IBI-Weblog » Frankfurter Allgemeine Zeitung http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Paper Passionsfrucht. Das FAZ-Feuilleton entdeckt den Librarian Chic. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8759/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8759/index.html#comments Wed, 27 Apr 2011 20:59:36 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8759 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist nun wahrlich nicht als Trend-Medium bekannt. Sondern eher dafür, dass sie die Gegenwartskultur mit einer ziemlich bodenständigen, bildungsbürgerlichen, bewahrensorientierten Elle misst und Ausdrücke wie Arrière-Garde richtig zu gebrauchen versteht. Daher mutet es mitunter beinahe rührend an, wenn sie doch zu Scherenelementen am Pauschenpferd der Modewelt des digitalen Lifestyles ansetzt. Im [...]]]>

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist nun wahrlich nicht als Trend-Medium bekannt. Sondern eher dafür, dass sie die Gegenwartskultur mit einer ziemlich bodenständigen, bildungsbürgerlichen, bewahrensorientierten Elle misst und Ausdrücke wie Arrière-Garde richtig zu gebrauchen versteht. Daher mutet es mitunter beinahe rührend an, wenn sie doch zu Scherenelementen am Pauschenpferd der Modewelt des digitalen Lifestyles ansetzt. Im Feuilleton der morgigen Ausgabe ist es denn wieder so weit (Kafka pour homme. In: Ausgabe vom 28.04.2011, S. 29). Angesichts der Ankündigung Karl Lagerfelds, einen Duft des Buches zu kreieren, schwingt sich der Kolumnist namens dhaa Daniel Haas zu einer sinnlichen Kür über sein Gerät, dass es mir fast schwer fällt, auf diesen Hut der duften Medienreflektion noch einen zweiten zu setzen:

“Wenn das Buch ausstirbt, was wird aus Lesezeichen, Bibliotheken, Bücherregalen? Sie wandern ins Museum, traurige Reminiszenzen an eine vergangene Zeit. Es sei denn, Lagerfeld wird in umfassender Weise aktiv, als Archivar quasi all jener Formen, die zum Buch gehörten. So wäre eine Modelinie denkbar mit dem Bibliothekar als Stilvorbild. Viel Cord käme zum Einsatz, gesunde Sandalen und Backenbärte.”

Genaugenommen ist es auch nicht notwendig, denn der in der FAZ gelüpfte ist ein eher alter. Die Kollegen von der Frankfurter Allgemeinen müssen nur mal ihre Berliner Seiten aufziehen, die anderhalb Blöcke von dem Büro in der Mittelstraße zum Dudler-Bau wandern und schon laufen ihnen Lagerfeld-in spe-Schnittmuster nach der obigen Beschreibung im Dutzenderpack über den Weg. (Vielleicht abzüglich der Sandalen. Als Fußbekleidung sollten es doch lieber ein Paar Veronique Branquinhos sein…) Bibliothekare sind längst Stilvorbild. Fashion-Untergrund waren sie vielleicht 2002, als Bands wie die 10,000 Maniacs (mit Frontfrau Natalie Merchant) die gewitzte Nerdiness als Profilierungsmittel erkannten. Thomas Helbing fragte – eigentlich ziemlich spät – 2008 in der LIBREAS-Popausgabe:

“Der Beruf des Bibliothekars erlebt eine Renaissance. Deren verschrobener Modestil inspiriert die Modedesigner; Streberlook und Krankenkassenbrillengestelle gelten als hipp. Warum?”

