IBI-Weblog » Börsenverein des Deutschen Buchhandels http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Über Widerstand, Fußabtreter und Respekt: Der Börsenverein hat nun eine eigene Urheberrechtserklärung http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=7181/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=7181/index.html#comments Mon, 22 Jun 2009 11:17:58 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=7181 “Die deutschen Verleger, Buchhändler und Zwischenbuchhändler teilen die im “Heidelberger Appell” ausgedrückte ernste Sorge, dass der fortschreitende Verlust des Respekts vor geistigem Eigentum zu einer dramatischen Verschlechterung der Bedingungen für die Schöpfung und Verbreitung hochwertiger Bücher führen könnte. Sie unterstützen den Widerstand wissenschaftlicher und literarischer Autoren gegen politische Tendenzen, durch die mit dem geistigen Eigentum [...]]]>

“Die deutschen Verleger, Buchhändler und Zwischenbuchhändler teilen die im “Heidelberger Appell” ausgedrückte ernste Sorge, dass der fortschreitende Verlust des Respekts vor geistigem Eigentum zu einer dramatischen Verschlechterung der Bedingungen für die Schöpfung und Verbreitung hochwertiger Bücher führen könnte. Sie unterstützen den Widerstand wissenschaftlicher und literarischer Autoren gegen politische Tendenzen, durch die mit dem geistigen Eigentum zugleich die Freiheit von Wissenschaft und Literatur mit den Füßen getreten wird. [...]“

Zum Ende der Buchtage 2009 erlässt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels nun auch seine eigene Resolution zum Urheberrecht und spricht sich dagegen aus, “dass Beschränkungen des Urheberrechts und fehlgeleitete Open Access-Modelle unternehmerische Initiativen ersetzen und verdrängen.”

Wie bedauerlicherweise üblich in der Diskussion geht es auch hier um nichts geringeres als die grundsätzliche Bedrohung des Kulturschaffens (beispielsweise “hochwertiger Bücher”). Als neues Element wird hier auf die nationalökonomische Spezifik der Wissensindustrie in Deutschland – sofern die Resolution mit “ein Land” Deutschland und nicht z.B. das ähnlich ressourcenarme Dänemark meint – beigefügt:

“Ein Land, dessen nahezu einzige Ressource geistig-schöpferische Leistungen sind, sollte international Vorreiter für die Lösung der schwierigen Problematik des Schutzes geistigen Eigentums im digitalen Zeitalter sein und sicherstellen, dass kreativ Tätigen die wirtschaftliche Grundlage erhalten bleibt.”

Wieso aber die Fortschrittlichkeit in diesem Nationenwettstreit ausgerechnet in einer Übertragung der zweifellos sehr elaborierten kulturellen Praxen der Analogverwertung in strukturell grundsätzlich anders funktionierende digitalen Kontexte liegen soll, wird nicht einsichtig. Allein schon die kleine Fixierung auf das Medium “Buch” verweist auf eine gewisste Begrenztheit der Wahrnehmung und vor allem ein Misstrauen dem Kunden/Nutzer gegenüber, das davon ausgeht, dieser würde ein schlechtes Digitalisat einem hochwertigen Buch grundsätzlich vorziehen.
Das macht er aber erfahrungsgemäß nicht, denn ein hochwertiges Buch, was immer das “hochwertig” hier tatsächlich bedeutet, bietet ihm eben einen spezifischen Mehrwert, den eine PDF-Datei nicht besitzt. Und umgekehrt. P-Book und E-Book sind grundsätzlich verschiedene Medien und wenn die Idee nur dahin zielt, dass Digitale zu gleichen Bedingungen wie das Gedruckte zu verwerten, dann befinden sich die Verlage auf einem Holzweg.
Man nimmt verständlicherweise an: Das was die Verlage mit der Erschließung des neuen Marktes zusätzlich einzunehmen und an Druck- und Vertriebskosten einzusparen hoffen, wenn sie eine Datei zum Hardcover-Preis verkaufen wollen, könnten sie am Ende vielleicht wieder durch nicht authorisierte Kopien verlieren. Ob das in der Gesamtrechnung stimmt, ist allerdings schwer belegbar. Denn nicht jeder, der ein Buch als Kopie durchscrollt, hätte dieses auch erworben. Und manch einer erwirbt es erst, weil er beim Durchscrollen feststellt, wie gern er es im Regal hätte. Es wirken also durchaus mehrere verschränkte Verhaltensformen. Dass aber der durchschnittliche Buchkunde, der materiell gesehen weniger Greifbares für dasselbe Geld bekommt und obendrein gern als potentiell Krimineller, den man prophylaktisch mit Nutzungsbeschränkungen maßregeln muss, an einem solchen digitalen Buchmarkt wenig Freude hat, ist dagegen absehbar.

