IBI-Weblog » Bibliothekswesen http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Britpopliteratur mit Misston. Die NZZ über die Eventarisierung des Lesens und den Niedergang der öffentlichen Bibliotheken in Großbritannien. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8791/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8791/index.html#comments Thu, 12 May 2011 16:36:28 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8791 «Büchereien zu schliessen, ist Kindesmissbrauch», rief auch der Schriftsteller Alan Bennett, der sich an Bibliotheksbesuche als essenziellen Bestandteil seiner Kindheit erinnert. berichtet Marion Löhndorf im Feuilleton der heutigen Neuen Zürcher Zeitung (Es lebe das Lesen, 12.05.2011). Gegenstand ihres Berichts ist die britische Lesekultur und mit Alan Bennett und seiner glücklichen Bibliothekskindheit zitiert sie sicher einen [...]]]>

«Büchereien zu schliessen, ist Kindesmissbrauch», rief auch der Schriftsteller Alan Bennett, der sich an Bibliotheksbesuche als essenziellen Bestandteil seiner Kindheit erinnert.

berichtet Marion Löhndorf im Feuilleton der heutigen Neuen Zürcher Zeitung (Es lebe das Lesen, 12.05.2011). Gegenstand ihres Berichts ist die britische Lesekultur und mit Alan Bennett und seiner glücklichen Bibliothekskindheit zitiert sie sicher einen der souveränsten Leser seines Landes.

Aber auch sonst hält sich die Kulturpraxis des Lesens von Literatur auf der Insel trotz digitalmedialer Konkurrenz entgegen traditionellem Verfallsgegrummel und Verdrängungsprophezeiungen, die wir auch aus deutschen Diskursen gut kennen (Ende des Buches, Distraktion durch Lesen und Schreiben im Web oder auf dem Mobiltelefon sowie – in Deutschland weniger aggressiv – Gratiszeitungen) in einem – wie die Autorin schreibt – “nahezu rosigem Licht”.

Gerade die Möglichkeit zum intensiven Austausch über Literatur im Internet führt anscheinend im Zusammenwirken mit einem Boom einer Literatureventkultur, der sich in diversen Festivalansätzen Ausdruck und irgendwie auch Literatursuperstars sucht, zu neuen Aufmerksamkeiten und zu dem Eindruck: “es sei fast chic geworden, zu lesen und über Bücher zu reden.” Das ist weiß Gott keine Einzelmeinung. Das Lesen von Literatur einfach mal ohne eine Aufladung mit Wertungen als sympathisches Phänomen affirmieren, scheint jedoch unmöglich zu sein.

So sieht Jamie Camplin, Managing Director von Thames & Hudson, im Lesen eine Kur, “nicht nur ein Antidot zur sozialen Fragmentierung, auch der Oberflächlichkeit und «krankhaften Eile» unserer Zeit könne das Buch entgegenwirken.”

Abwegig ist dies sicher nicht. Aber es setzt das Medium und seine Nutzung sofort wieder unter Druck. Andererseits muss man diesen vielleicht auch erhöhen, denn das rosige Licht der Eventarisierung der Literatur wirft einen düsteren Schatten, der uns zu Alan Bennett zurückführt und ins öffentliche Bibliothekswesen Großbritanniens.

So steht Großbritannien bekanntlich ein in der jüngeren Zivilisationsgeschichte beispielloser Aderlaß bevor: Achthundert Einrichtungen stehen offensichtlich vor der Schließung aus Kostengründen. An dieser Stelle wäre dann statt einer feiernden Popularisierung eine nüchterne Politisierung der Literatur möglicherweise der bessere Weg zum Kern des Problems. Das in Camplins “sozialer Fragmentierung” liegt.

Die markige Aussage des Schriftstellers Philip Pullman, Premierminister David Cameron sowie sein Stellvertreter Nick Clegg seien mutmaßlich noch nie in einer (öffentlichen) Bibliothek gewesen, läuft ziemlich exakt auf diesen Mittelpunkt zu:

“Provocatively, he states that David Cameron, George Osborne and Nick Clegg have “probably never used a public library” in their lives.

“They come from rich backgrounds and live in places where there are nice bookshops and they just buy books when they want them.”

