IBI-Weblog » Bibliotheks- und Informationswissenschaft http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Google, was geht? Das Scenario Magazine berichtet aus dem Beta Lab. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9071/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9071/index.html#comments Wed, 07 Sep 2011 15:42:20 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=9071 Thomas Geuken, Psychologe vom Copenhagen Institute for Future Studies, das thematisch zwangsläufig vieles erforscht, was auch die Bibliotheks- und Informationswissenschaft umtreibt, fuhr für das institutseigene Scenario Magazine ins New Yorker Beta Lab Googles und hat dabei ein an Einblicken reiches Interview mit der im Unternehmen für Forschung und Entwicklung verantwortlichen Corinna Cortes geführt. Beispielsweise zeigt [...]]]>

Thomas Geuken, Psychologe vom Copenhagen Institute for Future Studies, das thematisch zwangsläufig vieles erforscht, was auch die Bibliotheks- und Informationswissenschaft umtreibt, fuhr für das institutseigene Scenario Magazine ins New Yorker Beta Lab Googles und hat dabei ein an Einblicken reiches Interview mit der im Unternehmen für Forschung und Entwicklung verantwortlichen Corinna Cortes geführt.

Beispielsweise zeigt bereits die Kernfrage, was denn die wissenschaftliche Herausforderung der Arbeit bei Google ist, deutliche Parallelen zu dem, was unsere Disziplin tut:

“[...] how to learn in an incomplete world and a digital universe full of dirty data (vast amounts of user-generated data of very poor quality; ed.). This is where the true challenge for Google lies – to provide users with relevant and valid knowledge on the basis of a large quantitative body of data,”

In gewisser Weise lebt hier das alte Ziel der Fédération Internationale de Documentation (FID) fort, nämlich

“the collection and storage, classification, dissemination and utilization of all types of information” (vgl. Gisela Ewert and Walther Umstätter: “Die Definition der Bibliothek,” in Bibliotheksdienst 33 (1999), S.961)

Sie wird nur um die explizite Ausrichtung auf das Verhältnis zwischen dem Nutzer mit seinem konkreten Informationsbedürfnis und dem ubiquitären Infoversum erfüllt von dirty data erweitert. Google erscheint also als eine Art FID des 21. Jahrhunderts und da das Geschäftsmodell zu stimmen scheint, wohl auch mit stabilerer Perspektive und unbestritten gesamtgesellschaftliche größerer Wirkung. Das Ziel wird nicht nur formuliert und als Utopie skizziert, sondern in den Labs direkt in mannigfaltiger Weise durchgetestet.

Eine Variante betrifft das, was man als Social Curating und/oder Human Sorting bezeichnen kann. Die Prozessierung digital erfasster sozialer Beziehungen ermöglicht eine starke Individualisierung des Retrievals und beruht nicht zuletzt auf der Idee umfassender Empfehlungssysteme: Was meine Peers relevant erscheint, könnte auch für mich von Interesse sein. Weblogs wie dieser sind eine Vorstufe, Facebook und Google+ der Stand der Zeit. Sind Datenmengen und Datennutzungsgeschichte (was oft zusammend fällt) umfassend genug ist, sind solche Verfahren auch relativ präzise und natürlich datenschutzrechtlich hoch problematisch.

Das Ziel Googles ist, so der Beitrag und so die Beobachtung um Google+, die Zusammenführung der klassischen algorithmisierten Prozessierung enormer Datenmengen mit der zusätzlichen sozusagen Gegenspiegelung des Datennutzungsverhaltens. So jedenfalls lese ich den Satz:

“Mankind’s ability to find qualitative bits of data and knowledge is, in other words, something that Google would like to use to make their own data even more valid.”

Cortes betont, dass die “guten Daten” der Nutzer perspektivisch die Hälfte des verarbeiteten Datenbestandes bei Google ausmachen sollen. Hier zeigt sich schön der Unterschied zum Facebook-Ansatz: Dienen dort die Inhalte zur digitalen Konstruktion und Abbildung sozialer Beziehungen, nutzt man bei Google soziale Interaktionen zur Konstruktion und Abbildung von Datenstrukturen und Relevanzen.

