber zu reden, wie innovativ sie nun sind. Es geht nicht um Innovation – die auch nicht schon per se einen positiven Wert besitzt, sondern sich erst als sinnvoll erweisen muss – sondern darum, der Nutzerschaft eine Arbeits- und Informationsumgebung zu bieten, die sie bei der Arbeit und bzw. beim sich informieren optimal unterstützt, ohne aufdringlich zu sein. Digitalität ist dabei nicht zwangsläufig ein Muss. Darum muss man auch die Nutzer nicht permanent in Marketingkampagnen mit eigenen Zukunftstauglichkeit und Trendoffenheit bombardieren.

Und dann:

“Wir müssen schließlich auch ein paar Jugendliche für unsere Ausbildung gewinnen.”

Man kennt so einige, die eine Buchhändlerlehre erfolgreich absolviert haben und nun etwas ganz anderes machen. Im seltensten Fall ist aber die Antiquiertheit der Branche der Grund. Eher sind es die niedrige Entlohnung, die schlechten Arbeitsbedingungen und dass auch hier die Entprofessionalisierung, die auf den Kunden, der sich selbst berät bzw. durch eine Verführung in den “Erlebniswelten” nach der “Auflösung der Ordnung” (vgl. dazu den Artikel  Andreas Bernhard in Süddeutschen Zeitung vom letzten Freitag – Nr. 60, S.14)  nachgibt, verlässt:

“Der Abbau des Sortiments erklärt sich zudem damit, dass unschlüssige Kunden natürlich am ehesten von Büchern zum Kauf animiert werden, von denen sie aus der Berichterstattung der Medien schon gehört haben.”

Ein Kassierer ist hier genug. Dass die in der Regel durchaus auch inhaltlichen Aspekten zugeneigten Nachwuchsbuchhändler in dieser Rolle nicht aufgehen wollen, ist verständlich. Das Problem liegt also eher in der Hypermoderne, die die Buchhandlung der Zukunft auf einen Downloadterminal im der Erlebniswelt eines Einkaufszentrums reduziert sieht. Flirtort Buchhandlung – das wäre mal ein Thema zur Zeit.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=6710 1
Die Bibliothek, wie sie die anderen sehen. Heute: Rainer Friedrich Meyer, Antiquar in Berlin http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6698/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6698/index.html#comments Fri, 13 Mar 2009 17:42:02 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6698 Bibliotheken und Archive strahlen nur eine mehr oder weniger gediegene, verbeamtete Langeweile aus. An ihnen wird sich unsere Kultur nicht erneuern. Aus dem Tagebuch eines Antiquars bzw. dem Börsenblatt, dass diese bemerkenswert pauschale aber sicher nicht ungewöhnliche Sichtweise heute übernimmt: Ein Wort zum Sammeln, aus gegebenem Anlass. Der Antiquar Rainer Friedrich Meyer attackiert die in [...]]]>

Bibliotheken und Archive strahlen nur eine mehr oder weniger gediegene, verbeamtete Langeweile aus. An ihnen wird sich unsere Kultur nicht erneuern.

Aus dem Tagebuch eines Antiquars bzw. dem Börsenblatt, dass diese bemerkenswert pauschale aber sicher nicht ungewöhnliche Sichtweise heute übernimmt: Ein Wort zum Sammeln, aus gegebenem Anlass. Der Antiquar Rainer Friedrich Meyer attackiert die in seinen Augen sehr hamster- und einschlussaffinen Bibliotheken (und Archive) interessanterweise mit dem Argument, dass Archivgüter und andere Materialien unbedingt aus diesem “Bannkreis” in einen anderen, nämlich den der Antiquariatswelt, verbracht werden sollten. Grund: Bibliotheken und Archive sind per se unfähig, hochwertige Materialien angemessen zu bearbeiten – heißt: zu sammeln, zu erschließen und verfügbar zu machen. Besser ist daher eine breite Streuung, im Idealfall natürlich über den Antiquariatsbuchhandel, denn:

Kultur bleibt nur lebendig, wenn möglichst viele direkt und unmittelbar an ihr teilhaben[..]

