Der Verlust der Textkultur: Stefan Weber und das Copy-Pastiche.

13) An vielen Universitäten und Fachhochschulen wird das Ziel der Ausbildung [...] zunehmend ersetzt durch Titelmarketing [...]14) Die Ersetzung des Bildungsziels durch Titelmarketing ging mit dem Einzug des “Kunden-Paradigmas” an Universitäten und Fachhochschulen einher. Und leider ist es nur ein kleiner Schritt vom Kunden zum Konsumenten. Ein Kunde ist grundsätzlich eher jemand, der durch fetzige Animationen und oberflächliche Powerpoint-Aufzählungen berieselt werden will als jemand, der einhundert Seiten selbst schreiben muss. Der Student von heute will unterhalten werden. [...] (Weber, Stefan (2007): Das Google-Copy-Paste-Syndrom. Wie Netzplagiate Ausbildung und Wissen gefährden. 1. Aufl. Hannover: Heise (Telepolis). S.96)

Wie macht es die Welt nur, dass sie immer so passend eins und eins, in diesem Fall das Eingangszitat und diesen Beitrag Elkes, in der Zeit zusammenführt?

Ich hatte heute nachmittag das zweifelhafte Vergnügen, Stefan Webers spätestens im Abschlusskapitel hochpolemische Generalabrechnung mit Kultur- und Medienwissenschaft lesen zu dürfen und die obenstehenden Zeilen sind dann auch in etwa das, was ich aus dem Buch mitnehme. Denn das “Kundenparadigma” lastet bekannterweise auch auf dem Bibliothekswesen.

Ansonsten schlägt der Autor seinem hochlöblichen und sehr notwendigen Anliegen, nämlich eine Sensibilisierung für das “Google-Copy-Paste”-Syndrom bzw. das Eindringen wissenschaftlich fragwürdiger bis inakzeptabler Methoden vor dem Hintergrund des WWW in das Wissenschaftssystem, ordentlich die Beine weg, in dem er praktiziert, was er kritisiert:

“Man hat ein Argument im Kopf (etwa: jenes von der Verbesserung der Welt durch die neuen Medientechnologien), und sucht dann die “stützenden Argumente.”(ebd. S. 143)

Webers Argument lautet (ein wenig zugespitzt), dass es einen von der Nachlässigkeit und Selbstbezogenheit der Medien- und Kulturwissenschaften geförderten Niveauverlust in Sprachvermögen und wissenschaftlicher Qualität gibt, dessen Kernsyndrom das Plagiat darstellt.

Die stützenden Argumente sind eine gut zu lesende Reihe von Beispielen und Anekdoten sowie eine Reihe aus dem Zusammenhang gepflückte Zitate (z.B. ebd. S. 144-147), die als Beleg für die “Bullshit-Diskurse” (in Anlehnung an den anscheinend von Weber sehr geschätzten Harry G. Frankfurt bzw. dessen neckisches Buch – Frankfurt, Harry G. (2005): On bullshit. Princeton NJ: Princeton University Press.) zu einer Argumentationskollage zusammen gefriemelt wird, die teilweise mustergültig das darstellt, was gebrandmarkt werden soll.

Für Weber ist die “Mickymausforschung” (Weber: “Der Begriff “Mickymausforschung” stammt von mir. Damit meine ich unbedeutende Mini-Forschung, Forschung im Briefmarkenformat, wissenschaftlicher Diskurs reduziert auf Sprechblasentexte etc. [...] ebd. Fußnote 256, S. 148″) der Medienwissenschaft in Zusammenwirken mit der Copy-Paste-Arbeitsmethode der Studierenden vor allem eines: “die Verdopplung von Scheiße.” (ebd. S. 147)
Wie steht’s auf dem Klappentext: “Es [das Buch] ist so geschrieben, dass es auch für ein breites Publikum, das die neuen Medien verwendet, eine kritische Lektüre bietet.” So folgt er erstaunlicherweise – als in puncto “Plagiat” Traditionalist wissenschaftlicher Strenge – am Ende einer Linie, die Wissenschaft mit außerwissenschaftlicher Polemik bloßzustellen versucht.

