Wo gibt’s Achillesfersengeld? Der Buchmarkt tappt durchs digitale Dunkel.

Zum Finale trompetete der Hamburger Wissenschaftler Michel Clement, der Buchmarkt habe ein Marketing-Problem, weil er einen Schwarzmarkt zulasse, indem er die Bücher nicht digital anbiete. „Wenn es die Verlage nicht tun, tun’s die User.“ Nassforsch stellte er die gängigen Vertriebsformen in Frage: Clement zufolge müssen Bücher heute digitalisiert, in Einzelteile zerlegt, aufbereitet, mit Metadaten angereichert und dann individuell vertrieben werden. Physische Bücher ausdrucken werde man künftig so wie heute Fotos – sei es auf Billigpapier, sei es mit Ledereinband.

Sind wir tatsächlich schon so digital? Erlebt der Buchmarkt im Trompetenstoß des Marketing-Professors Michel Clement sein Jericho? Ganz unrecht hat er vielleicht nicht, mit seiner “nassforschen” (wow!), heute in der Frankfurter Allgemeinen Analyse zum Buchmarkt zitierten Infragestellung. Abgesehen davon, dass ich meine Fotos nicht im Ledereinband ausdrucke, wundert man sich gegenwärtig schon ein wenig, warum Bücher fast durchgängig digital erstellt und oft digital gedruckt werden, die Verlage sich aber bei der digitalen Auslieferung so schwer tun. Der drohende digitale Schwarzmarkt wird dabei als Grund für eine weitwaltende Vorsicht (lies:Angst) in der Branche gesehen, ein Markt, der keine nationalen Rechtsbindungen mehr kennt:

Von rechtsstaatlichen Verhältnisssen im Netz träumen viele, derweil sich eine Download-Seite wie RapidShare einen Weltspitzenplatz erobert.


In der Tat kann man sich mit jeder gängigen Suchmaschine Zugang zu Seiten verschaffen, die Links auf üppige E-Book-Sammlungen enthalten. Vielleicht bin ich untypisch und/oder mittlerweile der Hamsterei abhold, aber die Aussicht binnen weniger 5000 neue Titel auf meiner Festplatte zu haben, deren Sammlung nicht einmal über ein bibliophile Neigung zu rechtfertigen ist, wirkt auf mich eher erschreckend. Denn im Gegensatz zur Musik, die nach und nach bei der Arbeit am Rechner als Klangtapete durchlaufen kann, erfordert Text meiner Erfahrung nach eine aktive und ausschließliche Wahrnehmung. Bei 5000 Titeln benötigt allein die Sichtung im Umfang von 5 Minuten pro Buch nahezu drei Wochen. Die 5000 Musikstücke habe ich in der Zeit immerhin einmal komplett durchgehört. Die praktische Motivation dahinter erscheint mir also kaum gegeben.

Und selbst im Musikbereich scheint das Horten von Gigabyte-großen Mengen Tonkunst den Zenit überschritten zu haben. Er erfüllt sich, was Jeremy Rifkin mit seinem Access-Principle vor einigen Jahren einmal ausformulierte: Wir kaufen (oder rauben) uns nicht das Objekt, also z.B- die mp3-Datei, sondern den Zugang zu diesem. Wer seine Musik bei last.fm sammelt, braucht nur noch den Zugang zum Netz und hat fast alle Songs, die man sich im Normalfall so vorstellen kann, für verhältnismäßig wenig Geld verfügbar. Und das man dort nach dem exzellenten Blechbläser Joris Roelofs bislang vergeblich sucht, liegt nicht am Prinzip, sondern daran, dass sein Label noch nicht auf dem Zug mitfährt und man noch auf seine Website gehen muss, um ihn zu hören.

Für die Verlage wäre das Bücherregal in der Cloud jedenfalls ein sinnvolleres Vorbild, als der wilde Lanzenritt gegen die Piraterie und die Überlegung, Dateien zu verkaufen. Amazon marschiert bereits ein wenig in diese Richtung, in dem einmal gekaufte Bücher auf dem Server vorgehalten werden. Google Books versucht und plant es in gewisser Weise auch: Der Leser mit seinem Lesegerät – das kann auch ein PC sein – erwirbt nicht das Buch, sondern den Zugang zu einem Text unter bestimmten Bedingungen, für eine bestimmte Nutzung und für einen bestimmten Zeitraum. Bei elektronischen Zeitschriften in der Wissenschaft funktioniert das Verfahren schon, nur eben der Markt nicht, so dass die Preisgestaltung mehr als unverschämt – eigentlich nassforsch – ist. Steht aber der Rahmen, macht das ubiquitäre Netz eine lokale Datenhaltung gar nicht mehr erforderlich und dem Kunden das Leben in gewisser Weise leichter. Keine Reader mehr für 300 Euro, sondern – analog zum Mobilfunkmarkt – für eine Schutzgebühr im Zusammenhang mit einer längerfristigen Vertragsbindung und gegebenenfalls einer Bücherflatrate zum Monatstarif. Warum der Bertelsmann-Buchclub diesen Strohhalm nicht greift, bleibt für mich nach wie vor ein Rätsel.

