Boom, Boom, shake the reading room. Das E-Book als Star der Buchmesse und im deutschen Feuilleton.

Wer heute die Tagespresse aufschlägt, ertrinkt erwartungsgemäß in Beiträgen, die das Buch, das Lesen und den wie immer dramatischen Wandel mehr oder weniger geschickt thematisieren. Das Deutschlandradio verkündete es schon, bevor man überhaupt die Blätter aus dem Briefkasten holte: Der Star der Buchmesse 2008 ist das E-Book und glaubt man dem, was man so liest, wird das Gastland in der medialen Begleitung zur Messe bestenfalls unter ferner liefen behandelt. Die Technik steht 2008 im Vordergrund, nicht die Inhalte. Die Buchmesse befindet sich “im Bann des eBooks” (ZDF). Hoffentlich wird sie dabei nicht zur Bannmeile für die Literatur. Wünscht sich mancher.

Hendrik Werner in der WELT hängt die Durchsetzung des Mediums erstaunlicherweise an das Verlagsangebot des S. Fischer-Verlags:

Der S. Fischer Verlag hat bereits angekündigt, Anfang 2009 E-Books anzubieten, sofern bis dahin die Urheberrechtsfragen geklärt sein sollten.

Wenn dieser Fall eintritt, dürfte, anders als bei den noch zögerlichen Etablierungsversuchen zu Beginn des Jahrzehnts, der Damm endgültig gebrochen sein. Damit bräche ein neues Kapitel der Mediengeschichte an, das kaum weniger folgenreich wäre als vor fünfeinhalb Jahrhunderten der Beginn des Gutenberg-Zeitalters.

Mit Paul Virilio hat der Verlag ja auch einen passenden Denker in der Backlist. Rasender Stillstand. Natürlich ist der Dammbruch auf etwas anderes bezogen und der Allgemeinplatz, dass die Veränderung, tief schürft, z.B. nach den Nuggets des Lesens im 21. Jahrhundert, ist unbestreitbar richtig. Die Buchmesse und das Buchwesen, das darf man nicht vergessen, sind ein Marktplatz und der Hauptzweck der E-Books ist, diesen neu zu beleben. Z.B. dank eines iPod-Effekts (Financial Times Deutschland). In gewisser Weise werden die Karten neu gemischt. So findet man u.a. einen Unterhaltungselektronik-Anbieter als technischer Türhüter zum Lektüreprozess. Wer auf E-Book-Reader umsteigt, wird natürlich zum Hardwaresubskribenten. Denn dass die Gebrauchsdauer der Einzelgeräte nennenswert länger sein wird, als die der Mobiltelefone wäre schon eine Überraschung. Wertigkeit und Digitaltechnologie gehen erfahrungsgemäß nur in den seltensten Fällen Hand in Hand. Der Kindle ist kein Schweinslederband, aber vielleicht bald in dieser Form lieferbar. Dann, so ahnt man leideprüft vom Heimcomputer, wird jedoch vermutlich der technische Fortschritt zum Neukauf animieren und das Wort Datenmigration dürfte auch dem Durchschnittsleser kein fremdes mehr sein.

Was am Autoren der WELT vorbeigegangen ist, ist die aktuelle Burnham-Debatte in Großbritannien (vgl. hier) und auch die jüngere Berliner Bibliothekspolitik, sonst würde er kaum von “Büchereien, diesen bislang kaum angefochtenen Stammhäusern literarischer Präsenz” sprechen. Das “kaum” ist wohl sehr dehnbar, denn mancherorts sind die schweren Säbel schon deutlich sichtbar gezückt.

Die Leser übrigens, so hat eine Umfrage von LovelyBooks herausgefunden, sind bereit. Nicht für den Kampf um die “Stammhäuser literarischer Präsenz”, sondern für das E-Book:

Von den rund 600 Befragten können sich 85% vorstellen, Bücher auf einem elektronischen Gerät zu lesen, 57% geben an, sich einen E-Book-Reader kaufen zu wollen.