Wofür das Unternehmen diese Relationierung nutzen kann, zeigt der Abschnitt What do the users think? Was hier pragmatisch zum Filtern sozusagen der Gelben Seiten dargestellt wird, nämlich Nutzern aufgrund der Reviews eine wertende Sortierung (“service”, “price” and “staff”) von verfügbaren Dienstleistern anzubieten, ist auf nahezu alles anwendbar, was sich adressieren und mit maschinenlesbaren Eigenschaften markieren lässt.

Steht das Verfahren, können auch Einzelaussagen in Texten nach bestimmten Kriterien von der Crowd bewertet und relationiert werden. Für Anwendungen des Semantic Web in der Wissenschaftskommunikation z.B. im Sinne eines Post-Reviewings dürfte dies von erheblichem Belang sein. Auch hier – und das wäre dann eine Aufgabe für die Forschung des Instituts für Bibliotheks- und Informationswissenschaft – lassen sich die vergleichsweise “schmutzigen” (bzw. semantisch eher armen) Daten automatisierter Zitationsanalysen mit qualitativen Verfahren zur Diskursannotation koppeln. Die große Frage ist dabei, ob die Crowd der Wissenschaftsgemeinschaften sich auf so etwas einzulassen bereit ist.

Google forscht offensichtlich zunächst lieber auf anderen Gebieten, z.B. der so genannten Augmented Reality:

“Corinna Cortes takes out her Android phone and snaps a photo of a Sprite can on the table in front of us. In best science fiction style, a scanning line runs back and forth on the display, and voilà, the telephone tells us that it is a Sprite in front of us and provides a lot of information about the object.”

Weiterhin erfährt der Autor des Beitrags etwas über den Übersetzungsdienst und erhält einen kleinen Einblick in das Engagement des Unternehmens bei der Entwicklung von Robot Cars, das wenigstens die Sportwagenliebhaber nicht allzusehr begeistern dürfte.

Inwiefern der Allround-Kuratierungsdienst Google als großer Datenverarbeitungsbruder uns damit und auch mit den anderen Diensten auf einen digitalen Paternalismus zuführt, wird an anderer Stelle zu diskutieren sein. Der Mensch ist offensichtlich ein Optimierungstier und liebt Sicherheit und Überblick. Beides verspricht das Unternehmen. Thomas Geuken geht damit leider ziemlich unkritisch um. Aber das war wohl auch Ziel des kleinen Reports, der mit viel Sympathie für Google und Corinna Cortes sowie Liebe zum Detail geschrieben wurde:

“She wears sneakers even at work.”

Den Artikel aus dem Scenario Magazine kann man hier abrufen: What’s up Google, New York?

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Wirtschaft und Gesellschaft? Eine Anmerkung zu Googles unabhängigem Forschungsinstitut aus Sicht der Bibliotheks- und Informationswissenschaft. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8969/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8969/index.html#comments Wed, 13 Jul 2011 21:14:04 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8969 “wer braucht jetzt noch ein Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften?” fragt beinahe rührend eine unbekannte Solveig in ihrem Kommentar zu Alexanders kleinem Posting zum von Google finanzierten Unabhängige[n] Forschungsinstitut für Internet und Gesellschaft mit den Gesellschaftern Humboldt-Universität zu Berlin, Universität der Künste Berlin und Wissenschaftszentrum Berlin. Tatsächlich verfehlt die Frage aber den Punkt, denn soweit [...]]]>

“wer braucht jetzt noch ein Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften?”

fragt beinahe rührend eine unbekannte Solveig in ihrem Kommentar zu Alexanders kleinem Posting zum von Google finanzierten Unabhängige[n] Forschungsinstitut für Internet und Gesellschaft mit den Gesellschaftern Humboldt-Universität zu Berlin, Universität der Künste Berlin und Wissenschaftszentrum Berlin. Tatsächlich verfehlt die Frage aber den Punkt, denn soweit sichtbar, wird sich dieses neue Institut doch noch viel sozialwissenschaftlicher auf das Themenfeld stürzen, als es das Institut in seiner Agenda aktuell macht. In den aktuellen Forschungsschwerpunkten Digitale Bibliotheken, Informationsmanagement, Wissensmanagement sowie Information Retrieval finden sich nur sporadisch Anschlusspunkte zu gesamtgesellschaftlichen Fragen, was man bedauern mag, aber nicht unbedingt aus dem Augenblick heraus ändern kann.