Gleichzeitig bleibt beständig die Frage im Raum, warum sich die Verlage momentan den Sprung in ein digitales Buchgeschäft überhaupt antun, wenn der Vorstandsvorsitzende von Random House Deutschland, Joerg Pfuhl, von „erhebliche[n] Investitionen in die neuen Technologie, die derzeit nicht refinanzierbar“ sind, spricht. Genauso, wie ich mir aktuell kaum vorstellen kann, dass die E-Book-Piraterie im Netz großartig boomt, sehe ich bislang überhaupt keinen übermäßigen Massenbedarf an elektronischen Büchern. Man investiert bislang tatsächlich für einen Fall, von dem kaum jemand einschätzen kann, wann er wie eintritt. Solange der P-Markt sein Niveau hält, gibt es eigentlich keinen Grund zur Panik. Ein Buch ist keine Musik-CD. Print-on-Demand-Angebot sind sicherlich für die Verlage bei Kleinauflagen eine wirtschaftlich sinnvolle Option. Für einen – noch billigeren – e-only-Vertrieb fehlen momentan jedoch im Publikumsgeschäft deutliche Anreize. Dies umso mehr angesichts dieser Feststellung:

Vierzig Prozent der Deutschen greifen nur noch selten oder nie zu einem Buch.

Ob es die Quote verbessert, wenn man der Blu-Ray-Disc ein E-Pub-Dokument entgegenstellt? Hier kommen letztlich auch wieder Bibliotheken mit ihrer möglichen Wirkung auf die Gesellschaft ins Spiel:

Leseförderung sei, wie Marktforscher Michael Söndermann so schön sagte, „die offene Achillesferse“ überhaupt.

Die wird vielleicht auch dann noch relevant sein, wenn wir endlich alle unsere Texte kindlen.

Update

Vielleicht sollte ich noch einmal deutlich darauf hinweisen, dass sich meine Aussagen hier nahezu ausschließlich auf den Publikumsmarkt beziehen. Für Fachinformationen gilt selbstverständlich, was Thierry Chervel heute schreibt:

Wer über den Buchmarkt spricht, sollte einen Blick auf die „Professional Information“-Verlage werfen: Konzerne wie Thomson verkaufen ihre Fachpublikationen nur ausnahmsweise noch zwischen Pappdeckeln. Was sie eigentlich verkaufen, ist Zugang.

Der Buchmarktexperte Rüdiger Wischenbart hat ausgerechnet, dass achtzig Prozent aller von diesen Verlagen produzierten Inhalte heute ausschließlich per Internet vertrieben werden. Wer nachdenkt, dem fällt’s wie Schuppen von den Augen. Bestimmte Arten von Büchern werden immer seltener benutzt: Stadtpläne, Wörterbücher, Lexika. Wer hat noch Loseblattsammlungen im Regal?

Leider vermischen aber auch diese Medienexperten und Perlentaucher zwei Formen, die der klareren Sicht halber getrennt betrachtet werden sollten.  Denn “Stadtpläne, Wörterbücher, Lexika” und meist Loseblattsammlungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht einen linearen Textfluß, sondern punktuell abzurufende Information enthalten. Sie sind also Informations- und Gebrauchsmedien, denen die, nennen wir sie mal so, Lektüremedien der Publikationsverlage gegenüber stehen. Es gibt eben nicht den Buchmarkt und den Facettenreichtum des Gegenstands einerseits zu ermitteln und andererseits zielgerichtet zu betrachten, sollte die Debatte eher bestimmen, als die gegenseitigen Schlagwortattacken (” Das Buch ist eine Website, die man bindet.”) von Vertretern der elektronischen und der gedruckten Medien. Und das Krimi-Strand-Beispiel kann man 2009 auch langsam einmotten…

2 Responses to “Wo gibt’s Achillesfersengeld? Der Buchmarkt tappt durchs digitale Dunkel.”


  1. 1Vera

    Das Problem mit dem Digitalisieren der Bücher besteht eigentlich nur für die Verlage. Sie verdienen dadurch weniger Geld, da Autoren sich das E-Book zunutze machen und ihr Buch selbst Publizieren können. Auf http://www.veroeffentlichen-heute.de wird über dieses Thema stark diskutiert.

  1. [...] FAZ-Artikel und den kürzlich verklinkten von Thierry Chervel auf und formuliert unter dem Titel Wo gibt’s Achillesfersengeld? Der Buchmarkt tappt durchs digitale Dunkel einige Fragen. Erstmalig las ich den Begriff “Bücherflatrate”. Ehrlich gesagt, ist mir [...]

Leave a Reply

You must login to post a comment.