IBI-Weblog » Wissenschaftsfreiheit http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Das Protestensemble: Jens Bisky berichtet in der SZ über eine DFG-externe Veranstaltung zur Zukunft der DFG. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8932/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8932/index.html#comments Mon, 04 Jul 2011 11:36:22 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8932 “‘Fünf gegen die Deutsche Forschungsgemeinschaft’ hätte die Vorstellung heißen können, die am Freitag im Foyer des Berliner Ensembles gegeben wurde.” Und wir hätten die Veranstaltung des Heidelberger Instituts für Textkritik um Roland Reuss und Uwe Jochum gern besucht. Aber manchmal schiebt sich etwas anderes dazwischen und so sind wir auf den Bericht Jens Biskys im [...]]]>

“‘Fünf gegen die Deutsche Forschungsgemeinschaft’ hätte die Vorstellung heißen können, die am Freitag im Foyer des Berliner Ensembles gegeben wurde.”

Und wir hätten die Veranstaltung des Heidelberger Instituts für Textkritik um Roland Reuss und Uwe Jochum gern besucht. Aber manchmal schiebt sich etwas anderes dazwischen und so sind wir auf den Bericht Jens Biskys im Feuilleton der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung angewiesen. (17000 Anträge, 2000 Liter Wasser, S. 12)

Es ist bedauerlicherweise nicht bekannt, ob die Wut-Bürger-inspirierte Neuschöpfung Wut-Wissenschaftler von Jens Bisky oder von der sprachgewandten Feuilleton-Endredaktion der SZ stammt. Die Wendung selbst als Ausdruck für um die Wissenschaftsfreiheit mit öffentlichkeitswirksam artikuliertem Protest loskämpfende Akademiker ist zwar nicht elegant aber be- und überhaupt merkenswert. Allerdings ist Jens Bisky, der durch die Feuilleton-Sichtungs-Redaktion von Perlentaucher.de zum Sympathisanten der Ensemble-Session erklärt wurde, von vornherein eher skeptisch ob eines möglichen Erfolges:

“Sie artikulierten ihre Wut: einseitig, parteilich und in der Hoffnung, damit eine überfällige Debatte auszulösen. Bewusst war niemand von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeladen worden, auch kein anderer, der hätte opponieren können.”

Er bestätigt damit eine generelle Wahrnehmung, die man gerade bei dieser internen Argumentationsgemeinschaft häufiger antrifft: Die Diskutanten haben sich ihre Thesen zwar verschiedentlich bestätigt. Es kommt aber darauf an, sie in eine allgemeine Diskussion einzubringen. Privatdiskurse sind legitim und wichtig, neigen aber dazu, kein wirkliches Momentum zu erzeugen. Sondern höchstens freundliche Einspalter im Kulturteil der Tageszeitungen neben einem Foto von Tom Hanks in kurzen Cargos. Oder eine Handvoll Blogbeiträge. Der Text Jens Biskys ist dabei eigentlich ganz schön und weist nicht völlig grundlos auf den Aspekt hin, dass der Selbstdarstellung der DFG eventuell mehr Selbstreflexion hinsichtlich des Anspruchs Authentizität nicht schaden würde, die die nüchterne Wissenschaftsöffentlichkeit mehr goutiert, als die Werbesprache, mit der ein Journalist schnell einen wirklich unbeliebten Vergleich ziehen kann:

Der Jahresbericht 2010 läse sich, so Bisky, wie “eine Propagandabroschüre nach sowjetischem Vorbild”.

Ob dieser Vergleich angesichts des laufenden Deutsch-Russischen Jahr für Bildung, Wissenschaft und Innovation aber wirklich nötig war? Mal sehen, was Jens Bisky zur DFG-geförderten “Woche des Jungen Wissenschaftlers” im September in Kasan, Geburtsstadt einer ganzen Reihe von Größen der sowjetischen Naturwissenschaft, sagt.

Dass der DFG-Jahresbericht mit einer kruden Kombination aus Zahlen und Trinkwasserverbrauch aufwartet, hat allerdings mehr mit der in einer  Bilanzrhetorik zu tun, die sich als hilfloses Ausdrucksmittel einer marktwirtschaftlich gewendeten Wissenschaft voller Evaluations- und Legitimationsvorgaben immer wieder in institutionellen Selbstdarstellungen niederschlägt. Hinter diesem Zahlenschleier findet sich nichts anderes als die Aussage: Wir machen viel. Und die wird ja wohl durchgängig erwartet. Es gibt weder Grund “einzuschlafen oder rappelig zu werden” noch, wie Roland Reuss es der Wissenschaftscommunity unterstellt, mit “Anpassung, melancholische[r] Gleichgültigkeit oder einverstandene[m] Zynismus” zu reagieren.

