IBI-Weblog » Gesellschaft http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Wenn das Leck aber nun keine Arche hat? Die Frankfurter Rundschau sieht die Bibliothek angeschlagen. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8990/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8990/index.html#comments Wed, 20 Jul 2011 13:03:11 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8990 „Die Niederschrift, die von den pariser Passage handelt, ist unter freiem Himmel begonnen worden wolkenloser Bläue […]“ Wenn Oliver Herwig heute für seinen Besprechungsartikel (mit dem schwierigen Titel Die Arche mit dem Leck ) zu einer Ausstellung über Bibliotheken schon Walter Benjamin (neben Karl Marx) als den üblichen Vorzeigelesesaalbenutzer herausstellt, dann ist es schwer, nicht [...]]]>

„Die Niederschrift, die von den pariser Passage handelt, ist unter freiem Himmel begonnen worden wolkenloser Bläue […]“

Wenn Oliver Herwig heute für seinen Besprechungsartikel (mit dem schwierigen Titel Die Arche mit dem Leck ) zu einer Ausstellung über Bibliotheken schon Walter Benjamin (neben Karl Marx) als den üblichen Vorzeigelesesaalbenutzer herausstellt, dann ist es schwer, nicht an diese himmelhochziehende Passage, die sich über das Passagenwerk spannt, zu denken.

Dazwischen knüpft der Journalist dann eine Wäscheleine vom großen Weltgestalter Internet – dem Schöpfer gewordenen Infrastrukturkonzept – in der immer richtig-falschen Grundaussage „Das Internet verändert alles.“ bis zur ebenso charakterisierbaren Normvorgabe für die Institution Bibliothek: „Sie wird sich weiter öffnen müssen.“

An diese heftet er einige Vorstellungsbilder einer Basisbetrachtung, die bei Konrad Gessner beginnt und einzelne Eindrücke der für ihn „seltsam melancholische[n] Ausstellung“ Die Weisheit baut sich ein Haus. Architektur und Geschichte von Bibliotheken zu einem rückschauenden Rundgang am Ende der Bibliothek, wie wir sie kennen, zusammenklammert:

„Mit einer Phalanx von Folianten, Plänen, Modellen, Fotos und Filmen stimmt das Architekturmuseum der Technischen Universität München einen Abgesang an auf die Welt der Büchereien, der Ausleihschalter und Kataloge. Die Bibliothek als Arche, dahinter steht die Angst, im Mahlstrom des Netzes unterzugehen, das erst alles Wissen verschlingt und später in wohl dosierten Bits und Bytes kommerziell verwertet.“

Es ist ein wenig wie die Weihnachtszeit der Älterwerdenden: Aus der durchaus berechtigten Furcht, so käme man nie wieder zusammen, führt man sich die Elementartatsache der Vergänglichkeit alles Seienden in wohliger Heimeligkeit vor Augen, kostet die Wonne dieser emotionalen Ambivalenz tief aus und staunt nicht einmal, dass man im nächsten Jahr wieder in der Vorabschiedsstimmung zusammenfindet. Dies mit einem gleichen Paar Socken in golden glitzerenden Geschenkpapier unterm Tannenbaum. (Argyle-Muster scheinen immer in Mode zu sein.)

Nicht nur „Bibliotheken sind zweifellos der Versuch, die chaotische Welt zu ordnen und ihr ein anderes, ein aufklärerisches Antlitz zu verleihen“, wobei hinter der Aufklärung nichts anderes steht, als der Versuch, eine bewusste Form zu finden, die prinzipielle Begrenztheit des Lebens zu meistern. Das schließt Bestätigung und Aufbruch in denselben Band ein. Denn natürlich hat „Weltwissen […] stets auch revolutionären Charakter“, so wie sich Lebendigkeit stets durch Bewegung auszeichnet.

