Je schlechter, desto lesender. Meint ein Neujahrskommentar in der taz

“Denn die Bevölkerung von Ländern, denen es wirtschaftlich schlecht geht, wird oft geradezu biblioman, sie hält sich an den Texten fest, egal ob auf dem E-Book-Reader, dem iPhone oder auf Papier gelesen. Arme Völker kaufen ihren Kindern Kinderbücher, wenn dann noch Geld übrig ist, kaufen sie Bücher für Erwachsene, wenn nichts mehr da ist, stürmen sie die Bibliotheken.”

Meint jedenfalls Jörg Sundermeier vom Berliner Verbrecherverlag und sagt für 2009 ein Jahr des Lesens voraus. Mehr als die Zeitung von gestern ist heute nach erwartungsgemäß langer Nacht noch nicht machbar gewesen, aber selbstverständlich stimmen wir hoffnungsfroh in das Loblied auf die Lektüre ein, allerdings in puncto “Manie” unter psychohygienischem Vorbehalt und mit dem leise klingenden Verdacht, dass der Verleger sich im Bibliothekswesen “armer Völker”, zu dem das bundesrepublikanisch-deutsche auch bei Verschärfung des wirtschaftlichen Abschwungs im Vergleich bestimmt nicht so schnell zählen wird, kaum allzu kundig gemacht hat.

Obendrein erkennt, wer sich mal mit der Bedürfnispyramide beschäftigt hat, dass es als Begleitmusik zum Verarmen gewichtigere Melodien selbst als die edle Tätigkeit des Lesens gibt. Gehaltvollere, zugegeben, kaum. Andererseits wirkt die Annahme, dass “das Mittelmaß, unwichtige Romane und Erzählungen, die der Kritik und dem Publikum so lange für “wichtig”, “imposant” und “überragend” gelten, wie man es sich leisten kann, über schlecht Nachgemachtes und Überflüssiges zu schwadronieren”, nun keine Chance mehr haben werde, weil das Verständnis der beschädigten Welt nach dem Ende der Überzeugungskraft in der großen Erzählung des globalen Finanzkapitalismus und die korrespondierenden Rückkopplungen auf die unmittelbare Lebenswirklichkeit des Einzelnen, Schlagkräftigeres erfordert, doch reichlich naiv neben den real existierenden Bestsellererfahrungen auch mäßiger weltwirtschaftlicher Zeiten. Wir prüfen mal in einem Jahr nach, wie sehr der in diesen Aperitif für ein Jahr des Qualitätstextes getröpfelte Wermut 2009 durchschmeckt. Die Glosse zum Thema gibt es in der taz: 2009, Jahr des Lesens.

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