Das neugegründete Institut am traditionsreichen Bebelplatz stößt also in eine interdisziplinäre Lücke vor, an die das bibliotheks- und informationswissenschaftliche mit seiner Erkenntnisproduktion sicherlich andocken sollte (weit ist es ja nicht), dessen Aufgaben es aber höchstens dann in ähnlichem Umfangen übernehmen könnte, wenn auch ein ähnliches Fördervolumen in die Dorotheenstraße flösse.

Für die Humboldt-Universität übernimmt der Rechtswissenschaftler Ingolf Pernice die Untersuchung der Themengebiete “Rechtsphilosophie und Verfassungsrecht”, ohne dass in der Pressemitteilung die exakte Relation zum Überthema spezifiziert wird. Aber man muss nicht nur an das Google Book Search Settlement denken oder an Datenschutzprobleme bei Facebook, die sich vielleicht in ähnlicher Form oder auch ganz anders ebenso im real life sharing von Google+ wiederfinden, um zu sehen, dass der Bedarf einer regelorientierten und also rechtlichen Reflexion der Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und digitalen Kommunikationsformen enorm ist. Geistiges Eigentum inklusive. Die Trubelei in der mit der zum neuen Institut ziemlich ähnlich klingenden Enquete-Kommission des deutschen Bundestages hat schon mal eine Untersuchungsagenda offenbart (vgl. auch hier).

Dennoch bleibt für Beobachter des Geschehens die Frage, wieso Google den Betriebsumsatz von sechs Konzernarbeitsstunden ausgerechnet in Deutschland in ein solches Institut steckt? Oder, wie es Frank Rieger am Donnerstag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Ist dieser soziale Blindenhund bissig?, FAZ vom 14.07.2011, S. 29) formuliert:

“Wozu benötigt [Google] ein neues Institut? Zur Erforschung von Fragen, die hausinterne Wissenschaftler durch einen analytischen Spaziergang in den eigenen Datenhalden beantworten könnten?”

Der zweite Aspekt wäre tatsächlich mal etwas für das IBI, dass gerade für solche Strukturanalysen eine grundlegende Kompetenz besitzt. Aber darum geht es Google nach Einschätzung des FAZ-Artikels nicht. Sondern, so der Beitrag, um eine kreative Variante der Teilhabe am öffentlichen Diskurs:

Google lernt in Amerika gerade schmerzlich, wie wichtig die langfristige Beeinflussung des politischen Meinungsbildes für die Erhaltung der eigenen Geschäftsmodelle ist. Der Konzern hat ein Machtpotential angesammelt, das intensive Rufe nach Regulierung, Beschränkung, Kontrolle lautwerden lässt. Dass Google sich nun aber anschickt, die akademische Seite der anstehenden europäischen Debatten über den Weg in die durchdigitalisierte Gesellschaft frühzeitig zu beeinflussen, kann nicht weiter verwundern.”

In der Tat. Und eigentlich müsste man genau deshalb auch die Google-unabhängige Forschung zu der digitalen Gesellschaft stärken, damit man ein zugleich alternativen wie auch Vergleichsrahmen hat, an dem man den Output des Instituts für Internet und Gesellschaft messen kann. Wo Frank Rieger der deutschen Forschungspolitik eine “schallende Ohrfeige” verpasst sieht, gilt es tatsächlich einen Missstand zu beheben:

Echte Forschung zu den Folgen und Auswirkungen von Computerisierung und Vernetzung findet an deutschen Universitäten traditionell nämlich nur ganz am Rande statt, getragen von einer vergleichsweise kleinen Zahl unterfinanzierter Wissenschaftler, die um ihre Lehrstühle hart kämpfen müssen, wenn es an die nächste Kürzungs- oder Umverteilungsrunde geht.”

Auch wenn die deutsche Wissenschaft punktuell etwas stärker zu diesem Thema aufgestellt ist, als es die Aussage vermuten lässt, fehlt tatsächlich eine systematische Annäherung an die Gemengelage relevanter Fragestellungen, von denen sich einige zwar in der Globalagenda der Bibliotheks- und Informationswissenschaft wiederfinden (z.B. Informationsethik, Informationsphilosophie, Technikfolgenabschätzung, Medienpluralismus und -nutzung, etc.), selbige aber aktuell bei den Schwerpunktsetzungen in den Lehr- und Forschungsplänen ein wenig kurz kommen.