Oliver Herwigs Feuilleton-Beitrag ist daher eine ganz willkommene Heimkehr für alle, die sich lebensmittelpunktlich mit Bibliotheken befassen. Allein einzelne querliegende Formulierungen wie „Geldspeicher Suchmaschine“ bilden rhetorische Geschwindigkeitshügel für das weiche Gleiten durch den sympathischen Text. „Angst ist ein guter Baumeister“ aber nicht zwingend ein guter Metaphernschmied. Denn auf einmal läuft Dagobert Duck (oder Walter Elias) durchs Bild und versucht sich bei Walter Benjamin einzuhaken. Diese Spannung zerhebelt die Vanitas-Idylle des Ausstellungsberichts und macht wieder empfänglich für die Myopie von Fehlvergleichen wie

„Wer braucht noch Studierzimmer und Lesesaal, der über Breitbandinternet und WLAN verfügt?“

Für Oliver Herwig eröffnet sich damit die Möglichkeit zu einer vorsichtigen Kritik an der Schau:

„Was aber bedeutet Bibliothek heute? Wer etwa die wunderbar offene und leutselige Stadtbücherei von Amsterdam erlebt hat, ahnt, warum inzwischen auch in der Stadtteilbibliothek München-Pasing eine Espressomaschine steht. Büchereien wandeln sich zu Wohlfühlorten, auch wenn Kritiker darauf verweisen, dass sie immer noch weniger bildungsfernen Familien dienen als bürgerlichen Bildungsfreunden zur Selbstvergewisserung. Doch davon schweigt die Ausstellung.“

Er selbst schweigt aber von der Tatsache, dass die Idee der Öffnung der Bibliothek  bzw. die Erkenntnis, „[d]ie beste Sicherung ist womöglich keine aus Mauern“ bei all denen, die sensibel genug waren und sind, Bibliothek nicht nur als hohlköpfiges Verwaltungsverfahren zu betrachten und betreiben, die Selbstverständlichkeit schlechthin darstellen.

Deren Welt war und ist niemals bipolar. Internet und Gedächtnis – individuell und kulturell – dürften gerade für aufgeklärte Akteure nur in der Weise in Relation stehen, wie sich Schnellbahntrasse und der gemütliche Luxus zweier Wohnsitze vereinbaren lassen. Verdrängung und Ausschließlichkeit mögen zeitgeistliche Faszinosa einer klappernden Beratungsindustrie sein, die pikanterweise in allerlei Kulturräume von Zeitungsredaktionen bis zu Bibliotheksverwaltungen eigenartige Szenarien des unbedingten, einseitigen Wandelgängelns hinein trompetet. Aber gerade reflexionsbegabte Geistesmenschen sollten vor dem Tönen solcher Weltanschauungen nicht übermäßig ehrfürchtig zusammenzucken. Schlössen sie sich zusammen, könnten sie diese Narrative mit Leichtigkeit zerpflücken und entzaubern und so etwas wie Google ohne jede Hysterie in seinen funktionalen Schranken erkennen. Eigenartigerweise tun sie es nicht…

Walter Benjamins Passagenwerk-Passage wendet den freien und offenen Himmel ins Diesseitige der Bibliothek in einer berauschenden Form, die sicher nicht alle nachvollziehen mögen, die aber in jedem Fall die Simulakren der Touch-Screen-Digitalität bisher völlig überfordert, welche mit ihrer Bildschirmbindung viel stärker konzentrierend wirken, als mancher annimmt:

„[…] wolkenloser Bläue, die überm Laube sich wölbte und doch von den Millionen von Blättern, in denen die frische Brise des Fleißes, der schwerfällig Atem des Forsches, der Sturm des jungen Eifers und das träge Lüftchen der Neugier rauschten, mit vielhundertjährigem Staube bedeckt worden. Denn der gemalte Sommerhimmel, der aus Arkaden in den Arbeitssaal der pariser Nationalbibliothek hinuntersieht, hat seine träumerische, lichtlose Decke über ihr ausgebreitet.“

Der Salle Labrouste war genauso Ort räumlicher Entgrenzung und geistiger Diffusion wie das, was Oliver Herwig sich als virtuelle Welt vorstellt. Bibliotheken waren genau genommen immer Zugangsmittel zu unüberschaubaren virtuellen Welten und der Lesesaal somit das iPad der letzten Jahrhunderte. Ob sich die Bibliotheksbenutzer auf Dauer mit der flexiblen Schrumpfform im Handtaschenformat zufrieden gegeben haben werden, wird uns möglicherweise eine entsprechende, seltsam melancholische Ausstellung eines Museums für digitale Kommunikationstechnik im Sommer 2034 aufzeigen. (Kein Katalog.)

