Über Widerstand, Fußabtreter und Respekt: Der Börsenverein hat nun eine eigene Urheberrechtserklärung

“Die deutschen Verleger, Buchhändler und Zwischenbuchhändler teilen die im “Heidelberger Appell” ausgedrückte ernste Sorge, dass der fortschreitende Verlust des Respekts vor geistigem Eigentum zu einer dramatischen Verschlechterung der Bedingungen für die Schöpfung und Verbreitung hochwertiger Bücher führen könnte. Sie unterstützen den Widerstand wissenschaftlicher und literarischer Autoren gegen politische Tendenzen, durch die mit dem geistigen Eigentum zugleich die Freiheit von Wissenschaft und Literatur mit den Füßen getreten wird. [...]“

Zum Ende der Buchtage 2009 erlässt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels nun auch seine eigene Resolution zum Urheberrecht und spricht sich dagegen aus, “dass Beschränkungen des Urheberrechts und fehlgeleitete Open Access-Modelle unternehmerische Initiativen ersetzen und verdrängen.”

Wie bedauerlicherweise üblich in der Diskussion geht es auch hier um nichts geringeres als die grundsätzliche Bedrohung des Kulturschaffens (beispielsweise “hochwertiger Bücher”). Als neues Element wird hier auf die nationalökonomische Spezifik der Wissensindustrie in Deutschland – sofern die Resolution mit “ein Land” Deutschland und nicht z.B. das ähnlich ressourcenarme Dänemark meint – beigefügt:

“Ein Land, dessen nahezu einzige Ressource geistig-schöpferische Leistungen sind, sollte international Vorreiter für die Lösung der schwierigen Problematik des Schutzes geistigen Eigentums im digitalen Zeitalter sein und sicherstellen, dass kreativ Tätigen die wirtschaftliche Grundlage erhalten bleibt.”

Wieso aber die Fortschrittlichkeit in diesem Nationenwettstreit ausgerechnet in einer Übertragung der zweifellos sehr elaborierten kulturellen Praxen der Analogverwertung in strukturell grundsätzlich anders funktionierende digitalen Kontexte liegen soll, wird nicht einsichtig. Allein schon die kleine Fixierung auf das Medium “Buch” verweist auf eine gewisste Begrenztheit der Wahrnehmung und vor allem ein Misstrauen dem Kunden/Nutzer gegenüber, das davon ausgeht, dieser würde ein schlechtes Digitalisat einem hochwertigen Buch grundsätzlich vorziehen.
Das macht er aber erfahrungsgemäß nicht, denn ein hochwertiges Buch, was immer das “hochwertig” hier tatsächlich bedeutet, bietet ihm eben einen spezifischen Mehrwert, den eine PDF-Datei nicht besitzt. Und umgekehrt. P-Book und E-Book sind grundsätzlich verschiedene Medien und wenn die Idee nur dahin zielt, dass Digitale zu gleichen Bedingungen wie das Gedruckte zu verwerten, dann befinden sich die Verlage auf einem Holzweg.
Man nimmt verständlicherweise an: Das was die Verlage mit der Erschließung des neuen Marktes zusätzlich einzunehmen und an Druck- und Vertriebskosten einzusparen hoffen, wenn sie eine Datei zum Hardcover-Preis verkaufen wollen, könnten sie am Ende vielleicht wieder durch nicht authorisierte Kopien verlieren. Ob das in der Gesamtrechnung stimmt, ist allerdings schwer belegbar. Denn nicht jeder, der ein Buch als Kopie durchscrollt, hätte dieses auch erworben. Und manch einer erwirbt es erst, weil er beim Durchscrollen feststellt, wie gern er es im Regal hätte. Es wirken also durchaus mehrere verschränkte Verhaltensformen. Dass aber der durchschnittliche Buchkunde, der materiell gesehen weniger Greifbares für dasselbe Geld bekommt und obendrein gern als potentiell Krimineller, den man prophylaktisch mit Nutzungsbeschränkungen maßregeln muss, an einem solchen digitalen Buchmarkt wenig Freude hat, ist dagegen absehbar.

Respekt vor dem geistigen Eigentum ließe sich womöglich besser vermitteln, in dem man auch von Verwerterseite nicht derart extrem demonstriert, dass man es ausschließlich als Ware sieht, die es mit der möglichst größten Marge zu verkaufen gilt.

