IBI-Weblog » Digitalität (Folgen) http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Nachts um zwei rettet Google das Semester: Eric Schmidt über den Zweck von Google Books http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=7179/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=7179/index.html#comments Mon, 22 Jun 2009 10:11:08 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=7179 “What I think is great about books is that people just don’t go to libraries that much, but they are in front of the computer all day,” Mr. Schmidt said. “And now they have access. If you are sitting and trying to finish a term paper at 2 in the morning, Google Books saved your [...]]]>

“What I think is great about books is that people just don’t go to libraries that much, but they are in front of the computer all day,” Mr. Schmidt said. “And now they have access. If you are sitting and trying to finish a term paper at 2 in the morning, Google Books saved your rear end. That is a really oh-my-God kind of change.”

Irgendwie wirkt der Ausdruck “term paper” in dem von Google CEO Eric Schmidt beschriebenen Zusammenhang ein wenig anachronistisch. Wie dem auch sei: die New York Times berichtet aus dem Googleplex in Mountain View und stellt die zentrale Frage der Webgesellschaft: How Good (or Not Evil) Is Google?
Eine eindeutige Antwort findet sie erwartungsgemäß nicht. Denn Google schlägt sich weniger mit moralischen Fragen als mit denen der Nützlichkeit herum. Insofern kontert Eric Schmidt so schlicht wie entwaffnend:

“[...] But the question is, how are we doing? Are our products working for you?”

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Die Freiheit im Digitalen: Ein Text zum Open Access im Freitag. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6984/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6984/index.html#comments Wed, 20 May 2009 10:20:48 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6984 Es wird nicht viel Wasser den Fluss hinabfließen, bis Open Access auch in den Geisteswissenschaften weltweit zum Standard wissenschaftlichen Publizierens wird – ganz ohne „technokratische Machtergreifung“ und äußeren Zwang. Ich als Altertumswissenschaftler brauche schon heute gedruckte Bücher und Open Access – und Verlage mit im Boot, die mir beides ermöglichen. Hier sind wir wieder im [...]]]>

Es wird nicht viel Wasser den Fluss hinabfließen, bis Open Access auch in den Geisteswissenschaften weltweit zum Standard wissenschaftlichen Publizierens wird – ganz ohne „technokratische Machtergreifung“ und äußeren Zwang. Ich als Altertumswissenschaftler brauche schon heute gedruckte Bücher und Open Access – und Verlage mit im Boot, die mir beides ermöglichen.

Hier sind wir wieder im freien Prognostizieren. Joachim Losehand rechnet heute im Freitag seine Rezeptionspraxis hoch und es ist natürlich schwer, ihm nicht Recht zu geben. (Losehand, Joachim: Der Zwang zur Freiheit. In: Freitag online. 20.05.2009 05:00) Allerdings muss man nicht unbedingt mit dem Revoutionsvokabular mitstürmen, das er – nicht unpassend zur aktuellen Linie des Wochenblattes – benutzt, wenn er zum Jubiläum die Bedeutung des Mauerfall mit dem anderen Jubiläum der Erfindung des WWW (“eine viel größere und bedeutsamere Revolution”) zusammenspielt. Die Koinzidenz ist verführerisch, aber das gegeneinander Aufwägen ist ein Schritt zuviel und am Ende klingt das Freiheitslied, das hier aufgespielt, etwas zu einfach komponiert: Alles frei, alles besser und ein paar Ewiggestrige vom Politbüro der Deutungshoheit (Andrew Keen, Marek Lieberberg, Susanne Gaschke, Thomas Schmid und man kann aus der heutigen ZEIT auch noch Adam Soboczynski ergänzen) “fürchten um die Integrität ihrer Werke, ihre Souveränität als Urheber, um die Existenz der traditionellen Verlage, oder gleich um den Erhalt der literarischen und wissenschaftlichen Kultur”. Dabei steht doch eine neue, bessere Kultur erst ins Haus: “In dem Wunsch, die Wissenschaftler zur Publikation unter den Regeln von Open Access zu verpflichten, drückt sich nicht ein Ruf nach Enteignung aus, sondern die Stimme der Freiheit.”

