Der Starbucks-Leser. Die FR testet den Kindle.

Wer einen Starbucks mit den Maßstäben alteuropäischer Kaffeehauskultur misst, der kann leicht in tiefen Kulturpessimismus verfallen. Statt Porzellan gibt es Styropor, statt Marmor auf dem Fußboden Linoleum, statt literarische Gespräche zu führen starrt das Publikum auf Laptops, und statt eines ordentlichen Großen Braunen wird eine amerikanische Parodie von Cappuccino serviert, auf Wunsch verhunzt mit Dingen wie Vanillesirup. Ein idealer Ort also, um einen “Kindle” auszuprobieren.
Natürlich. Und so tut es die Frankfurter Rundschau heute auch und schaut sich genau dort, in einem Starbucks-Coffeeshop irgendwo da draußen in der Welt der Nicht-Ort, das Lektüre-U-Boot Kindle, das ab- und auftaucht um den alten dicken Kreuzfahrtpott “gedrucktes Buch” zu attackieren, an: Das Versenken neu lernen. Am Ende des Artikels liest man dann zur Frage der Fragen eine dekorative Antwort:
Und wie ist es nun mit der Zukunft des Abendlandes oder zumindest mit der Zukunft des Buches aus Papier und Druckerschwärze? Der freundliche Kindle-Vorführer im Starbucks erzählt, er habe, seit er einen Kindle besitze, von seinen etwa 700 Büchern dreihundert ausgemistet – zumeist Standardwerke in billigen Ausgaben, die es bei Amazon für eine Handvoll Dollar auf den Kindle gibt. Von den übrigen könne er sich jedoch nicht trennen, schon, weil eine Wohnung ohne Bücher für ihn unvorstellbar sei. So unvorstellbar eben, wie eine Welt ohne Bücher. Aber vielleicht ist das ja nur eine Frage der Generation.
Schon weil für uns ein Bücherregal ohne Bücher unvorstellbar ist.
Wenn Starbucks also den idaeltypischen Nicht-Ort – sehr schön das der äußerst lesenswerte Marc Augé so rege im Alltag präsent ist – darstellt, so wie Multiplex-Kinos, Supermärkte oder der Hannoveraner Hauptbahnhof es tun, dann müsste man beim Kindle konsequenterweise vom Nicht-Buch sprechen.
Es will uns die rundum polierte Illusion vermitteln, wir würden noch Bücher lesen, so wie uns die Starbucks-Kaffeehäuser erzählen, wir würden uns im Café befinden. Und in gewisser Weise tun wir dies ja auch noch, nur dass es keinen Unterschied mehr dahingehend gibt, ob wir in Kuala Lumpur oder in Berlin-Mitte sind. Es geht nicht um Eigensinn des Ortes, Eindruck und Erlebnis, sondern um Zerstreuung, Nivellierung und zeit- und ort- und gegenstandslosen Konsum. Nicht um das Besondere, auch gern einmal Imperfekte und Dissonante. Sondern um Gleiche, Abgerundete und Vorsortierte. Um um den Ausschluß des Unerwarteten.

So wie Nicht-Orte in diesem Sinne als polierte Beliebigkeit aus Frappuccinos erscheinen, könnte es doch sein, dass es uns mit dem Kindle, auf dem wir ja nicht das bestimmte Buch mit seinen ganzen äußeren Qualitäten und Defekten mit in die U-Bahn genommen haben, sondern gleich 500 verschiedene und und technisch rundum angeglichene Titel, beliebig wird, was wir gerade lesen.
Dem dematerialisierten Text fehlt es dann womöglich an etwas, woran es auch dem Coffeshop sehr mangelt: an Charme.

10 Responses to “Der Starbucks-Leser. Die FR testet den Kindle.”


  1. Möchte ja möglich sein, dass ein Text seinen Charme im Sinn hat, und nicht im Druckbild. Möchte auch sein, dass man Proust komplett mitnehmen möchte, ohne Kilos durch die Gegend zu schleppen.