Vermutlich wird es demnächst eher so sein – und darin liegt eine entscheidendere Gefahr für die Verwerter – dass sich hochwertige Bücherin diesem Zusammenhang besser verkaufen werden, als weniger wertige, bei denen man sich vielleicht tatsächlich mit einer Schnupperpassage auf Google Books begnügt, aus der man dann ableitet, dass der Kauf nicht lohnt. Für manche Verlage bedeutet dies eventuell, dass die Querfinanzierung nicht mehr steht. Bei anderen passt es aber vielleicht wieder. Kulturell wäre ein diesbezügliches wachsendes Qualitätsbewusstsein sicher kein sonderlicher Verlust.

Davon abgesehen würde sich der Börsenverein sicher einen Gefallen tun, wenn er das Schwert, welches er im anstehenden Verteilungskampf um die Distributionsmöglichkeiten im Internet gegen Google schärft, nicht gleichzeitig gegen das schummrige Feindbild Open Access richtet. Der Heidelberger Appell hat sich diesbezüglich auf argumentativen Ebene als schrecklich stumpf erwiesen. Sich wider weithin zugänglicher Information bezüglich seiner an dieser Stelle inhaltlichen Verdrehtheit derart renitent darauf zu berufen, zeugt nicht unbedingt von ausgeprägtem Gegenwartssinn und lässt die Frage offen, ob Deutschlands Kulturschaffen unbedingt auf einem solch lahmen Pferd in die digitale Zukunft reiten sollte.

Gegen eine Weitentwicklung des Urheberrechts ist dagegen nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Gerade das Wissenschaftsurheberrecht sollte hinsichtlich der Bedingungen digitaler Wissenschaftskommunikation dringend eine neue Form bekommen. Freiheit der Wissenschaft bedeutet nämlich eigentlich auch die Freiheit des Wissenschaftlers, seine Erkenntnis per Open Access bekanntzugeben. Dass die Wahrnehmung dieser Freiheit nur durch Einsicht und nicht durch Zwang erfolgt – jedenfalls in einer Kultur, in der sich der Wissenschaftler bei seiner Erkenntnis nicht als bezahlter Dienstleister, sondern hauptsächlich als individueller Schöpfer definiert – hat sich in der Open Access-Gemeinschaft weitgehend herumgesprochen. Beim buchfixierten Börsenverein offensichtlich nur bedingt. Immerhin spricht man relativierend von “fehlgeleitete[n] Open Access-Modelle[n]” (sh. oben). Es gibt also wohl auch richtige. Immerhin ein möglicher Silberstreif am Tellerrand.

Den Volltext der Erklärung gibt es im Börsenblatt: “Keine Zukunft ohne Rechtssicherheit”

6 Responses to “Über Widerstand, Fußabtreter und Respekt: Der Börsenverein hat nun eine eigene Urheberrechtserklärung”


  1. 1Matthias Ulmer

    Da hat Ihr Widerwille gegen alles was mit Verlagen zu tun hat Ihnen ein bisschen den Blick beim Lesen getrübt. Vielleicht kann ich ein paar Dinge zurecht rücken:

    Dass der Börsenverein des deutschen Buchhandels seine Resolutionen auf den Raum beschränkt, für den er zuständig ist, das ist normal oder auch angemessen, die nationalökonomische Beschränkung also eher eine Frage des Respekts. Unsere Kollegenverbände in Österreich und der Schweiz würden sich nicht freuen, wenn man sich anmaßt für sie zu resolutionieren. Und auch den Begriff “Buch” sollten Sie nicht eng verstehen wollen, da etwa die “Buchtage” in Berlin sich fast ausschließlich mit elektronischen Medien befasst haben, der Begriff Buch vom Börsenverein eben gerade nicht papierig sondern durchaus auch elektronisch verstanden wird. Aber das ist eher Kleinkram.

    Grundsätzlicher dann Ihre Kritik, dass der Börsenverein die Praxis der Analogverwertung in den digitalen Kontext überträgt. Nun, das tut er natürlich nicht, denn dass die Verwertung als E-Book oder Lizenzzugriff die gleiche ist wie beim Verkauf von Büchern, das hat doch wirklich niemand behauptet und in der Resolution steht das auch nicht. Wohl aber ist man der Meinung, dass das Urheberrecht auch für Digitalisate oder E-Books gilt. Meines Wissens ist das auch die Position des Bibliotheksverbands, der gerade für die Gleichstellung von Buch und E-Books im Urheberrecht kämpft?

