Archive for the 'ÖB' Category

Vielleicht als LAN-Partyzelt? Wie man in Großbritannien über Bibliotheken denkt.

if there is nothing inside but people eating burgers and playing the Sims, is it actually a library? Isn’t it just an internet cafe?

fragte am gestrigen Sonntag nicht ganz unberechtigt Victoria Cohen im Observer (If I wanted a cup of coffee, I’d go to a cafe, not a library) Der Anlass für dieses Nachhaken liegt in einer Äußerung des aktuellen Secretary of State for Culture, Media and Sport in Großbritannien, Andrew Burnham, ein Kind der 1970er Jahre und entsprechend vermutlich schon seit frühester Erfahrung mit Unterhaltungselektronik vertraut. Das ist nicht ganz unwichtig, um seinen Standpunkt zu verstehen, der Victoria Cohen immerhin zu einer Kolumne inspirierte und darin beruht, dass Bibliotheken über das Regal hinaus schauen sollten:

“Andy Burnham insisted that libraries must ‘look beyond the bookcase’.” Continue reading ‘Vielleicht als LAN-Partyzelt? Wie man in Großbritannien über Bibliotheken denkt.’

Taggen=Punkten: Die Oakville Public Library animiert zur Kataloganreicherung.

Adding a comment, tag, summary, similar title, age suitability, content notice or quotation: 1 community credit.

Und jeder community credit zählt im Preisausschreiben der Oakville Public Library, die aktuell in Kanada und darüber hinaus als Vorzeigeeinrichtung für das BiblioCommons-Interface (dahinter steht immerhin der flotte Anspruch: “We’re completely re–thinking the online library experience.” …) Bekanntheit erlangt. Und der Erfolg stellt sich ein:

“In BiblioCommons beta testing at several libraries, the top five users who commented and tagged had never participated in “the social web [...]“

Zu gewinnen gibt es immerhin eine Reise zu einer öffentlichen Bibliothek in Kanada oder einen iMac. Mehr zu Bibliocommons hat das Library Journal, immerhin als Topstory: BiblioCommons Emerges: “Revolutionary” Social Discovery System for Libraries.

62 Bücher für ein Nintendo! Die Sommer-Leseolympiaden in den USA.

Marc Johnson, 14, a summer volunteer at the Ferguson Library, set his own reading goal. Last year, he read 62 books to qualify for the raffle to win a Nintendo Wii.

Man kann also gerade mit Unterhaltungselektronik zur Lektüre locken. Die New York Times berichtet darüber, wie US-Public Libraries versuchen, die Sommerzeit zur Lesezeit zu machen. Dahinter steckt natürlich nicht selten die eher pragmatische Vorstellung, dass die Kinder über die Sommerferien den Anschluss halten, also konkurrenzfähig bleiben sollen und dabei auch in der Bibliothek lernen, was Leistung und Wettbewerb bedeuten. Andererseits hoffentlich auch die Freude am Lesen an sich:

Studies show that children who don’t read in the summer lose momentum in comprehension and reading skills, librarians said. To get kids interested in reading, libraries across the region have entered into partnerships with the public schools to develop age-appropriate reading lists. And to get them in the door, libraries have designed incentives, like giving out pencils, bookmarks, stuffed animals and gift certificates to area restaurants, as well as end-of-summer raffles and invitations to summer bashes and pizza parties.

Mehr in der New York Times: From Quiet Refuge to Summer Hot Spot

Die Bibliothek als Rückzugsort: Ein Fallbeispiel im Observer

Im dem der letzten Sonntagsausgabe des Observers beigelegten Magazin findet sich in der Lebenshilfe-Rubrik “Dear Mariella” (The Observer Magazin, 13. Juli 2008, S. 78) folgendes bemerkenswertes Zitat, welches man durchaus einmal bei der Diskussion um die Rolle der Bibliothek als Ort einbeziehen kann:

“So what is my problem: I have had enough, care homes, foster homes, a missing pincushion of a mother who didn’t even remember giving birth, social workers who smoked dope with me. Homelessness, cold streets, hunger, anger, hopelessness. Though I found libraries the best place to hang out. Warm, nice chairs, good books, peace and quiet.

Auch wenn die Rolle der Bibliothek in diesem konkreten Zusammenhang nicht weiter aufgegriffen wird, sensiblisiert die Aussage doch für die Tatsache, dass die Millennials und Post-Millenials auch in der westlichen Hemisphäre nicht unbedingt alle Kinder in Mittelstandshaushalten aufwachsen, die ihnen den digitalen Zugang ganz selbstverständlich in die Kinderzimmer garantieren.
Die Bibliothek als Ort und nicht nur als virtuelle Plattform könnte für die 14 % der deutschen Kinder, die man offiziell als arm bezeichnet, die also immerhin ein Siebtel einer Zielgruppe stellen, von der in den bibliotheksinternen Diskursen häufig behauptet wird, dass sie selbstverständlich übergroße Teile ihres sozialen Lebens in Webstrukturen verbringen und die daher mit maßgeschneiderten, flotten Bibliotheksangeboten über MySpace oder SchülerVZ erreicht werden sollen, eine zentrale Rolle spielen.