Zur Disposition steht also weder das Medium Buch noch die Praxis des Lesens, sondern die Öffentlichkeit über die Absicherung eines Zugangs zu beidem. So unbedarft Pulmans Attacke auf die soziale Herkunft auf den ersten Blick anmutet, so richtig scheint die Stoßrichtung zu sein: Das Buch wird (wieder) zum exklusiven Gut.

Das passt nahtlos zu der in der NZZ freudig beschriebenen neuen Lust am Lesen, die die Literatur vor allem in ihrer Anschlussfähigkeit an die Eventgesellschaft zu einem macht: zum Konsumobjekt. Die Tendenz ist nicht an sich problematisch, wird aber dann schwierig, wenn im Ergebnis andere Potentiale verdrängt werden und im letzten Jahrhundert mühsam gekittete gesellschaftliche Verwerfungslinien wieder aufreißen.

Das Abheben auf die Dimensionen der Aufmerksamkeit und des prinzipiellen Medienwandels (wie bei Aspekten wie Konzentrationsfähigkeit oder Medienkonkurrenz) lenkt von genau diesem, einer demokratischen Gesellschaft eher unzuträglichen, Effekt ab: den Verlust von Öffentlichkeit gerade durch ein Überangebot von (zumeist kommerziell grundierten, billigen) Medien und der Reduktion von öffentlichen Alternativräumen.

Das Medium Buch wird es geben, solange es einen Markt dafür gibt. Also mindestens noch eine halbe Ewigkeit. Jeder Streit darüber ist müßig und die Frage nach Geschäftsmodellen für digitale Räume sollte vorrangig eine der Verlage und anderer Verwerter sein. Die lebendige Lesekultur ist ein quirliger Markt. Und um diesen steht es, im Gegensatz zum öffentlichen Raum der Bibliothek, auch in Großbritannien sehr gut. Die Frage nach den Folgen einer Totalreduktion von Lesen und Literatur auf ein Marktereignis, wie sie in Großbritannien offenkundig vorgelegt wird und mehr oder weniger intensiv auch in andere EU-Mitgliedsländer hineinzuschwappen droht, ist dagegen eine für die Bibliothekswissenschaft. (Und vielleicht auch eine für www.bibliothekswissenschaft.eu.)

(Als eine gute Diskussion der Rolle der Bibliothek als Sicherungsinstanz öffentlicher Teilhabemöglichkeiten ist nach wie vor die Arbeit Manuela Schulz’ aus dem Jahr 2009 zu empfehlen:  Soziale Bibliotheksarbeit – „Kompensationsinstrument“ zwischen Anspruch und Wirklichkeit im öffentlichen Bibliothekswesen. Berlin: 2009. – sh. auch hier)

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Wellenbrecher Bibliothek: Der “Wissenstsunami” fegte gestern durch die ZLB http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6692/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6692/index.html#comments Fri, 13 Mar 2009 14:30:21 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6692 Gestern abend gab es im Ribbeck-Haus der Berliner Stadtbibliothek im Rahmen der Berliner Wirtschaftsgespräche eine Podiumsdiskussion, die wohl ein paar Bojen auslegen sollte, um vor dem “Wissenstsunami” früh zu warnen. Oder besser noch Wellenbrecher aufzubetonieren, denn der Tsunami ist längst erkannt und und den Bibliotheken, geht es anscheinend um Bewältigung, wobei aus dem Titel nicht [...]]]>

Gestern abend gab es im Ribbeck-Haus der Berliner Stadtbibliothek im Rahmen der Berliner Wirtschaftsgespräche eine Podiumsdiskussion, die wohl ein paar Bojen auslegen sollte, um vor dem “Wissenstsunami” früh zu warnen. Oder besser noch Wellenbrecher aufzubetonieren, denn der Tsunami ist längst erkannt und und den Bibliotheken, geht es anscheinend um Bewältigung, wobei aus dem Titel nicht ganz klar wird, ob sie die Kanalisierung versuchen oder einfach den Wassereinbruch verhindern wollen.
“Es ändert sich schon seit geraumer Zeit einiges”, liest man mäßig erstaunt in der Ankündigung, die identisch auch schon vor zehn Jahren ihr Publikum gezogen hätte. Allerdings hätte es im letzten Jahrtausend keine Twitternachrichten aus dem Vortragsraum gegeben. So aber kann man also, selbst wenn man nicht dabei war, ziemlich gut im Twitter-Archiv von Professor Hobohm den Verlauf der Diskussion nachvollziehen. Tatsächlich scheint Microblogging für solche Veranstaltungen eine exzellente Lösung zu sein. Man liest und ist nicht so unglücklich, die Zeit an einem anderen Ort verbracht zu haben, denn:

Kritik aus dem Publikum: Thema der Veranstaltung (Wissenstsunami) verfehlt!” (link)

Noch lieber läse man von Diskussionen, bei denen man sich grämt ob des verpassten Besuches..