So ganz simpel rollen die Würfel dann aber doch nicht zum Sechserpasch für alle. Die wissenschaftssoziologische Erfahrung zeigt, dass es neben dem idealistischen Ziel, der Menschheit vermittels Bekanntgabe von Erkenntnis etwas mehr oder weniger Gutes zu tun, in der Wissenschaft auch andere, ganz auf das eigene Dasein des Wissenschaftlers bezogene Motivationen vorliegen: Der Aufbau von Reputation. Open Access, so meine These, gelingt dann und dort, wo es dafür einen Beitrag leisten kann. Dann setzt es sich auf diesem Markt konkurrierender Publikationsformen durch.

Die Debatte, die um diesen Reibungspunkt geführt wird, lässt sich nämlich nicht nur als freiheitsgetriebener Durchsetzungswillen von progressiven Eingesperrten gegen rückständige Sachwalter der alten Zeit sehen, sondern ist durchaus insgesamt auch als Wettbewerb bis Machtkampf zu lesen: Wo es den einen mittels einer technischen Innovation darum geht, sich selbst – ganz wertfrei gemeint – zu profilieren und sich eine möglichst breite Existenzgrundlage zu sichern, die rhetorisch mit Deutungsanspruch für das, was morgen sein soll (und wird), also einem Zukunftsversprechen, verkauft wird, fühlen sich die anderen zwangsläufig in ihrer Position und ihrem Daseinsentwurf gefährdet. “Du musst dein Leben ändern” – der Imperativ auf dem Gemeinplatz schwingt mit (bzw. im Freitag: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen“).

“Der vom gebundenen Buch befreite Text gilt ihnen, da scheinbar unkontrolliert und dem kritischen Auge des Verlages entzogen, für qualitativ minderwertig.”

Das stimmt natürlich nicht, denn wer in die Buchhandlungen geht und an den Regalen entlang schaut, sieht nicht unbedingt nur Werke, die Zeugnis eines besonders kritischen Verlagsauges geben. Aber es kann verkauft werden und es wird verkauft. Das vermeintliche Kriterium einer qualitativen Wertigkeit als Scheidelinie zwischen gedruckt und elektronisch wurde spätestens mit dem Einstieg der Verlage ins elektronische Publizieren überholt. Und kontrolliert wird der Text für die meisten Nutzer auch: Über die Zugangsprovider, die sich aus Marktgründen hüten, dies willkürlich zu tun. Dennoch: Wenn Vodafone die Funkmasten abschaltet, hat es sich auch mit dem freien digital Lifestyle. Die Kontrollinstanz ist nur eine andere. Wir sind aber nicht ausgebrochen, schon gar nicht aus dem Marktprinzip, denn nach wie vor verdient man mit uns Geld: wir sehen Anzeigen bei jeder Suchanfrage – d.h. wir zahlen mit unserer Aufmerksamkeit – und wir überweisen monatlich eine mittlere zweistellige Summe an die Zugangsprovider. Wir bezahlen also in gewisser Weise nach wie vor, um Inhalte zu rezipieren. Das ist auch notwendig, denn die Serverparks, auf denen wir unser digitales Leben einlagern und vollziehen, müssen am Laufen gehalten werden.

Jenseits dieser für den Freitag-Autor “einzigen Barrieren” und doch hochrelevanten Hürden des Zugangs bietet die Digitalität eine unendliche und vielfältig nutzbare Abbildungsfläche für symbolischen Ausdruck. Das Medienwandelargument ist dabei der Drehpunkt. Für Joachim Losehand ist das Aufkommen der digitalen Produktion, Distribution und Rezeption in ihrer Wirksamkeit mit dem Aufkommen der Schrift als Ergänzung zur Oralität vergleichbar. Ich (und vermutlich nicht nur ich) habe an anderer Stelle die Überlegung geäußert, dass besonders in Medienformen wie den Sozialen Netzwerken oder Twitter und auch vielen Weblogs, eigentlich eine Verschriftlichung des Gesprächs stattfindet. Die in den Jahrhundert elaborierten Kriterien der Schriftkultur werden dabei übergangen. Kurz: Man schreibt, was man sonst sagen würde und oft, wie man es sagen würde. Es wird der reine Kommunikationsakt dokumentiert, ohne den Willen, Aussagen im Sinn und in der Form dessen, was wir uns unter Geschriebenem vorstellen, zu fixieren. Die Rahmentechnologie des Speicherns und Durchsuchbarmachen hebt dabei die unmittelbare Vergänglichkeit des Gesprochenen auf, nivelliert technisch die Bedeutung der Äußerung. Das geschriebene Gesprochene und das Geschriebene klassischer Art gelten vor dem Suchroboter gleichermaßen. Wir zeichnen dadurch einen größeren Ausschnitt unseres Erlebens digital auf. Daraus erwächst eine ungeheure Komplexität, vor der verständlicherweise die, deren traditionelle Funktion es ist, das Geschehen der Welt zu deuten, erschrecken, weil es sie hoffnungslos überfordert.

