IBI-Weblog » Ethik http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Wieviel Ethik braucht das Fach? Zu einer möglichen Diskussion. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9198/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9198/index.html#comments Mon, 12 Dec 2011 13:02:27 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=9198 Es ist (aus verschiedenen Gründen und leider) nicht mehr oft der Fall, dass sich im IBI-Weblog noch inhaltliche Debatten entfalten – so selten, dass sogar der Direktlink von der umgestalteten Homepage des Instituts verschwunden ist. Ein Beitrag von Alexander Struck deutete allerdings jüngst wieder einmal an, wie Themendiskussionen in Weblogs entstehen können und da das [...]]]>

Es ist (aus verschiedenen Gründen und leider) nicht mehr oft der Fall, dass sich im IBI-Weblog noch inhaltliche Debatten entfalten – so selten, dass sogar der Direktlink von der umgestalteten Homepage des Instituts verschwunden ist. Ein Beitrag von Alexander Struck deutete allerdings jüngst wieder einmal an, wie Themendiskussionen in Weblogs entstehen können und da das Thema Berufsethik bzw. ebenso die Frage nach der politischen Positionierung von Bibliothekaren und Infomationsspezialisten jedes Fachbewusstsein permanent begleiten sollte, möchte ich sie aus dem Kommentar-Thread noch einmal herausheben und zugleich auf einen anderen Beitrag zum Thema hinweisen. Bibliothekare und Informationsspezialisten haben in der Tat ein breites Berufsfeld vom Archiv und Volksbibliothek über Ratingagenturen, Anwaltskanzleien, Suchmaschinenanbieter bis hin eben auch – das war der Ausgangspunkt der Kommentarfolge – zu Geheimdiensten vor sich. Professionalität wird nicht selten unter dem traditionsreichen Wendung “wes’ Brot ich ess, des Lied ich sing” zusammengefasst. Andererseits gibt es Positionen, die darauf bestehen, dass gerade unsere Berufsgruppe mit einem ausgeprägteren ethischen Bewusstsein handeln sollte. Dave Lankes beschreibt dies in einem aktuellen Beitrag in seinem Weblog Virtual Dave so:

“I believe that librarians must be political. That is they must be aware of politics, aid their members in political pursuits, and actively participate in the political process. Now directors of libraries will see this as nothing new, but I believe that all librarians must be politically savvy. Why? Well, let’s start with my definition of politics: politics is the process by which a community allocates power and resources.”

Genaugenommen rückt hier die Polarität mit den Polkappen a) konsequente Dienstleistungsorientierung vs. b) demokratischer Bildungsauftrag in den Mittelpunkt der Betrachtung. Mit Dave Lankes lässt sich hier der Unterschied zwischen den (zu a) Konsumenten und (zu b) den Bürgern als Zielgruppe anbringen:

“Just as a library is product of people (community, librarians, staff), so too is our government. It is the role of librarians to first remind our communities that every citizen is responsible for the performance of our government and that the best elected government is one that is elected in the light of knowledge. This is the difference between citizen and consumer. A citizen is a participant who does not simply vote and forget.”

Natürlich lässt sich ein solch idealistisches Rollenbild berufspraktisch nur in Öffentlichen bzw. öffentlich geförderten Bibliotheken resolut vertreten, also Einrichtungen die mehr oder weniger direkt im Dienst der Allgemeinheit unter der Prämisse einer demokratischen Gesellschaftsidee stehen. Bibliothekare, die die Literaturversorgung beispielsweise in einer Wirtschaftskanzlei übernehmen, dürften sich diesen ethischen Luxus als handlungspraktische Orientierung selbst bei fester innerer Überzeugung vermutlich nicht herausnehmen, jedenfalls wenn er in einen Widerspruch zu den Interessen der Kanzlei führen würde. Der bibliothekarische Berufsidealismus muss in solchen Einrichtungen entweder mit den Ziel des Unternehmens synchronisiert werden oder auf eine rein handwerkliche Standesehre (Die effizienteste Informationsvermittlung, die machbar ist o.ä.) beschränkt bleiben. Dabei stehen Bibliothekare auch in solchen Fällen in gewisser Weise im Dienst einer Community, allerdings einer mit bisweilen sehr konkreten Zielen. Dieser Umstand macht derartige Beispiele auch zu guten Szenarien in der Nussschale, an denen man die Vertracktheit des Problems erörtern kann.