Nimmt man übrigens die Metapher des Wellenbrechers ein wenig ernster, indem man Welle als “Trend” oder “Hype” liest, dann entdeckt man durchaus etwas, das den Reflektionsraum Bibliothek auszeichnet: Man kann in ihm ein paar Stunden aus dem minutenaktuellen Nachrichtenstrom aussteigen, die Kurzzeitwahrnehmung abtrocknen und z.B. anhand alter Zeitschriftenbestände feststellen, dass die geraume Zeit, in der sich einiges ändert, im allgemeinen Maßstab Erdgeschichte heißt und im konkreten Datenbeben vielleicht die Zeit seit der Industrialisierung umfasst, führte doch letzteres zu der Omnipräsenz von spezifischen Verwaltungs-, Dokumentations- und Überwachungsdaten, die uns seit vielleicht zwei Jahrhunderten die Tage füllt.

Das wäre eine schöne Aufgabe von Bibliotheken: beim Verstehen der Themen, die durch die Massen- und Communitymedien die Agenda füllen, zu helfen. Dieser Erklärungsaufgabe haben sich bislang allerdings vorwiegend die so genannten “Qualitätszeitungen” angenommen, die diese Woche vor allem ihre schon damals hilflosen Deutungstexte aus dem Frühjahr 2002 wieder ins Blatt nehmen können. Soviel Neues gibt es auch im Gräßlichen nicht unter der Sonne, als dass man alle Feeds dieser Welt rund um die Uhr originell und aufmerksamkeitsspannend füllen kann. Leider scheint man überall das Gefühl zu haben, dies tun zu müssen.

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“bereit, auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen”? Kein bisschen, meint die FAZ, wenn sie an unsere Bibliotheken denkt. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6561/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6561/index.html#comments Wed, 04 Feb 2009 17:43:00 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6561 Wie stehen die führenden deutschen Bibliotheken in diesem magischen Moment zum Digitalisierungsangriff durch Google? Handeln sie, solange es noch möglich ist, gute Bedingungen aus? Arbeiten sie an einem Gegenmodell? Kämpfen sie vielleicht gezielt gegen Google? Der FAZ-Feuilletonist Oliver Jungen hat die Überlegungen Robert Darntons (vgl. hier) zum Anlass genommen, um das Thema heute für seine [...]]]>

Wie stehen die führenden deutschen Bibliotheken in diesem magischen Moment zum Digitalisierungsangriff durch Google? Handeln sie, solange es noch möglich ist, gute Bedingungen aus? Arbeiten sie an einem Gegenmodell? Kämpfen sie vielleicht gezielt gegen Google?

Der FAZ-Feuilletonist Oliver Jungen hat die Überlegungen Robert Darntons (vgl. hier) zum Anlass genommen, um das Thema heute für seine Zeitung noch einmal im großen Stil aufzurollen, abzuspulen und den deutschen Bibliotheken ordentlich ins Gesicht zu Fausten:

Nichts davon. Es herrscht vielmehr eine Gemütlichkeit vor, wie sie sich aus den Zeiten des Positivismus wohl einzig in deutschen Archiven erhalten hat.

Besonders schlecht tritt Milan Bulaty von der HU-Universitätsbibliothek aus der Kurzumfrage und ärgert sich heute bei der Lektüre vermutlich tüchtig, dem Journalisten, der ihn regelrecht vorführt, überhaupt geantwortet zu haben:

Milan Bulaty, der Direktor der Bibliothek der Berliner Humboldt-Universität, hält die ganze Digitalisierungseuphorie für übertrieben: „Als das Fax kam, dachte man ja auch, niemand schreibt mehr Briefe.“ Technisch sei ja ganz faszinierend, was Google da treibe, aber Bibliotheken werde es weiter geben, stellt er klar, obwohl das gar nicht die Frage war. Eine wirkliche Meinung zu den Google-Plänen hat er nicht: „Wir Bibliothekare sind konservativ, von Berufs wegen.“ Das soll wohl heißen, man macht weiter, wie man es immer gemacht hat, und guckt in zehn Jahren noch einmal aus dem Keller heraus.

