Wieviel Ethik braucht das Fach? Zu einer möglichen Diskussion.

Es ist (aus verschiedenen Gründen und leider) nicht mehr oft der Fall, dass sich im IBI-Weblog noch inhaltliche Debatten entfalten – so selten, dass sogar der Direktlink von der umgestalteten Homepage des Instituts verschwunden ist. Ein Beitrag von Alexander Struck deutete allerdings jüngst wieder einmal an, wie Themendiskussionen in Weblogs entstehen können und da das Thema Berufsethik bzw. ebenso die Frage nach der politischen Positionierung von Bibliothekaren und Infomationsspezialisten jedes Fachbewusstsein permanent begleiten sollte, möchte ich sie aus dem Kommentar-Thread noch einmal herausheben und zugleich auf einen anderen Beitrag zum Thema hinweisen. Bibliothekare und Informationsspezialisten haben in der Tat ein breites Berufsfeld vom Archiv und Volksbibliothek über Ratingagenturen, Anwaltskanzleien, Suchmaschinenanbieter bis hin eben auch – das war der Ausgangspunkt der Kommentarfolge – zu Geheimdiensten vor sich. Professionalität wird nicht selten unter dem traditionsreichen Wendung “wes’ Brot ich ess, des Lied ich sing” zusammengefasst. Andererseits gibt es Positionen, die darauf bestehen, dass gerade unsere Berufsgruppe mit einem ausgeprägteren ethischen Bewusstsein handeln sollte. Dave Lankes beschreibt dies in einem aktuellen Beitrag in seinem Weblog Virtual Dave so:

“I believe that librarians must be political. That is they must be aware of politics, aid their members in political pursuits, and actively participate in the political process. Now directors of libraries will see this as nothing new, but I believe that all librarians must be politically savvy. Why? Well, let’s start with my definition of politics: politics is the process by which a community allocates power and resources.”

Genaugenommen rückt hier die Polarität mit den Polkappen a) konsequente Dienstleistungsorientierung vs. b) demokratischer Bildungsauftrag in den Mittelpunkt der Betrachtung. Mit Dave Lankes lässt sich hier der Unterschied zwischen den (zu a) Konsumenten und (zu b) den Bürgern als Zielgruppe anbringen:

“Just as a library is product of people (community, librarians, staff), so too is our government. It is the role of librarians to first remind our communities that every citizen is responsible for the performance of our government and that the best elected government is one that is elected in the light of knowledge. This is the difference between citizen and consumer. A citizen is a participant who does not simply vote and forget.”

Natürlich lässt sich ein solch idealistisches Rollenbild berufspraktisch nur in Öffentlichen bzw. öffentlich geförderten Bibliotheken resolut vertreten, also Einrichtungen die mehr oder weniger direkt im Dienst der Allgemeinheit unter der Prämisse einer demokratischen Gesellschaftsidee stehen. Bibliothekare, die die Literaturversorgung beispielsweise in einer Wirtschaftskanzlei übernehmen, dürften sich diesen ethischen Luxus als handlungspraktische Orientierung selbst bei fester innerer Überzeugung vermutlich nicht herausnehmen, jedenfalls wenn er in einen Widerspruch zu den Interessen der Kanzlei führen würde. Der bibliothekarische Berufsidealismus muss in solchen Einrichtungen entweder mit den Ziel des Unternehmens synchronisiert werden oder auf eine rein handwerkliche Standesehre (Die effizienteste Informationsvermittlung, die machbar ist o.ä.) beschränkt bleiben. Dabei stehen Bibliothekare auch in solchen Fällen in gewisser Weise im Dienst einer Community, allerdings einer mit bisweilen sehr konkreten Zielen. Dieser Umstand macht derartige Beispiele auch zu guten Szenarien in der Nussschale, an denen man die Vertracktheit des Problems erörtern kann.

Wenn die Kommentarin Anja nun schreibt:

“Naja, wenn man LIS studiert, um beim CIA andere Menschen auszuspionieren…..ich weiß nicht. Dann wäre ich lieber arbeitslos als das…”

dann adressiert sie sicher einen Extrempunkt, der formal allerdings auch im Auftrag der demokratischen Idee bzw. der Interessen von hinter dieser stehenden Institutionen agiert.