Dass die Zugangshürden zur virtuellen Welt von der Rechnung für das Mobiltelefon bis zur DSL-Flatrate rein ökonomisch für viele Elternhäuser nicht ganz so leicht zu schultern sind und sich hier vermutlich eine digitale Spaltung etabliert, der die Institution Bibliothek mit ihrem wenigstens implizit vorhandenen öffentlichen Charakter entgegen wirken sollte, ist eine Facette. Eine andere ist, dass sie mitunter schlicht einen positiven Alternativraum zum sonstigen Lebensumfeld anbieten können.

Den Beitrag aus dem Observer-Magazin kann man hier einsehen.

Kurt-Tucholsky Bibliothek wieder eröffnet, dass Konzept noch einmal in einem Nachrichtenbeitrag

Gestern wurde in Berlin-Pankow die Kurt-Tucholsky Bibliothek als ehrenamtlich betriebene, aber von Bezirk getragene Öffentliche Bibliothek neu eröffnet. Nach der angekündigten Schließung im November 2007 hatten Anwohnerinnen und Anwohner die Bibliothek besetzt. Aus dieser Besetzung ging der jetzige Trägerverein hervor. Hauptforderung des Vereins ist allerdings weiterhin, dass der Stadtbezirk die Bibliothek wieder vollständig übernehmen solle.
Die Eröffnung schaffte es unter anderem in die Berliner Regionalnachrichten, die Abendschau: Beitrag als Text, Beitrag als Video.

Kurt-Tucholsky-Bibliothek wird ehrenamtlich wiedereröffnet

Es ist einige Zeit her, da berichtete ich in diesem Weblog von Protesten für drei kleinere Bibliotheken in Berlin, die geschlossen werden sollten. In der libreas findet sich ein Interview mit Beteiligten dieser Proteste. Zwei dieser Bibliotheken sind jetzt geschlossen, obwohl für eine von ihnen offenbar immer noch Hoffnung besteht.

Die dritte Bibliothek wird demnächst wiedereröffnet. Allerdings nicht als vollständig staatliche Bibliothek, sondern als ehrenamtlich betriebene Bibliothek, welche allerdings im System der Öffentlichen Bibliotheken Berlins verbleibt.
Begonnen hatte dies, als die Kurt Tucholsky Bibliothek im November 2007geschlossen werden sollte und deshalb von Anwohnerinnen und Anwohnern besetzt wurde. Die Forderung war damals, dass die Bibliothek als voll ausgestattet Bibliothek erhalten bleiben sollte. Es gab interne und externe Auseinandersetzungen, letztlich entschied sich die Initiative, welche die Besetzung getragen hatte, aber dazu, die Bibliothek vorerst ehrenamtlich zu betreiben. Sie gründete im Januar 2008 den Verein Pro Kiez e.V. und begann mit dem zuständigen Bezirksamt Pankow von Berlin zu verhandeln.
Das politische Ziel des Vereins ist in Bezug auf die Bibliothek, diese so bald als möglich wieder von ausgebildeten Bibliothekarinnen und Bibliothekaren führen zu lassen. Dies wird durchgehend betont.
Allerdings ist die Initiative der Meinung, dass die Bibliothek, wenn sie einmal geschlossen und der Bestand verteilt sei, nie wieder eröffnet werden würde, selbst wenn Berlin auf einmal zu viel Geld hätte. Deshalb wurde beschlossen, die Bibliothek quasi unter Protest ehrenamtlich weiterzuführen, wobei ein Großteil der Finanzierung und der bibliothekarischen Arbeit beim Bezirk verbleibt. [Eine Variante, die - so weit ich das sehen kann -, in der aktuellen Debatte in der BuB zum Ehrenamt in Bibliotheken so noch nicht thematisiert wurde.] Der Verein übernimmt die Ausleihe, die Leseförderung und die Veranstaltungsarbeit. Zudem will er im Kiez kulturell aktiv werden.

Es hat lange gedauert, mit dem Bezirk zu verhandeln. Dabei baute der Verein beständig kommunalpolitischen Druck auf. Zwischenzeitlich wurde eine der bislang zwei Etagen der Bibliothek geräumt, der Bestand reduziert, makuliert und in einer Familienbibliothek zusammengeführt. Am letzten Mittwoch, dem 18.06.2008, wurde nun der Betreibervertrag unterzeichnet. [Mitteilung des Vereins] (Damit endete auch die wohl längste Bibliotheksbesetzung der letzten Jahre.)
Am kommenden Samstag, dem 28.06.2008, feiert der Verein nun von 11 Uhr bis gegen 22 Uhr die Wiedereröffnung der Bibliothek. So schnell als möglich soll zudem in den Regelbetrieb übergegangen werden.
Plakat für die Wiedereröffnungsfeier der Kurt Tucholsky Bibliothek in Berlin-Pankow am 28.06.2008

Join a Library Day, vielleicht bald jährlich

The National Join a Library Day campaign, which was held in April as part of the National Year of Reading, may become an annual event after statistics showed big membership rises across the country.

Das Jahr 2008 wird in Großbritannien als Nationales Jahr des Lesens begangen und innerhalb dessen, und zwar wieder im April, gab es einen Join a Library Day, der wohl maßgeblich dazu beitrug, dass das April-bis-Dezember-Ziel von 350.000 neuen Bibliotheksnutzern bereits jetzt erreicht wurde. Das sollte man wieder tun, meinen die Veranstalter und überlegen in Richtung Jahresrhythmus: Library campaign could become annual

Neues aus der E-Bibliothek, in der New York Times

With the explosion of new technologies that have moved readers, especially younger ones, from the library stacks to computer screens and earphones, public libraries are struggling to find ways to remain current. One of the biggest innovations is downloadable books, which allow readers to “check out” books without setting foot in a library.

