Wie “Vatikan und Sex”: Das Radiofeuilleton über Europeana

Kultur ist nun einmal der prinzipiell nicht verwaltbare geistige Überschuss der Völker und dementsprechend grimmig sieht das Gesicht der Brüsseler EU-Verwaltung beim Thema Kultur aus.

Archivalia nennt den Radiobeitrag Burkhard Müller-Ulrichs, den der Deutschlandfunk am vergangenen Freitag in seiner Sendung “Kultur heute” ausstrahlte, fast untertreibend “süffisant und durchaus kritisch“, denn die Breitseite, die dort gegen die europäische Kulturpolitik im Allgemeinen und gegen Europeana im Besonderen gefeuert wird, erweist sich als denkbar drastische Polemik.

In der Tat kann man sich fragen, wie sinnvoll es ist, dass eine mit derart begrenzten Möglichkeiten – Müller-Ulrich nennt die Zahl von “lachhaften” 57 Millionen Euro als Kulturbudget der Europäischen Union – ausgestattete Institution ein derart ambitioniertes Unterfangen, wie es die proklamierte Idee von Europeana (“think culture”) darstellt, anzugehen.

Öffentliche Aufmerksamkeit mit möglichst geringem Aufwand, so der Beitrag, sei der zentrale Punkt des Projektes und das Internet allgemein eine billige Möglichkeit, dahingehend loszuhebeln, in dem man das, was es bereits gibt, in neuer Form anbietet. Die Webskepsis des Autors ist unübersehbar und entspricht einer negativen Lesart der oft rein affirmativ von der “Laptop-Bohème” bejubelten Remix-Kultur. Europeana erscheint ihm daher als ein ziemlich überflüssiges Zeitgeist-Projekt, dessen einzige Funktion es ist, die Fahne des Aktionismus gut sichtbar aufzuziehen:

“Europeana bietet nichts, was nicht schon anderswo im Netz vorhanden wäre. Es ist bloß eine Suchmaschine, eine Maske auf der Europäische Union draufsteht, damit man glaubt, die tun was.”

Wer den Pressemeldungsrummel darum herum zum Maßstab nimmt, kann tatsächlich zu dieser Einsicht gelangen. Dies liegt womöglich auch am Feuilleton selbst, das gern die Erwartungen unverhältnismäßig hoch setzt und alles, was die Ghostwriter von Manuel Barroso auf Wirksamkeit zuspitzen, noch einen Tick weiterdrehen. Das rhetorische Eigentor, das Denken und Kultur dort verspricht, wo sich Metadaten und weiterführende Links in BETA-Verknüpfung treffen, liegt aber weniger im Projekt, als darin, wie man es nach Außen aufplustert. Tragischerweise ist dieses Aufplustern hinsichtlich der Blase der Aufmerksamkeitsökonomie anscheinend notwendig, um überhaupt irgendwelche Mittel zu bekommen.

Auf der inhaltlichen Ebene bietet Europeana sicher wenig und schon gar nichts Neues, was die Welt umkrempeln kann. Eigentlich ist der vermutete Kulturgenuss und Gedankenaustausch kein solcher und auch nicht möglich, handelt es sich doch vorrangig um eine Datenbank. Ein kulturelles Erlebnis und Sinn konstruierend zu sein ist eben selten ein Charakteristikum derartiger Systeme. Wer so etwas sucht, sollte lieber Lettre abonnieren.

Europeana ist aber eigentlich – und darauf reduziert sollte man es vielleicht lesen und kommunizieren – ein technisches Projekt und kein kulturelles – welches diverse Objektrepräsentationen an einer Stelle zur Recherche zusammenführt. Es verwaltet und verknüpft Metadaten und welche Objekte am Ende dahinter stehen – ob Briefe Henry Millers oder Versicherungsdaten oder Sportresultate – ist in gewisser Weise austauschbar. Nur wäre eine Plattform zur Verwaltung von Dokumenten der Europäischen Fußballgeschichte inklusive Wettstatistiken womöglich nicht derart als förderungswürdig betracht worden, wie ein “Kultur. Denken.” Da liegen die ideellen Beurteilungskriterien nach dem Schock Google-Book-Schock – dem europäischen Sputnik-Schock der Nuller-Jahre dieses Jahrhunderts – durchaus im edlen Bereich, der Abgrenzen (nach Amerika) und Zusammenführen (in Europa) in Einem realisieren soll. Vermutlich aber – da ist die Skepsis Müller-Ulrichs sicher berechtigt – muss er in diesem Punkt schlicht scheitern. Zu mannigfaltig ist die Kultur der Mitgliedsländer, zugleich zu verwoben mit der globalen Populärkultur und zu abhängig von amerikanischen Werkzeugen und technischen Akteuren.

Würde man Europeana als Projekt zur Technologie-Entwicklung betrachten, die als Gegenstand einen Verbundkatalog von Digitalisaten kultureller Artefakte nimmt, damit sie einen konkreten Bezugspunkt hat, dann wäre es sicher noch immer recht unterfinanziert, aber in Bezug auf die Wirkungsmöglichkeiten realistisch eingegrenzt. Posaunt man aber den großen Weg zur europäischen Einheitskultur als Motiv in die Tagespresse ohne wenigstens die technische Stabilität hinsichtlich der erwarteten Zugriffe aus Neugier abzusichern, dann ist Eigentor eigentlich noch eine milde Umschreibung und PR-Desaster die treffende. Das (Radio)Feuilleton darf dann am Thema vorbei poltern und sagen, man hat es schon immer gewusst und es wird sowieso nichts, denn die Briten bringen ihren Harold Pinter nicht mit ein, die Franzosen aber ihren Claude Simon mit “allem was das Herz begehrt” und Kultur ist immer uneins, bei der Zeustochter mit der weiten Sicht.

> zur mp3-Datei des Beitrags beim Deutschlandfunk

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