Wer versucht, die Äußerungen zu einem Themengebiet – z.B. Open Access – im Netz mittels der zur Verfügung stehenden Technologien (RSS-Feeds) zeitnah mitzuverfolgen, kann sich in der Kommunikationsphäre im Minutentakt mit neuen Nachrichten konfrontieren, die zu lesen, zu verstehen und einzuordnen sind. Praktisch und sachgerecht leistbar ist es nicht. Auch in einer dematerialisierten, beschränkungsfreien Kommunikationswelt bleibt die Materie die Grenze, nämlich die der Körperlichkeit des Rezipienten. Die knappe Ressource in digitalen Lebenswelten ist nicht Geld, sondern Aufmerksamkeit. Hier gibt es sicher auch generationale Verschiebungen, ich bezweifle jedoch, dass die Wahrnehmung diesbezüglich unbegrenzt optimierbar ist. Letztlich zeigt sich der Nutzer (oder der Informationsrezipient) als ambivalente Größe: Auf ihn sind alle Entwicklungen und Erwartungen, ob totale Befreiung oder der Absatz von Büchern, projiziert, nur bleibt er trotz aller Nutzerbefragungen und Verhaltensanalysen eine Black Box, an der die Deutungseliten von gestern, heute und morgen ihre Vorstellungen von Welt ausprobieren.  Die wirkliche Freiheit in der Digitalität würde die Möglichkeit beinhalten, sich dieser auch zu verweigern und nicht wenige tun es in der Tat, manche sogar aus ökonomischen Gründen, da ihnen ein Internetzugang auch mit billigster Flatrate noch zu teuer scheint. Darin liegt auch ein Unschärfe im Text Joachim Loshands und vieler anderer, die ihre eigene Erfahrungswelt (hier: Buch und Web werden parallel genutzt) als Maßstab anlegen. Sie – und ich eingeschlossen – repräsentieren immer einen bestimmten informationellen Verhaltenstypus, der sich aufgrund seiner Webaffinität viel und permanent äußert und daher im Diskurs überproportional präsent ist. Dass die Hochrechnung der eigenen Rolle aber dann versagt, wo die Rollenmuster nicht gelten, wird oft vergessen. Joachim Losehand schreibt für und über den idealtypischen Freitag-Leser. Andere, durchaus legitime Weltsichten bleiben dabei allerdings naturgemäß außen vor. Und auch die begrenzte Perspektive ist oft allein quantitativ schon zuviel zum Lesen, Bewerten und bei Bedarf zum Kommentieren.

Jenseits der abgegrenzten, bekannten und durchschauten Fachcommunity ist es noch ungleich schwerer, Indikatoren für die Einschätzung der Relevanz von Äußerungen zu finden. Besonders wenn als Zugang nur die Volltextsuche bleibt. Da benötigt man viel Zeit zur Diskurssichtung und Tiefenlektüre. Folgerichtig versucht man die Darstellung zu optimieren und arbeitet an semantischen Technologien, die den Menschen bei der Relevanzbewertung unterstützen. Praktisch Wirksames findet sich momentan dabei leider noch nicht. Man ist in digitalen Umgebung bewusster denn je in dem klassischen Dilemma, immer zwischen zuviel und zu wenig zu stehen. Und noch mehr zu wollen. Bzw. wollen zu müssen: Es gibt weitaus zuviel Material, um mit traditionellen Methoden wissenschaftsgerecht, d.h. systematisch und annähernd umfassend, hindurchzusteigen. Das Gefühl, was einen angesichts der Regalkilometer in den Bibliotheksmagazin umfing, diese Empfindung immer am Bruchteil des Bruchteils eines Bruchteils herumzuarbeiten, stellt sich auch und manchmal besonders im dematerialisierten Zustand der Texte ebenfalls ein. Andererseits geht es aber auch darum, möglichst noch viel mehr digital verfügbar zu haben. Googles quasi-utopische Leitvorstellung, das Wissen der Welt an einer Stelle zu bündeln, ist dafür die prominenteste Variante.

