Die Antiquiertheit des Buches: Im Börsenblatt wird durch- und abgerechnet

Die E-Book-Debatte geht weiter und zwar im Börsenblatt, in dem Ralf Schweikart durchrechnet, warum das aktuelle Geschäftsmodell kein Erfolg werden kann:

Gehen wir mal davon aus, dass sich die Verlage in Bälde darauf verständigen, den Preis für elektronisch publizierte Inhalte fühlbar unterhalb der Buchpreise anzusiedeln – Pascal Zimmer von Libri empfiehlt 10 % bis 20 % unter dem Ladenpreis der vergleichbaren Buchausgabe. Den Mittelwert von 15 % angenommen, bedeutet das bei einem Hardcover von 19,90 Euro einen E-Buch-Preis von gerundet 16,90 Euro. Ersparnis: drei Euro. Die Rechnung ist einfach: Das 100ste Buch ist der private Break even, jetzt spart der Leser. Setzen wir das in Relation mit dem Einkaufverhalten der Gruppe der Power-Buchkäufer, der Gruppe der 20-29j-ährigen mit durchschnittlich 4,7 gekauften Büchern pro Jahr, dann lohnt sich die Hardware-Investition in ein E-Book nach genau 21 ein viertel Jahren: Selbst ein Finanzberater der Lehmann Bank hätte das nur schwerlich zu einer lohenden Investition hinbiegen können.

Dafür fängt er gleich wieder Feuer, aber immerhin ist selbiges in der Debatte drin. Man darf gespannt sein, wie lang die Halbwertzeit des Themas tatsächlich ist.

Auffällig an dem sich hier abspulenden Technikdiskurs ist u.a. auch die Parallele zu dem, was sich in den letzten zwei, drei Jahren, besonders unter dem Schlagwort “Bibliothek 2.0″, im Bibliothekswesen beobachten lies. Der Kommentar von Matthias Ulmer ist gerade ein idealtypisches Beispiel. Hieß es auf der einen Seite “Bibliotheken auf die Agenda” und wurde Bibliotheksmarketing zum Königsweg des Überlebens, freut sich der Kommentator über die wilde Aufmerksamkeit ” wirklich jede[r] Tageszeitung und jede[s] Radiosende[s]“. Die Qualität der Berichterstattung wird zum nachgeordneten Merkmal. Wichtig ist, dass man im Gespräch bleibt. So wird im Verlagswesen auch gern davon gesprochen, dass ein schlechtes Buch, das verrissen wird, besser (=kommerzieller sinnvoller) ist, als ein gutes, dass gar keine Rezension abbekommt.

Beim Kommentar im Börsenblatt zeigt sich dies besonders deutlich an der Nivellierung der Akteure: “Bushido oder Bohlen oder Grass”, das ist Matthias Ulmer zunächst eines und in jedem Fall ist Presseberichterstattung über Inhalte schlechter, als das oft hilflose und redundante Rapportieren über ein technisches Gerät, an dem vor allem zunächst der Hersteller (Sony) verdienen wird. Dass der Buchhandel mit seinem aktuellen Verständnis des Mediums hier kein großes Geschäft zu erwarten hat, wird mit den Rechenbeispielen Ralf Schweikarts durchaus so einsichtig, dass kaum ein Widerspruch möglich ist.

“Toll also, dass wir den Journalisten so etwas bieten können.”

Der Buchmarkt bietet eigentlich seit Jahr und Tag dem Feuilleton massiv Material und auch die anderen Teile der Tageszeitungen drucken regelmäßigen Besprechung um Besprechung. Dass man solch einen peinlichen Kniefall vor der massenmedialen Verwurstung aus dem Bibliothekswesen eher nicht wahrgenommen hat, wirkt beinahe beruhigend. Die nächste Naivität vor dem Herrn kennt man allerdings nur zu gut:

“Und toll, dass unsere Branche mit Innovation und nicht nur mit Behäbigkeit und Antiquiertheit assoziiert wird.”

Dies sagt schon sehr viel über das gespaltene Selbstbild von Branchenvertretern aus. Definiert sich die Fernsehwelt eigentlich auch so sehr über Plasmabildschirme?  Der Antiquariatsbuchhandel z.B. lebt gerade von Antiquiertheit. Die Buchbranche, man kann es nur betonen, hat mit der Technik der Innovation E-Book so gut wie nichts zu tun. Und das ist kein Makel, denn ihre Aufgabe liegt nicht in der Optimierung der technischen Darstellung, sondern im Herausgeben von Lektüreinhalten.

Für Bibliotheken liegt die Sache etwas anders, denn sie sind traditionell Vermittler dieser Inhalte und im Idealfall Kommunikationsort. Dennoch steht es auch ihnen besser, einfach professionell ihre Arbeit zu tun und nutzergerechte Angebote zu entwickelen, als viel darüber zu reden, wie innovativ sie nun sind. Es geht nicht um Innovation – die auch nicht schon per se einen positiven Wert besitzt, sondern sich erst als sinnvoll erweisen muss – sondern darum, der Nutzerschaft eine Arbeits- und Informationsumgebung zu bieten, die sie bei der Arbeit und bzw. beim sich informieren optimal unterstützt, ohne aufdringlich zu sein. Digitalität ist dabei nicht zwangsläufig ein Muss. Darum muss man auch die Nutzer nicht permanent in Marketingkampagnen mit eigenen Zukunftstauglichkeit und Trendoffenheit bombardieren.

Und dann:

“Wir müssen schließlich auch ein paar Jugendliche für unsere Ausbildung gewinnen.”

Man kennt so einige, die eine Buchhändlerlehre erfolgreich absolviert haben und nun etwas ganz anderes machen. Im seltensten Fall ist aber die Antiquiertheit der Branche der Grund. Eher sind es die niedrige Entlohnung, die schlechten Arbeitsbedingungen und dass auch hier die Entprofessionalisierung, die auf den Kunden, der sich selbst berät bzw. durch eine Verführung in den “Erlebniswelten” nach der “Auflösung der Ordnung” (vgl. dazu den Artikel  Andreas Bernhard in Süddeutschen Zeitung vom letzten Freitag – Nr. 60, S.14)  nachgibt, verlässt:

“Der Abbau des Sortiments erklärt sich zudem damit, dass unschlüssige Kunden natürlich am ehesten von Büchern zum Kauf animiert werden, von denen sie aus der Berichterstattung der Medien schon gehört haben.”

Ein Kassierer ist hier genug. Dass die in der Regel durchaus auch inhaltlichen Aspekten zugeneigten Nachwuchsbuchhändler in dieser Rolle nicht aufgehen wollen, ist verständlich. Das Problem liegt also eher in der Hypermoderne, die die Buchhandlung der Zukunft auf einen Downloadterminal im der Erlebniswelt eines Einkaufszentrums reduziert sieht. Flirtort Buchhandlung – das wäre mal ein Thema zur Zeit.

1 Response to “Die Antiquiertheit des Buches: Im Börsenblatt wird durch- und abgerechnet”


  1. Ja, “Notting Hill” ist wirklich ein toller Film, allerdings finde ich den Flirtort Bibliothek viel aufregender.

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