Darum, so Meyer, muss man handeln, und zwar mit den Unikaten selbst. Dass allerdings bei einem Unikat, welches denn einmal zu einem idealerweise hohen (und für Bibliothek und Archive nicht zu bezahlenden) Preis von der einen Hand – der des Händlers – in die andere – die des Kunden übergewechselt ist, die “direkte und unmittelbare Teilhabe” für möglichst viele und damit eine “lebendige Kultur” besser ermöglicht wird, als durch eine Bibliothek, in der man immerhin noch im Rara-Saal Zugriff hat (oder die irgendwann doch mal ein Digitalisat anfertigt), darf man durchaus bezweifeln.

Wenn ich mir beispielsweise Nabokovs Lolita in der Erstausgabe bei Olympia Press aus dem Jahr 1955 für schmale 6000-10.000 Euro als Privatperson kaufen würde, läge mir wenig ferner, als dem nächstbesten Interessenten in meine Wohnzimmer einzuladen, damit er auch mal darin herumstöbern kann. Scannen würde ich es auch nicht. Niemand außer mir soll direkt und unmittelbar an diesem Stück Kultur teilhaben. Womöglich sind andere Bibliophile offenherziger. Ich glaube aber nicht sonderlich viele.

Zum Glück kann ich auf die Universitätsbibliothek Frankfurt/Main verweisen, denn dort gibt es wohl auch noch ein Exemplar. Wer die Ausgabe so privat daheim stehen hat, lässt sich leider nicht recherchieren. Man kann eventuell mal bei Dieter E. Zimmer klingeln.. Aber immerhin findet man einige Antiquariate auf einem anderen Kontinent, die es im Lager haben. Man sollte jedoch bei allem Idealismus kaum nicht erwarten, dass diese solche Titel als “Kristallisationskeim” für eine neue Kultur “möglichst vielen” zugänglich machen.

Friedrich Meyers Vorstellung von Teilhabe ist also nicht unbedingt diesselbe, die Bibliotheken pflegen (sollten). Wenn man wie er, warum auch immer, derart auf Konfrontationskurs geht, sollte man vielleicht mit etwas weniger feuchtem Pulver laden. Sonst wird’s nicht mal ein Börsenblattschuß.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=6698 0
An der Copacabana und am Wörthersee: Die E-Book-Debatte ist nach wie vor von einer allgemeinen Verunsicherung geprägt. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6686/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6686/index.html#comments Thu, 12 Mar 2009 18:23:21 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6686 Aktuell regnen dank Messe Meldungen, Meinungen und Markteinschätzungen zum Thema E-Book ins Internet, dass man am besten alles abtropfen ersteinmal lässt, bevor man selbst noch seine Kanne dazugießt. Was man aber den Wortmeldungen zum Thema häufig anmerkt, ist, wie wenig die Protagonisten eigentlich über das Medium wissen und wie viel dabei in Kaffeesätzen herum- und [...]]]>

Aktuell regnen dank Messe Meldungen, Meinungen und Markteinschätzungen zum Thema E-Book ins Internet, dass man am besten alles abtropfen ersteinmal lässt, bevor man selbst noch seine Kanne dazugießt. Was man aber den Wortmeldungen zum Thema häufig anmerkt, ist, wie wenig die Protagonisten eigentlich über das Medium wissen und wie viel dabei in Kaffeesätzen herum- und vorgelesen wird. Hype trifft oft auf Halbwissen und führt dann zu solch unsinnigen Beiträgen, wie die kleine Radioreportage, die man neulich nachts im Deutschlandfunk in der Sendung Fazit hören konnte, aber danach am liebsten verpasst hätte.

Das Deutschlandradio Kultur hatte heute dagegen Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins und Verleger im Gespräch, der etwas überraschend zunächst das Medium E-Book mit dem Lesegerät synonym versteht und dann – oder deswegen – elektronische Texte ausgerechnet als untauglich für die wissenschaftliche Arbeit einstuft:

Bürger: Sie selbst sind ja auch Verleger der Berlin University Press. Ist das E-Book gerade im Bereich der Wissenschaftsliteratur eine interessante Alternative zum gedruckten Buch?