Ansonsten stehen noch ein paar weitere deutsche Bibliotheksprominente vom Wolfenbütteler Direktor Helwig Schmidt-Glintzer bis zur Staatsbibliothekarin Barbara Schneider-Kempf mit ihren Meinungen zum Thema in den vier Spalten und da Oliver Jungen das ermittelte Meinungsbild nicht innovationsgeladen und offensiv genug gegen Google drängt, versucht er sich mit einem kulturpessimistischen Weckruf der Güteklasse 1 und schlägt im Abschlusssatz seines Artikels gleich dem ganzen Land vor den digitalen Latz:

Aber das ist nun mal der Lauf: In Deutschland fängt man niemals an. In Deutschland hört man auf.

Ob sich Milan Bulaty oder Barbara Schneider-Kempf darauf hin zu einer Haltung des “Jetzt zeigen wir’s ihm aber!” durchringen oder geduldig die andere Wange hinhalten, schlicht wissend, dass die Digitalisierung von Altbeständen nunmal nur einen Teil der Hefe im großen Kuchen digitaler Bibliotheksdienstleistungen beisteuert, bleibt abzuwarten. Sicher bereitet es Vergnügen, das Schreckensszenario der vom Google-Pudel leergeschossenen deutschen Kompaktmagazine so eloquent auszumalen, wie Oliver Jungen es vornimmt. Aber der FAZ-Feuilleton-Öffentlichkeit weismachen zu wollen, dass sich die deutsche Bibliothekslandschaft angesichts des “konzentrierten Digitalisierungsangriffs” aus Mountain View schändlicherweise lieber im Luftschutzkeller verkriecht, als zum Gegenangriff zu trompeten, vermutet Googles Zielscheibe doch ein wenig zu hoch gehängt und die deutschen Bibliotheken wohl mindestens ein Geschoß zu tief.

Den Artikel liest man auf der Frankfurter Allgemeine Webseite: Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus

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no idea store, A.L. Kennedy zum britischen Bibliothekswesen http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=5768/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=5768/index.html#comments Mon, 16 Jun 2008 18:31:59 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=5768 Alle, die gern auch im britischen Bibliothekswesen einen Vorbildcharakter für das deutsche sehen wollen, sollten vielleicht mal das Gespräch mit der Schriftstellerin A.L. Kennedy suchen. Diese führt in ihrer Rede zur Verleihung des 1. Internationalen Eifel-Literaturpreis, die man in einer gekürzten Form heute im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachlesen kann, nämlich ziemlich kulturpessimistisch Folgendes [...]]]>

Alle, die gern auch im britischen Bibliothekswesen einen Vorbildcharakter für das deutsche sehen wollen, sollten vielleicht mal das Gespräch mit der Schriftstellerin A.L. Kennedy suchen. Diese führt in ihrer Rede zur Verleihung des 1. Internationalen Eifel-Literaturpreis, die man in einer gekürzten Form heute im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachlesen kann, nämlich ziemlich kulturpessimistisch Folgendes aus:

“[...] Wir hatten früher Bibliotheken, in denen jedermann nicht nur die Bücher finden konnte, nach denen er suchte, sondern auch, oh Wunder, Vergnügen und Unterhaltung. Ich bin so vielen Briten begegnet, die eine mäßige Ausbildung genossen haben und die einfach zur öffentlichen Bibliothek gegangen sind, um zu lesen – um erfüllter und reicher zu sein. Wir haben unser Bibliothekswesen zerstört, wir haben unsere eigenen Bücher entfernt, Gebäude geschlossen und Öffnungszeiten reduziert. Wir verbrennen keine Bücher, das nicht, aber wir lassen sie still und leise verschwinden. In Großbritannien gehören unsere Verlage größtenteils riesigen Konzernen innerhalb noch größerer Korporationen mit noch größeren Gesellschaften – Unternehmen, die wenig oder gar kein Interesse daran haben, die Kultur unserer Nation zu bewahren und zu fördern und sie dem Rest der Welt zugänglich zu machen. [...]“

(Kennedy, A.L.: Wir werden zerstört. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 16. 06.2008 S. 33)

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