Bereits im fernen Monat April dieses Jahres gab es in der New York Times einen Beitrag dazu, wie sich die P(ublic)-Library zur E-Library wandelt. Unter anderen wird darin erwähnt – und dies passt ganz gut zum gestrigen BBK – dass reading books, also eigentlich so genannte talking books, für Menschen mit Sehbehinderung gerade im mp3-Format keine schlechte Option darstellen. Mehr im Artikel: What’s New at the E-Library

no idea store, A.L. Kennedy zum britischen Bibliothekswesen

Alle, die gern auch im britischen Bibliothekswesen einen Vorbildcharakter für das deutsche sehen wollen, sollten vielleicht mal das Gespräch mit der Schriftstellerin A.L. Kennedy suchen. Diese führt in ihrer Rede zur Verleihung des 1. Internationalen Eifel-Literaturpreis, die man in einer gekürzten Form heute im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachlesen kann, nämlich ziemlich kulturpessimistisch Folgendes aus:

“[...] Wir hatten früher Bibliotheken, in denen jedermann nicht nur die Bücher finden konnte, nach denen er suchte, sondern auch, oh Wunder, Vergnügen und Unterhaltung. Ich bin so vielen Briten begegnet, die eine mäßige Ausbildung genossen haben und die einfach zur öffentlichen Bibliothek gegangen sind, um zu lesen – um erfüllter und reicher zu sein. Wir haben unser Bibliothekswesen zerstört, wir haben unsere eigenen Bücher entfernt, Gebäude geschlossen und Öffnungszeiten reduziert. Wir verbrennen keine Bücher, das nicht, aber wir lassen sie still und leise verschwinden. In Großbritannien gehören unsere Verlage größtenteils riesigen Konzernen innerhalb noch größerer Korporationen mit noch größeren Gesellschaften – Unternehmen, die wenig oder gar kein Interesse daran haben, die Kultur unserer Nation zu bewahren und zu fördern und sie dem Rest der Welt zugänglich zu machen. [...]“

(Kennedy, A.L.: Wir werden zerstört. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 16. 06.2008 S. 33)

Kleine Rechner für alle und der Carbon Footprint der Computerisierung

Wichtig erscheint mir aber erstmal festzuhalten, dass in den letzten Monaten [nicht Jahren, sondern Monaten] relevante Trends im Bereich der Hard- und Softwareentwicklung festzustellen sind, die garantiert auf die Nutzung elektronischer Medien einen Einfluss haben werden. Und jede veränderte Mediennutzung wird über kurz oder lang eine Einfluss auf Bibliotheken haben

Karsten Schuldt betrachtet heute in seinem sehr lesenswerten Weblog Bibliotheken als Bildungseinrichtungen in gewohnter Tiefe die Frage:

Welche Auswirkung wird der Trend zu kleinen, billigen Laptops mit Internetfixierung für die Informationsnutzung von (potentiellen) Nutzerinnen und Nutzern Öffentlicher Bibliotheken haben?

und verbindet das Ganze mit einer Art Technikfolgenabschätzung für die Öffentlichen Bibliotheken: Ein Trend der letzten Monaten: Netbooks

Wenn man an dieser Stelle weiter denken möchte, dann kann man z.B. den Bogen zum Cloud Computing schlagen und, was von der Frage nach der Kulturtechnik zu der nach den Rahmenbedingungen weiterleitet, nach dem, was das Rad am Drehen hält. In der letztwöchigen Ausgabe des Economist kann man dazu lesen:

Data centres consumed 0.6% of the world’s electricity in 2000, and 1% in 2005. Globally, they are already responsible for more carbon-dioxide emissions per year than Argentina or the Netherlands, according to a recent study by McKinsey, a consultancy, and the Uptime Institute, athink-tank. If today’s trends hold, these emissions will have grown four-fold by 2020, reaching 670m tonnes. By some estimates, the carbon footprint of cloud computing will then be larger than that of aviation.

Es wäre nur zeitgemäß, wenn man versuchte, Innovationen im Bereich des ubiquitären computing und green computing im Gleichschritt zu entwickeln…

Kritik am Bibliotheksgesetzentwurf, vom Bibliotheksverband

Der Deutsche Bibliotheksverband kritisiert zwei Entwürfe für ein Thüringer Bibliotheksgesetz, die am Donnerstag vor dem Thüringer Landtag zur Anhörung kommen. Ein künftiges Bibliotheksgesetz in Thüringen könnte Modellcharakter für ganz Deutschland erzielen.

tickert es gerade über den Newsfeed von Börsenblatt Online herüber: Bibliotheken sollten Pflichtaufgabe mit Bildungsauftrag werden

Die Rolle der Fahrbibliothek in Ostdeutschland, in 1:30 als Tondokument auf faz.net erklärt

Da kann man gar nicht anders als die FAZ groß zu loben: Schöner wurden Fahrbibliotheken selten in der Presse gewürdigt ! Ich eile jetzt gleich noch mal zum Kiosk, um mir auch die gedruckte Version abzuholen…

Tagung Leseförderung

Und hier gleich noch ein Tagungshinweis: Die Buchwissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg veranstaltet am 15. und 16. Mai 2008 ein Kolloquium unter dem Titel “Leseförderung im Kindergarten- und Grundschulalter. – Wissenschaftlicher Diskurs und praktische Initiativen”.
Die Tagung verspricht, wie der Titel ja bereits anklingen lässt, eine gute Mischung aus theoretischen Überlegungen und praktischen Erfahrungsberichten, wobei letztere nicht nur, aber auch aus Öffentlichen Bibliotheken kommen werden.