Wenn die Kommentarin Anja nun schreibt:

“Naja, wenn man LIS studiert, um beim CIA andere Menschen auszuspionieren…..ich weiß nicht. Dann wäre ich lieber arbeitslos als das…”

dann adressiert sie sicher einen Extrempunkt, der formal allerdings auch im Auftrag der demokratischen Idee bzw. der Interessen von hinter dieser stehenden Institutionen agiert.

Letztlich befinden wir uns hier in einem Übergangsraum, dessen Grenzen nicht leicht bestimmbar sind. Die simpleste Antwort ist sicher, dass man nur in einer Organisation eine Stelle annimmt, wenn man sich mit deren übergeordneten Zielen zu identifizieren vermag – was übrigens für beide Seiten die beste Variante darstellt. Da die meisten Absolventen des IBI, wie eine aktuelle Verbleibstudie ergab, in wissenschaftlichen Bibliotheken unterkommen, dürfte ihnen die Gewissensfrage in dieser Hinsicht erspart bleiben und ein demokratisch-politisches Engagement, wie es sich Dave Lankes wünscht, mit dem Arbeitsalltag vereinbar sein. Andererseits könnte man natürlich fragen, ob die von Dave Lankes vertretene Ausrichtung, die einen bestimmten normativen Konsens einfordert, überhaupt so allgemeingültig sein kann, wie es scheint:

“The quest for a better community and a better tomorrow requires the most fertile of grounds.”

Hier knackt die Grundlage weg, sobald man sich an die Konkretisierung wagt. Denn davon, was eine bessere Gemeinschaft und ein besseres Morgen sein können und könnten, gibt es – dank der in einer demokratischen Gesellschaft verfassungsrechtlich verankerten Meinungsfreiheit – doch sehr unterschiedliche Vorstellungen.

Alexander erweitert in seinem Kommentar die Grundfrage auf die Bibliotheks- und Informationswissenschaft:

“Sollte auch die LIS Forschung ueber ihre gesellschaftliche Verantwortung reflektieren? (Bsp. User Tracking etc)”

Als Ja-Nein-Frage gelesen ist die Antwort darauf eindeutig. Geht es jedoch um das Wie, dann wird es auch hier schwieriger. Die Berufsethik ist dann betroffen, wenn wir davon ausgehen, dass die Bibliotheks- und Informationswissenschaft entsprechende Leitlinien erarbeiten soll, darf und kann, also als eine die Praxis unterstützende Gesellschaftswissenschaft agiert. Das Beispiel User-Tracking weist dagegen in Richtung Forschungs- und Wissenschaftsethik.

Gäbe es am Institut ein dezidiertes Seminar zum Thema und wäre ich dessen Dozent, würde ich gleich in der ersten Sitzung zunächst einmal das Problem mit der Frage einhegen, welche Themen, technischen Entwicklungen und Forschungsfragen ebenfalls unter dem Verdacht stehen, ethisch wenigstens zweischneidig zu sein? Inwieweit das vielleicht sogar bereits Thema im Seminar “Information und Gesellschaft” (51 806) war, entzieht sich meiner Kenntnis, ist aber im nächsten Flurgespräch mit der Dozentin bestimmt Gegenstand einer kleinen Anfrage. Die Ausrichtung stimmt laut Kursbeschreibung jedenfalls:

“Ziel der Vorlesung ist eine Sensibilisierung für die Wechselwirkung von Information und Gesellschaft. Die Studierenden erhalten auf nationaler und internationaler Ebene ein Orientierungswissen über die wesentlichen Akteure des BI-Bereichs, einschließlich Wissenschaft und Bildung. Am Ende der Vorlesung sollen die Studierenden in der Lage sein, die Bedeutung von Informationspolitik, -recht und -ethik beurteilen zu können.”

Abgesehen davon scheint die Frage auch unabhängig von der jüngsten Verkündung des Internetanalysten George Colony, wir würde uns in die Phase des “Post-Social-Web” begeben, in jedem Fall relevant genug, um hier trotz allgemeiner “social media fatigue” und “social saturation” weiter diskutiert zu werden. Und wer lieber ein richtiges Diskussionspapier daraus machen will, kann sich gern an redaktion@libreas.eu wenden. Auch wenn die Ausgabe zum Thema Ethik und Zensur erschienen ist, bleiben die damit verknüpften Fragen, Herausforderungen und Widersprüche dauerhaft bedeutsam genug, um immer wieder auf die Agenda zu gelangen.

