Das Buch ist ein Hammer. (Immer wieder) Mehr zur aktuellen Trenddebatte.

From Aldus Manutius until recently, book lovers have been the most passionate readers. Now they are mostly just the oldest readers. Thanks to digital data, there is a fateful choice to be made between serving lovers of the text and lovers of the page [...]

Clay Shirky schreibt auf Boing Boing eine kurze Entgegnung zu James Geicks Verteidigung des Mediums Buch in der New York Times (How to Publish Without Perishing) und so wie Shirky deutlich wird, dass die Zukunft dem Leser, nicht dem Bücherfreund gehört, wird mir deutlich, dass hier zwei völlig verschiedene Herangehensweisen an das Medium Text aufzeigen, die Shirky zu benennen versucht und dabei doch den Punkt verfehlt. Denn Geick hat natürlich recht wenn er schreibt:

As a technology, the book is like a hammer.  That is to say, it is perfect: a tool ideally suited to its task.

Laut Sprichwortschatz erscheint bekanntlich dem, dessen Werkzeug ein Hammer ist, jedes Problem wie ein Nagel. Entsprechend blickt jeder, der mit der hauptsächlich mit dem Buch arbeitet, durch die papierne Brille, wogegen jeder, der zum Web2.0 greift, die Welt als Aggregation von Hypertexten sieht. Letztere sind ideal an ihre Aufgabe angepasst, wie das eifrige Diskursgeschehen in der Blogosphäre zeigt. Der Hammer ist ideal auf den Nagel angepasst. Und das Buch im Idealfall vollkommen auf die Texte, die für dieses Medium verfasst und gesetzt wurden. Es sind aber andere Texte, als die des Web2.0 und die des Onlinejournalismus. Das PDF als Vorstufe eines Druckproduktes mag man als Bindeglied sehen, aber es ist sowohl als elektronische Variante wie auch als Ausdruck für die intendierte Rezeption nicht ideal.

Was meines Erachtens zu selten gesehen wird, ist, dass es sich um verschiedene Lektüreformen handelt, auf die die jeweiligen Medien zugeschnitten sind. Das bedeutet also, dass sich – sofern diese These tatsächlich stimmt – die jungen (und damit dynamischen, zukunftsgestaltenden, usw.) Leser ganz anderen Textformen – und nicht etwa einem alternativen und doch vergleichbaren Medium – zuwenden, als die altbackenen, (rückwärtgewandten, nur beim Sammeln wilde, usw.) Buchliebhaber. Eigentlich denken diejenigen, die im E-Book und E-Publishing nur die Fortsetzung Gutenbergs mit dem anderen Mittel der elektronischen Lettern sehen, nicht konsequent genug. Es ist nicht die Frage nach einer Technologie, sondern die nach einer Technologie und der zu ihr passenden Funktion, in diesem Fall “Texte” oder “Inhalte”.

Die Differenz in der Rezeption ist in ihrer Zuspitzung oft genug benannt: Die einen – und zwar die jungen und modernen – mögen das Sprunghafte, Komprimierte, Kurze und Prägnante, während die anderen – die ewig gestrigen und demnächst verschwindenden -  lieber im Zwang zur Lineratität, Ausführlichkeit, der herausgezögerten Neugier darüber schwelgen, was wohl auf der nächste Druckseite stehen wird.

Aber ist das, was sich hinter der Revolution des Medienverhaltens verbirgt womöglich nichts anderes als ein verbrämter Jugendwahn, ein Abgrenzungsdrang, den man dereinst mit Popmusik, anarchistischen Neigungen oder eigenartigen Frisuren auslebte? Die Alten bleiben jedenfalls ziemlich draußen, bei der StudiVZ-vermittelten Identitätsfindung und Kommunikation. Dafür bekommen sie ihren eigenen Plattformen, die genauso aussehen, nur anders heißen, und es möglich machen, sich auch später noch jung zu fühlen und Online-Beziehungen zu leben, als wäre man erst 16.

