Occupy und Bibliotheken. Zu einem Beitrag Mark Greifs in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung.

Wer heute das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung aufschlug, hat es vielleicht bemerkt: Mark Greif, laut SZ „einer der wichtigsten jüngeren Essayisten Amerikas“ hat seinem doppelspaltigen Artikel über die Occupy-Bewegung ein kleines wunderbares Loblieb auf die öffentliche Bibliothek als Institution und Symbol des Gemeinsinns eingeschriebem. (Mark Greif: Eine uralte Sehnsucht. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 3/04.01.2012, S. 11) Ein bedrohtes Symbol übrigens, wie die polizeiliche Aussonderungs- und Auflösungsaktion an der Occupy-Bibliothek im Zuccotti Park nur noch einmal mit dem Vorschlaghammer vorführte. Die Occupy-Camps erscheinen Mark Greif als Reanimation des ur-amerikanischen Formats der Zivilgesellschaft: Das Gemeinwesen einer Kleinstadt „mit ihrem Postamt, ihrer städtischen Bücherei, dem Speiselokal – jenen Orten, an denen sich die Bürger der Stadt in einem informellen Rahmen begegnen konnten.“ Der Bestand dieser Bibliotheken ist tatsächlich Medium, nämlich der Vermittlungsgrund auf dem das kommunikative Zusammentreffen, aus dem sich Öffentlichkeit in ihrem politischen Sinne ergibt, entsteht.

Die Räumungsaktion der Bibliothek im Zuccotti-Park ist für Mark Greif gleichermaßen ein Symbol für die Auflösung der Institution Public Library in den USA allgemein:

„Die Bibliothek von Zuccotti Park ist in derseben Weise in den Müll gewandert, wie auch andere Bibliotheken in den USA verschwinden. Bibliotheken, deren Buchbestände aufgelöst werden, um jene „Technikzentren“ zu errichten, die man aufsucht, um auf Facebook und eBay zu gehen und das Netz nach Steuertipps und Pornographie zu durchstöbern – so wie das andere Bürger in den eigenen vier Wänden tun; und Bibliotheken, die man deshalb schließt, weil man sie bei der städtischen Budgetplanung nicht mehr berücksichtigt hat.“

Abgesehen von der etwas sehr moralisierenden Spitze auf das konkrete Nutzerverhalten, tritt in diesem Zitat deutlich ein Strukturwandel in der Bibliotheks- und Medienöffentlichkeit zu Tage, der – bisher abgeschwächt – auch in der Bundesrepublik spürbar ist. Dieser nimmt der in der Kombination von digitalen Rückkanalmedien und Ökonomisierung tatsächlich öffentliche Institutionen – Mark Greif erwähnt auch noch die US Post, der so langsam das Verhältnis von infrastrukturellem Aufwand zu Bilanz entgleitet und für die es rührende Rettungsaktionen gibt – zunehmend von der Bildfläche und bevorzugt bestimmte Lebensstilgruppen gegenüber anderen. Dass diese neben höherer Bildung (also idealerweise höherem Einkommen) auch eine größerer Affinität zu bestimmten Erlebnisformen und besonders zum Konsum allgemein aufweisen, liegt in der Natur der Sache.

Denn hinter dieser Entwicklung steckt in gewisser Weise die umfassende Entfaltung kapitalistischer Prinzipien in unser post-traditionellen Sozialsphäre: Mediennutzung und Kommunikation werden privatisiert und in dieser privaten Variante zugleich massiv in ehemals oder noch öffentliche Räume getragen. Digitale Medien tragen zweifellos auch zur Erhöhung von Teilhabechancen bei. Das internetfähige Smartphone ermöglicht es aber auch, in eine Allgegenwart des Geldausgebens zu tauchen. Die digitale Revolution liegt immer auch in den Händen von den Vodafone, Facebook und Apple. Die dominanten Strukturen und Akteure lassen bestimmte Spielräume zu, bauen zugleich jedoch auf die Erzeugung von Abhängigkeiten. Die Instrumente des Personal Branding, der Selbstvermarktung in den Sozialen Netzwerken von XING bis Twitter, totalisieren den Wettbewerb gegenüber der Gemeinschaft. Ein Facebook-Profil und -Netzwerk sind Anlagen des persönlichen (sozialen) Humankapitals und in den AGBs stecken die Spielregeln für Teilhabe an der digitalen Weltgemeinschaft so wie im BGB die für das nationale Miteinander.

Der Buchbestand einer kommunalen Bibliothek lässt sich nicht zuletzt als manifestes gemeinschaftliches Vermögen auch in der Bedeutung potentiellen Orientierungs- und Handlungswissens verstehen. Die digitalen Kommunikationen und Zugriffe auf Medienschnipsel sind dagegen unüberschaubar virtuell, permanent in Veränderung und hinterlassen in jeder Browserverlaufsgeschichte andere Spuren. In der konkreten Nutzung mag der Unterschied gar nicht mal so gravierend sein. Auf der symbolischen Ebene ist es jedoch eine gewaltige Verschiebung. Und das nicht nur, weil in digitalen Netzen jeder Zugriff protokolliert, bewertet und bei Bedarf abgerechnet werden kann.

Das Ersetzen des Eigenwertes der öffentlichen Bibliothek als Baustein der Gemeinschaft durch den Erwartungshorizont der Kosten-Leistungsrechung und Budgetierung führt schließlich bisweilen dazu, dass man sie als obsolet aus den kommunalen Finanzplanungen, die eben weitgehend vordergründig berechenbare Werte heranziehen, einfach streicht. Dadurch aber, dass man dabei eben nicht nur eine städtische Luxusausgabe reduziert, sondern ein grundlegendes Symbol von Gemeinschaft löscht, stützt man bestimmte gesellschaftliche Tendenzen, gegen die sich unter anderem die Occupy-Bewegung ausspricht. Der Stadtkämmerer berücksichtigt diese Dimension naturgemäß in den seltensten Fällen. Er freut sich seiner professionellen Spezialisierung entsprechend, wenn er Kosten externalisieren oder verringern kann. Im Sinne eines sozialen Ausgleichs ist jede Schließung einer Bibliothek aber ein deutliches politisches Signal gegen die Gemeinschaft. Das Verschwinden öffentlicher Räume, von denen öffentliche Bibliotheken eine Variante sind, steht immer auch für das Verschwinden einer Alternative zum rein Ökonomischen. Nach der Erosion von Tradition und Glauben bleibt uns dahingehend nicht mehr viel. Die Occupy-Bewegung in den USA versucht sich nun einen solchen Raum zurückzuerschließen und – so Mark Greif – an die Idee der Demokratie in Amerika wieder ernsthaft anzuschließen. „Aber kann [...] das“, so der Essayist, „überhaupt gelingen ohne unsere Bibliothek, ohne die Bücher, die wir liebgewonnen haben und die unsere Spuren tragen, ohne einen Ort, an dem wir Fremde treffen können, die dieselbe Idee von Amerika haben wie wir, ohne den Anspruch auf ein kleines Fleckchen Land, kurz: ohne unseren Park?“

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