Als Referenten sind u.a. Jon Madsen (Royal School Kopenhagen/Zentralbibliothek Ronne), Prof. Dr. Stefan Aufenanger (Stiftung Lesen), Maria Riss (Zentrum Lesen Aarau) und Ute Hachmann (StB Brilon) angekündigt. Außerdem wird das “hauseigene” Erlanger Leseförderungsprojekt “Abenteuer Buch” vorgestellt.

Das detaillierte Programm sowie die Möglichkeit, sich zu einem sehr moderaten Preis (25.-/15.-/7,50.-) anzumelden, gibt es hier.

Public Library, quo vadis?: Eine Überlegung in der New York Times

It seemed as if neighborhood libraries, like those that are part of the New York Public Library as well as the Brooklyn and Queens library systems, were doomed to become less compelling than a retail chain.But what might be possible if those libraries became more like the one I remember from my Brooklyn childhood, where it was a thrill to move from the children’s floor to the adult floor, to begin to explore, author by author, the texture of the unknown? That possibility is latent in the library’s plans, even in its creation of an extensive below-ground lending library just past Fifth Avenue’s lion-framed portals. And the temptation? That, I thought at first, would be related to the promise. Bookstores, having successfully imitated libraries, might now be emulated in turn. The Fifth Avenue library’s character could end up transformed by that commercial model. This great free library, in which generations of immigrants and aspirants had schooled themselves and found their ambitions ennobled, would be subject to “democratization,” as one library official put it.

Edward Rothstein, “cultural critic-at-large” (wikipedia) bei der New York Times, pflegt anlässlich des aktuellen Wachstums finanzieller Möglichkeiten an der New York Public Library (vgl. hier) etwas Bibliotheksromantik und denkt bei der Gelegenheit auch darüber nach, was die öffentliche Bibliothek eigentlich sein sollte: With Expanding Library’s Promise, Concern About Its Purpose

Protest für Bibliotheken XX: Bibliothek teilweise gerettet

Die Kurt-Tucholsky Bibliothek in Berlin-Pankow wird zu einer ehrenamtlich betriebenen Bibliothek werden, welche vom Verein Pro Kiez personell, vom Bezirk Pankow größtenteils finanziell und ideell getragen wird und für zahlreiche bibliothekarische Aufgaben – wie die Einarbeitung und Katalogisierung, das zentrale Mahnwesen und die Öffentlichkeitsarbeit – auf das bezirkliche Bibliotheksnetz zurückgreifen können soll. Dafür verbleibt die Bibliothek im Verbundssystem des VÖBB. So ein Ergebnis der Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Pankow am gestrigen Mittwoch, den 12.03.2008. Der vom Ausschuss für Kultur und Bildung eingebrachte Antrag zur Wiedereröffnung der Bibliothek wurde einstimmig, mit einer Enthaltung, angenommen.
Mit diese Entscheidung wird voraussichtlich im April die Besetzung der Bibliothek durch den jetzigen Verein Pro Kiez e.V. beendet. Diese war im November 2007 mit dem Ziel begonnen worden, die Existenz der Bibliothek zu sichern und vor allem den Abtransport der Bestände zu verhindern.

Grundlegende Übereinstimmung
Die Aussprache über den Antrag wurde von der Vorsitzenden des beantragenden Ausschusses, Clara West (SPD), begonnen. Sie wies darauf hin, dass die Arbeit des Ausschusses über alle Fraktionen und Gruppen der BVV hinweg von einem sonst selten zu erreichenden Konsens getragen worden sei. Offensichtlich – und dies wurde im Weiteren auch von allen anderen Rednerinnen und Rednern betont – waren in Pankow alle Verordneten der Meinung, dass der Weiterbetrieb der Bibliothek notwendig sei und die Schließung im Dezember 2007 einzig auf die Sparvorgaben des Senates und die Haushaltslage des Bezirkes zurückgeführt werden müssten.
Zudem betonte die Ausschussvorsitzende, dass eine ebenso große Kooperationsbereitschaft bei der Verwaltung des Bezirkes und dem Verein Pro Kiez e.V. gegeben gewesen sei.

Bezirksstadtrat: Forderungen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen
Bezirksstadtrat Dr. Nelken (Linkspartei) interpretierte die Proteste für die Kurt-Tucholsky Bibliothek und den offenbar in der Bevölkerung vorhandenen Willen, sich ehrenamtlich für diese Bibliothek einzusetzen, als Aufforderung an die Politik. Er betonte, dass sich dieses Modell nicht als allgemeine Lösung für den Betrieb von Bibliotheken durchsetzen dürfe. Das Ehrenamt in dieser Form sehe er als Übergangslösung.
Die Proteste hätten gezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger ein funktionierendes Bibliothekssystem auf lokaler Ebene forderten und das sie es als Aufgabe der Politik ansehen würden, ein solches System zur Verfügung zu stellen. Die Vorgänge seien eine Mahnung an die Politik, dass die Bevölkerung ein Bibliothekssystem fordert, ein Zeichen, dass sich in der Politik und Verwaltung im Bezug auf Bibliotheken etwas ändern müsse. Der weitere Abbau bibliothekarischer Leistung würde offenbar von der Bevölkerung so nicht hingenommen werden. Er hoffe, dass diese Forderung bei allen Fraktionen im Berliner Senat angekommen sei.