Da alles ein Markt ist und alles digital vernetzt, sind neben den allgemeinen Urmedien der schriftsprachlichen Kommunikation selbstverständlich auch Verlagsinhalte von diesem Wandel betroffen. Anders als bei der Briefkommunikation schält sich hier anscheinend noch eine – vielleicht auch an Standesgrenzen entlanglaufende – Bipolarität ein: Während die jungen am Ende Schotts Sammelsurium bookcrossen, stellen sich die Anderen ihre Suche nach einer verlorenen Zeit ins Regal, sich mit dem Gedanken tragend, vielleicht in 10 Jahren dasselbe Buch noch einmal zu lesen, dann aber ganz verändert.

Oder anders: Shirky sagt es nicht so, aber ich denke, wir haben auf der einen Seite den Idealtypus einer eher funktional-nüchtern geprägten Herangehensweise an Text und auf der anderen Seite einen Typus, der atmosphärischer orientiert ist.
Man kann vielleicht auch einmal diskutieren, ob sich die Unterschiede in den Wissenschaftskulturen, von denen einige schnelle und elektronische Darstellungs- und Distributionsformen reibungslos übernahmen, während andere nach wie vor einem vergleichsweise langsamen und analogen Stil die Treue zu halten versuchen, aus eben solchen Rezeptionspräferenzen ergeben.

Mir jedenfalls scheit es schon länger so zu sein, dass sich in den Argumentationslinien für die anstehende Hegemonie elektronischen Publizierens und digitale Kommunizieren eine rational-technische Perspektive als Dominante herausbildet, die man aus vergangenen Technikeuphorien (Elektrifizierung, Industrialisierung, Automobilisierung, Atomstrom, etc.)  kennt. Die Idee eines verlustarmen, sich permanent optimierenden Fortschreitens in eine bessere Zukunft (=Utopie) hat nach der Lebenspraxis endlich das Gebiet der Lesepraxis erreicht.

Wer sich an seinen Morus oder Bellamy erinnert, weiß allerdings, dass Utopien einerseits durch eine gewisse Rigidität und Alternativlosigkeit in ihrer Perfektion tendieren und andererseits sich am Ende, je mehr sie ihre Elemente sich in der Realität konkretisierten, als unterdimensionierte und naive Gebilde erwiesen.  Erstaunlicherweise fehlt Vertretern wie Shirky häufig in ihrer Zukunftslogik das Element, welches sich ohne viel Aufwand aus der Rückschau auf die Zeugnisse früherer Aufbruchsdiskurse zwangsläufig gewinnen lassen muss: eine gesunde Skepsis, die einkalkuliert, dass es nicht nur anders kommen könnte, als man es sich vorstellt, sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders kommen wird. (Wer sich auf dem Buchmarkt umschaut, findet aber auch – und zwar massiv in print – in der facettenreichen Sparte der Beratungs- und Lebenshilfeliteratur die ideologische Untermauerung dieses Denkens: Die Welt ist ein schnelles Spiel und wer zaudert und zweifelt, verliert. Blink, Blink trifft Bling, Bling.)

Und es magelt den Stürmer und Dränglern der Digitalität in ihrer Unruhe unter dem Primat der ständigen Beweglichkeit und Spontaneität an der Fantasie, sich vorzustellen, das manchmal etwas einfach in dem Zustand gut ist, in dem es sich gerade befindet.
Woran es ebenfalls jedoch fehlt im Revier des digitalen Erweckungskapitalismus, ist die blaue Blume, d.h. das bestimmte Ziel, das man vor den Augen, bevor man sagen kann, wo man steht. Situativ fällt auch ein Krokodil Bauchentscheidungen (blink) und springt nach dem dicksten, erreichbaren Happen…

Der Unterschied zu den fernen Utopien der letzten Jahrhunderte liegt traurigerweise weitgehend darin, die Welt im Kern nahezu ausschließlich auf marktbegründete Effekte hin verbessern und verändern zu wollen und dies dann irgendwie ausgeschmückt zu begründen. Wenn es keine richtigen Argumente mehr gibt, holt man die dicke Keule Sachzwang heraus und dazu das Phrasenschwein, welches Binsenweisheiten wie “nur was sich ändert, bleibt” ausgräbt um sie als zu Trüffeln polierte Neuigkeiten zu verkaufen. Glücklicherweise ist dieser Nachteil auch gleich wieder der Vorteil, denn wenn der Markt bzw. seine Akteure sich anders entscheiden, dann pendelt sich alles wieder aus.