Honnefelder: Ich glaube, weniger. Solche wissenschaftlichen Texte, die wird man an seinem Schreibtisch haben wollen, wo man damit arbeitet. Da bietet der Vorteil des E-Books wenig. Sie können keine Notizen machen an den Rand, Sie können nicht gleichzeitig zwei Bücher lesen, aufschlagen. Für den Arbeitsbetrieb ist es also nicht geeignet.

Eventuell liegt es ja am Programm der bup, das überwiegend aus Titeln besteht, die man sich problemlos in der Sachbuchabteilung jeder größeren Buchhandlung vorstellen kann. Aber tatsächlich mangelt es dem ab heute in Deutschland erhältlichen Lesegerät an so ziemlich allem, was sich nicht nur Gottfried Honnefelder für die Arbeit im Text wünscht. Im Prinzip ist es kein Lesegerät, wenn man den Leseprozess tatsächlich als Interaktion mit dem Medium begreift, sondern ein Anzeigegerät. Ein Arbeitsgerät für elektronische Texte, wie es in der Wissenschaft sinnvoll wäre, sähe wohl eher wie eine Art Netbook aus, das vielleicht ein optimiertes Display und einen entsprechend reduzierten Stromverbrauch besitzt. Dafür aber eine Tastatur und die Möglichkeit, den Bildschirm zu teilen um zwei Textdokumente parallel anzuzeigen und Textstellen zu markieren, zu annotieren und über eine passende Schnittstelle in eine externe Anwendung (Textverarbeitungsprogramm, Weblog, etc.) zu exportieren. Abgesehen davon werden elektronische Texte in diversen Wissenschaftsdisziplinen schon spätestens seit dem Ende des letzten Jahrhunderts erfolgreich benutzt.

Verlässt das Gespräch im Anschluss das Feld der Wissenschaft, dann gelingt es dem Börsenvereinsvorsteher nicht ganz, den elitären Stich aus seiner Aussage herauszuhalten:

Bürger: Wofür dann?

Honnefelder: Zum Lesen!

Bürger: Sie selbst haben mal gesagt, es passt nicht ins Bett und zu Rotwein.

Honnefelder: Ich habe damit ausgedrückt, dass ich selber mir nicht das E-Book mit ins Bett nehme, aber ich kann mir gut vorstellen, dass mancher, der an die Copacabana geht, um sich dort zu sonnen, das E-Book mitnimmt und dort seinen neuesten Kriminalroman liest. Why not?

Mit dem Trendschmöker an den Strand und dann ordentlich durchbraten lassen – so stellt man sich also im Vorstand des Börsenverein den typischen E-Book-Leser vor und liegt damit sicher auch daneben. Zum Glück ist dem Interviewten nicht “Mallorca” herausgerutscht. Für den Börsenverein ist das Thema anscheinend trotz allem Libreka-Geklapper eher ein notwendiges Übel als ein Markt, dem man mit offenen Armen entgegenstürzt. Zurecht übrigens, denn für den E-Book-Vertrieb ist kein anderer als der Online-Handel sinnvoll. Den haben aber die vielleicht fünf Platzhirsche schon ganz gut unter Kontrolle. Ob iTunes den Börsenverein braucht, ist jedenfalls fraglich.
Die mittlerweile gut geplätteten Beispielszenarien von Strand bis “mit dem Rotwein vorm Kamin” sollte man sich dennoch mittlerweile schenken und vielleicht stärker bei der Sache selbst bleiben. Bei den DAISY-Hörbüchern, von denen heute 10.000 verkaufte Exemplare gemeldet werden, gelingt dies doch auch. Und die sind bei weitem das bessere Beispiel für eine sinnvolle Anwendung von elektronischen Büchern als der Krimi an der Copacabana.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=6686 0
Jenseits der Aufklärung: Robert Darnton betrachtet Google Books http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6507/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6507/index.html#comments Tue, 27 Jan 2009 14:27:18 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6507 Unfortunately, Google’s commitment to provide free access to its database on one terminal in every public library is hedged with restrictions: readers will not be able to print out any copyrighted text without paying a fee to the copyright holders (though Google has offered to pay them at the outset); and a single terminal will [...]]]>