Es gilt aber auch für die Wissenschaft und nicht zuletzt unter dem ökonomischen Zwang, die Investition in ein Repository auch vor dem Unterhaltsträger legitmieren zu können. Unbestritten meist dem Willen zur Verbesserung der Wissenschaftskommunikation nachgeordnet. Die allseits dahinterstehende Annahme lautet, dass es, wenn alles (in Zeichenform repräsentierte) Wissen der Welt in gleichen oder vergleichbaren Datenmodellen vorliegt, möglich wird, dies mit der entsprechenden Technologie viel effizienter nutzen zu können.

Die idealistischen Vertreter dieser – mitunter nur implizit mitschwingenden – Auffassung, gehen davon aus, dass sie mit dadurch die Welt verbessern. Die pragmatischen Vertreter erwarten neue Geschäftsmodelle. Die derzeit Etablierten sehen sich bedroht und versuchen entweder den Widerstand oder die Anpassung.

Aber wahrscheinlich ist es für alle tatsächlich wie am 9. November am Übergang an der Bornholmer Straße: Niemand weiß so recht, was passiert, nur alle spüren, dass etwas passiert und hoffen, dass es für sie gut ausgeht. Was aber eigentlich geschieht, erkennt man dann erst wieder in der Rückschau aus der Distanz.

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Jenseits der Aufklärung: Robert Darnton betrachtet Google Books http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6507/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6507/index.html#comments Tue, 27 Jan 2009 14:27:18 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6507 Unfortunately, Google’s commitment to provide free access to its database on one terminal in every public library is hedged with restrictions: readers will not be able to print out any copyrighted text without paying a fee to the copyright holders (though Google has offered to pay them at the outset); and a single terminal will [...]]]>

Unfortunately, Google’s commitment to provide free access to its database on one terminal in every public library is hedged with restrictions: readers will not be able to print out any copyrighted text without paying a fee to the copyright holders (though Google has offered to pay them at the outset); and a single terminal will hardly satisfy the demand in large libraries. But Google’s generosity will be a boon to the small-town, Carnegie-library readers, who will have access to more books than are currently available in the New York Public Library. Google can make the Enlightenment dream come true.

Allerdings nicht zwangsläufig. In der New York Review of Books wirft Robert Darnton einen skeptischen Blick auf Google Books und dem was in diesem Rahmen der zwischen Google und den anderen beteiligten Akteuren geschlossenen Vereinbarung steht.
Erwartungsgemäß zeigt sich die übergroße Marktmacht von Google als potentiell sehr bedrohlich, wobei Darnton das Gefährdungsszenario vom Buchgeschäft auf die Wirkungen im Rahmen des Phänomens der Aufklärung an sich erweitert. Er ist Experte auf diesem historischen Feld und entsprechend ist es nachvollziehbar, dass er die Aufklärung als Faden nutzt, um seine Argumentation daran aufzureihen. Aber manchmal scheint sein Ansatz schon etwas sehr fokussiert.

Die Pole sind klar: a) der öffentliche Auftrag der Bibliotheken auch zur Digitalisierung, der sehr treffend beschrieben wird:

Libraries represent the public good. They are not businesses, but they must cover their costs. They need a business plan. Think of the old motto of Con Edison when it had to tear up New York’s streets in order to get at the infrastructure beneath them: “Dig we must.” Libraries say, “Digitize we must.” But not on any terms. We must do it in the interest of the public, and that means holding the digitizers responsible to the citizenry.