Respekt vor dem geistigen Eigentum ließe sich womöglich besser vermitteln, in dem man auch von Verwerterseite nicht derart extrem demonstriert, dass man es ausschließlich als Ware sieht, die es mit der möglichst größten Marge zu verkaufen gilt.

Vermutlich wird es demnächst eher so sein – und darin liegt eine entscheidendere Gefahr für die Verwerter – dass sich hochwertige Bücherin diesem Zusammenhang besser verkaufen werden, als weniger wertige, bei denen man sich vielleicht tatsächlich mit einer Schnupperpassage auf Google Books begnügt, aus der man dann ableitet, dass der Kauf nicht lohnt. Für manche Verlage bedeutet dies eventuell, dass die Querfinanzierung nicht mehr steht. Bei anderen passt es aber vielleicht wieder. Kulturell wäre ein diesbezügliches wachsendes Qualitätsbewusstsein sicher kein sonderlicher Verlust.

Davon abgesehen würde sich der Börsenverein sicher einen Gefallen tun, wenn er das Schwert, welches er im anstehenden Verteilungskampf um die Distributionsmöglichkeiten im Internet gegen Google schärft, nicht gleichzeitig gegen das schummrige Feindbild Open Access richtet. Der Heidelberger Appell hat sich diesbezüglich auf argumentativen Ebene als schrecklich stumpf erwiesen. Sich wider weithin zugänglicher Information bezüglich seiner an dieser Stelle inhaltlichen Verdrehtheit derart renitent darauf zu berufen, zeugt nicht unbedingt von ausgeprägtem Gegenwartssinn und lässt die Frage offen, ob Deutschlands Kulturschaffen unbedingt auf einem solch lahmen Pferd in die digitale Zukunft reiten sollte.

Gegen eine Weitentwicklung des Urheberrechts ist dagegen nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Gerade das Wissenschaftsurheberrecht sollte hinsichtlich der Bedingungen digitaler Wissenschaftskommunikation dringend eine neue Form bekommen. Freiheit der Wissenschaft bedeutet nämlich eigentlich auch die Freiheit des Wissenschaftlers, seine Erkenntnis per Open Access bekanntzugeben. Dass die Wahrnehmung dieser Freiheit nur durch Einsicht und nicht durch Zwang erfolgt – jedenfalls in einer Kultur, in der sich der Wissenschaftler bei seiner Erkenntnis nicht als bezahlter Dienstleister, sondern hauptsächlich als individueller Schöpfer definiert – hat sich in der Open Access-Gemeinschaft weitgehend herumgesprochen. Beim buchfixierten Börsenverein offensichtlich nur bedingt. Immerhin spricht man relativierend von “fehlgeleitete[n] Open Access-Modelle[n]” (sh. oben). Es gibt also wohl auch richtige. Immerhin ein möglicher Silberstreif am Tellerrand.

Den Volltext der Erklärung gibt es im Börsenblatt: “Keine Zukunft ohne Rechtssicherheit”

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An der Copacabana und am Wörthersee: Die E-Book-Debatte ist nach wie vor von einer allgemeinen Verunsicherung geprägt. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6686/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6686/index.html#comments Thu, 12 Mar 2009 18:23:21 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6686 Aktuell regnen dank Messe Meldungen, Meinungen und Markteinschätzungen zum Thema E-Book ins Internet, dass man am besten alles abtropfen ersteinmal lässt, bevor man selbst noch seine Kanne dazugießt. Was man aber den Wortmeldungen zum Thema häufig anmerkt, ist, wie wenig die Protagonisten eigentlich über das Medium wissen und wie viel dabei in Kaffeesätzen herum- und [...]]]>

Aktuell regnen dank Messe Meldungen, Meinungen und Markteinschätzungen zum Thema E-Book ins Internet, dass man am besten alles abtropfen ersteinmal lässt, bevor man selbst noch seine Kanne dazugießt. Was man aber den Wortmeldungen zum Thema häufig anmerkt, ist, wie wenig die Protagonisten eigentlich über das Medium wissen und wie viel dabei in Kaffeesätzen herum- und vorgelesen wird. Hype trifft oft auf Halbwissen und führt dann zu solch unsinnigen Beiträgen, wie die kleine Radioreportage, die man neulich nachts im Deutschlandfunk in der Sendung Fazit hören konnte, aber danach am liebsten verpasst hätte.