    Ich kann Ihren Vergleich nicht nachvollziehen. Ein Text ist per se der gleiche, und Sie können auch das gleiche Buch in der gleichen Ausgabe in Indien oder New York kaufen. Und lesen. Und beim Lesen wollen Sie, dass es derselbe Text ist, und nicht, dass man Ihnen die indische Version präsentiert, oder die USamerikanische. — Ihre Anmerkung klingt so, wie ich es auch beim Übergang vom Abschreiben zum Drucken erwartet hätte. Gleiches Argument: Dematerialisierter Text …

    Dass der Kindle keine Bücher ablösen kann, die als Exemplare für ihren Besitzer einen Wert haben, ist doch klar.

  2. Besten Dank für den Kommentar.
    Ich denke wir können an diesem Punkt sehr lang und ausdauernd diskutieren und werden uns doch nicht so recht einigen. Für mich scheint der Zusammenhang von Inhalt und Form schlicht weitaus bedeutsamer, als er es für Sie der Fall zu sein scheint.

    Das physische Gewicht von Büchern hat mich noch nie sonderlich gestört. Was das inhaltliche betrifft, war ich eher missgestimmt, wenn es mir zu leicht vorkam.

    Sicher kann ein exzellenter Text durch eine billige oder auf den Zweck der Anzeige reduzierte Ausgabeform nur in gewissem Umfang Schaden nehmen. Und ein schlechter wird auch nicht nennenswert besser, wenn er in exzellenter Ausstattung präsentiert wird.

    Allerdings geht es mir auch weniger um den eigentlichen Inhalt eines Textes allein, sondern um den Akt des Lesens.

    Für letzteren sind meines Erachtens Aspekte wie die Güte des Papiers (bzw. ob es überhaupt Papier ist), das Druckbild und der Einband, das Buchformat genauso von Bedeutung, wie die Umgebung und die persönliche Stimmungslage.

    Wenn ich auf dem iPhone herumrollere und die Seiten mit dem Zeigefinger von oben nach unten schiebe und fünf Wörter pro Zeile sehe, dann verliert sich mir trotz aller Politur in der Tat leider doch eher die Freude am Text, obwohl es derselbe ist, den ich im Leineneinband und mit dem Lesebändchen sehr mochte.

    Ich folge der Ansicht, dass jedes Präsentationsmedium einen Eigensinn besitzt. Wenn ich – ich kann selbstverständlich nur von mir sprechen – in einen Leseprozess einsteige, dann ist es eigentlich dieser Punkt, der mich reizt. Der reine Text an sich trägt dazu bei und sicher auch die Hauptlast. Aber er allein langt mir nicht.

    Es ist mir bewusst, dass sich hier die Geschmäcker scheiden und für andere Menschen spielt die formale Ausführung nur bedingt eine Rolle. Ein kurzer Gang durch einen abendlichen Pendlerzug zeigt ja, dass auch auf Großformat ausgelegte Kinofilme gern auf 3×5 cm gesehen werden.

    Ich habe auch gar nichts gegen den Kindle oder andere Lesegeräte. Mich stört jedoch, wenn eine auf Marketing-Effekt zielende Kampfansage auch außerhalb ihres verkaufstechnisch sinnvollen rhetorischen Radius aufgegriffen und zur Frontenbildung verwendet wird. Wenn eine technische Innovation, die dazu dient, neue Märkte hervorzubringen und zu beherrschen, als alternativlos propagiert wird. Wenn in einer ungebremsten Fortschrittsstimmung, die Quantität als Entscheidungsargument („Holds over 200 titles.“) anführt, alles was sich dem nicht fügt, zum Anachronismus gestempelt wird. Wenn man in das Hohelied des Hypes nicht einstimmend als rückständig gestempelt wird.