Wenn Bisky über die DFG schreibt: “Sie ist also verfasst wie der ADAC oder ein Kleingärtnerverein.”, dann verwundert, dass er sich wundert, wenn ihre Berichte dazu passend verfasst sind. Man muss sich einfach sagen: Hier versucht sich jemand nicht unbedingt hinreissend an einem Werbetext für die Öffentlichkeit. Wem bekannt ist, mit welchem Stilbewusstsein professionelle Texter dieser häufig begegnen (einfach, anschaulich, kurze klare Botschaften), der entdeckt darin aber nicht mehr Propaganda als im Gros der Schriften, die zum Wohle der Public Relations deutscher Vereine und Unternehmen zusammengeschrieben werden. Kein Sowjet weit und breit.

Man könnte nur diskutieren, ob die Form der Inhaltsdarstellung einer Wissenschaftsorganisation würdig ist, die das wohlausgewogene Wort, die Redekunst und Begriffsschärfe als entsprechende spezialisierte Funktionseinheit der Gesellschaft zu reflektieren in der Lage sein sollte wie sonst höchstens noch die überregionale Tagespresse. Hier aber in die Schublade der Planwirtschaftspropaganda zu greifen, entspricht schon einem albernen Kanönchen, mit dem man auf einen Ziervogel zielt. Und verfehlt den eigentlichen Spatzen.

Denn weitaus problematischer ist, dass man über keinen Link auf der DFG-Seite zum 2010er oder 2009-Bericht findet, sondern nur zu einer Mitteilung:

Die angeforderte Seite http://www.dfg.de/ jahresbericht/ index.jsp konnte nicht gefunden werden.

Ich lasse die Verknüpfung für den Fall aktiviert , dass es später wieder einen abrufbaren Inhalt dahinter gibt.

Für mich scheinen zwei Punkte des Artikels aus der Süddeutschen besonders relevant:

Erstens: “Im Berliner Ensemble stieß auch der von der DFG massiv geförderte Wandel zur ‘E-Science’ auf Kritik. Er gehe, so Uwe Jochum, zu Lasten der Bibliotheksetats, da die Universitäten Open-access-Publikationen mit 25 Prozent fördern müssen, wenn sie DFG-Gelder erhalten wollen. Man greife in die Etat-Hoheit der Universitäten ein, sie würden digital ferngesteuert. Nun ist es etwas albern, sich gegen die digitale Revolution zu stellen. Wenn die DFG dafür sorgt, dass Digitalisierung und Internet-Publikationen mit mehr bibliothekarischem Sachverstand erstellt werden, als dies die Analphabeten von Google tun, kann sich der Leser nur freuen.”

Ich plädiere nachhaltig dafür, den ebenfalls mehrdeutigen Begriff der Revolution in Verbindung mit digital nur dort zu verwenden, wo es wirklich revolutionär zugeht. E-Science ist in vielen Fällen vor allem die Fortsetzung der Printkultur mit neuen medialen Möglichkeiten und daher passt digitale Wandlung möglicherweise besser und entschärft nebenbei rhetorische Blitzschläge, die – einmal die Kiste des sowjetischen Vorbilds aufgerissen – die Zusammenkunft am Schiffbauerdamm als weißgardistisches Geheimtreffen erscheinen lässt, mit dem man aufrecht und stolz der pikanterweise in Bonner Hinterzimmern eingefädelten digitalen Fernsteuerung und also einer – Achtung! Best-of der Rhetorik der letzten zwei Jahre -  e-bolschewistisch geprägten staatskapitalistischen Planwissenschaft entgegen tritt, die mit digitalem Jakobinismus die Wissenschaftsfreiheit und ihre Ausdrucksformen im Förderfahrstuhl zum Schaffott stecken lässt. Wer weiß, was so sonst auf dem Spielplan des Berliner Ensembles steht, sieht hier Väter Courage am Zug. Oder, wenn man böswillig ist,: Claus Peymann kauft sich eine Posse.

