Die Bibliothek, wie sie die anderen sehen. Heute: Rainer Friedrich Meyer, Antiquar in Berlin

Bibliotheken und Archive strahlen nur eine mehr oder weniger gediegene, verbeamtete Langeweile aus. An ihnen wird sich unsere Kultur nicht erneuern.

Aus dem Tagebuch eines Antiquars bzw. dem Börsenblatt, dass diese bemerkenswert pauschale aber sicher nicht ungewöhnliche Sichtweise heute übernimmt: Ein Wort zum Sammeln, aus gegebenem Anlass. Der Antiquar Rainer Friedrich Meyer attackiert die in seinen Augen sehr hamster- und einschlussaffinen Bibliotheken (und Archive) interessanterweise mit dem Argument, dass Archivgüter und andere Materialien unbedingt aus diesem “Bannkreis” in einen anderen, nämlich den der Antiquariatswelt, verbracht werden sollten. Grund: Bibliotheken und Archive sind per se unfähig, hochwertige Materialien angemessen zu bearbeiten – heißt: zu sammeln, zu erschließen und verfügbar zu machen. Besser ist daher eine breite Streuung, im Idealfall natürlich über den Antiquariatsbuchhandel, denn:

Kultur bleibt nur lebendig, wenn möglichst viele direkt und unmittelbar an ihr teilhaben[..]

Darum, so Meyer, muss man handeln, und zwar mit den Unikaten selbst. Dass allerdings bei einem Unikat, welches denn einmal zu einem idealerweise hohen (und für Bibliothek und Archive nicht zu bezahlenden) Preis von der einen Hand – der des Händlers – in die andere – die des Kunden übergewechselt ist, die “direkte und unmittelbare Teilhabe” für möglichst viele und damit eine “lebendige Kultur” besser ermöglicht wird, als durch eine Bibliothek, in der man immerhin noch im Rara-Saal Zugriff hat (oder die irgendwann doch mal ein Digitalisat anfertigt), darf man durchaus bezweifeln.

Wenn ich mir beispielsweise Nabokovs Lolita in der Erstausgabe bei Olympia Press aus dem Jahr 1955 für schmale 6000-10.000 Euro als Privatperson kaufen würde, läge mir wenig ferner, als dem nächstbesten Interessenten in meine Wohnzimmer einzuladen, damit er auch mal darin herumstöbern kann. Scannen würde ich es auch nicht. Niemand außer mir soll direkt und unmittelbar an diesem Stück Kultur teilhaben. Womöglich sind andere Bibliophile offenherziger. Ich glaube aber nicht sonderlich viele.

Zum Glück kann ich auf die Universitätsbibliothek Frankfurt/Main verweisen, denn dort gibt es wohl auch noch ein Exemplar. Wer die Ausgabe so privat daheim stehen hat, lässt sich leider nicht recherchieren. Man kann eventuell mal bei Dieter E. Zimmer klingeln.. Aber immerhin findet man einige Antiquariate auf einem anderen Kontinent, die es im Lager haben. Man sollte jedoch bei allem Idealismus kaum nicht erwarten, dass diese solche Titel als “Kristallisationskeim” für eine neue Kultur “möglichst vielen” zugänglich machen.

Friedrich Meyers Vorstellung von Teilhabe ist also nicht unbedingt diesselbe, die Bibliotheken pflegen (sollten). Wenn man wie er, warum auch immer, derart auf Konfrontationskurs geht, sollte man vielleicht mit etwas weniger feuchtem Pulver laden. Sonst wird’s nicht mal ein Börsenblattschuß.

0 Responses to “Die Bibliothek, wie sie die anderen sehen. Heute: Rainer Friedrich Meyer, Antiquar in Berlin”


  1. No Comments

Leave a Reply

You must login to post a comment.