Unfortunately, Google’s commitment to provide free access to its database on one terminal in every public library is hedged with restrictions: readers will not be able to print out any copyrighted text without paying a fee to the copyright holders (though Google has offered to pay them at the outset); and a single terminal will hardly satisfy the demand in large libraries. But Google’s generosity will be a boon to the small-town, Carnegie-library readers, who will have access to more books than are currently available in the New York Public Library. Google can make the Enlightenment dream come true.

Allerdings nicht zwangsläufig. In der New York Review of Books wirft Robert Darnton einen skeptischen Blick auf Google Books und dem was in diesem Rahmen der zwischen Google und den anderen beteiligten Akteuren geschlossenen Vereinbarung steht.
Erwartungsgemäß zeigt sich die übergroße Marktmacht von Google als potentiell sehr bedrohlich, wobei Darnton das Gefährdungsszenario vom Buchgeschäft auf die Wirkungen im Rahmen des Phänomens der Aufklärung an sich erweitert. Er ist Experte auf diesem historischen Feld und entsprechend ist es nachvollziehbar, dass er die Aufklärung als Faden nutzt, um seine Argumentation daran aufzureihen. Aber manchmal scheint sein Ansatz schon etwas sehr fokussiert.

Die Pole sind klar: a) der öffentliche Auftrag der Bibliotheken auch zur Digitalisierung, der sehr treffend beschrieben wird:

Libraries represent the public good. They are not businesses, but they must cover their costs. They need a business plan. Think of the old motto of Con Edison when it had to tear up New York’s streets in order to get at the infrastructure beneath them: “Dig we must.” Libraries say, “Digitize we must.” But not on any terms. We must do it in the interest of the public, and that means holding the digitizers responsible to the citizenry.

Da lässt sich wenig gegen sagen, außer vielleicht, dass es etwas holprig ist, den Werbeslogan eines kommerziellen Energieversorgers ausgerechtet als Vergleichsgröße für die im gleichem Zusammenhang herausgestellte öffentliche Funktion der Bibliothek heranzuziehen. Oder es ist nur das, was man in den USA unter anschaulichem Stil versteht. Hierzulande klänge es womöglich etwas unsinnig: ‘Denken Sie bei Bibliotheken doch einfach mal an E – wie einfach.’ Funktioniert immer, bleibt an Aussagekraft aber eher an der Oberfläche.

Und b): Google. Google erscheint zunächst einmal ebenfalls halbwegs offen. Wenn auch nicht öffentlich, so doch leicht zugänglich und nutzbar. Nur die Interessenlage unterscheidet sich maßgeblich und wird im Abkommen zwischen Google und den Verlegern deutlich festgelegt:

The district court judge will pronounce on the validity of the settlement, but that is primarily a matter of dividing profits, not of promoting the public interest.

Berechtigt ist dies allemal. Google ist ein Unternehmen und diesem vorzuwerfen, dass es sich wie eines verhält, wäre schlicht albern. Wichtiger ist die Frage, wie man sich als Bibliothek, als Nutzer, als Öffentlichkeit zu Google positioniert. Die Nutzer (und manche Bibliothek) erscheinen möglicherweise etwas verführt von der weiten Produktpalette, die Google momentan der Allgemeinheit gratis (bzw. für den Gegenwert ihrer Daten) zur Verfügung stellt. Daraus erwächst jedoch niemandem ein Anspruch auf ewig währende Manifestierung dieses Status’, der bevorzugt dem Motto “Don’t be evil” folgend als Dienst an der Menschheit interpretiert wird, letztlich aber nur ein spezifisches Geschäftsmodell darstellt. Wenn Google irgendwann die Währung, für die es Dienste herausgibt, zu ändern gedenkt, kann wohl niemand etwas einwenden.