Solch ein Konfettiregen der Kampfbilder ist zwar höchst unterhaltsam. Aber auch niedrigst zielführend. Im Übrigen ist nicht davon auszugehen, dass bei Google Analphabeten am Werk sind, denn dazu plündert das Unternehmen zu systematisch den Arbeitsmarkt nicht zuletzt von hochqualifizierten Absolventen der Library and Information Science (LIS)-Studiengänge. Nur geht das Digitalisierungsteam aus Mountain View beim Digitalisieren im Unterschied zu den meisten bibliothekarischen Projekten erst einmal pragmatisch und konsequent auf Masse. Wenn der Korpus steht, kann man in nahezu beliebiger Komplexität nachjustieren, clustern und relationieren. Darin, nicht in den schludrigen Scans, liegt eine viel erschreckendere Faktizität des Google Books Project: Das Unternehmen digitalisiert nicht die Medien, sondern das, was manche das gedruckte kulturelle Gedächtnis des Abendlandes nennen. Allein schon die automatisierte Auswertung von bibliografischen Kopplungen und Proximitäten zwischen einzelnen Akteuren birgt ein ungeheures Potential zur Optimierung der Erschließung und entsprechend verbunden mit der Auswertung der Nutzungsgewohnheiten dieser Inhalte den Grundstock für grandios schillernde Filter Bubbles, in denen durchleuchtete Webnutzer ihr binarisiertes Leben vollziehen. Das wäre dann vielleicht eine post-alphabetische Welt.

Abgesehen davon freut man sich natürlich über jede positive Würdigung bibliothekarischer Kompetenz in den Medien.

Der zweite Punkt ist für die Wissenschaftsdebatte relevanter, denn er verweist auf das Problem, dass allzu starke Abhängigkeiten selten gut sind. Für die Wissenschaft, die möglichst wenig fremdbestimmt agieren sollte, gilt dies umso mehr. Jens Bisky schreibt:

“Allerdings zeigt das Beispiel schlagend, dass die Macht der DFG wesentlich auf der Schwäche der tradierten Institutionen beruht.”

In solch einer Diagnose des Stands der Wissenschaftslandschaft fände die Diskussion um die Wissenschaftsförderung in Deutschland in der Tat einen angemesseneren Ansatzpunkt. Denn dass die Wissenschaftsprogramme an den Universitäten nicht unbedingt in einer Weise handlungsfähig sind, die den Dienst an der Gesellschaft ermöglicht, den die Gesellschaft von einer zeitgemäßen Wissenschaft zu erwarten hat, nämlich die Gesellschaft (a) in ihren ganzen Verästelungen (Mikroebene), (b) ihren Rahmenbedingungen (Makroebene) sowie (c) den sich daraus ergebenden Wechselwirkungen (Mesoebene) aus diversen Blickwinkeln frei Erkenntnis schaffend zu betrachten, leuchtet jedem ein, der in dieses instutionelle Gefüge eingebunden ist. Wissenschaft bewegt sich immer, dem Motto des Kleistjahrs entsprechend, zwischen den Koordinaten Krise und Experiment. Und selbstverständlich hätte man dabei lieber nur abstrakt wissenschaftsethische Kriterien als Orientierungsmaßstab als auf parlamentarischer Ebene zuweilen sehr einem ungreifbaren Zeitgeist nah beschlossene Forschungsleitlinien, denen man in der Rückkopplung nicht selten stärker mit taktischen Schritten, als mit erkenntnisleitenden begegnet.

Wenn die Zuweisung von bestehensnotwendigen Ressourcen hauptsächlich an Markt- und Wettbewerbsprinzipien angebunden wird, dann entstehen zwangsläufig die üblichen Popularitätseffekte, die nicht in jedem Fall ein ausgeglichenes Funktionieren des Wissenschaftssystems nach dem beschriebenen Anspruch garantieren.

Dass Jens Bisky zum Ende seines Textes resigniert feststellt

“In den vergangenen zehn Jahren haben die Hochschullehrer und Universitätsverwaltungen sehr brav und oft wider die eigene Einsicht alle Reformmaßnahmen hingenommen und umgesetzt: die Verschulung der Studiengänge, den zeitfressenden Wahnwitz der Exzellenzinitiative, die Absenkung der Gehälter. Der Protest im Namen der Wissenschaftsfreiheit des Einzelnen klingt da wie ein Ruf aus ferner Vergangenheit, als man sich um die eigenen Angelegenheiten noch kümmerte.”

ist vor diesem Hintergrund genauso ein falsches Signal, wie, dass die öffentliche Diskurshoheit zu dieser Frage einem kleinen, internen Kreis textkritischer Rhetoriker überlassen wird, die ihre faszinierenden Wortschöpfungen vermutlich gerade deswegen aufwirbeln können, weil sie immer wieder auf den gleichen Argumenten herumdreschflegeln. Man braucht Kritik mehr denn je. Aber sie muss anschlussfähig sein. Es wäre demnach schön, wenn die Debatte zum Dialog erweitert würde. Für die PR-Arbeit wäre es gar nicht verkehrt, wenn gerade die DFG ein entsprechendes Forum unter Einbeziehung konträrer und dissidenter Positionen mitinitiieren könnte. Das wäre dann übrigens auch souverän unendlich fern von wie auch immer gestrickten sowjetlichen Vorbild-Vorwürfen.