Hoffnung, die Bibliothek wieder integrieren zu können
Der Vorsitzende der bezirklichen Linksfraktion, Michael van der Meer, schloss sich seinem Parteikollegen an und betonte, dass er hoffe, dass die Bibliothek möglichst bald wieder mit bibliothekarischen Personal, welches im bezirklichen Dienst stehen solle, ausgestattet werden könne.
Die Verordnete Cornelia Schwerin (Bündnis 90 / Die Grünen) sprach für ihre Fraktion und in diesem Fall auch für die Fraktion der CDU, allen Beteiligten einen Dank für die konstruktive Zusammenarbeit im Ausschuss aus. Gleichzeitig hob sie hervor, dass die jetzt gefundene Lösung nur durch den konsequenten, fordernden und großen Einsatz des Vereins möglich geworden sei. Vor allem dessen konsequenter Arbeit sei die Wiedereröffnung der Bibliothek zu verdanken.
Die Fraktion der Grauen, die Gruppe der FPD und die fraktionslosen Verordneten äußerten sich nicht weiter zu diesem Antrag.

Pro Kiez: Plädoyer für die öffentliche Finanzierung aller Bibliotheken
Im letzten Beitrag vor der Abstimmung stellte eine Vertreterin des Vereins Pro Kiez e.V. noch einmal die Entwicklungen um die Kurt-Tucholsky Bibliothek und das Konzept des Vereins vor. Die Bibliothek solle mit reduziertem Bestand und unter der Maßgabe des Verbleibs im VÖBB als Familienbibliothek weiter existieren. Einen Schwerpunkt setzen möchte der Verein auf die Leseförderung in Zusammenarbeit mit den im Kiez zahlreich vorhandenen Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen, sowie die kulturelle Arbeit, welche die Besetzung der Bibliothek von Anfang begleitet hat.
Sehr explizit führte die Vertreterin im Namen des Vereins aus, dass sich dieser bewusst sei, dass der Betrieb der Bibliothek durch Ehrenamtlichen kein Ersatz für professionelle Bibliotheksarbeit sein könne. Insbesondere betonte sie, dass der Verein kein Modell für die Schließung weiterer Bibliotheken darstellen wolle. Vielmehr setze er sich gerade wegen der Beschäftigung mit der Situation der Öffentlichen Bibliotheken, die er in den letzten Monaten zu leisten hatte, ausdrücklich für eine ausreichende öffentliche Finanzierung aller Bibliothek ein.

Eröffnung demnächst
Terminiert wurde die Wiedereröffnung der Bibliothek bislang auf den 01.04.2008. Auch wenn dieser Termin eventuell nicht eingehalten werden kann, stehen nun für den Verein zuvörderst die durch die Reduzierung der Bibliothek von zwei auf eine Etage notwendigen Makulatur- und Umzugsarbeiten an.

PS.: Der Beschluss, inklusive der Auflistung der Aufgaben der einzelnen Beteiligten und der Kosten, findet sich in der Drucksache des Bzirksamtes Pankow von Berlin VI-0395. Diese lässt sich nicht verlinken, aber unter folgende Pfad finden -> Bezirksverordnetenversammlung von Pankow -> Sitzungskalender -> 12.03.2008: 14. ordentliche Tagung der Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin -> Tagesordnungspunkt Ö 1.11

ver.di und die Öffentlichen Bibliotheken

Eigentlich sollte im Juni 2007 auf der Konferenz “Campus der Zukunft” hauptsächlich über die Herausforderungen nachgedacht werden, welche sie durch die Entwicklungen im Bildungsmarkt, den Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen für ver.di ergeben. In der Arbeitsgruppe 8 wurde allerdings unter dem Titel “Hochschulen und bildungsferne Schichten: Gewinnung von Studierenden; vorschulische Bildung, Beitrag der öffentlichen Bibliotheken zur Chancengleichheit” hauptsächlich über Leseförderung debattiert. Gerade erschienen ist nun die Dokumentation der Konferenz, der Bericht der Arbeitsgruppe ist auf Seite 51-55 abgedruckt.

Programm zum 97. Deutschen Bibliothekartag online abrufbar

Für alle, die am 97. Deutschen Bibliothekartag teilnehmen oder sich einfach über das Programm informieren möchten, findet sich ab sofort hier das Programm. Der Bibliothekartag findet in diesem Jahr vom 3.-6. Juni in Mannheim statt.