Da lässt sich wenig gegen sagen, außer vielleicht, dass es etwas holprig ist, den Werbeslogan eines kommerziellen Energieversorgers ausgerechtet als Vergleichsgröße für die im gleichem Zusammenhang herausgestellte öffentliche Funktion der Bibliothek heranzuziehen. Oder es ist nur das, was man in den USA unter anschaulichem Stil versteht. Hierzulande klänge es womöglich etwas unsinnig: ‘Denken Sie bei Bibliotheken doch einfach mal an E – wie einfach.’ Funktioniert immer, bleibt an Aussagekraft aber eher an der Oberfläche.

Und b): Google. Google erscheint zunächst einmal ebenfalls halbwegs offen. Wenn auch nicht öffentlich, so doch leicht zugänglich und nutzbar. Nur die Interessenlage unterscheidet sich maßgeblich und wird im Abkommen zwischen Google und den Verlegern deutlich festgelegt:

The district court judge will pronounce on the validity of the settlement, but that is primarily a matter of dividing profits, not of promoting the public interest.

Berechtigt ist dies allemal. Google ist ein Unternehmen und diesem vorzuwerfen, dass es sich wie eines verhält, wäre schlicht albern. Wichtiger ist die Frage, wie man sich als Bibliothek, als Nutzer, als Öffentlichkeit zu Google positioniert. Die Nutzer (und manche Bibliothek) erscheinen möglicherweise etwas verführt von der weiten Produktpalette, die Google momentan der Allgemeinheit gratis (bzw. für den Gegenwert ihrer Daten) zur Verfügung stellt. Daraus erwächst jedoch niemandem ein Anspruch auf ewig währende Manifestierung dieses Status’, der bevorzugt dem Motto “Don’t be evil” folgend als Dienst an der Menschheit interpretiert wird, letztlich aber nur ein spezifisches Geschäftsmodell darstellt. Wenn Google irgendwann die Währung, für die es Dienste herausgibt, zu ändern gedenkt, kann wohl niemand etwas einwenden.

Da dahinter eben kein öffentlicher Auftrag steht, sondern nun einmal ein kommerzielles Unternehmen mit den ihm typischen Interessen, ist das Gedankenspiel, was geschieht, wenn der Hebel im Geschäftsmodell umgelegt wird, zwar durchaus berechtigt, aber am Ende kein Grund für moralische Empörung. Man weiß, womit man es zu tun hat. Der Einfluss von Google ist unbestritten übermäßig groß, ebenso die damit verbundene Missbrauchsgefahr. Und bei einem Unternehmen mit einem Quasi-Monopol – Darnton schreibt von einem “monopoly of a new kind, not of railroads or steel but of access to information” -  lassen sich naturgemäß drastische Folgen ausdenken. Ein nachhaltiger Umgang liegt aber nicht in einem Teufel an die Wand malen und dem Ausschmücken und Katastrophenszenarien, sondern in der Entwicklung eines rechtlichen Rahmens für die Webwirtschaft, der die Grenzen des Machbaren möglichst präzise und menschenfreundlich definiert. Die digitale Gesellschaft muss sich noch ihre Regeln entwickeln. Das Abstecken eines Feindbilds erzeugt dagegen nur den Wind, in den man seine Beschwörungen spricht.

Deutlich wird in der Diskussion, wie schwer es auf allen Ebenen bleibt, die Frage, wie sich digitale Inhalte kommerziell nutzen lassen, angemessen zu begegnen. Die Regeln für Web und Webbusiness, mehr noch die Wahrnehmung des Ganzen, sind weitgehend analog am – jawohl – analogen Modell ausgerichtet. An den Punkten, an denen die Webwelt von der Realwelt abweicht (beliebige und qualitätsfreie Kopierbarkeit, Übertragungsgeschwindigkeit, Zugänglichkeit und bildschirmgebundene Darstellung von Inhalten) offenbart sich noch immer eine nicht geringe Hilflosigkeit im Umgang mit den Folgephänomenen.