Da dahinter eben kein öffentlicher Auftrag steht, sondern nun einmal ein kommerzielles Unternehmen mit den ihm typischen Interessen, ist das Gedankenspiel, was geschieht, wenn der Hebel im Geschäftsmodell umgelegt wird, zwar durchaus berechtigt, aber am Ende kein Grund für moralische Empörung. Man weiß, womit man es zu tun hat. Der Einfluss von Google ist unbestritten übermäßig groß, ebenso die damit verbundene Missbrauchsgefahr. Und bei einem Unternehmen mit einem Quasi-Monopol – Darnton schreibt von einem “monopoly of a new kind, not of railroads or steel but of access to information” -  lassen sich naturgemäß drastische Folgen ausdenken. Ein nachhaltiger Umgang liegt aber nicht in einem Teufel an die Wand malen und dem Ausschmücken und Katastrophenszenarien, sondern in der Entwicklung eines rechtlichen Rahmens für die Webwirtschaft, der die Grenzen des Machbaren möglichst präzise und menschenfreundlich definiert. Die digitale Gesellschaft muss sich noch ihre Regeln entwickeln. Das Abstecken eines Feindbilds erzeugt dagegen nur den Wind, in den man seine Beschwörungen spricht.

Deutlich wird in der Diskussion, wie schwer es auf allen Ebenen bleibt, die Frage, wie sich digitale Inhalte kommerziell nutzen lassen, angemessen zu begegnen. Die Regeln für Web und Webbusiness, mehr noch die Wahrnehmung des Ganzen, sind weitgehend analog am – jawohl – analogen Modell ausgerichtet. An den Punkten, an denen die Webwelt von der Realwelt abweicht (beliebige und qualitätsfreie Kopierbarkeit, Übertragungsgeschwindigkeit, Zugänglichkeit und bildschirmgebundene Darstellung von Inhalten) offenbart sich noch immer eine nicht geringe Hilflosigkeit im Umgang mit den Folgephänomenen.

Jeder digital repräsentierbare Medieninhalt, der also hauptsächlich über Seh- und Hörsinn rezipiert wird, erfährt im Netz eine Reduktion auf die akustischen und visuellen Eigenschaften und verliert seinen Objektcharakter. Digitale Inhalte sind nicht gegenständlich und können daher nicht wie Gegenstände veräußert werden. Das Eigentum am Objekt verschwindet. Es bleibt das bestimmten Eingrenzungen unterliegende Nutzungsrecht der Inhalte. Auch bei der Schallplatte erwirbt man nur den Tonträger, nicht das Lied darauf. Das darf man unter definierten und kreisrund aufgedruckten Bedingungen abspielen. Mehr nicht. Das erworbene Trägermedium kann man dagegen ungestraft zerkratzen und zerbrechen. Bei digitalen Inhalten entfällt letztere Möglichkeit und man hat buchstäblich nichts mehr in der Hand.

Hier dürfte der Kern des Problems liegen: Da man selbst nicht mehr entscheidet, ob man die Platte auflegt, sondern darauf angewiesen ist, dass der Anbieter den Stream freigibt und diesen laut Geschäftsbedingungen auch weitgehend verweigern kann, ohne dass dem Hörer große Handlungsmöglichkeiten bleiben, fühlt man sich etwas benachteiligt. Mehr noch: abhängig bis ausgeliefert. Es gibt bisher wenig Möglichkeiten, mit dieser Abhängigkeit befriedigend umzugehen: Entweder man verweigert sich ganz oder man lässt es affirmativ geschehen, dass die persönliche Playlist mit einer irgendwo befindlichen Datenbank automatisch synchronisiert wird.