Öffentliche Bibliotheken in Frankreich (im Aufschwung)

Die neueste Ausgabe der Zeitschrift Label France, die vom französischen Außenministerium herausgegeben wird (auch auf Deutsch) enthält ein recht ausführliches Dossier “Bücher und Menschen”, das sich u.a. mit folgenden Fragen auseinandersetzt:
Welchen Stellenwert nimmt heute das Buch in der französischen Gesellschaft ein? Welches sind die wichtigsten Autoren und Verleger? Welche Rolle spielen öffentliche Bibliotheken, Übersetzer und die öffentliche Hand bei der Verbreitung des Buchs?
Im Artikel “Öffentliche Bibliotheken im Aufschwung” wird u.a. davon berichtet, dass Bibliotheken in Frankreich nach den Kinos die von den Franzosen meist besuchten Kultureinrichtungen sind. Ist das in Deutschland denn auch noch so?

http://www.diplomatie.gouv.fr/de/frankreich_3/label-france_746/label-france_747/label-france-nr.69_1925/

das-dossier-bucher-und-menschen_1939/offentliche-bibliotheken-im-
aufschwung_4404.html#nb1

Aus einer weiteren Umfrage ergaben sich noch folgende Ergebnisse: Internetbesucher meiden keine Bibliotheken. Im Gegenteil, „Die Franzosen, die sich als große Internetbenutzer bezeichnen, besuchen zu 45% städtische Bibliotheken, der Durchschnittsfranzosen hingegen nur zu 35%”. [Wie ist das eigentlich in Deutschland? - danke schon mal für eine Antwort hierzu] Dennoch, so das Crédoc (Centre de recherche pour l’étude et l’observation des conditions de vie), steht die größte Veränderung noch bevor: die des „entmaterialisierten” Buchs, die die Bibliothekare begleiten müssen. Die Herausforderung, so Sophie Barluet, Autorin eines im Juni 2007 erschienenen Berichts über das Buch, bestehe darin, „die Digitalisierung nicht als ein Problem zu betrachten, das den Leser allmählich in eine virtuelle Welt führt und ihn das Interesse an der Materialität des Buches verlieren lässt, sondern als eine Möglichkeit, ihm besser den Reichtum und das Interesse dieses Kulturgutes näher zu bringen”.

Protest für Bibliotheken XVIII: Neues Konzept für die geschlossene Bibliothek?, Karow

Bibliothek im Elias-Hof, Bezirkspolitik
Ende Dezember 2007 wurde, trotz aller Proteste, die Bibliothek im Elias-Hof in Berlin-Pankow geschlossen. Zumindest ein Teil der Bestände wurde auch schon in andere Einrichtungen transportiert. Dann fand Ende Januar eine Protestveranstaltung vor der Bibliothek statt. Das war selbstverständlich nur die sichtbare Ebene.
Auf der gestrigen (06.02.2008) Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Pankow stellte eine Verordnete der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion offizielle ein Kleine Anfrage, wie das Bezirksamt das schon vor einigen Wochen vorgelegte Konzept der Direktorin des MACHmit-Museums zur Fortführung der Bibliothek unter der Regie des Museums bewerten würde. Damit ist dieses Ansinnen offiziell.
Dabei muss bedacht werden, dass die Bibliothek im Elias-Hof in ein Gesamtkonzept von kulturellen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, welche an diesem Standort konzentriert wurden, eingelassen war. Hierzu zählt eine Musikschule, ein Kinder- und Jugendtheater, mit dem Pfefferwerk einer der profiliertesten Träger kultureller und sozialer Projekte in Berlin und weitere Einrichtungen. Wie so oft war – neben dem finanziellen Aspekt – auch bei der Einrichtung dieses Ensembles die leitende Grundidee, dass die Attraktivität der einzelnen Angebote sich mit dieser Zusammenlegung erhöhen würde. Das Profil der Bibliothek im Elias-Hof war wegen der Ansiedlung in diesem Komplex einerseits durch eine große Kinder- und Jugendabteilung, andererseits durch einen starken musikalischer Schwerpunkt gekennzeichnet.
Das MACHmit-Museum, welches jetzt das neue Konzept für die Elias-Hof-Bibliothek vorgelegt hat, ist in einer alten Kirche direkt neben dem Elias-Hof angesiedelt. Zielgruppe des Museums sind Kinder, die durch eine Mischung aus Spiel und Bildung in dieser Einrichtung an wechselnde Themen herangeführt werden sollen. Deshalb ist auch zu erwarten, dass sich das Konzept für die Bibliothek auf bibliothekarische Angebote für Kinder konzentrieren wird.

Auf die Anfrage in der Bezirksverordnetenversammlung antwortete der zuständige Stadtrat relativ ausweichend. Es lägen für die Nachnutzung der Räume der Bibliothek insgesamt drei Konzepte vor, zwei davon würden auf die Einrichtung von Jugendeinrichtungen abheben – das dritte ist dann wohl das Konzept des Museums – und mit allen drei Projektträgern würden Gespräche geführt. [Die Kleine Anfrage, die Antwort und das Konzept des Museums sind bislang noch nicht öffentlich dokumentiert.]