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Das Ende des Datenträgers: Nach Blu-ray kommt nur das Netz. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6423/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6423/index.html#comments Mon, 05 Jan 2009 13:35:34 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6423 Integrating the Internet may be a matter of survival for Blu-ray, because the Internet is shaping up to be its biggest rival. More services are popping up that let people download high-definition movies and shows directly to their televisions and home computers. Bei der diesjährigen Consumer Electronics Show in Las Vegas schwingt anscheinend zwischen den [...]]]>

Integrating the Internet may be a matter of survival for Blu-ray, because the Internet is shaping up to be its biggest rival. More services are popping up that let people download high-definition movies and shows directly to their televisions and home computers.

Bei der diesjährigen Consumer Electronics Show in Las Vegas schwingt anscheinend zwischen den Messeständen verstärkt die Frage durch den Raum, inwieweit physische Datenträger (und auch Speichermedien) gleich welcher Art überhaupt zukünftig noch eine Rolle spielen. (vgl. New York Times)
Ein allgegenwärtiges Datennetz, in dem sämtliche Inhalte bedarfsnah on demand und just in time auf entsprechende Empfangsgeräte übertragen werden können, ermöglicht den Nutzern immerhin maximale Flexibilität und den Anbietern maximale Kontrolle.

Insofern erscheint es fast so, als bliebe jeder Form von Bücher-, CD- oder DVD-Regal als Kernfunktion nur noch das raumgestalterische Element. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir die ganze Diskussion um E-Books und Medieninhalte und auch Medienproduktion bislang gar nicht radikal genug gedacht haben. Dass es demnächst Digitalkameras geben wird, die die Fotos direkt mit GPS-Daten versehen zu Picasa oder Flickr schicken und nur noch einen internen Zwischenspeicher mitbringen, ist vermutlich keine besonders avantgardistische Fantasterei. Spannender ist dagegen die Frage, ob man in Zukunft überhaupt noch anders fotografieren kann.

Insofern könnten Überlegungen, wie E-Books oder auch Musikstücke zwischen Lesegerät, Server und womöglich lokalem Rechner gespeichert und synchronisiert werden, mehr oder weniger ins Irre laufen. Man trägt nicht mehr 1000 Bücher auf dem Reader durch die Welt, sondern immer alle, die überhaupt verfügbar sind bzw. nur das Lesegerät, welches sich je nach Stimmung über einen Server den gewünschten Titel temporär zieht. Und auch hier: Welche Alternativen der Medienrezeption lässt ein volldigitalisierter Medienmarkt auf Abruf noch zu?

Für Bibliotheken ist solch ein allumfassendes e-only-Szenario besonders einschneidend, da sie in diesem tatsächlich bestenfalls zugangsverwaltend tätig werden. Ihre Aufgabe als Ort kann es dann sein, gemütliche Räumlichkeiten anzubieten, in denen über entsprechende Endgeräte der Zugang zu bestimmten Inhalten subventioniert möglich ist, da die Bibliothek Lizenzen dazu hält. Lokale Medien und damit große Teile des klassischen Geschäftsganges spielen keinerlei Rolle mehr. Der Frage der Medienform wird endgültig eine nach dem Dateiformat, der Leihverkehr auf ein Onleihe-System reduziert, wobei der Hardware nur noch eine Terminalfunktion zukommt, und diese daher entsprechend schlicht und robust gestaltet werden kann, so dass man E-Books dann auch entgegen der Urangst vieler P-Buch-Freunde prima am Strand und vielleicht sogar unter Wasser lesen kann.

Keine dieser Überlegungen ist neu, aber da zunehmend deutlicher wird, wohin der Medienhase läuft, böte es sich an, mögliche Folgen von der Kontrollierbarkeit von Zugängen, der Protokollierbarkeit des individuellen Medienverhaltens bis hin zu den spezifischen Veränderungen bei der Produktion von Inhalten noch intensiver als bisher zu beleuchten.