Letzteres führt wiederum zu dem interessanten Geschehen, welches eigentlich spannender und dem Medium Web angemessener ist als die Digitalisierung von Büchern. Denn geht es bei Letzterem nur darum, das Analoge digital zu machen, bildet sich durch die automatisch Rückkopplung mit dem tatsächlichen Nutzungsverhalten ein Pool von Metadaten und Nutzungsdaten, der sich dynamisch und permanent verändert und in Kombination mit den so genannten nutzergenerierten Inhalten, die strukturell die eigentlich web-adäquaten darstellen, eine parallele, teilweise ergänzende, teilweise für sich stehende Medienkultur erzeugt.
Es mag vielleicht für Robert Darnton faszinierend sein “to view and download a digital copy of the 1871 first edition of Middlemarch that is in the collection of the Bodleian Library at Oxford”, aber er muss sich nicht wundern, wenn er nur einer und wenigen ist, der dies auch tatsächlich tut. Manch anderem reicht die Wordsworth-Taschenbuchausgabe zu 1,99 Pfund. Natürlich: Man möchte in der Möglichkeit wohnen. Über alle Bücher immer und überall verfügen zu können ist ein alter Traum. Ein alter wohlgemerkt, und ein Traum. Einer aus einer analogen Welt dazu, dem auch Google erklärtermaßen anhängt, vielleicht aus Überzeugung vielleicht um das Wissen darum, wie dieser bei den Zielgruppen verfängt, als Taktik.

Aber digitalisierte Erstausgaben werden auch perspektivisch sicher nicht das sein, was den Mittelpunkt des medialen Verhaltens im Web darstellt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man außerhalb Googles dem Unternehmen “Google Books” mehr Relevanz zuschreibt, als Google es selbst tut. Denn Bücher sind stärker als Musik und Bewegtbild mit ihrem Trägermedium verbunden und entsprechend begrenzt: Im Gegensatz zur Schallplatte erfährt man ein Buch beim Lesen körperlich. Man mag dies als Nebensächlichkeit abtun, aber dass das Publikum immer wieder auf das haptische Element im Leseprozess eingeht, lässt durchaus Rückschlüsse zu, dass dieser Aspekt zentraler gelagert ist, als man gemeinhin annimmt. Der Verlust des Körperlichen wird erstaunlich intensiv als ein solcher empfunden. Obendrein ist er nicht notwendig. Es ist unwahrscheinlich, dass irgendjemand das gedruckte Buch abschaffen möchte. Manch ein Zeitungsverleger sieht vielleicht sein Blatt ertrinken und lässt die Kulturredaktion dasselbe auf die ganze Branche extrapolieren. Aber auch Buch und Zeitung unterscheiden sich gründlich. Nur lässt sich manch ein Verleger mit der Panik anstecken und glaubt jetzt ebenfalls, dass ein neues technisches Spielzeug namens Kindle die Masse vom Papier weglockt.

Wahrscheinlich geht es Google  nicht einmal um die Bücher selbst, sondern um einen Pool von Text, den Google möglichst exklusiv in der digitalen Form verarbeiten und vermitteln möchte. Wäre es rechtlich möglich, auch Filme und Musiktitel in gleicher Weise zu verwerten, Google würde es sicherlich ebenso angehen. Man steckt seine Claims und vom Win-Win überzeugt helfen Bibliotheken gern mit, dem weltgrößten Informationsdienstleister die Bestandslücken zu stopfen. Ob sie sich damit den Lesesaal leeren, bleibt abzuwarten. Denn wer die Erstausgabe von Middlemarch wirklich durchzuarbeiten plant, wird wohl doch in die Bibliothek gehen. Wer schnell mal durchblättern möchte, findet den reinen Text seit 1994 im Project Gutenberg und den Reprint, auf den auch Google Books für die Vollansicht zurückgreift, bei Amazon.

Um der tief verankerten Buchkultur zu entsprechen, simuliert man bei Google Books die Darstellung nach dem Seitenrhythmus und gibt – oft leider – das orginale Druckbild aus. Vielleicht auch – zum Glück – um zu kaschieren, dass selbst mit fortgeschrittenen OCR-Verfahren die Qualität der automatischen Texterfassung ihre Grenzen hat, was auf Middlemarch nicht zutrifft, da hier über das Partnerprogramm vermutlich direkt auf eine Textdatei zurückgegriffen werden konnte. Man kann diese  Simulation auch als Zugeständnis sehen, hinter dem als Erkenntnis steht, dass das Buch im Web ein Anachronismus bleibt. Das Web kennt und möchte andere Texte, nämlich die mit dem Hyper- davor, und man sollte vermutlich davon ausgehen, dass es auf Dauer stärker von diesen als von digitalisierten Klassikern dominiert wird.

