IBI-Weblog » Institut für Internet und Gesellschaft http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Wirtschaft und Gesellschaft? Eine Anmerkung zu Googles unabhängigem Forschungsinstitut aus Sicht der Bibliotheks- und Informationswissenschaft. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8969/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8969/index.html#comments Wed, 13 Jul 2011 21:14:04 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8969 “wer braucht jetzt noch ein Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften?” fragt beinahe rührend eine unbekannte Solveig in ihrem Kommentar zu Alexanders kleinem Posting zum von Google finanzierten Unabhängige[n] Forschungsinstitut für Internet und Gesellschaft mit den Gesellschaftern Humboldt-Universität zu Berlin, Universität der Künste Berlin und Wissenschaftszentrum Berlin. Tatsächlich verfehlt die Frage aber den Punkt, denn soweit [...]]]>

“wer braucht jetzt noch ein Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften?”

fragt beinahe rührend eine unbekannte Solveig in ihrem Kommentar zu Alexanders kleinem Posting zum von Google finanzierten Unabhängige[n] Forschungsinstitut für Internet und Gesellschaft mit den Gesellschaftern Humboldt-Universität zu Berlin, Universität der Künste Berlin und Wissenschaftszentrum Berlin. Tatsächlich verfehlt die Frage aber den Punkt, denn soweit sichtbar, wird sich dieses neue Institut doch noch viel sozialwissenschaftlicher auf das Themenfeld stürzen, als es das Institut in seiner Agenda aktuell macht. In den aktuellen Forschungsschwerpunkten Digitale Bibliotheken, Informationsmanagement, Wissensmanagement sowie Information Retrieval finden sich nur sporadisch Anschlusspunkte zu gesamtgesellschaftlichen Fragen, was man bedauern mag, aber nicht unbedingt aus dem Augenblick heraus ändern kann.

Das neugegründete Institut am traditionsreichen Bebelplatz stößt also in eine interdisziplinäre Lücke vor, an die das bibliotheks- und informationswissenschaftliche mit seiner Erkenntnisproduktion sicherlich andocken sollte (weit ist es ja nicht), dessen Aufgaben es aber höchstens dann in ähnlichem Umfangen übernehmen könnte, wenn auch ein ähnliches Fördervolumen in die Dorotheenstraße flösse.

Für die Humboldt-Universität übernimmt der Rechtswissenschaftler Ingolf Pernice die Untersuchung der Themengebiete “Rechtsphilosophie und Verfassungsrecht”, ohne dass in der Pressemitteilung die exakte Relation zum Überthema spezifiziert wird. Aber man muss nicht nur an das Google Book Search Settlement denken oder an Datenschutzprobleme bei Facebook, die sich vielleicht in ähnlicher Form oder auch ganz anders ebenso im real life sharing von Google+ wiederfinden, um zu sehen, dass der Bedarf einer regelorientierten und also rechtlichen Reflexion der Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und digitalen Kommunikationsformen enorm ist. Geistiges Eigentum inklusive. Die Trubelei in der mit der zum neuen Institut ziemlich ähnlich klingenden Enquete-Kommission des deutschen Bundestages hat schon mal eine Untersuchungsagenda offenbart (vgl. auch hier).

Dennoch bleibt für Beobachter des Geschehens die Frage, wieso Google den Betriebsumsatz von sechs Konzernarbeitsstunden ausgerechnet in Deutschland in ein solches Institut steckt? Oder, wie es Frank Rieger am Donnerstag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Ist dieser soziale Blindenhund bissig?, FAZ vom 14.07.2011, S. 29) formuliert:

“Wozu benötigt [Google] ein neues Institut? Zur Erforschung von Fragen, die hausinterne Wissenschaftler durch einen analytischen Spaziergang in den eigenen Datenhalden beantworten könnten?”

Der zweite Aspekt wäre tatsächlich mal etwas für das IBI, dass gerade für solche Strukturanalysen eine grundlegende Kompetenz besitzt. Aber darum geht es Google nach Einschätzung des FAZ-Artikels nicht. Sondern, so der Beitrag, um eine kreative Variante der Teilhabe am öffentlichen Diskurs:

Google lernt in Amerika gerade schmerzlich, wie wichtig die langfristige Beeinflussung des politischen Meinungsbildes für die Erhaltung der eigenen Geschäftsmodelle ist. Der Konzern hat ein Machtpotential angesammelt, das intensive Rufe nach Regulierung, Beschränkung, Kontrolle lautwerden lässt. Dass Google sich nun aber anschickt, die akademische Seite der anstehenden europäischen Debatten über den Weg in die durchdigitalisierte Gesellschaft frühzeitig zu beeinflussen, kann nicht weiter verwundern.”

In der Tat. Und eigentlich müsste man genau deshalb auch die Google-unabhängige Forschung zu der digitalen Gesellschaft stärken, damit man ein zugleich alternativen wie auch Vergleichsrahmen hat, an dem man den Output des Instituts für Internet und Gesellschaft messen kann. Wo Frank Rieger der deutschen Forschungspolitik eine “schallende Ohrfeige” verpasst sieht, gilt es tatsächlich einen Missstand zu beheben:

Echte Forschung zu den Folgen und Auswirkungen von Computerisierung und Vernetzung findet an deutschen Universitäten traditionell nämlich nur ganz am Rande statt, getragen von einer vergleichsweise kleinen Zahl unterfinanzierter Wissenschaftler, die um ihre Lehrstühle hart kämpfen müssen, wenn es an die nächste Kürzungs- oder Umverteilungsrunde geht.”