Warum Weber in seiner Dystopie über die “Generation Google-Copy-Paste” und die vier apokalyptischen Reiter Medien “E-Mail, WWW, Chat und Handy” seine Argumentation derart ins Unsachliche eskalieren lässt und sie damit für eine andere als ebenfalls polemische Weiterverwertung sterilisiert, ist für mich auch nach längerem Sinnieren nicht nachvollziehbar. Ein kritischer Diskurs, gerade hinsichtlich der unreflektierten Übernahme von Kundenkonzepten und Edutainment-Ansätzen in der wissenschaftlichen Ausbildung und auch im Bibliothekswesen scheint mir unbedingt notwendig. Die Zuspitzung “Vom Buch zum Bullshit oder: Wie sich Content in Exkrement verwandelte” verfehlt dagegen m.E. leider völlig das Anliegen.

Wenn ich mich das nächste Mal während einer “Informationsdiät” (ebd. S. 157) ganz “naturromantisch [...] auf die Wiese lege”, um ein Buch von vorne bis hinten langsam und mit kritischem Bewusstsein durch[zu]lesen”, dann wird es nach diesem Nachmittag im Humboldt-Innenhof wohl keines mehr von Stefan Weber sein.

2 Responses to “Der Verlust der Textkultur: Stefan Weber und das Copy-Pastiche.”


  1. Wie macht es die Welt nur, dass sie immer so passend eins und eins, in diesem Fall das Eingangszitat und diesen Beitrag Elkes, in der Zeit zusammenführt?

    Weltgeist nennt man das, dachte ich. Also Hegel zumindest. Und die Titanic freut sich, genauso wie du, gerne mal über dessen Schnippigkeiten (hier und hier, zum Beispiel).

    Aber zu Webers Polemik: ich denke, dass steht in einem Zusammenhang mit anderen Polemiken, die – warum auch immer – gesellschaftliche und wissenschaftliche Tendenzen (“Kundenparadigma”), die einem Unbehagen bereiten, relativ umstandslos mit “postmodernen” Wissenschaftsdisziplinen (cultural studies vorallem) und dem “postmodernen” Internet-Kulturen zusammen zu schmeissen und dass als Kritik präsentieren. Wobei letztlich als Ausweg fast immer nur auf alte Bilder der Wissenschaft oder Gesellschaft zurück verwiesen werden kann.
    Ed D’Angelo hat sowas für us-amerikanische Bibliotheken gemacht (Barbarians at the Gates of the Public Library).
    Das ist immer wieder ärgerlich, weil diese Texte letztlich so tun, als wäre es früher besser gewesen und jetzt nur schlechter. Als ob nicht auch heute das kritische Lesen Teil der “Internet-Kultur” wäre, als ob “Mini-Forschungen” nicht schon immer Teil der Wissenschaft gewesen, Kopieren und sich-die-Arbeit-einfach-machen nicht schon immer (im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten) Teil von Wissenschaft war und die “Kundenorientierung” nicht schon bei den reisenden Experimentatoren an den adligen Höfen des 18. und 19. Jahrhunderts hoch im Kurs gestanden hätte. Es steckt schon ein gewisses historisches Vergessen und Verklären der Vergangenheit hinter solchen Polemiken. Was oft gerade deshalb ärgerlich ist, weil die angesprochenen Tendenzen ja doch kritisiert werden müssten. Aber doch nicht so. Und vor allem: wozu? Damit ich mich auf die Wiese lege und ein Buch lese?

  2. 2Micha

    Ein Buch muss verkauft werden. Dazu benötigt man Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit gewinnt man durch Provokation. Das ist alles.

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