Preislich würden Dreiviertel der Befragten auf 200 Euro pro Gerät mitgehen, wobei zu befürchten ist, dass es soweit gar nicht kommen wird, wenn die Großverlage ins Geschäft einsteigen. Denn dann ist es ein durchaus denkbares Szenario, dass man analog zum Mobilfunkgeschäft, beim Abschluss eines bestimmten Subskriptionsmodell die Hardware einfach mitbekommt. Rüdiger Wischenbach stellte heute im Virtualienmarkt vom Perlentaucher immerhin schon mal die Paketlösung vor:

Statt mühevoll, wie ein Buchhändler, für jeden einzelnen Titel den Kunden erneut zur Kasse zu bemühen, um da fünf oder dort 20 Euro zu kassieren, haben die digitalen Pioniere aufs viel einfachere Abonnement gesetzt. Die – überdies überwiegend institutionellen Kunden – bezahlen eine Gebühr für den Zugang zur Information, gewissermaßen als Abonnement.

Wir kennen solche Modelle aus der digitalen Pionierrepublik von der Internetflatrate, die uns auch gegen Gebühr den Zugang zum Infoversum gestattet.
Das Handelsblatt spuckt allerdings aus irgendeinem Grund in die Suppe und eröffnet mit der Überschrift: Boom bei elektronischen Büchern bleibt aus:

Nach einer Umfrage der Frankfurter Buchmesse wird das elektronische Publizieren auch in Deutschland mittelfristig nur eine geringe Rolle spielen.

Womöglich hat man aber vor allem die “technikkonservativen Verlage” befragt oder den Buchmessenchef befragt, den Hendrik Werner kennt und nicht ernst nimmt:

Da kann Buchmessen-Chef Jürgen Boos noch so sehr barmen, niemand werde je seine Goethe-Edition gegen ein Lesegerät eintauschen. Haptische Erwägungen und die Beschwörung der Aura des gedruckten Mediums sind zu sehr der alten Schule des Lesens verpflichtet, als dass sie nachwachsende Generationen noch nachhaltig berühren könnten.

Jawohl: sie sind von der alten Schule, verteidigen die Pfründe des Slow Readings, obschon anjetzo die Zeit an ihnen vorüber stürmt und neue Rezeptionsformen einer neuen Generationen den Alltag bestimmen. Da klingt er wieder in seinem forschen Urteil: der Kern jedes Aufbruchsdiskurses. Vorwärts immer, rückwärts lieber nicht. Das ist der Lauf der Dinge und die Zeit heilt zwar alle Wunden (stimmt auch nicht), ist aber in ihrem Fortgang hin zum Neuen gnadenlos. Und wer rastet, der rostet, auch wenn es nicht viel Neues unter der Sonne gibt. Das allerdings kann man gut zum Markte tragen.

Ebenfalls in der WELT hat Tilmann Krause eine schöne Idee, wie man gerade das Lesens, nicht zwingend im Stile der alten Schule, stärker fördern kann. Die Bibliotheken, so die These, müssten einfach Sonntags öffnen. Denn dann hat der werktäglich werktätige Mensch Zeit zum Lesen. Dass sie nicht als Kultureinrichtungen ernst genommen werden, liegt laut Kommentar offensichtlich darin begründet, denn Theater und Opern werden ja auch sonn- und feiertags bespielt. Was er vergisst: Nur für ca. 2 Stunden, auch wochentags. Oft in Konkurrenz zur Fußballländerspielübertragung. Dennoch:

Wenn Lammert sich nun dafür ausspricht, dass Bibliotheken auch am Sonntag für Benutzer zur Verfügung stehen sollten, bricht er nicht nur eine Lanze für mehr Dienstleistungskultur. Er weist auch darauf hin, dass die Welt des Buches und des Lesens anderen Kriterien gehorchen muss als denen, die durch eine gesetzliche Arbeitszeitordnung geregelt werden können.