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Wo steht die Kuh des Open Access eigentlich? Die FAZ meint: Auf dem Eis. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=7332/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=7332/index.html#comments Tue, 28 Jul 2009 20:55:14 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=7332 “Das heißt aber auch, dass „künftig“, soweit keine Vereinbarung entgegensteht, eine klare Erwartung besteht. Freilich: Es kommt entscheidend auf die Praxis an. Was wird vom Autor gefordert? Kann er sich tatsächlich frei entscheiden? Muss er sich fügen, nur weil öffentliche Mittel im Spiel sind?” Im Feuilleton der Mittwochsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bleibt Reinhard Müller [...]]]>

“Das heißt aber auch, dass „künftig“, soweit keine Vereinbarung entgegensteht, eine klare Erwartung besteht. Freilich: Es kommt entscheidend auf die Praxis an. Was wird vom Autor gefordert? Kann er sich tatsächlich frei entscheiden? Muss er sich fügen, nur weil öffentliche Mittel im Spiel sind?”

Im Feuilleton der Mittwochsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bleibt Reinhard Müller (Die Kuh ist nicht vom Eis. In: FAZ, 29.07.2009, S. 29) gegenüber der nun wirklich sehr deutlichen Aussage der DFG, es gäbe keinen Zwang zur Publikation nach dem Open Access-Verfahren in der deutschen Wissenschaft, skeptisch:

Eine Erklärung von zahlreichen Wissenschaftsorganisationen wird durch den Brief des Präsidenten einer der beteiligten Vereinigungen oder durch eine Tagungsäußerung nicht hinfällig.

Er hält sich dabei betont vage (“Freilich: Es kommt entscheidend auf die Praxis an.”), empfindet die Empfehlungen der Wissenschaftsorganisationen wohl aber durchaus als potentiell eine Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit in sich tragend. Solange die Wahl bleibt, hat er letztlich aber kein Problem. Daneben aber einen Ratschlag, wie die Zeitschriftenkrise – offensichtlich begrenzt auf die Printtitel – zu lösen sei:

“Wer meint, gedruckte Werke seien zu teuer, sollte den Monopolisten auf die Finger schauen und das Wettbewerbsrecht bemühen – dazu ist es nämlich da.”

Man darf gespannt sein, ob diese neuerliche Sensibilisierung die Debatte am laufen hält oder in der Wissenschaftswirklichkeit die Kuh vielleicht doch vom Eis ist bzw. nie darauf war und die Kirche im Dorf bleibt.

Mit der heutigen Ausgabe der Basler Zeitung lässt sich immerhin dagegenhalten:

Open Access oder nicht – das ist längst nicht mehr die Frage, die Bewegung ist ein Megatrend der Wissenschaftswelt, und das ist auch gut so. 90 Prozent der Zeitschriften und Verlage, auch die Giganten, stimmen inzwischen zu, dass bei ihnen veröffentlichte Texte auch auf der Website der Autoren oder einem Universitätsserver stehen – öffentlich und kostenfrei zugänglich. In den meisten Disziplinen sind die Vorteile überwältigend. Und für den Erhalt einiger mittelgrosser Player in unserer Kulturlandschaft müsste sich auch sorgen lassen.

Das Wissen der Welt frei im Netz: Open Access funktioniert.