Der Versuch, die Buchkultur im digitalen Maßstab nachzuformen erscheint vor diesem Hintergrund eher als Episode. Der weithin gefahrene Simulationsansatz der Medienindustrie ist entweder darin nachvollziehbar, dass man den Kunden an einer Stelle abholen möchte, die ihm bekannt ist. Oder darin, dass sich mit Web 2.0-Inhalten bislang kaum etwas verdienen lässt, wofür man sich in der Realwelt etwas kaufen kann. Man fühlt sich auf den Markt für E-Books gedrängt, denn Google scannt ohnehin alles, was im Bibliotheksmagazin steht, und daher hofft man nun, da man muss, mit demselben, was man druckt, digital einen neuen Markt zu erschließen.

Die Kommerzialisierung von digitalen Inhalten jenseits des – wie die Zeitungskrise zeigt – etwas unzuverlässigen Werbemodells dürfte das Kernproblem der Medienökonomie unserer Zeit sein und wer es löst, bekommt dann wohl den Wirtschaftsnobelpreis. Denn so sehr die Illusion, dass man mit dem Trägermedium auch den Inhalt erwirbt und dann die Sternstunden der Menschheit tatsächlich und nicht nur als Nutzungsrecht im Regal hat, den tatsächlichen Verhältnissen widerspricht, so gut konnte und kann man mit dieser Geld verdienen. Niemand käme auf die Idee, dass eine Fotokopie den gleichen Wert besitzt, der der Leinenausgabe mit Lesebändchen zugeschrieben wird. Dem Verlag geht es darum die Auflage zu verkaufen. Versucht er dasselbe mit dem beliebig gleichwertig reproduzierbaren E-Book, macht er sich eher lächerlich. Darnton vernachlässigt bei seiner Befürchtung, aus Google Books entstünde eventuell “an electronic supply service that could out-Amazon Amazon”, dass Amazon weitaus weniger Dateien als klassische Bücher verkauft (und obendrein noch ganz viele andere Dinge vom Fotoapparat bis zum Wollschal).

Für gescannte Texte könnte dagegen Google tatsächlich die Position am Lieferhahn besetzen. Als Frage bleibt, wie problematisch dies am Ende tatsächlich ist und wie überzogen sowohl das Extrem der freien Omniverfügbarkeit wie auch das der straffen Zugangskontrolle erscheint:

An enterprise on such a scale is bound to elicit reactions of the two kinds that I have been discussing: on the one hand, utopian enthusiasm; on the other, jeremiads about the danger of concentrating power to control access to information.

Für letzteres Szenario sieht Darnton auf dem Buchmarkt etwas aufblühen, was in der wissenschaftlichen Informationsversorgung allgemein als “Zeitschriftenkrise” bekannt ist und am Ende, so seine Überlegung, auf die Bibliotheken zurückfällt:

But there is no direct connection between supply and demand in the mechanism for the institutional licenses envisioned by the settlement. Students, faculty, and patrons of public libraries will not pay for the subscriptions. The payment will come from the libraries; and if the libraries fail to find enough money for the subscription renewals, they may arouse ferocious protests from readers who have become accustomed to Google’s service. In the face of the protests, the libraries probably will cut back on other services, including the acquisition of books, just as they did when publishers ratcheted up the price of periodicals.

In der Tat ist dies der für unseren Kontext vielleicht interessanteste Gedanke: Wie werden Öffentliche Bibliotheken, die elektronischen Inhalte subskribieren und nicht auf Datenträgern erwerben – man schmeckt es ein wenig mit der Debatte um die Onleihe vor – mit den daraus entstehenden Abhängigkeiten umgehen? Und welche Rolle können (sollten, werden) die Gegen- oder Ergänzungsangebote jenseits der Reichweite des formalen Publikationsgeschehens, wie sie oft den Wiki- und Blogosphären zugeschrieben werden, in solch digitalen Bibliotheksumgebungen spielen?

