Ein Solitär und die Debatte ums Urheberrecht, drei aktuelle Texte zum Thema

Reuß hat zuletzt mit seinem „Heidelberger Appell“ zur Verteidigung der wissenschaftlichen Publikationsfreiheit enorme Unterstützung erfahren; auf der Berliner Tagung freilich blieb er ein Fremdkörper. Wissenschaft als das schöpferische Treiben genialer Individuen auf der unbeirrten Suche nach Wahrheit – das kann weder für den Wissensbetrieb als exemplarisch gelten, noch taugt es als Paradigma für ein Urheberrecht, das von Filmen über Unterhaltungsmusik und Literatur bis hin zu naturwissenschaftlichen Spezialaufsätzen sämtliche Erzeugnisse geistiger Schaffenskraft mit einem einheitlichen Schutz vor fremder Einwirkung versieht.

Der Rechtswissenschaftler Benjamin Lahusen hat für die heutige Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die letzte Woche im Bundesjustizministerium stattfindende Konferenz zur Zukunft des Urheberrechts zusammengefasst. Der Text macht u.a. deutlich, dass der Heidelberger Appell vermutlich im großen Zusammenhang mehr eine Zünderfunktion besitzt, also als Aufhänger dient, um das Thema auf eine übergreifende Agenda zu setzen. Roland Reuß als die maßgebliche Triebkaft hinter diesem scheint jedenfalls bei der Diskussion keine allzu glückliche Figur abgegeben zu haben und es ist anzunehmen, dass andere Akteure auch aus den Geisteswissenschaften demnächst die Debatte bestimmen.

Nach seinem Interview in der Süddeutschen Zeitung am 29. April tritt beispielsweise der Kunsthistoriker Hubertus Kohle heute bei Telepolis in Erscheinung, um die Thesen die er im Gespräch anriss, etwas weiter auszuformulieren: Open Access und die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens. Unter anderem weist er darauf hin, dass die wissenschaftlichen Verlage, die ohnehin einen großen Teil der Auflage nur eingeschränkt über den Verkauf der Bücher und oft über den  “Druckkostenzuschuss, der vom Autor erbracht wird bzw. von privaten oder öffentlichen Institutionen” (re)finanzieren, auch für Open Access-Publikationen eine Rolle spielen können:

Denn ein Text im Internet ist genauso redaktionsbedürftig wie einer im Druck.

Der Wissenschaftsverlag agiert dann nicht mehr auf einen Buchmarkt bezogen, sondern als Redaktionsdienstleister für die Wissenschaft. Dieses Standbein sollten die Betroffenen tatsächlich einmal ins Auge fassen, denn die Idee eines professionellen Lektorats und Redigierens für solche Wissenschaftspublikationen ist viel zu gut, als dass sich darauf nicht auch dritte Anbieter breit etablieren könnten. Ein Text im Internet sollte die gleiche Güte aufweisen, wie ein gedruckter, denn eine Druckausgabe könnte durchaus als Print-on-Demand-Variante auch perspektivisch eine Rolle spielen.

Für Berufsschriftsteller, diejenigen, die sich also nicht über ihre Bezüge als Wissenschaftler finanzieren, sondern die von ihrer Textproduktion in den Mund leben müssen, liegen die Dinge anders, wie sich in einem Artikel der Schriftstellerin Cora Stephan nachlesen lässt. Wie man hier mit digitalen Texten geschäftsmäßig so umgeht, ist noch völlig unklar. Gerade die Preisdiskussion um das E-Book wirft neue Fragen auf:

Zehn Prozent von einem Hardcover zum Ladenpreis von 19.90 machen knapp 2 Euro für den Autor, der davon schon ordentlich verkaufen müßte, um mit vielen Lesungen und einer Taschenbuchausgabe halbwegs auf seine Kosten zu kommen. Je billiger ein Buch als E-Book wird, desto weniger sind 10 %. Dafür kann sich niemand einen gutgearbeiteten Roman aus den Fingern saugen. Also höhere Prozente – und warum nicht, denkt der Autor, werden die Kosten für Buchdruck und Vertrieb nicht billiger bzw. fallen ganz weg? Und was ist mit den oft über 40 %, die der Buchhandel kassiert, der doch mit dem E-Buch gar nicht mehr handelt?

Vermutlich ist hier die Musikindustrie längerfristig tatsächlich Vorbild, denn allein von den Tonträger- bzw. Dateiverkäufen wird auch dort wohl kaum noch jemand reich. Dafür bewegen sich die Tickets für Konzertbesuche bei den Größen der Populärmusik gern mal im dreistelligen Bereich. Die Zukunft liegt wohl in einer Mischfinanzierung, bei der für Schriftsteller eine öffentliche Zusatzfinanzierung in stärkeren Maße, als dies mitunter bereits jetzt über Preisgelder u.ä. geschieht, relevant werden könnte – mit allen damit verbundenen Problemen. Bisher scheint der Buchmarkt aber strukturell  vergleichsweise noch weitgehend stabil zu sein. Das bietet die Möglichkeit, sich eher in Ruhe sinnvolle Geschäftsmodelle zu überlegen und auch öffentlich auszuhandeln, die digitale Nutzungsformen mit einschließen. Was aktuell bei den E-Books geschieht, ist ein solches Ausprobieren und man sollte es auch als ein solches ansehen. In die rechte Perspektive gerückt, sind die Unternehmungen selbst Amazons keinesfalls ein alternativloses Muster.

Festzustellen ist generell, dass der Markt für Publikationen für die wissenschaftliche Kommunikation und der für den Sortimentsbuchhandel sehr unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Dies wird bei Netzpublikationen kaum anders sein. Insofern war das eigentlich bedenkliche Element des Heidelberger Appells, dass er beide Facetten vermengte. Darüber hinaus kann man diskutieren, ob das Urheberrecht womöglich diesen Aspekt ebenfalls nicht genügend würdigt und eigentlich differenzierter gearbeitet sein müsste. Zu klären ist sicherlich die Frage, wie man mit Publikationen umgeht, die irgendwo zwischen beiden Polen anzusiedeln sind. Dies betrifft hauptsächlich Lehrbücher, aber z.T. auch Monographien an sich. Mittwoch geht es vor dem Landgericht Frankfurt/Main um die Sache Eugen Ulmer KG gegen die TU Darmstadt und dann wird ein neuer Argumentationsbaustein in die Debatte kommen, die momentan wenigstens hinsichtlich der Intensität viel versprechend läuft.

1 Response to “Ein Solitär und die Debatte ums Urheberrecht, drei aktuelle Texte zum Thema”


  1. OA-Verfahren scheinen sich momentan in nicht wenigen Zusammenhängen zu etablieren. Wenn ein dominanter Akteur auf dem Publikationsmarkt sich selbst derart schädigt, dass Wissenschaftler lieber nicht mit ihm in Zusammenhang gebracht werden möchten, neigen sie eventuell stärker zur verfügbaren Alternative. Denn kommunizieren müssen sie und im Zweifelsfall hoffentlich dort, wo es ihnen eher im Einklang mit wissenschaftsethischen Grundprinzipien zu stehen scheint.

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