Letztlich befinden wir uns hier in einem Übergangsraum, dessen Grenzen nicht leicht bestimmbar sind. Die simpleste Antwort ist sicher, dass man nur in einer Organisation eine Stelle annimmt, wenn man sich mit deren übergeordneten Zielen zu identifizieren vermag – was übrigens für beide Seiten die beste Variante darstellt. Da die meisten Absolventen des IBI, wie eine aktuelle Verbleibstudie ergab, in wissenschaftlichen Bibliotheken unterkommen, dürfte ihnen die Gewissensfrage in dieser Hinsicht erspart bleiben und ein demokratisch-politisches Engagement, wie es sich Dave Lankes wünscht, mit dem Arbeitsalltag vereinbar sein. Andererseits könnte man natürlich fragen, ob die von Dave Lankes vertretene Ausrichtung, die einen bestimmten normativen Konsens einfordert, überhaupt so allgemeingültig sein kann, wie es scheint:

“The quest for a better community and a better tomorrow requires the most fertile of grounds.”

Hier knackt die Grundlage weg, sobald man sich an die Konkretisierung wagt. Denn davon, was eine bessere Gemeinschaft und ein besseres Morgen sein können und könnten, gibt es – dank der in einer demokratischen Gesellschaft verfassungsrechtlich verankerten Meinungsfreiheit – doch sehr unterschiedliche Vorstellungen.

Alexander erweitert in seinem Kommentar die Grundfrage auf die Bibliotheks- und Informationswissenschaft:

“Sollte auch die LIS Forschung ueber ihre gesellschaftliche Verantwortung reflektieren? (Bsp. User Tracking etc)”

Als Ja-Nein-Frage gelesen ist die Antwort darauf eindeutig. Geht es jedoch um das Wie, dann wird es auch hier schwieriger. Die Berufsethik ist dann betroffen, wenn wir davon ausgehen, dass die Bibliotheks- und Informationswissenschaft entsprechende Leitlinien erarbeiten soll, darf und kann, also als eine die Praxis unterstützende Gesellschaftswissenschaft agiert. Das Beispiel User-Tracking weist dagegen in Richtung Forschungs- und Wissenschaftsethik.

Gäbe es am Institut ein dezidiertes Seminar zum Thema und wäre ich dessen Dozent, würde ich gleich in der ersten Sitzung zunächst einmal das Problem mit der Frage einhegen, welche Themen, technischen Entwicklungen und Forschungsfragen ebenfalls unter dem Verdacht stehen, ethisch wenigstens zweischneidig zu sein? Inwieweit das vielleicht sogar bereits Thema im Seminar “Information und Gesellschaft” (51 806) war, entzieht sich meiner Kenntnis, ist aber im nächsten Flurgespräch mit der Dozentin bestimmt Gegenstand einer kleinen Anfrage. Die Ausrichtung stimmt laut Kursbeschreibung jedenfalls:

“Ziel der Vorlesung ist eine Sensibilisierung für die Wechselwirkung von Information und Gesellschaft. Die Studierenden erhalten auf nationaler und internationaler Ebene ein Orientierungswissen über die wesentlichen Akteure des BI-Bereichs, einschließlich Wissenschaft und Bildung. Am Ende der Vorlesung sollen die Studierenden in der Lage sein, die Bedeutung von Informationspolitik, -recht und -ethik beurteilen zu können.”

Abgesehen davon scheint die Frage auch unabhängig von der jüngsten Verkündung des Internetanalysten George Colony, wir würde uns in die Phase des “Post-Social-Web” begeben, in jedem Fall relevant genug, um hier trotz allgemeiner “social media fatigue” und “social saturation” weiter diskutiert zu werden. Und wer lieber ein richtiges Diskussionspapier daraus machen will, kann sich gern an redaktion@libreas.eu wenden. Auch wenn die Ausgabe zum Thema Ethik und Zensur erschienen ist, bleiben die damit verknüpften Fragen, Herausforderungen und Widersprüche dauerhaft bedeutsam genug, um immer wieder auf die Agenda zu gelangen.

3 Responses to “Wieviel Ethik braucht das Fach? Zu einer möglichen Diskussion.”


  1. Darf der Zugang zu Informationsressourcen als “Waffe” verwendet werden, um eine bestimmte Agenda durchzudruecken?
    The Register berichtet ueber die Umfrage, laut der die englische Wikipedia zum Zeichen des Protests gegen SOPA abgeschaltet werden soll.

  2. Es sind natuerlich viele wichtige Seiten offline gegangen, aber die Kommentare zur Wikipedia sind schon bezeichnend.

    Ein einziger sprach von ‘my information’, aber meinte wohl was anderes. Unter welchen Voraussetzungen darf eine Seite mit user-generated content diese Inhalte unzugaenglich machen? Reicht dazu ein Poll? Die Adminermaechtigung?

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