Die mediale Ubiquität, so scheint es, führt zu einer permanenten Wechselwirkung von physischem und virtuellem Agieren. Bereits jetzt leben wir in einer dreigeteilten und intensiv wechselwirkenden Umwelt: neben der klassischen Korrelation von physischer und psychischer Wahrnehmung gesellt sich ein rein virtueller Handlungs- und irgendwie auch Lebensraum. Letzterer war jedoch bislang – vielleicht bis zur Entwicklung einer massenverfügbaren Mobilfunktechnologie – an lokalisierte Zugangspunkte gebunden und galt daher mehr als erweiternde Möglichkeit, denn als substantielles Element.
Der Pfeil der Entwicklung weist jedoch in Richtung einer permanenter Interaktionsmöglichkeit und damit vermutlich – Beispiel Mobiltelefonie – impliziten Nutzungsverpflichtung, bei der die Empfangsgeräte in einer Ausprägung elementar für ein soziales Leben sein werden, dass sie quasi Teil unser Physis und also in Anlehnung an McLuhan unverzichtbare technische Prothesen zur Weltwahrnehmung sein werden. Die virtuelle Zukunft besteht sicher nicht aus grobschlächtigen Avatare in Second Life, sondern aus virtuellen Repräsentationen unserer tatsächlichen Identität, die in andauernder Wechselwirkung mit der Körperlichkeit und Psyche stehen. Wer seinen Zugang zum Netz abschaltet, trennt einen substantiellen Teil seiner selbst von sich ab. Wohlgemerkt: Von sich, nicht vom virtuellen Netz an sich, denn dort bleibt man präsent und in gewisser Weise ansprechbar. Facebook registriert die an mich eingehenden Freundschaftsavancen, Nachrichten und dass ich auf Fotos ausgetaggt werde, auch ohne, dass ich eingeloggt bin. Automatische Erschließungsprozesse, die mit dem Semantic Web Bestandteil des virtuellen Informationsalltags werden, warten nicht auf Rückkopplung meinerseits, sondern verknüpfen mich, bzw. mein Repräsentationen im Web je nach informationellem Anliegen irgendeines Akteurs im Netzwerk.

Wünschenswert wäre es, wenn, dessen angesichtig, in irgendeiner Form und besonders natürlich in unserem Fach, eine Diskussion mit interdisziplinären Anschlussmöglichkeiten entwickeln ließe, die neben den Projekten zur technischen Realiserbarkeit und Realisierung derartiger Vorstellungen, die Frage in den Mittelpunkt rückt, inwiefern eine derartige Totalität der Digitalität mit bisher üblichen Lebensentwürfen und Vorstellungen von Gesellschaft, die den digital lifestyle nur bedingt berücksichtigen, so integrierbar sind, dass man die Reibungsverluste im Rahmen hält. Also inwieweit die digitale Medienwelt mit ihrem Präzisionsparadigma und Messbarkeit und Eindeutigkeit des Zeichens als Grundkonstanten mit den dem Menschen und seinem Handeln typischen Unschärfen und Abweichungen und daraus resultierenden Eigenheiten koordinierbar ist. Der Mensch ist per se einzigartig, inkommensurabel und begrenzt. Netzdigitalität, die auf dem Prinzip der reibungslosen Kopie beruht, Datengröße, -durchsatz und Zahl der Aufrufe exakt erfasst und sich jenseits spürbarer Materialität unbegrenzt ausdehnt, berücksichtigt dies bisher interessanterweise vorwiegend dadurch, dass sie diese menschlichen Eigenschaften zu simulieren versucht und scheitert besonders deutlich gerade auf dem Gebiet des Originals (Stichwort: Urheberrecht).

Auch diese Gedanken sind weißgott nicht neu und vielleicht gibt es auch schon die passenden Antworten. In der Bibliothekswissenschaft sind sie bisher jedoch kaum zu entdecken und daher scheint es mir durchaus legitim, in der Frühphase eines Jahres wie diesem, durchaus einmal auszuformulieren, was uns sicher das Jahr über intensiv beschäftigen sollte und hoffentlich wird. Wie immer sind Kommentare hochwillkommen.

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