YouTube-Usability und der Homo Ludens

YouTube has been the Internet success story of 2006. However, when subjected to conventional usability evaluation it appears to fail miserably. With this and other social Web services, the purpose of the user is fun, uncertainty, engagement and selfexpression.
Web2.0 has turned the passive ‘user’ into an active producer of content and shaper of the ultimate user experience.
This more playful, more participative, often joyful use of technology appears to conflict with conventional usability, but we argue that a deeper ‘usability’ emerges that respects the user’s purposes whether acting as homo ludens.

Dies ist die Quintessenz des Beitrags von Paula Alexandra Silva und Alan Dix – HCI-Spezialisten der Lancaster University – für die 21st British HCI Group Annual Conference: Usability – Not as we know it!

Manches allerdings verwundet an dem Text. Beispielsweise diese Stelle:

[...] there are various functions in hich the system performs poorly. An important example refers to the retrieved search results that cannot be ordered organised under any criteria, such as date or rating.

Soweit ich YouTube kenne und nutze, ist dies durchaus möglich. Das Retrieval ist manchmal tatsächlich etwas unzulänglich, was aber m.E. vorwiegend darauf zurück zu führen ist, dass die Inhalte von den Nutzern selbst erschlossen werden, die wiederum z.B. gern in ihrer Landessprache taggen. Es gibt noch ein paar andere kleinere Punkte, aber das eigentlich Relevante scheint mir die generelle Feststellung zur Frage der Usability und des Web 2.0 bzw. der Entwicklung im Web zu sein.
Denn auch wenn man nicht gleich aus jedem Nutzer einen Homo Ludens machen mag, so ist es sicher unbestritten, dass die Zunahme von Partizipationsformen auch für die Gestaltung von Weboberflächen und -strukturen auch von Bibliotheksangeboten eine Differenzierung des Blicks auf die Usability nach sich ziehen muss. Dass man allerdings häufig liest, erfolgreiche Web 2.0-Angebote (sh. auch hier) würden gegen die Normen von Webusabilty und -design eklatant verstoßen und ihr Erfolg sei deshalb wahnsinnig überraschend, ist in meinen Augen vor allem ein Indikator für ein zuvor anscheinend sehr orthodoxes, Nielsen-geprägtes Verständnis von dem, was Webdesign und -usability darstellt. Und bei genauerem Hinsehen bricht das Oberflächendesign der Web 2.0-Angebote gar nicht so radikal mit tradierten Gestaltungslinien (da sind japanische Flash-Seiten wie z.B. diese weitaus spielerischer und selbst hier entdeckt man ganz klar gewohnte Screen Design Strukturen). Drastischer als bei YouTube stellt sich der Unterschied m.E. bei MySpace oder auch geschlossenen Systemen wie dem StudiVZ dar, wobei deutlich wird, dass die Usability oder Design dann in den Hintergrund rückt, wenn es wenig um Informationssuche und -rezeption und mehr die Herstellung und Pflege sozialer Kontakte, also Nutzer-Nutzer-Kommunikation, geht. Auch hier liegt also ein weitere Differenzierung, die zu treffen ist, vor.

Ein weiterer Gesichtspunkt scheint mir die Erkenntnis zu sein, dass sich generell mit den Nutzungsmöglichkeiten des Webs auch die Darstellungsparadigmata verändern: Es gibt den goldenen Weg der Usability genauso wenig, wie es den einen Typus von Webseiten gibt. Es gibt nicht nur eine (scheinbar) optimale und weit genutzte Gestaltungsnorm, sondern je nach Zweck, Kulturkreis und ästhetischem Verständnis der Verantwortlichen und der Designer ein gewisse Pluralität. Ganz neu ist dies allerdings nicht, zeigt doch das Automobildesign, dass sich für unterschiedliche Ansprüche auch unterschiedliche Gestaltungslösungen finden lassen. Eine gemeinsame Basis lässt sich selbstredend erkennen, aber das gilt auch für die Gestaltung der Webangebote des Web 1.0 und des Web 2.0. Das eine ist nunmal Automatik und bei dem Anderen darf der Nutzer selber schalten.

So wird das Web 2.0 die statische Website nicht ablösen, solange es Inhalte gibt, die genau in dieser Form optimal präsentiert werden. Interessant ist dabei, wieviel Vielfalt sich – beispielsweise vor dem Hintergrund des mobile computing mit diversen Formen von Displays – tatsächlich entwickelt und ob und wo und aufgrund welcher Faktoren eine Sättigung erreicht wird.

Das manchen etwas in die Irre leitenden “Perpetual BETA”-Prinzip des Web 2.0 scheint sich problemlos auf die Gestaltungsprinzipien der Oberflächen anwenden lassen: Es wird immer kleinere und größere Innovationen geben, die sich dann je nach Anwendungsterrain zur Norm durchsetzen. Wichtig erscheint mir an dem Text von Silva und Dix besonders die in der Diskussion angedeute Veränderung der Klientel, die in dem Maße durchschnittlich über eine gute Web Literacy verfügt, wie das WWW zum Alltagsmedium gehört. Die Ansprüche an und vor allem das Verständnis für die Funktionsweise von Webangeboten sind hier sicherlich andere, als vor zehn Jahren. Selbstverständlich dürften die dabei die meisten Nutzer – jedenfalls bei bibliothekarischen Angeboten – das (ihnen) Bekannte dem Überraschenden vorziehen.
Aber das Bekannte dürfte von Jahr zu Jahr (und womöglich auch von Nutzer zu Nutzer) etwas anders aussehen.

Insofern ist es zwangsläufig so, dass Usability-Vorstellungen die für das WWW der 1990er Jahre formuliert wurden, zehn Jahre später in gewisser Weise nicht mehr ohne Einschränkungen zutreffen. Formulierungen wie “that the Web is approaching or already going through a new stage” sind dabei genauso tautologisch wie Aussagen a la “die Wissenschaft verändert sich”. So lange ich das WWW (und die Wissenschaft) kenne, konnte man jederzeit eine solche Formulierung problemlos anbringen, und lag goldrichtig… Zuzustimmen ist der abschließenden Aussage von Silva und Dix:

This new context requires new and sharp usability evaluation approaches that we, as researchers and/or academics, should include in our repertoire.

auch wenn ich es etwas anders formulieren würde. Ich spräche davon, dass die Entwicklungen und Differenzierungen im Web von einem entsprechend entwickelten und differenzierten Blick auf Fragen der Usability begleitet werden muss. Und da wir als Wissenschaftler von Natur aus die richtige Adresse für einen solchen sein sollten, würde ich den zweiten Teil der Aussage einfach weglassen.

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