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Die elektronische Ethik. Das E-Book vom Guardian betrachtet http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6573/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6573/index.html#comments Sat, 07 Feb 2009 11:12:01 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6573 Die E vs. P-Debatte in der Tagespresse rotiert eifrig weiter. Gestern las man auf faz.net davon, dass das Papier von heute das Vinyl von morgen und also eher etwas für Nostalgiker in der Nische der Medienlandschaft ist (sh. auch hier). Heute verlinkt Najko auf seiner Facebook-Pinwand in den Guardian, in dem die britische Schriftstellerin Naomi [...]]]>

Die E vs. P-Debatte in der Tagespresse rotiert eifrig weiter. Gestern las man auf faz.net davon, dass das Papier von heute das Vinyl von morgen und also eher etwas für Nostalgiker in der Nische der Medienlandschaft ist (sh. auch hier). Heute verlinkt Najko auf seiner Facebook-Pinwand in den Guardian, in dem die britische Schriftstellerin Naomi Alderman – immerhin fast selbst aus der Generation der Digital Natives, in jedem Fall Bloggerin – sich über ihren Iliad beugt und sinniert, ob E-Book-Reader möglicherweise nicht die ethisch korrektere, weil grünere Alternative zum Taschenbuch sind: Library of the future.

Auch hier ist es beinahe interessanter auf den Stil zu achten, als auf den Inhalt: Sie gibt sich gleich eingangs als eine Bekehrte (“I never used to believe in ebooks.”) und holt den als typisch antizipierten Guardian-Leser dort ab, wo sie ihn vermutet. Bei seiner Skepsis. Im nächsten Schritt preist sie noch einmal Wert und Schönheit der Buchkultur, die Sinnlichkeit des Gegenstands und die damit verbundene positive Wirkung. Dies zeigt sich ihr aber im Konkreten als verklärte Nacht. Beim Lichte gesehen ist der Glanz dahin:

Printed books are not what they were; many are cheaply produced, smell peculiarly of chemicals, and bow or split before you’ve even finished reading them. Many of my parents’ books, paperbacks bought in the 1960s and 1970s, are now unreadable: the glue in the spines has turned to brittle flakes, the pages are yellowed and fall out as soon as you open them. I always thought I’d keep my books for ever but it begins to be clear that they, like so many other products, have a built-in obsolescence.

Das Buch ist nicht mehr, was es einmal war. Es ist im Taschenbuchbereich ein holzig anmutender Gebrauchsgegenstand zur einmaligen Nutzung. Tatsächlich besteht erfahrungsgemäß ein buchkultureller Unterschied hinsichtlich der Qualität der oft vergleichsweise teuren Taschenbüchern deutscher Produktion und dem, was man am Regal für fremdsprachige Literatur entdeckt. Es ist eine kleine, aber interessante  Differenz in Gestaltung, Material und Verarbeitung. Die Taschenbücher aus dem Insel-Verlag sind auch nach drittem Durchgang lesenswert, wogegen die Pocket-Book Ausgabe des Lost Horizon, die hier neben mir gerade aus der Regalreihe auftaucht, durchaus das erfüllt, was Naomi Alderman schildert. Die deutschen Verlage, die sich auf dem E-Book-Markt profilieren wollen, sollten also zunächst einmal die Qualität ihrer Druckausgaben auf britisches Taschenbuchniveau senken. Dann wird nämlich der sinnliche Unterschied zwischen dem Lesegerät aus Papier und dem Lesegerät aus Elektronik eher so positiv für Letzteres sprechen, wie es im Artikel aufscheint:

Meanwhile my iLiad ebook reader is sleek and beautiful. It’s a pleasant object to hold, and with its useful page-turning bar, one-handed reading is simple. The matt non-backlit screen is easy on the eye, the design is elegant and unfussy, and it is simple to make notes in the text using the stylus, or to make the font larger or smaller.

Wer solch ein Wunderwerk der Lesetechnik in den Händen hält, dem kommt die Bindung zum Gedruckten etwas “childish” vor. Denn: Das Wort ist Wort in welcher Form auch immer. Wenn die bekehrte Autorin mit dem Iliad durch die Zirkel ihrer Peer Group zieht,  erweist sich als beste Vertreterin für das Gerät. Die “bookish people” sind überzeugt und wollen es auch: “I need one of these.”

Bei der FAZ wäre der Artikel vielleicht jetzt zu Ende, denn es ist schon verraten, dass allein die innere Ausstrahlung eines schönen, simplen Lesegerätes auch eingefleischte Liebhaber des gedruckten Buches überzeugt:

If these people take to the ebook reader with ease, the future of books may indeed be electronic.