Jeder digital repräsentierbare Medieninhalt, der also hauptsächlich über Seh- und Hörsinn rezipiert wird, erfährt im Netz eine Reduktion auf die akustischen und visuellen Eigenschaften und verliert seinen Objektcharakter. Digitale Inhalte sind nicht gegenständlich und können daher nicht wie Gegenstände veräußert werden. Das Eigentum am Objekt verschwindet. Es bleibt das bestimmten Eingrenzungen unterliegende Nutzungsrecht der Inhalte. Auch bei der Schallplatte erwirbt man nur den Tonträger, nicht das Lied darauf. Das darf man unter definierten und kreisrund aufgedruckten Bedingungen abspielen. Mehr nicht. Das erworbene Trägermedium kann man dagegen ungestraft zerkratzen und zerbrechen. Bei digitalen Inhalten entfällt letztere Möglichkeit und man hat buchstäblich nichts mehr in der Hand.

Hier dürfte der Kern des Problems liegen: Da man selbst nicht mehr entscheidet, ob man die Platte auflegt, sondern darauf angewiesen ist, dass der Anbieter den Stream freigibt und diesen laut Geschäftsbedingungen auch weitgehend verweigern kann, ohne dass dem Hörer große Handlungsmöglichkeiten bleiben, fühlt man sich etwas benachteiligt. Mehr noch: abhängig bis ausgeliefert. Es gibt bisher wenig Möglichkeiten, mit dieser Abhängigkeit befriedigend umzugehen: Entweder man verweigert sich ganz oder man lässt es affirmativ geschehen, dass die persönliche Playlist mit einer irgendwo befindlichen Datenbank automatisch synchronisiert wird.

Letzteres führt wiederum zu dem interessanten Geschehen, welches eigentlich spannender und dem Medium Web angemessener ist als die Digitalisierung von Büchern. Denn geht es bei Letzterem nur darum, das Analoge digital zu machen, bildet sich durch die automatisch Rückkopplung mit dem tatsächlichen Nutzungsverhalten ein Pool von Metadaten und Nutzungsdaten, der sich dynamisch und permanent verändert und in Kombination mit den so genannten nutzergenerierten Inhalten, die strukturell die eigentlich web-adäquaten darstellen, eine parallele, teilweise ergänzende, teilweise für sich stehende Medienkultur erzeugt.
Es mag vielleicht für Robert Darnton faszinierend sein “to view and download a digital copy of the 1871 first edition of Middlemarch that is in the collection of the Bodleian Library at Oxford”, aber er muss sich nicht wundern, wenn er nur einer und wenigen ist, der dies auch tatsächlich tut. Manch anderem reicht die Wordsworth-Taschenbuchausgabe zu 1,99 Pfund. Natürlich: Man möchte in der Möglichkeit wohnen. Über alle Bücher immer und überall verfügen zu können ist ein alter Traum. Ein alter wohlgemerkt, und ein Traum. Einer aus einer analogen Welt dazu, dem auch Google erklärtermaßen anhängt, vielleicht aus Überzeugung vielleicht um das Wissen darum, wie dieser bei den Zielgruppen verfängt, als Taktik.

Aber digitalisierte Erstausgaben werden auch perspektivisch sicher nicht das sein, was den Mittelpunkt des medialen Verhaltens im Web darstellt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man außerhalb Googles dem Unternehmen “Google Books” mehr Relevanz zuschreibt, als Google es selbst tut. Denn Bücher sind stärker als Musik und Bewegtbild mit ihrem Trägermedium verbunden und entsprechend begrenzt: Im Gegensatz zur Schallplatte erfährt man ein Buch beim Lesen körperlich. Man mag dies als Nebensächlichkeit abtun, aber dass das Publikum immer wieder auf das haptische Element im Leseprozess eingeht, lässt durchaus Rückschlüsse zu, dass dieser Aspekt zentraler gelagert ist, als man gemeinhin annimmt. Der Verlust des Körperlichen wird erstaunlich intensiv als ein solcher empfunden. Obendrein ist er nicht notwendig. Es ist unwahrscheinlich, dass irgendjemand das gedruckte Buch abschaffen möchte. Manch ein Zeitungsverleger sieht vielleicht sein Blatt ertrinken und lässt die Kulturredaktion dasselbe auf die ganze Branche extrapolieren. Aber auch Buch und Zeitung unterscheiden sich gründlich. Nur lässt sich manch ein Verleger mit der Panik anstecken und glaubt jetzt ebenfalls, dass ein neues technisches Spielzeug namens Kindle die Masse vom Papier weglockt.