Das werden die Bibliothekare aber nicht gern hören und gegebenenfalls Schichtzuschlag verlangen. Tilman Krause sollte mal mit seinem WELT-Kollegen reden. Dann könnten beide die Sonntagsöffnungszeit als arterhaltende Maßnahme ausdeuten. Denn bei Hendrik Werner liest man bei Thema “Treffpunkt Bibliothek” schon “von sachtem Abschied” und:

” Mindestens ebenso sehenswert indes ist „Treffpunkt Bibliothek“, die sentimentalisch anmutende Aktionswoche für ein akut bedrohtes Medium.”

Das klingt schon ein wenig nach Kulturmuseum. Erwähnt werden soll auch der Kommentar von Klaus G. Saur in der WELT, die ihn als einen der “führenden internationalen Experten der modernen Wissensvermittlung” vorstellt und der seiner Ansicht “„Kein Mensch ist in der Lage, länger als drei Minuten an einem Bildschirm zu lesen“ halbwegs treu bleibt:

“Nur was du Schwarz auf Weiß nach Hause nehmen kannst, hat Bestand. Dies wird bei den elektronischen Produkten natürlich häufig dadurch gelöst, dass es immer wieder Papierausdrucke von elektronisch gespeicherten Texten gibt. Denn nur das gedruckte oder kopierte Papier kann ich geräteunabhängig benutzen, im Bett, im Flugzeug, in der Badewanne oder sonst wo. Das macht nach wie vor einen entscheidenden Vorteil aus.”

Aber was macht man, wenn die nächste Generation der Lesegeräte spritzwasser geschützt ist. Das Badewannenargument fällt dann ins Wasser und natürlich sind auch heute nur wenige Ausgabeformate tatsächlich Badewannen tauglich. Die häufig derart angeführte Argumentation trifft bestenfalls für Taschenbücher zu, die weitaus jünger sind, als die “Gutenberg-Galaxy”. Die B42 hat sicher niemand mit den Waschzuber gehievt. Die Papierliebhaber sollten sich auch mal eine neue Diskussionsstrategie überlegen. Bis zu dieser Stelle liest sich der Kommentar von Klaus G. Saur aber prima, nämlich als Abriss der Mediengeschichte und er wirft dazu das Argument auf, dass sich das E-Book aus betriebswirtschaftlichen Gründen kaum für die Verlage lohnt:

Das Problem für den Verlag ist, dass seine Redaktions- und Dateneingabekosten, seine sogenannten Satzkosten nicht sinken, so dass lediglich die Produktionskosten, die aber nur einen vergleichsweise geringen Anteil in der Kalkulation ausmachen, in der elektronischen Version niedriger liegen als bei beim herkömmlichen Buchdruck.

Die quasi “Open-Platform-Strategies” von Amazon und zahllosen Web 2.0-Anbietern, die jedem, der es möchte, die Möglichkeit einräumen, elektronische Texte im ersten Fall für den Kindle und im zweiten einfach so bereitzustellen, stellen da schon ein ganz anderes Einsparpotential dar. Lektorat, Satz und all das übernimmt im Zweifelsfall der Autor selbst. Es würde also, wenn der E-Book-Trend so konsequent erhitzt gegessen würde, wie man ihn jetzt im Feuilleton und anderswo aufkocht, vor allem für die Akteure Verlag und Buchhandel schwer verdaulich. In der Konsequenz vielleicht auch für den klassischen Leser, der gut gesetzte, professionell lektorierte und ausgewählte Inhalte gern Seite für Seite, langsam und auch am Sonntag lesen möchte. Da es diesen aber, wie man oft liest, in der Digitalgeneration des 21. Jahrhunderts kaum mehr gibt, wird er auch als Zielgruppe für den E-Book-Markt zunehmend uninteressant.

1 Response to “Boom, Boom, shake the reading room. Das E-Book als Star der Buchmesse und im deutschen Feuilleton.”


  1. [...] verhindern können. Schon 25% der momentan ablaufenden Buchmesse bestehten aus digitalen Medien. (more) Man muss sich wohl abfinden damit und auch die Chancen und Vorteile der neuen Technologie in den [...]

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