Der Tod und das Medium: Walt Crawford über Blogs als Zeitschriften

There’s also a semantic issue. Could you publish a solid journal using WordPress with a few extensions? Almost certainly. Would the result be a blog? Well, it would use blogging software…

Walt Crawford überlegt in der April-Ausgabe seiner Gedankensammlung Cites&Insights (Ausgabe 9:5, PDF), ob die Zukunft der wissenschaftlichen Zeitschrift womöglich in der Medienform des Weblogs zu suchen sei. Das ist durchaus nachvollziehbar, denn immerhin bringt die Blogkommunikation so einiges hervor, was sich auch in der zeitschriftenbasierten Wissenschaftskommunikation als ganz sinnvoll erweist: Eine direkte Diskussion am Text über Kommentare, die im Idealfall auch absatznah möglich ist, sowie eine weitläufige Erschließung mittels Tags als Ergänzung zu grobclusterigen Kategorien, die eher der Navigation dienen. Und natürlich eine automatische Zitationsdokumentation über Trackbacks. Crawford stellt vier seiner Meinung nach relevante Fragen:

1. Does prepublication peer review offer enough advantages to prefer it to the immediacy of publishing on submission?

2. Will postpublication review, through open comments or other means, offer the same assurance of quality that peer review should offer?

3. Is a blog an inherently good or poor medium for article-length scholarship?

4. Are blogs inherently more ephemeral than ejournals?

Die ersten beiden beziehen sich m.E. (stärker noch als die anderen beiden) weniger auf die technische Stuktur, die Weblogs (bisher) von Lösungen wie Open Journal Systems unterscheiden, sondern auf die Nutzungspraxis.

Zweifellos sollte vor Veröffentlichung eine redaktionelle Vorkontrolle stattfinden und Beiträge bei groben Mängeln zurückweisen. Ob man zusätzlich ein dem Blog externes Peer Review zwischenschaltet, muss ebenfalls auf redaktioneller Ebene entschieden werden, hat aber wenig mit der Plattform selbst zu tun.

Ob die Kommentare ein Niveau erreichen, das als nennenswerter Beitrag zum Artikel im Sinne einer Review angesehen werden kann, hängt einzig von der Kommunikationspraxis der jeweiligen Wissenschaftsgemeinschaft ab. Die Kommentarfunktion selbst sagt nichts über die Güte des Inhalts. Überlegenswert wären technische Lösungen, die die Kommentare besser für eine Review-Funktion vorstrukturieren.  Ich stelle mir beispielsweise vor, dass man eine Textstelle markiert und mit einer anderen Quelle, in der z.B. das Gegenteil geschrieben steht, verlinken kann und bei der man als Reviewer zusätzlich kurz annotiert, warum dieser Hinweis notwendig erscheint.

Die dritte Frage ist ebenfalls auf das Rezeptionsverhalten bezogen und betrifft genauso jede andere Abbildung von Texten auf Bildschirmmedien. Zweckmäßig ist sicherlich die Beigabe eine PDF-Version des Beitrags für diejenigen, die längere Texte lieber ausdrucken und offline lesen. Ansonsten kann ich keinen Unterschied zwischen dem Veröffentlichen eines Artikels über Weblogs oder eine andere elektronische Form feststellen.

Dass Blogs vergänglicher sind als elektronische Zeitschriften ist kein zwangsläufiger Fakt, sondern hängt von den Bedingungen ab, unter denen die Plattform betrieben wird. Technisch werden die Inhalte in Datenbanken hinterlegt und es ist nicht einsichtig, warum Datenbanken, die Bloginhalte enthalten datenverlustbehafteter sein sollen als andere. Die andere Frage ist die der Organisation dahinter: Wer finanziert den technischen Aufwand und gegebenenfalls die Redaktion? Diese stellt sich aber bei elektronischen Zeitschriften gleichermaßen.

Insofern ist ein Abwägen für oder wider eines Blogs gar nicht sinnvoll. Ich vermute, dass die Content Management Systeme, mit denen Zeitschriften betrieben werden, allmählich all die Merkmale und Elemente aus der Blogpraxis übernehmen werden, die für elektronische wissenschaftliche Zeitschriften relevant erscheinen. Das Medium Weblog dient dabei auf der technische Ebene vorwiegend als Inspiration. Vielleicht bietet WordPress ja irgendwann selbst eine solche Lösung an. Die aktuelle Version eignet sich allerdings eher nicht für das Publizieren einer wissenschaftlichen Zeitschrift im klassischen Sinn.

Womöglich entstehen aber in der Blogosphäre wissenschaftliche Kommunikationsformen, die sich parallel zur Zeitschrift etablieren. Es ist nicht festgeschrieben, dass es langfristig notwendig ist, die wissenschaftliche Zeitschrift in der Form, wie wir sie kennen, in digitalen Umgebungen derart nah am Vorbild der gedruckten zu halten, wie es dieser Tage zumeist geschieht.

Es ist ebenso nicht endgültig, dass wir perspektivisch überhaupt von Zeitschriften als Leitmedien der Wissenschaftskommunikation ausgehen müssen. Das Kernmerkmal der wissenschaftlichen Zeitschrift -  die Begutachtung – kann genauso gut, wenn nicht vielleicht sogar besser, auch anders durchgeführt werden. Also könnte sich auf den zweiten Blick der Titel des Artikels von Walt Crawford trotz dessen Beteuerung: “I needed a snappy title” als gar nicht so abseitig erweisen:  The Death of Journals (Film at 11).

Aber auf den dritten ist auch das eine semantische Frage: Das Sprechen vom Sterben eines Mediums evoziert zwangsläufig ein negatives, oft mit Abwehr belastetes Geschehen, weil der Tod etwas Absolutes ist, hinter das man nicht mehr zurück kann.

Aber man kann in diesem Umfeld schon: Die vermeintlich dahingeschiedene Schallplatte wird nach wie vor gepresst, in Enschede versucht man den entschlafenen Sofortbildfilm für analoge Polaroid-Kameras zu reanimieren und auch Druckausgaben von Zeitschriften wird man solange drucken können, wie es Papier gibt. Wenn man mag, sogar mit Bleisatz. Technisch bleibt es möglich. Das Verschwinden eines Mediums aus dem Gebrauch bedeutet nicht, dass es auch unwiderruflich vergangen ist. Und nicht, dass es nicht irgendwann wiederkehrt. Insofern empfiehlt es sich im Diskurs über die technische Form auf so griffige Metaphern wie “Tod” und “Sterben” und das vermeintliche Bezwingen eines Mediums durch das andere zu verzichten. Denn das Entlanghangeln an solchen Metaphern lenkt vom Eigentlichen ab: der möglichen und der realen Nutzung der jeweiligen Form. Hier vollziehen sich Veränderungen mitunter langsamer, verbindender und mit anderen Auswirkungen , als man gemeinhin vermutet.

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