Wahrscheinlich geht es Google  nicht einmal um die Bücher selbst, sondern um einen Pool von Text, den Google möglichst exklusiv in der digitalen Form verarbeiten und vermitteln möchte. Wäre es rechtlich möglich, auch Filme und Musiktitel in gleicher Weise zu verwerten, Google würde es sicherlich ebenso angehen. Man steckt seine Claims und vom Win-Win überzeugt helfen Bibliotheken gern mit, dem weltgrößten Informationsdienstleister die Bestandslücken zu stopfen. Ob sie sich damit den Lesesaal leeren, bleibt abzuwarten. Denn wer die Erstausgabe von Middlemarch wirklich durchzuarbeiten plant, wird wohl doch in die Bibliothek gehen. Wer schnell mal durchblättern möchte, findet den reinen Text seit 1994 im Project Gutenberg und den Reprint, auf den auch Google Books für die Vollansicht zurückgreift, bei Amazon.

Um der tief verankerten Buchkultur zu entsprechen, simuliert man bei Google Books die Darstellung nach dem Seitenrhythmus und gibt – oft leider – das orginale Druckbild aus. Vielleicht auch – zum Glück – um zu kaschieren, dass selbst mit fortgeschrittenen OCR-Verfahren die Qualität der automatischen Texterfassung ihre Grenzen hat, was auf Middlemarch nicht zutrifft, da hier über das Partnerprogramm vermutlich direkt auf eine Textdatei zurückgegriffen werden konnte. Man kann diese  Simulation auch als Zugeständnis sehen, hinter dem als Erkenntnis steht, dass das Buch im Web ein Anachronismus bleibt. Das Web kennt und möchte andere Texte, nämlich die mit dem Hyper- davor, und man sollte vermutlich davon ausgehen, dass es auf Dauer stärker von diesen als von digitalisierten Klassikern dominiert wird.

Der Versuch, die Buchkultur im digitalen Maßstab nachzuformen erscheint vor diesem Hintergrund eher als Episode. Der weithin gefahrene Simulationsansatz der Medienindustrie ist entweder darin nachvollziehbar, dass man den Kunden an einer Stelle abholen möchte, die ihm bekannt ist. Oder darin, dass sich mit Web 2.0-Inhalten bislang kaum etwas verdienen lässt, wofür man sich in der Realwelt etwas kaufen kann. Man fühlt sich auf den Markt für E-Books gedrängt, denn Google scannt ohnehin alles, was im Bibliotheksmagazin steht, und daher hofft man nun, da man muss, mit demselben, was man druckt, digital einen neuen Markt zu erschließen.

Die Kommerzialisierung von digitalen Inhalten jenseits des – wie die Zeitungskrise zeigt – etwas unzuverlässigen Werbemodells dürfte das Kernproblem der Medienökonomie unserer Zeit sein und wer es löst, bekommt dann wohl den Wirtschaftsnobelpreis. Denn so sehr die Illusion, dass man mit dem Trägermedium auch den Inhalt erwirbt und dann die Sternstunden der Menschheit tatsächlich und nicht nur als Nutzungsrecht im Regal hat, den tatsächlichen Verhältnissen widerspricht, so gut konnte und kann man mit dieser Geld verdienen. Niemand käme auf die Idee, dass eine Fotokopie den gleichen Wert besitzt, der der Leinenausgabe mit Lesebändchen zugeschrieben wird. Dem Verlag geht es darum die Auflage zu verkaufen. Versucht er dasselbe mit dem beliebig gleichwertig reproduzierbaren E-Book, macht er sich eher lächerlich. Darnton vernachlässigt bei seiner Befürchtung, aus Google Books entstünde eventuell “an electronic supply service that could out-Amazon Amazon”, dass Amazon weitaus weniger Dateien als klassische Bücher verkauft (und obendrein noch ganz viele andere Dinge vom Fotoapparat bis zum Wollschal).