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Open Access:Das Adenauer-Staatsfernsehen der Wissenschaft? In der FAZ geht’s ums Recht. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6829/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6829/index.html#comments Tue, 28 Apr 2009 21:04:58 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6829 Morgen früh erwartet alle Beobachter der Debatte um den Heidelberger Appell und Open Access in der Rubrik “Forschung und Lehre” der Mittwochsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine kleine Überraschung. Denn jetzt wird die Argumentation juristisch. Der Münchener Arbeitsrechtler Volker Rieble hat sich dem Komplex angenommen, ihn u.a. verfassungsrechtlich durchleuchtet und kommt zu der Einsicht: “Man [...]]]>

Morgen früh erwartet alle Beobachter der Debatte um den Heidelberger Appell und Open Access in der Rubrik “Forschung und Lehre” der Mittwochsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine kleine Überraschung. Denn jetzt wird die Argumentation juristisch. Der Münchener Arbeitsrechtler Volker Rieble hat sich dem Komplex angenommen, ihn u.a. verfassungsrechtlich durchleuchtet und kommt zu der Einsicht:

“Man kann also Roland Reuß und seinem „Heidelberger Appell“ zweifach zustimmen: Der einzelne Wissenschaftler darf nicht einmal „sanft“ an der freien Wahl des Veröffentlichungsmediums für seine Erkenntnisse gehindert werden. Universitäten und Großforschungseinrichtungen haben keine wissenschaftspublizistische Funktion. Wissenschafts- und Pressefreiheit setzen auf freie Autoren und freie Verleger. Das Kosten- und das Sparinteresse des Wissenschaftsverbrauchers rechtfertigt keine Freiheitsbeschränkung.”

Das Argument lautet also, dass es Universitäten “mithin verboten” ist, wissenschaftspublizistisch tätig zu werden. Das bedeutet also, dass Wissenschaftsverlage und von Universitäten publizierte Zeitschriften und erst recht die Repositorien, sofern sie als Veröffentlichungsplattformen gehandhabt werden, nicht nur eine unliebsame Konkurrenz für kommerzielle Verleger darstellen, sondern obendrein gesetzwidrig handeln. Ob dem tatsächlich so ist, liegt zu beurteilen fern meiner juristischen Kompetenz. Ich muss mich zunächst an das halten, was die Zeitung auf und zwischen den Zeilen schreibt. Und so sehe ich: Die Volte, die hier geschlagen wird, ist grandios, denn solch einen argumentativen Angriff aus der schon aufgeschlagenen Deckung hat die Open-Access-Bewegung sicher nicht erwartet. Wie plump dagegen das selbstgerechte Nachtreten Michael Hanfelds, der dem eingestellten Blog medienlese heute im FAZ-Feuilleton auf Schulhofniveau die Nase drehte. Qualitätsjournalismus fast wie beim ARD-Brennpunkt.

Hier sieht man im freien Publizieren, sofern es eine staatliche Forschungseinrichtung subventioniert, einen Anschlag auf die “staatsfreie Meinungsbildung”. Man darf gespannt sein, wann das Bundesverfassungsgericht Open Access-Publikationen über Hochschulserver untersagt. Was bei Publikationen über Hochschulen für Rieble in der Zuspitzung folgt, ist ein Monopol, das geradewegs in die Zensur führt (z.B. “durch Political Correctness”). In gewisser Weise wird hier der Publikationszwang auf OA-Servern, der der Bewegung unterstellt wird, geradezu gewendet. Aber eigentlich möchte auch Rieble Universitätsserver nicht verbieten. Vielmehr sieht er deren Aufgabe eindeutig, wenn auch nicht juristisch, definiert:

“Auch ein eigener (elektronischer) Universitätsverlag für eigene Schriften wie Dissertationen, Habilitationen ist denkbar. Traditionelle Nutzer sind froh, wenn schlechte Dissertationen auf Servern verschimmeln.”

Angriff sei die beste Verteidigung sagt man, und dieser kleine Baustein könnte sich bald in einer weitaus größeren Mauer wiederfinden. Im Anreißer zum Artikel liest man noch “Open Access? Ja, gerne, aber ohne Zwang.” Im Text findet man kein gerne mehr.

Aber noch eine messerscharfe Analyse dessen, was Bibliotheken sind und was ihnen droht:

“Klar ist zunächst eines: Aus der Bibliotheksfunktion lassen sich keine Publikationsrechte ableiten. Eine Bibliothek produziert nicht; sie hat nur Hilfsfunktion. Digitalisierung wird Bibliothekare verdrängen.”

Ob dieser letzte Satz womöglich noch eine verstärkte Aufforderung an die Bibliothekare zum Maschinenstürmen ist? Da hat er die Rechnung ohne die Etatkalkulation gemacht, die jedem Bibliothekar täglich zeigt, dass, wer Monographien kaufen möchte, an Elsevier-Zeitschriften sparen muss. Beziehungsweise umgekehrt. Die Front, die hier aufgezogen wird, verläuft sich hoffentlich im Magazin.

Quelle: Rieble, Volker: Forscher sind nicht normale Angestellte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 29.04.2009 Seite N5

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