Stadtteilbibliotheken Karow und Buch, Protest einigermaßen erfolgreich
Währenddessen berichtete die Lokalausgabe des Anzeigenblattes Berliner Woche für den Stadtteil Weissensee [Ausgabe vom 30.01.2008, Seite 3, oben] über die Auswirkungen eines erfolgreichen Protestes für Bibliotheken in Berlin-Pankow. Im letzten Herbst – anlässlich der Sparrunde vor jener, welche jetzt zur Schließung der Bibliothek im Elias-Hof und der Kurt-Tucholsky-Bibliothek führte – sollte die Bibliothek in Karow geschlossen werden. Die damaligen Proteste gegen diese Schließung bewirkten nun, dass die beiden Stadtteilbibliotheken in Karow und Buch zusammen von einer Leiterin geführt und der Bibliotheksdienst mit ehrenamtlichen Kräften aus den ansässigen Bürgervereinen aufrecht erhalten wird.
Obwohl weder die Mitglieder des bezirklichen Kultur- und Bildungsausschusses, noch die betroffenen Vereine (Kulturförderverein Phoenix, Einwohnerinitiative Neu-Karow, Bürgerverein Buch) mit dieser Lösung wirklich 100%ig zufrieden sind, hat sich doch gezeigt, dass ein Protest gegen Bibliotheksschließungen – auch bei der Finanzkrise der Stadt Berlin und seiner Bezirke – erfolgreich sein kann.

Demnächst: Bezirk ohne Bibliothek. Die FR berichtet aus dem Prenzlauer Berg.

Kinder gibt es hier im Viertel wie anderswo in Berlin Hunde, vor vier Jahren war die Grundschule um die Ecke noch froh, dass sie eine I-Dötzchen-Klasse zusammen bekam, im nächsten Jahr werden hier 140 eingeschult. Es gibt Yoga-Kurse für Kinder, Theater für Kinder, Kunst für Kinder, Angebote für Leute, die in die Kreativität ihres Nachwuchses auf hohem Niveau investieren wollen. Nur eine öffentliche Bibliothek soll es nach den Plänen der linken Bezirksregierung ab Januar nicht mehr geben: Die Tucholsky-Bibliothek wird geschlossen, genauso wie eine zweite Bücherei in Prenzlauer Berg.

Die Frankfurter Rundschau berichtet heute von der Solidaritätslesung in der zur Schließung vorgesehenen Berliner Kurt-Tucholsky-Bibliothek: Volksbücherei

Warum demonstrieren Menschen für eine Bibliothek?

Heute nachmittag fand die in diesem Weblog schon erwähnte Demonstration für den Erhalt einer Berliner Kinder- und Jugendbibliothek statt. Anwesend waren vielleicht 300 Menschen, der Großteil Kinder und deren Eltern.
Interessant ist die Rede, welche von einem der Organisatoren gehalten wurde. In dieser stellt einmal eine Initiative für Bibliotheken ihre Sicht auf eine Öffentliche Bibliothek dar, ohne dass man sie mit (thesengestützen) Interviews dazu bringen müsste. Obwohl diese Rede selbstverständlich ein politisch Ziel hat, ist es doch interessant zu lesen, dass sich die Initiative beispielsweise wenig um den konkreten Bestand Gedanken macht oder um die Angebote von AV-Medien, sondern hauptsächlich auf die Bedeutung der Bibliothek als sozial wirksamer Ort und Raum für Kinder ein geht.

Die Jerusalem-Jugendbibliothek ist nicht nur eine einfache Ausleihe. Es gibt über Monate hinaus ausgebuchte Veranstaltungen für Kindergärten und Schulen. Hier werden von pädagogisch versiertem Personal Bücherkisten für Schulklassen gepackt. Der Bücherbus ist hier beheimatet.
Die Jerusalem-Jugendbibliothek ist ein Zentrum des Ehrenamtes, Bürger aus dem Kiez halten Vorlesestunden ab, helfen Kindern, die zuhause keine Unterstützung erfahren, bei den Hausaufgaben. Jugendliche surfen hier unter Aufsicht im Internet.
Die Jerusalem-Jugendbibliothek ist ein gewachsener Ort, der eine sozial stabilisierende Funktion erfüllt, für die man Jahre braucht, um sie wieder aufzubauen.
Die Lehrerin einer Oberschule schreibt: Viele unserer Schüler nutzen die Bücherei, um Ihre Hausaufgaben zu machen, da sie sich im häuslichen Bereich nicht treffen dürfen.

Dies könnte – über den konkreten Anlass hinaus – einen wertvollen Hinweis für die Öffentlichkeitsarbeit von Bibliotheken darstellen.
Links: Die Rede als PDF, das Weblog der Initiative, auf dem diese ihre bisherige und zukünftige Arbeit darstellt.

Demonstration für Bibliothek

Früher, so Anfang der 1990er Jahre, gab es so was ja öfter, wie ein Blick in die damaligen Ausgaben bibliothekarischer Zeitschriften zeigt: Eine Demonstration für den Erhalt einer (Öffentlichen) Berliner Bibliothek. Aber hat sowas in diesem Jahrtausend schon einmal stattgefunden?
Nun ja, die in diesem Blog schon erwähnte Initiative für den Erhalt der Jerusalem-Bibliothek in Mitte (bibliothek.blogsport.de) ruft zumindest für den Freitag, 30.11.2007, ab 16.00 Uhr zu einer solchen auf. Siehe Aufruf.

Wo ist die Debatte – zu den öffentlichen Bibliotheken. Eine aktuelle Frage, heute in der Süddeutschen.