Im Guardian reicht das Argument allerdings noch nicht, zumal man sich in der Rubrik zum ethischen Leben befindet. Das Überlegen sein durch Handlichkeit wird daher zeitgeistnah mit der Ökobilanz verknüpft. Naomi Alderman gibt zunächst einmal zu, dass dies nicht einfach zu bewerten ist, rechnet dann aber durch, dass die elektronischen Bücher weniger Co2 in die sich erwärmenden Atmosphäre stoßen. Dagegen ist im Einzelstück nichts einzuwenden. Da wir aber unser elektronisches Lesen oft in ein permanentens Online-Leben einbinden, dass ständig Server in aller Welt erhitzt, könnte man diesen  Bogen gern auch mal auf den Digital Lifestyle an sich spannen. Man muss natürlich nicht, denn nur den Reader zu nutzen, heißt nicht zwangsläufig, dass man das Internet öfter als zum Download der Bücher benutzt.

Als zurecht problematisch erscheint der Autorin dagegen das Lesegerät selbst, welches irgendwann als Elektroschrott in den Sondermüllbehälter fällt. Bei der Entsorgung punkten die Bücher aus Papier nach wie vor.

Als zweites ethisches Problem wird der Albtraum der Kreativindustrien, das Raubkopieren, genannt. Hier ist die Lösung für die optimistische Schriftstellerin zweigeteilt und sehr, sehr simpel. Einerseits sieht sie die Verlockung zur Piraterie gesenkt, ” as long as publishers act now to allow people to buy ebooks cheaply online.” Siehe dazu hier. Andererseits ist das Beispiel der Musikindustrie aufgrund der unterschiedlichen Zielgruppen nach ihrer Ansicht kaum für den Buchmarkt gültig:

Seekers of new literature tend to be older, with less time but more money to spend.

Jenseits der Ethik, die tatsächlich hinter der etwas großspurigen Überschrift mit zwei Absätzen zu ihrem Recht gekommen ist, sieht sie das zweifellos gegebene Potential, E-Book-Texte interaktiv zu gestalten und: “The ebook could become a whole new art form.” Dazu muss es aber rückkopplungsfähig sein. Beim Iliad ist dies noch nicht übermäßig ausgeprägt.

Für Naomi Alderman dürfte sich daraus ein Dilemma ergeben: Sie plädiert dafür, dass wir aus der Welt des gedruckten Buches übernehmen, Bücher gemeinhin nur schweren Herzens in den Container zu werfen. Dasselbe sollten wir auch bei unseren Lesegeräten beherzigen – was sich bei den aktuellen Einstiegspreisen ohnehin ergeben düfte.

Nun setzt die Entwicklung hin zu einer interaktiven art form letztlich doch Produktinnovation voraus. Auch die Hersteller der Geräte werden wenigstens im Ansatz darauf hoffen, dass die Zielgruppe ihre Reader, Iliads und Kindle ab und an erneuert, denn davon leben sie. Naomi Alderman sieht mit ihrer der Wegwerfgesellschaft entgegentretenden Ethik dagegen einen anderen Wirtschaftszweig im Aufwind: “the ebook repairer.” Um die Technik aber auf dem Stand zu halten, der das Innovationspotential nutzbar macht, müssten sich zu den Reparturannahmestellen für elektronische Bücher notwendig auch Tuning-Studios gesellen. Ob die Hersteller soweit gehen, dass sie sich ihre Produkte freimütig aufbohren und upgraden lassen, daran zweifelt man auch als Optimist.

In der Zusammenfassung scheint es eher so, als wäre es besser, den ethischen Deckmantel gänzlich beiseite zu lassen und etwas nüchterner und konfliktbereinigter an die Sache heranzutreten. Die Eigenwerte der jeweiligen Medienform herausstellen ist sinnvoll. Sie aufzurechnen eher nicht. Ein Produkt dem anderen gegenüber abzuwerten folgt zumeist der klaren Intention, dass überlegene entweder am Markt zu halten oder in diesen hineinzubringen. Es ist das Prinzip des Verkaufsgesprächs und interessanterweise agieren Journalisten als die Vertreter. E-Book-Reader benötigen keine Rechtfertigung. Sie sind da und funktionieren in ihrem Rahmen. Bücher auch. Die “Library of the future” weiß dies hoffentlich und wird aus beidem bestehen.

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