Da jedoch eine Transformation der Disziplin hin zu einem die aktuell sehr dominanten technologischen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkte vermehrt auch in Beziehung zu deren Wirkungen auf die Gesellschaft reflektierenden Fach eine zähe und  langwierige Angelegenheit darstellen dürfte, (vgl. dazu auch diese aktuelle Erhebung), müssen andere Akteure solche bleibenden Lücken schließen. Ohne interdisziplinären Dialog wird es nicht gehen. Gerade auch die Bibliotheks- und Informationswissenschaft und ihre Diskurse scheinen von einem im FAZ-Beitrag geäußerten Gedanken geprägt:

Die Belohnung durch mehr Sponsorengeld gibt es vor allem für die verlässliche Produktion von in der Wirtschaft reibungslos verwendbaren Absolventen und für das Beackern von möglichst anwendungsnahen Forschungsfeldern.”

Man kann ihr das schwer vorwerfen, denn letzlich sucht sie darin ihre Lebensversicherung. Wissenschaft anno 2011 ist ein Produkt, das verkaufbar gemacht werden muss. Sogar für das Freikämpfen von Nischen für ergebnisoffene oder gar kritische Forschung fehlen im Wissenschaftsalltag häufig einfach die Ressourcen.

Gerade das macht es Google so leicht, hier öffentlichkeitswirksam zu punkten. Für eine vergleichsweise fast vernachlässigbare Summe lässt sich Stifterkultur genau dieser Tönung (frei, offen) erfolgreich zu Image-Pflege auf den deutschen Wissenschaftsmarkt bringen. Dabei handelt es sich genauso um ein Produkt, nur um eines zweiter Ordnung: So wie das Unternehmen als Hegemon den Zugang zu digitalen Informationen überwacht und als freundlicher, selbstironisch auftretender Souverän auftritt, der seinen Strukturpaternalismus hinter fröhlichen Grafiken über dem Suchschlitz verbirgt, so wird es hier zum Geldgeber der Institution, die antizipiert die wissenschaftliche Deutungshoheit für die Auswirkungen des Digitalen auf die Gesellschaft übernimmt. Der vertrauenssuchende Leitspruch des don’t be evil wird durch das unabhängig ersetzt. Die Abhängigkeit bleibt natürlich bestehen.

Es wäre allerdings vollkommener Schmarrn, hinter Google eine Weltverschwörung und in der expliziert kantisch inspirierten Missionsleitlinie der Freiheit und Offenheit einen Rauchvorhang zu mutmaßen. Dazu ist das Unternehmen viel zu abgeklärt und smart. Auch die von Frank Rieger an der so genannten “creepy line” angeklammerte Vermutung, es ginge Google in der Perspektive um Ergebnisse für die marktgerechte Produktentwicklung (wie weit kann man in welchem Kulturkreis gehen), erscheint mir nur als Nebenaspekt.

Entscheidend ist in meinen Augen, dass wir als Bibliotheks- und Informationswissenschaft dort, wo es ums Digitale geht, zwangsläufig in einem sehr spärlich beleuchteten Raum operieren und nicht einmal für die Erkenntnis der Geschehnisse in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart genügend Leuchtkraft besitzen, um wirklich zu verstehen, was in ihm vorgeht, uns aber im gleichen Moment aktiv und mit allem, was wir haben in die Gestaltung von Dienstleistungen für die Zukunft stürzen.

Dieses Missverhältnis scheint mir des Problempudels Kern zu sein. Der soziale Blindenhund sitzt also in einer anderen Hütte, als Frank Rieger vermutet, hängt dort an kurzer Leine und wirkt etwas zahnlos. Und wie beim Google Book Settlement muss man dem Unternehmen fast dankbar sein, dass es mit einem wuchtigen Schritt auf einem Gebiet, auf dem es wenig zu verlieren hat, erneut auf eine Disproportionalität aufmerksam macht. Daher bleibt uns eigentlich nichts anderes, als die Gründung des Instituts für Internet und Gesellschaft vollauf zu begrüßen. Und sei es nur aus dem Grund, dass jemand von Mountain View aus in der Mitte Berlins einer Energiesparlampe angeknipst hat. Ich bin gespannt, was es hier in Zukunft noch zu sehen gibt.

P.S. Hoffentlich ist das unter dem Beitrag im FAZ-Feuilleton abgedruckte Gedicht La capelletta von Susanne Stephan nicht programmatisch zu verstehen:

“Das Portal fest verriegelt,

aber seitlich ein Fenster in Scherben. …”

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