Für gescannte Texte könnte dagegen Google tatsächlich die Position am Lieferhahn besetzen. Als Frage bleibt, wie problematisch dies am Ende tatsächlich ist und wie überzogen sowohl das Extrem der freien Omniverfügbarkeit wie auch das der straffen Zugangskontrolle erscheint:

An enterprise on such a scale is bound to elicit reactions of the two kinds that I have been discussing: on the one hand, utopian enthusiasm; on the other, jeremiads about the danger of concentrating power to control access to information.

Für letzteres Szenario sieht Darnton auf dem Buchmarkt etwas aufblühen, was in der wissenschaftlichen Informationsversorgung allgemein als “Zeitschriftenkrise” bekannt ist und am Ende, so seine Überlegung, auf die Bibliotheken zurückfällt:

But there is no direct connection between supply and demand in the mechanism for the institutional licenses envisioned by the settlement. Students, faculty, and patrons of public libraries will not pay for the subscriptions. The payment will come from the libraries; and if the libraries fail to find enough money for the subscription renewals, they may arouse ferocious protests from readers who have become accustomed to Google’s service. In the face of the protests, the libraries probably will cut back on other services, including the acquisition of books, just as they did when publishers ratcheted up the price of periodicals.

In der Tat ist dies der für unseren Kontext vielleicht interessanteste Gedanke: Wie werden Öffentliche Bibliotheken, die elektronischen Inhalte subskribieren und nicht auf Datenträgern erwerben – man schmeckt es ein wenig mit der Debatte um die Onleihe vor – mit den daraus entstehenden Abhängigkeiten umgehen? Und welche Rolle können (sollten, werden) die Gegen- oder Ergänzungsangebote jenseits der Reichweite des formalen Publikationsgeschehens, wie sie oft den Wiki- und Blogosphären zugeschrieben werden, in solch digitalen Bibliotheksumgebungen spielen?

Schließlich  – man vergisst es häufig, wenn man sich täglich durch die Zukunftsfeuilletons zur Digitalität gräbt – erscheint sehr vielen Leuten und Freizeitlesern das Phänomen der Digitalisierung von Büchern einfach gründlich überbewertet. Sowohl dem Aufklärungsanspruch Robert Darntons wie auch dem Digitalisierungseuphorie mancher Vertreter der Bibliotheksbranche und einiger aus dem Verlagswesen bilden eher eine Elitendiskussion ab, die entweder vom Bedürfnis der Erschließung neuer Märkte oder einem etwas überzogenen Freiheits- und Aufklärungsgedanken getragen wird. Auf Letzteres trifft man gern bei den Euphorikern der Digital Boheme, die jedoch, wie es typisch für eine Avantgarde ist, in ihrer radikalen Digitalität und geographischen Enträumlichung nur einen kleinen, wenn auch lauten, Bruchteil der Bevölkerung selbst im Prenzlauer Berg stellen.

Der Bedarf, seine gesamte Lebenswelt in digitale Umgebungen zu verlagern, mag bei manchen Lebensstilen zum Leitmerkmal gehören. Wir, die wir mehr oder weniger professionell mit diesen Phänomenen zugange sind, müssen natürlich die richtigen Fragen stellen und dafür sensibel bleiben. Aber auch das Gespür dafür bewahren, dass es sich nicht bei jedem um die Idee umfassender Aufklärung oder um allgegenwärtigen Zugriff auf digitale Medieninhalte dreht.

Für sehr viele Menschen ist die Nutzung digitaler Information und auch von Google bestenfalls ein Alltagselement unter sehr vielen. Diese würden dann auch bei Darntons Frage

If Google makes available, at a reasonable price, the combined holdings of all the major US libraries, who would not applaud? Would we not prefer a world in which this immense corpus of digitized books is accessible, even at a high price, to one in which it did not exist?

eher mit den Schultern zucken als applaudieren und z.B. einfach mal verreisen. Oder das Auto waschen. Oder Gitarre spielen. Oder ein Brettspiel.

Robert Darnton: Google & the Future of Books. New York Review of Books:Volume 56, Number 2 · February 12, 2009

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