    Als ich neulich in einem Fotofachgeschäft den letzten Polaroid-Film mit der bedauernden Aussage, dass das Unternehmen die Produktion von Sofortbildfilmmaterial jüngst ja eingestellt habe, erwarb, gab mir der Fachverkäufer achselzuckend den gut gemeinten Rat, ich solle doch auf das Digitalformat umsteigen.
    Ich habe etliche zehntausend Fotos aus den letzten sieben Jahren auf meiner Festplatte und betrachte sie nur äußerst selten. Ich habe vielleicht 150 Polaroid-Fotos aus den letzten zweieinhalb Jahrzehnten in einer kleinen Schachtel auf dem Schrank und schaue sie regelmäßig mit großer Freude an. Denn sie besitzen einfach mehr Charme.

    P.S.

    Das Abschreiben des Textes als Rezeptionserfahrung habe ich übrigens in Gestalt von Exzerpten selbst noch in diesem Jahrtausend praktiziert. Und ich fand es wunderbar.

  3. Ein Exzerpt ist kein Abschreiben eines Textes. Ein Exzerpt ist ein Best of. Dagegen ist nix zu sagen, und auch nicht gegen die damit verbundene Rezeptionserfahrung. Aber es taugt hier nicht als Argument. Würden Sie es wunderbar finden, den ganzen Text abzuschreiben?
    Ich wende mich hier nicht dagegen, dass es netter ist, ein Buch in der Hand zu halten: diese Beobachtung würde ich selbst jederzeit unterschreiben. Ich teile nur nicht die These, dass das, was Ihnen wesentlich ist, es auch allen ist. Wenn Sie das, was für Sie gut ist, verallgemeinern, dann kommen Sie zu Aussagen wie

    Ich folge der Ansicht, dass jedes Präsentationsmedium einen Eigensinn besitzt.

    Damit objektivieren Sie Ihr Gefühl: “es liegt im Präsentationsmedium. Wer das liest, dem fehlt was.” Das scheint mir so fragwürdig wie die umgekehrte Einstufung als rückständig. Bleiben Sie bei “Ich habe nichts gegen den Kindle”, und fahren fort mit: “Ich mag ihn nur nicht.”

  4. Ich teile nur nicht die These, dass das, was Ihnen wesentlich ist, es auch allen ist.

    Diesen Anspruch hier aus dem Posting herauszulesen ist eine Überinterpretation. Ich schreibe niemandem vor, was er als charmant zu empfinden hat.
    Es gibt sehr viele Menschen, die vollkommen legitim den Kindle und mehr noch das iPhone als bezaubernd ansehen. Die Blogosphäre und die Szenelokale sind relativ erfüllt davon. Meine obige Ausführung ist also erklärtermaßen nicht mehr als eine subjektive Empfindung.

    Den “Eigensinns” meine ich, übrigens wertungsfrei, dagegen durchaus als objektive Feststellung.
    Meinen Sie wirklich, die Beziehung zwischen Form und Inhalt seien für die Leseerfahrung irrelevant?
    Es geht nicht um netter und weniger netter, sondern darum, dass das Lesen auf dem Kindle und das Lesen im Taschenbuch jeweils ein anderes ist. Besser oder schlechter ist für den Prozess nicht entscheidbar und entscheidend.
    Aber dass es anders ist schon und meines Erachtens wird dieser Unterschied nicht genügend berücksichtigt.

  5. Oh nein, dieser Anspruch ist im Posting drin.

    So wie Nicht-Orte in diesem Sinne als polierte Beliebigkeit aus Frappuccinos erscheinen, könnte es doch sein, dass es uns mit dem Kindle, auf dem wir ja nicht das bestimmte Buch mit seinen ganzen äußeren Qualitäten und Defekten mit in die U-Bahn genommen haben, sondern gleich 500 verschiedene und und technisch rundum angeglichene Titel, beliebig wird, was wir gerade lesen.

    Das heißt ja wohl im Klartext: liest man einen Text im Kindle, ist es egal, was man gerade liest. Und Sie schreiben auch nicht “ich”, Sie schreiben “wir”. Das bedeutet: Sie meinen, dass einem, der Texte im Kindle liest, das Wesentliche fehlt. Nicht nur Ihnen, sondern jedem. Sie meinen, dass das gedruckte Buch für die Lektüre besser ist. Die Wertung spricht aus allen Ihren Zeilen.