Auch wenn die deutsche Wissenschaft punktuell etwas stärker zu diesem Thema aufgestellt ist, als es die Aussage vermuten lässt, fehlt tatsächlich eine systematische Annäherung an die Gemengelage relevanter Fragestellungen, von denen sich einige zwar in der Globalagenda der Bibliotheks- und Informationswissenschaft wiederfinden (z.B. Informationsethik, Informationsphilosophie, Technikfolgenabschätzung, Medienpluralismus und -nutzung, etc.), selbige aber aktuell bei den Schwerpunktsetzungen in den Lehr- und Forschungsplänen ein wenig kurz kommen.

Da jedoch eine Transformation der Disziplin hin zu einem die aktuell sehr dominanten technologischen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkte vermehrt auch in Beziehung zu deren Wirkungen auf die Gesellschaft reflektierenden Fach eine zähe und  langwierige Angelegenheit darstellen dürfte, (vgl. dazu auch diese aktuelle Erhebung), müssen andere Akteure solche bleibenden Lücken schließen. Ohne interdisziplinären Dialog wird es nicht gehen. Gerade auch die Bibliotheks- und Informationswissenschaft und ihre Diskurse scheinen von einem im FAZ-Beitrag geäußerten Gedanken geprägt:

Die Belohnung durch mehr Sponsorengeld gibt es vor allem für die verlässliche Produktion von in der Wirtschaft reibungslos verwendbaren Absolventen und für das Beackern von möglichst anwendungsnahen Forschungsfeldern.”

Man kann ihr das schwer vorwerfen, denn letzlich sucht sie darin ihre Lebensversicherung. Wissenschaft anno 2011 ist ein Produkt, das verkaufbar gemacht werden muss. Sogar für das Freikämpfen von Nischen für ergebnisoffene oder gar kritische Forschung fehlen im Wissenschaftsalltag häufig einfach die Ressourcen.

Gerade das macht es Google so leicht, hier öffentlichkeitswirksam zu punkten. Für eine vergleichsweise fast vernachlässigbare Summe lässt sich Stifterkultur genau dieser Tönung (frei, offen) erfolgreich zu Image-Pflege auf den deutschen Wissenschaftsmarkt bringen. Dabei handelt es sich genauso um ein Produkt, nur um eines zweiter Ordnung: So wie das Unternehmen als Hegemon den Zugang zu digitalen Informationen überwacht und als freundlicher, selbstironisch auftretender Souverän auftritt, der seinen Strukturpaternalismus hinter fröhlichen Grafiken über dem Suchschlitz verbirgt, so wird es hier zum Geldgeber der Institution, die antizipiert die wissenschaftliche Deutungshoheit für die Auswirkungen des Digitalen auf die Gesellschaft übernimmt. Der vertrauenssuchende Leitspruch des don’t be evil wird durch das unabhängig ersetzt. Die Abhängigkeit bleibt natürlich bestehen.

Es wäre allerdings vollkommener Schmarrn, hinter Google eine Weltverschwörung und in der expliziert kantisch inspirierten Missionsleitlinie der Freiheit und Offenheit einen Rauchvorhang zu mutmaßen. Dazu ist das Unternehmen viel zu abgeklärt und smart. Auch die von Frank Rieger an der so genannten “creepy line” angeklammerte Vermutung, es ginge Google in der Perspektive um Ergebnisse für die marktgerechte Produktentwicklung (wie weit kann man in welchem Kulturkreis gehen), erscheint mir nur als Nebenaspekt.

Entscheidend ist in meinen Augen, dass wir als Bibliotheks- und Informationswissenschaft dort, wo es ums Digitale geht, zwangsläufig in einem sehr spärlich beleuchteten Raum operieren und nicht einmal für die Erkenntnis der Geschehnisse in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart genügend Leuchtkraft besitzen, um wirklich zu verstehen, was in ihm vorgeht, uns aber im gleichen Moment aktiv und mit allem, was wir haben in die Gestaltung von Dienstleistungen für die Zukunft stürzen.

Dieses Missverhältnis scheint mir des Problempudels Kern zu sein. Der soziale Blindenhund sitzt also in einer anderen Hütte, als Frank Rieger vermutet, hängt dort an kurzer Leine und wirkt etwas zahnlos. Und wie beim Google Book Settlement muss man dem Unternehmen fast dankbar sein, dass es mit einem wuchtigen Schritt auf einem Gebiet, auf dem es wenig zu verlieren hat, erneut auf eine Disproportionalität aufmerksam macht. Daher bleibt uns eigentlich nichts anderes, als die Gründung des Instituts für Internet und Gesellschaft vollauf zu begrüßen. Und sei es nur aus dem Grund, dass jemand von Mountain View aus in der Mitte Berlins einer Energiesparlampe angeknipst hat. Ich bin gespannt, was es hier in Zukunft noch zu sehen gibt.

P.S. Hoffentlich ist das unter dem Beitrag im FAZ-Feuilleton abgedruckte Gedicht La capelletta von Susanne Stephan nicht programmatisch zu verstehen:

“Das Portal fest verriegelt,

aber seitlich ein Fenster in Scherben. …”

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