    Ihre weitere Argumentation baut auf einem Verständnisfehler auf, den ich gerne aufkläre: die Verlage verkaufen nicht die Dateien zum Preis des Hardcovers. Da haben Sie die Preisbindung für E-Books gründlich missverstanden. Die Preisgestaltung beim E-Book ist vollständig frei und hat nichts mit dem gebundenen Buch zu tun. Manche Verlage bieten das E-Book zu 70 Cent an, andere auch zu einem höheren Preis als die gedruckte Variante. Es gibt noch keine stabile Preisstruktur, weshalb jeder experimentiert und sich eine Faustregel zurecht legt (wir etwa 75% der preiswertesten gedruckten Version des Buches).

    Nachdem dieser Punkt also aufgeklärt ist, kann man Ihren Text weitgehend überspringen, weil die folgenden Abschnitte alle sich mit den dummen Verlagen befassen, die glauben, sie könnten für eine Datei das gleiche nehmen wie für das Buch. (Dass auch Ihre Annahme falsch ist, dass der Deckungsbeitrag des Verlages beim E-Book höher ist als beim gedruckten, weil er ja nicht drucken muss, das kann ich Ihnen gerne mal ausführlicher darstellen, wenn es Sie interessiert).

    Dann kommen SIe natürlich noch zu Open Access. Der Heidelberger Appell habe sich diesbezüglich argumentativ als schrecklich stumpf erwiesen. Da haben Sie unfreiwillig recht: da ja der Heidelberger Appell über Open Access kein einziges Wort sagt, kann er natürlich dazu auch keine scharfe Waffe sein. Der Appell wendet sich ausschließlich gegen den Zwang zur Publikation in welcher Form auch immer. Ich verstehe, dass Sie den Appell verdreht finden, wenn Sie sich mit seiner Exegese zum Thema Open Access befassen. Es wäre auch mühselig und im Ergebnis verdreht, wenn Sie versuchen würden aus dem Heidelberger Appell herauszulesen, was es am Mittwoch in der Mensa zum Essen gibt. Die Frage ist nur, ob sich dadurch der Appell lächerlich macht, oder eher der Exeget, und wer am Ende das lahme Pferd in die Zukunft reitet.

    “Freiheit der Wissenschaft bedeutet nämlich eigentlich auch die Freiheit des Wissenschaftlers, seine Erkenntnis per Open Access bekanntzugeben.” Da stimmen Ihnen die Initiatoren des Heidelberger Appells und die Hauptversammlung des Börsenvereins freudig zu: Ja! Und wir fassen es noch weiter: in jeder beliebigen Form soll er seine Ergebnisse bekannt geben dürfen, ganz wie es ihm gefällt. So bekennen Sie sich am Ende dieses verwirrten Blogbeitrags sogar noch zum Heidelberger Appell…

  2. Lieber Herr Ulmer,

    besten Dank für Ihrer Erläuterungen, denen ich gern sechs kleine Ergänzungen beifüge:

    1. Ich habe nichts gegen Verlage, schon gar keinen Widerwillen. Ich verstehe nur die Hysterie nicht, mit der im Nacken momentan einige ihrer Vertreter zur Attacke auf Open Access reiten. Und obschon der Heidelberger Appell sich vornehm der direkten Formulierung enthält, hat sein Hauptinitiator an anderer Stelle seine Position wohl ausreichend deutlich gemacht. Über das Essen in der Heidelberger Mensa hat er überraschend nichts geschrieben.

    In der Erklärung, auf die sich der Blogbeitrag bezieht, findet sich “Open Access” dann aber doch. Und zwar mit dem Zusatz “fehlgeleitet”. Netter wäre es aber gewesen, wenn sich die Hauptversammlung des Börsenvereins für richtiggeleitete Open Access-Modelle ausgesprochen hätte. Und gleich erklärt hätte, was sie darunter versteht. Vielleicht kommt das ja noch.

    2. Den Aspekt der “nationalökonomischen Beschränkung” schien mir nicht einmal problematisch – er fiel mir nur eher als längst fälliger, aber seltener gefallener Bezug auf. Denn natürlich eignet sich solch eine Fundierung sehr gut, um die eigene Position zu untermauern. Auch wenn sie in ihrem Pathos recht kurios erscheint.

    3. Schon die Metapher “E-Book” ist m.E. eine unglückliche. Dass mir die Simulation des gedruckten Buches im elektronischen Raum nicht sonderlich sinnvoll erscheint, habe ich in diesem Blog bereits mehrfach geschrieben. An dieser Stelle kann man sicher geteilter Meinung sein. Ich denke aber, dass darauf eine Reihe von Fehleinschätzungen in der Debatte beruhen.