Schließlich  – man vergisst es häufig, wenn man sich täglich durch die Zukunftsfeuilletons zur Digitalität gräbt – erscheint sehr vielen Leuten und Freizeitlesern das Phänomen der Digitalisierung von Büchern einfach gründlich überbewertet. Sowohl dem Aufklärungsanspruch Robert Darntons wie auch dem Digitalisierungseuphorie mancher Vertreter der Bibliotheksbranche und einiger aus dem Verlagswesen bilden eher eine Elitendiskussion ab, die entweder vom Bedürfnis der Erschließung neuer Märkte oder einem etwas überzogenen Freiheits- und Aufklärungsgedanken getragen wird. Auf Letzteres trifft man gern bei den Euphorikern der Digital Boheme, die jedoch, wie es typisch für eine Avantgarde ist, in ihrer radikalen Digitalität und geographischen Enträumlichung nur einen kleinen, wenn auch lauten, Bruchteil der Bevölkerung selbst im Prenzlauer Berg stellen.

Der Bedarf, seine gesamte Lebenswelt in digitale Umgebungen zu verlagern, mag bei manchen Lebensstilen zum Leitmerkmal gehören. Wir, die wir mehr oder weniger professionell mit diesen Phänomenen zugange sind, müssen natürlich die richtigen Fragen stellen und dafür sensibel bleiben. Aber auch das Gespür dafür bewahren, dass es sich nicht bei jedem um die Idee umfassender Aufklärung oder um allgegenwärtigen Zugriff auf digitale Medieninhalte dreht.

Für sehr viele Menschen ist die Nutzung digitaler Information und auch von Google bestenfalls ein Alltagselement unter sehr vielen. Diese würden dann auch bei Darntons Frage

If Google makes available, at a reasonable price, the combined holdings of all the major US libraries, who would not applaud? Would we not prefer a world in which this immense corpus of digitized books is accessible, even at a high price, to one in which it did not exist?

eher mit den Schultern zucken als applaudieren und z.B. einfach mal verreisen. Oder das Auto waschen. Oder Gitarre spielen. Oder ein Brettspiel.

Robert Darnton: Google & the Future of Books. New York Review of Books:Volume 56, Number 2 · February 12, 2009

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=6507 2
So lesen die Deutschen, eine aktuelle Studie http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=5764/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=5764/index.html#comments Thu, 12 Jun 2008 14:30:20 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=5764 Nach eigener Einschätzung liest knapp ein Viertel (24 Prozent) der Bevölkerung in Deutschland „sehr oft“ Bücher, weitere 34 Prozent lesen „oft“. Demgegenüber lesen 38 Prozent „selten“ und fünf Prozent „nie“ Bücher. Die Angaben auf die Frage nach der Anzahl der im laufenden Jahr gelesenen Bücher reichen von „gar keine“ bis hin zu über 30 Büchern. [...]]]>

Nach eigener Einschätzung liest knapp ein Viertel (24 Prozent) der Bevölkerung in Deutschland „sehr oft“ Bücher, weitere 34 Prozent lesen „oft“. Demgegenüber lesen 38 Prozent „selten“ und fünf Prozent „nie“ Bücher. Die Angaben auf die Frage nach der Anzahl der im laufenden Jahr gelesenen Bücher reichen von „gar keine“ bis hin zu über 30 Büchern. Der Durchschnitt liegt bei 11 Büchern, wobei Frauen nach eigenen Angaben 13 und Männer lediglich neun Bücher gelesen haben. In der Gruppe der Befragten, die sich selbst als Vielleser einstufen, liegt das Durchschnittspensum bei 24 gelesenen Büchern seit Jahresanfang.

Das Börsenblatt weist heute auf eine Repräsentativstudie der Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers mit dem Titel “Haben Bücher eine Zukunft?” (PDF) hin. Das Wort “Bibliothek” taucht in dieser übrigens nirgends auf.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=5764 0