“Warum hat die Rede Horst Köhlers zur Eröffnung der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar nicht eine Debatte über Zustand und Zukunft der öffentlichen Bibliotheken des Landes ausgelöst?”

fragt der Journalist Jens Bisky heute in der Süddeutschen Zeitung (leider nicht online) und wir fragen uns langsam auch, warum der Schwung nicht greift, und in Berlin das Schließen der Bibliotheken zum lokalen Sparsport geworden ist, der mit Pankow vs. Mitte gerade ein Derby feiert.

Elke hat gestern hier im Weblog ziemlich direkt eine Art öffentliches “Forschungsportal” des Instituts angeregt. Vielleicht sollte es sich zusätzlich auch, da hier die wissenschaftlichen Reflexionskompetenz zu Aspekten der Bibliotheksentwicklung zu finden ist, auch stärker als Initiator, Förderer und Gestalter von Debatten zu solchen Themen einbringen, in dem es u.a. die Pro- und Gegenargumentationen kritisch durchleuchtet. Das wäre wirklich mal eine erlebbare und vielleicht wirkungsvolle Bibliothekswissenschaft, inklusive des offensichtlich gewünschten Marketingeffektes für das Institut selbst. Ich denke nämlich nach wie vor, dass exzellente Wissenschaft kombiniert mit umfassendem Wissenstransfer in die angegrenzenden Gesellschaftssphären Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft immer noch die beste Selbstdarstellung ist.

Für den Erhalt der Jerusalem-Jugendbibliothek

Aber hallo. Als ich vor einem Jahr nach Neukölln zog, wurde der hiesige Bücherbus stillgelegt und außer einigen Schülerinnen und Schüler, die sich bei einer Veranstaltung berechtigt aufregten, einem Kulturstadtrat, der alle Verantwortung auf sich nahm und gleichzeitig erzählte, dass er selber früher Stunden mit dem Fahrrad zur nächsten Bibliothek fuhr und einem Artikel in einer der örtlichen Umsonstzeitungen – passierte nichts. Die Bibliothek plante nichts, als ich nachfragte. Eine “Freunde und Freundinnen der Bibliothek”-Initiative, wie anderswo, gibt es ebenso nicht. Und da hängt sich auch niemand in der Bibliothek hinter. Nun ja.

Die Jerusalem-Bibliothek hingegen liegt in Mitte, in einem anderen Berliner Stadtbezirk und damit fast schon wieder in einer gänzlich anderen Bibliothekswelt. Sie könnte demnächst geschlossen werden. Die entsprechende Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung findet am 20. Dezember statt. Nachlesen kann man die gesamte Geschichte auf dem Weblog “Für den Erhalt der Jerusalem-Jugendbibliothek“, Unterschriften für den Erhalt sind gerne gesehen, ebenso andere Aktionsvorschläge oder das man einfach mal in der Bibliothek vorbeigeht und mit dem Personal über die jetzige Situation redet.
Ob das was bringt, kann man erst im Nachhinein sagen. Aber der Unterschied ist doch immens. Die Bibliothek als separate Einrichtung (Neukölln) oder die Bibliothek als öffentlicher Ort (Mitte).

Das Kommißbrot des Bibliotheksalltags, beschrieben vom Bundespräsidenten

Was aber hat die Leiterin einer maroden Stadtteilbibliothek in Dortmund, Offenbach oder Berlin davon, dass am Mittwoch eine der schönsten Bibliotheken der Welt glanzvoll wiedereröffnet wurde? Nichts, müsste die Antwort lauten, hätte Köhler nicht kurzentschlossen den Sprung von der Fest- zur Brandrede gewagt.Mit wenigen Sätzen skizzierte er die desolate Gesamtsituation der öffentlichen Bibliotheken in Deutschland und machte so selbst den ersten Schritt zur Verwirklichung seiner Forderung, Bibliotheken auf die “politische Tagesordnung zu setzen”. Köhler beklagte nicht nur die dürftige Versorgung auf dem Land, das Fehlen von Bibliotheken in mehr als achtzig Prozent aller Schulen und die nicht selten lächerlich zusammengeschrumpften Ankaufsetats vieler Universitätsbibliotheken, sondern er machte vor allem deutlich, dass in Deutschland das Bewusstsein dafür fehlt, dass Bibliotheken auch im Medienzeitalter die entscheidenden Bildungsorte neben den Schulen sind.

Hubert Spiegel kommentiert heute im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Rede des Bundespräsidenten zum Tag der Bibliotheken in Weimar (vgl. auch hier). Wie bewusst die Formulierung “Brandrede” in den Text rutschte, ist schwer zu beurteilen. Aber irgendwie passt sie schon, denn Bibliotheken müssen nicht unbedingt buchstäblich abbrennen und können trotzdem Schaden nehmen. Beispiele dafür gibt es in Deutschland eine ganze Menge. Mit der nur zur Begrüßenden Forderung “Bibliotheken auf die politische Tagesordnung” befindet sich der Bundespräsident auch in wunderbarer Harmonie mit dem Ziel der aktuellen IFLA-Präsidentin. Es wäre wirklich schön, wenn die etwas stille deutsche Bibliothekspolitik dadurch ordentlich Schwung bekommen würde.

Damit sich dies ändert, hat Köhler den Festgästen in Weimar nicht nur schöne Worte, sondern auch “ein wenig Schwarzbrot aus dem Alltag unserer öffentlichen Bibliotheken” offeriert. Besser als mit dieser Schwarzbrot-Rede hätte der Bundespräsident den Festtag nicht nutzen können.