Das Deutschlandradio Kultur hatte heute dagegen Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins und Verleger im Gespräch, der etwas überraschend zunächst das Medium E-Book mit dem Lesegerät synonym versteht und dann – oder deswegen – elektronische Texte ausgerechnet als untauglich für die wissenschaftliche Arbeit einstuft:

Bürger: Sie selbst sind ja auch Verleger der Berlin University Press. Ist das E-Book gerade im Bereich der Wissenschaftsliteratur eine interessante Alternative zum gedruckten Buch?

Honnefelder: Ich glaube, weniger. Solche wissenschaftlichen Texte, die wird man an seinem Schreibtisch haben wollen, wo man damit arbeitet. Da bietet der Vorteil des E-Books wenig. Sie können keine Notizen machen an den Rand, Sie können nicht gleichzeitig zwei Bücher lesen, aufschlagen. Für den Arbeitsbetrieb ist es also nicht geeignet.

Eventuell liegt es ja am Programm der bup, das überwiegend aus Titeln besteht, die man sich problemlos in der Sachbuchabteilung jeder größeren Buchhandlung vorstellen kann. Aber tatsächlich mangelt es dem ab heute in Deutschland erhältlichen Lesegerät an so ziemlich allem, was sich nicht nur Gottfried Honnefelder für die Arbeit im Text wünscht. Im Prinzip ist es kein Lesegerät, wenn man den Leseprozess tatsächlich als Interaktion mit dem Medium begreift, sondern ein Anzeigegerät. Ein Arbeitsgerät für elektronische Texte, wie es in der Wissenschaft sinnvoll wäre, sähe wohl eher wie eine Art Netbook aus, das vielleicht ein optimiertes Display und einen entsprechend reduzierten Stromverbrauch besitzt. Dafür aber eine Tastatur und die Möglichkeit, den Bildschirm zu teilen um zwei Textdokumente parallel anzuzeigen und Textstellen zu markieren, zu annotieren und über eine passende Schnittstelle in eine externe Anwendung (Textverarbeitungsprogramm, Weblog, etc.) zu exportieren. Abgesehen davon werden elektronische Texte in diversen Wissenschaftsdisziplinen schon spätestens seit dem Ende des letzten Jahrhunderts erfolgreich benutzt.

Verlässt das Gespräch im Anschluss das Feld der Wissenschaft, dann gelingt es dem Börsenvereinsvorsteher nicht ganz, den elitären Stich aus seiner Aussage herauszuhalten:

Bürger: Wofür dann?

Honnefelder: Zum Lesen!

Bürger: Sie selbst haben mal gesagt, es passt nicht ins Bett und zu Rotwein.

Honnefelder: Ich habe damit ausgedrückt, dass ich selber mir nicht das E-Book mit ins Bett nehme, aber ich kann mir gut vorstellen, dass mancher, der an die Copacabana geht, um sich dort zu sonnen, das E-Book mitnimmt und dort seinen neuesten Kriminalroman liest. Why not?

Mit dem Trendschmöker an den Strand und dann ordentlich durchbraten lassen – so stellt man sich also im Vorstand des Börsenverein den typischen E-Book-Leser vor und liegt damit sicher auch daneben. Zum Glück ist dem Interviewten nicht “Mallorca” herausgerutscht. Für den Börsenverein ist das Thema anscheinend trotz allem Libreka-Geklapper eher ein notwendiges Übel als ein Markt, dem man mit offenen Armen entgegenstürzt. Zurecht übrigens, denn für den E-Book-Vertrieb ist kein anderer als der Online-Handel sinnvoll. Den haben aber die vielleicht fünf Platzhirsche schon ganz gut unter Kontrolle. Ob iTunes den Börsenverein braucht, ist jedenfalls fraglich.
Die mittlerweile gut geplätteten Beispielszenarien von Strand bis “mit dem Rotwein vorm Kamin” sollte man sich dennoch mittlerweile schenken und vielleicht stärker bei der Sache selbst bleiben. Bei den DAISY-Hörbüchern, von denen heute 10.000 verkaufte Exemplare gemeldet werden, gelingt dies doch auch. Und die sind bei weitem das bessere Beispiel für eine sinnvolle Anwendung von elektronischen Büchern als der Krimi an der Copacabana.

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