    Ein E-Book, dass rein den Text abbildet, sich aber sonst den Möglichkeiten der digitalen Nutzung inklusive Kopierbarkeit entzieht, erscheint mir unsinnig. In diesem Fall bietet es keinen in meinen Augen sinnvollen Mehrwert gegenüber der Druckausgabe, sondern ist dieser, da es auf ein zusätzliches Wiedergabegerät angewiesen ist, sogar unterlegen. Ich bin mir durchaus sicher, dass es auch andere, der Digitalität gerechter werdende Formen elektronischer Texte gibt und geben wird. Momentan scheinen sich die meisten Verlage, die sich mit E-Books befassen, weitgehend auf identische E- und P-Parallelpublikationen zu konzentrieren. Wie sehr dies funktioniert, wird der Markt entscheiden. Ich als vermutlich durchschnittlicher Buchkäufer und zugleich halbwegs “Digital Native” fühle mich von bestehenden Angeboten jedenfalls kaum angesprochen.

    4. “Angesichts hoher Investitionen und der Wertigkeit der vertriebenen Inhalte sollte man E-Books nicht billiger verkaufen als eine Hardcover-Ausgabe” (vgl. hier). Womöglich ist diese Position aus dem Herbst letzten Jahres überholt oder Random House gehört zu den von Ihnen so bezeichneten “dummen Verlagen”. Aber ähnliche Stimmen finden sich zahlreich. Natürlich ist die Diskussion nicht abgeschlossen, aber die für breite Kundengruppen relevanten Verlage tendieren nach meiner Wahrnehmung nicht unbedingt dazu, Tiefpreisangebote auf den Markt zu bringen. Den “Deckungsbeitrag des Verlages beim E-Book” dürfen Sie mir natürlich gern darstellen. Es interessiert mich tatsächlich.

    5. Dass ich kein Freund von Zwängen jedweder Art bin, heißt nicht, dass ich mich zum Heidelberger Appell bekenne.

    6. Abschließend noch einmal auf den Punkt: Mich stört überhaupt nicht, dass das Börsenverein die Position der Verwerter mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auszubauen versucht. Mich irritiert allerdings, wenn er sich mit dem Open Access-Ansatz ein Ziel sucht, das so gut wie keinen Publikumsverlag betrifft und mit dem sich Wissenschaftsverlage durchaus arrangieren könnten. Mich stört, dass man den Open Access-Ansatz immer wieder neu im öffentlichwirksamen Diskurs in eine Schüssel mit dem mit deutschen Vorstellungen wenig kompatiblen Urheberrechtsdehnung durch das Google Book-Projekt und schließlich mit Internetpiraterie wirft.
    Diese Dinge haben wenig miteinander zu tun. Durch die Konfrontation schlägt man aber so manche Tür dort zu, wo man im Dialog vielleicht ganz einfach eine sinnvolle Lösung erreicht hätte. Und natürlich stört mich die Kulturnotstandspanik und der Alarmismus, mit der das Ganze von Heidelberg bis zu den Buchtagen vorgetragen wird.

    P.S. Passenderweise liefert Rüdiger Wischenbart im Virtualienmarkt heute eine weitere Exegese des “Heidelberger Appells”: Jenseits von Heidelberg.

  3. Wie mir gerade gemeldet wird, gibt es sogar eine Definition von “fehlgeleiteten Open-Access-Modellen”:

    Es ist für mich aus dem Wortlaut heraus logisch, dass damit Modelle gemeint sind, bei denen durch öffentliche Mittel nicht nachhaltige und nicht wirtschaftliche Angebote geschaffen werden, die schon bestehende Angebote verdrängen oder wirtschaftliche Initiativen im Keim ersticken.

    – In der Diskussion zur Resolution beim Börsenblatt.

  1. [...] Fußabtreter und Respekt: Der Börsenverein hat nun eine eigene Urheberrechtserklärung http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=7181 [...]

  2. [...] Über Widerstand, Fußabtreter und Respekt: Der Börsenverein hat nun eine eigene Urhebe… Diskussion zur Erklärung des Börsenvereins von Ben Kaden und Verleger Matthias Ulmer (tags: Urheberrecht Heidelberger_Appell kommentar Börsenverein Ben_Kaden IBI_Weblog) [...]

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