    Was die Beziehung zwischen Form und Inhalt angeht, so denke ich, dass es sicher für manche Texte bessere und schlechtere “äußere Formen” gibt. Aber völlig unterschiedliche Kriterien, was dieses “besser” oder “schlechter” angeht. Und bei manchen Texten ist die beste Leseerfahrung die, in der man den Informationsträger überhaupt nicht wahrnimmt. Da halte ich es für möglich, dass der Kindle hinter den Texten, die er transportiert, zurücktritt. Und das wäre dann vielleicht etwas Gutes.

  6. Wie gesagt: das Posting folgt stärker dem Stil einer feuilletonistischen Plauderei als einer ausgewogenen Argumentation. Dies war auch nicht sein Anliegen. Der Konjunktiv “könnte” dürfte übrigens recht klar andeuten, dass es mir nicht um die Feststellung einer allgemeingültigen Wahrheit geht, sondern um das Anstoßen eines gern auch widerlegbaren Gedankens. Dem “wir” würde ich dagegen nicht soviel Wert beimessen, da man sich in diesem ja nicht eingeschlossen fühlen muss (gern aber darf).

    Der zweite im letzten Kommentar genannte Aspekt erscheint mir weitaus sinnvoller für die Diskussion, denn er führt eine wichtige Differenzierung ein:

    bei manchen Texten ist die beste Leseerfahrung die, in der man den Informationsträger überhaupt nicht wahrnimmt.

    Das findet meine volle Zustimmung und wurde auch im Ausgangsposting nie bestritten. Allerdings auch nicht explizit erwähnt, da sie für mein Argument des “Charmes” in diesem Zusammenhang keine Rolle spielt. Und ich bestreite auch nicht, dass es Texte gibt, die an sich verzaubern und auch auf dem Kindle. Darüber hinaus ist der Kindle funktional sicher hervorragend in den westlichen Lebensalltag des frühen 21. Jahrhunderts integrierbar, genau wie Easyjet-Wartebereiche und Starbucks-Filialen. Übrigens findet sich das Phänomen genauso beim traditionellen Buch und nicht jeder misst der Druckausgabe soviel Wert an sich bei, dass er sie nicht nach der Lektüre einfach in den nächsten Recycling-Container wirft.

    Es geht also nicht um das Medium selbst, sondern um die Sicht auf das Medium. Das gedruckte Buch macht es aber aufgrund seiner Materialität gut möglich, in das konkrete Objekte eine individualisierende Note einzubringen, es also als etwas Besonderes zu erkennen, es als Symbol über den bloßen Inhalt des Textes hinaus “aufzuladen”. Bei elektronischen Texten gelingt mir dies bislang nicht (bzw. kann nur simuliert werden).

  7. Hhm, Sie möchten in den Text eine individualisierende Note bringen, und tun dies, indem sie den Textträger individualisieren. Das geht mit dem Kindle nicht, weil der viele Texte trägt. Ja, stimmt, teilweise. Der Kindle ist ja nur der aktuelle Vertreter einer Technik, die sich noch entwickelt. Ich sehe nicht, was dagegen spräche, dass das Lesegerät auch Ihre Lektürespuren speichert, scheint mir also kein prinzipieller Einwand zu sein. Dass man dessen Äußeres individuell gestalten kann, brauche ich wohl nicht extra zu schreiben…

  8. Möchte auch sein, dass man Proust komplett mitnehmen möchte, ohne Kilos durch die Gegend zu schleppen.

    Dieser Gedanke kam Alison Flood beim Testen des Sony Readers in der U-Bahn auch:

    I’d say that commercial fiction and easier reading would fare pretty well on the Reader, but trying to immerse yourself in Proust or Beckett might be more of a challenge. And don’t try any Locke, you wouldn’t get a sentence on a page.

    Mehr hier: They still haven’t cracked the ebook

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