Meine These zum Tag: Solange sich Gedrucktes gut verkauft, wird es seine Zukunft haben. Wenn sich Elektronisches gut verkauft, auch dieses. Wenn sich beides gut verkauft, beides. So nüchtern kannn man es auch sehen. Schade nur um das, was in der Hysterie drumherum alles beschädigt wird.

8 Responses to “Das Buch ist ein Hammer. (Immer wieder) Mehr zur aktuellen Trenddebatte.”


  1. Schöner Artikel. Man fragt sich manchmal wirklich, was die ganze Aufregung Druck vs. Digitales soll. Ich denke nicht, dass das eine das andere vollkommen ablöst oder ablösen wird. Beide integrieren sich in unseren Alltag. Ich möchte digital nicht missen und print auch nicht. Es ist einfach ein fröhliches Miteinander, quasi Multi-Kulti. ;-)

  2. Vielleicht eher buchstäblich Multi-Media

  3. Bücher wird es sicherlich noch lange geben. Wer geht auch schon mit dem Notebook an den Strand oder in die Badewanne ;-)

  4. Shirky ist ein Missionar, daher hat seine Argumentationsweise eben quasireligiöse Züge in ihrer Ausschließlichkeit. Außerdem braucht Shirky kein Buch, weil ihn Texte, für die ein Buch das optimale Medium wäre, nicht interessieren. Wie deutlich wurde in der Debatte über Carrs “macht Google dumm?”

  5. Unglücklicherweise sind es leider Leute wie Shirky, die, weil sie am lautesten und schlichtesten argumentieren, häufig mehr Gewicht in der öffentlichen Debatte bekommen, als vernünftig wäre.
    Einerseits liebt das Feuilleton diese Zuspitzung und andererseits gibt es erstaunlicherweise auch zahlreiche Branchenvertreter, die sehr zugänglich für ein übervereinfachtes Weltbild sind, sogar wenn es ihr eigenes erschüttert.

    Ich denke, dass oftmals – auch im Bereich des Bibliothekswesens – mehr Behauptungs- und Durchsetzungsdiskurse vorliegen, als tatsächliche Sachdiskurse. Kennzeichnend für erstere ist das Bemühen um Überredung und das Pochen auf eine Dringlichkeit des Handelns, die eine inhaltliche Auseinandersetzung behindert. Das Argument zählt weniger als die Aktion. Ich verstehe allerdings auch, dass manchmal Erschütterungen hilfreich sind, um eine Diskussion überhaupt in Gang zu bringen. Nur sollte man danach von der provozierenden These zum Argument zurückkehren.

    Was Akteure wie Shirky tun, erscheint mir als diskursökonomisches Handeln, bei dem sich Aufmerksamkeitsnischen öffnen, die über verstärktes Abgrenzen erschlossen und ausgebaut werden und letztlich mit der signalisierten Bedeutsamkeit die eigene Position sichern. In der Regel hilft die simple, doch zu wenig gestellte Frage cui bono?, um die tatsächliche Fachdiskussion vom Bekehrungsdrang zu unterscheiden.

    Michael Casey und seine Library2.0 sind ein anderes exzellentes Beispiel dafür, wie sich ein relativ substanzarmes Wortspiel zu einem marktgängigen Produkt aufplustern lässt.

  6. Ich würde auch sagen, dass ein Mem einen evolutionären Vorteil hat, wenn es laut und schlicht ist :-) .

  7. Müssten wir dann nicht mittlerweile in einer sehr trivialen Kultur leben…?

  1. [...] »Das Buch ist ein Hammer« wird die These vertieft, dass das gedruckte Buch für seinen Zweck ein perfektes Medium ist, [...]

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