Mayer Hawthorne zeigte 2009 mit nonchalanter Grandezza, wo und wie der Cardigan zu hängen hat. Andere sinnieren stetig und stabil über die Hipsterisierung des Mediums Buch. Spätestens seit Christopher Brosius Kreation “In the Library” zieht ein mild parfümisierter Bücherduft auch durch Bielefelder Bibliotheksflure. Und während mir noch immer regelmäßig eine Ampulle “Opus II” aus der Amouage Library Collection mahnend über den Weg rollt und auf ihre Besprechung für LIBREAS wartet, hat Christopher Chong bereits den Teil V (Thema: Wissen im Internet) hervorgemischt. Der Bibliotheks-Chic ist längst in Knightsbridge angekommen (bzw. war er dort wahrscheinlich immer bereits Basisausstattung). Wir zelebrieren diesen natürlich gern und postmodern gebrochen schon aus Gründen der Standesehre. Da man mir allerdings jüngst sagte, dass der Memoir-Schleier, mit dem ich mich aus konzeptuellen Gründen zu umgeben neigte, etwas altrosa duftet, überlege ich nun ernsthaft, den Restflakon vor der nahe FAZ-Dependance abzustellen. Als Nachhilfe in Sachen Erinnerungs-Fashion oder eben – passend zum Thema – als Madeleine zum drauflosprousten.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=8759 0
Treffer! Versenkt!: Volker Gerhardts “bürokratischer Imperativ des Open Access” und die Schriftkultur http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=7098/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=7098/index.html#comments Wed, 10 Jun 2009 11:40:36 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=7098 Steter Tropfen höhlt den Stein, sagt man sich wohl bei der FAZ. Besonders wenn es um den unsinnigen Kreuzzug gegen das Open-Access-Prinzip bzw.: den Open-Access-Imperativ geht. Heute schreibt mit dem Philosophen Volker Gerhardt durchaus einmal jemand, von dem man solides Argumentieren erwarten darf, allerdings nicht exklusiv für die FAZ, denn diese hat seinen Beitrag für [...]]]>

Steter Tropfen höhlt den Stein, sagt man sich wohl bei der FAZ. Besonders wenn es um den unsinnigen Kreuzzug gegen das Open-Access-Prinzip bzw.: den Open-Access-Imperativ geht. Heute schreibt mit dem Philosophen Volker Gerhardt durchaus einmal jemand, von dem man solides Argumentieren erwarten darf, allerdings nicht exklusiv für die FAZ, denn diese hat seinen Beitrag für die Schwerpunktausgabe der Zeitschrift Gegenworte (Heft 21) auf zeitungstaugliches Niveau zusammengekürzt. Damit muss man erst einmal auskommen, denn die Gegenworte sind noch nicht erschienen. Man traut aber der FAZ-Redaktion zu, dass sie sich im sinngemäßen Kürzen auskennt und bedankt sich für die vorgreifende Nachverwertung.

Der Artikel  mit der mächtig abgeschmackten Überschrift “Open Exzess: Die Folgen des Publizierzwangs” (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.06.2009, Seite N5) zeigt sich am Ende leider auch wieder nur als dystopisch kolorierte Angst vor einem “Monopol” elektronischer Publikationsformen und davor als ein Hohelied auf die Verdienste der Verlagslandschaft für die Wissenschaft und die Gefahren der Zerstörung (sowohl als auch) durch das freie Publizieren im Netz.

Nun ist leider schon die Prämisse verkehrt, denn genauso wenig wie „das Internet“ als Feind des Intellektuellen und der Tageszeitung gibt es nur eine Form des „Open Access“. Statt rigorosem Publikationszwang werden diverse Schattierungen diskutiert und angewahnt und jemand, dem es an Argumentation gelegen ist, sollte wenigstens erklären, dass er mit einer übertriebenen Zuspitzung hantiert und nicht mit der Tatsächlichkeit der Sachlage. Die lautet: Es gibt momentan keinen Zwang zum Open Access. Und angesichts des Furors der Verlagslobby, einiger Heidelberger und mancher Wissenschaftler werden auch die Wissenschaftsorganisationen den Teufel tun und hier mehr als Freiwilligkeit verlangen. Bei konkreten Finanzierungsförderungen mag das anders aussehen. Aber das entspricht auch dem normalen Umgang mit Verlagen: Es gibt Bedingungen, die der Autor annehmen kann oder ablehnen.

Feindschaft zu den Verlagen sucht man in der Open-Access-Bewegung jedenfalls nicht. Sondern man unterbreitet ein Angebot, dass relativ neu, mitunter noch besser in die Rahmenbedingungen eingepasst werden muss, ansonsten aber durchaus seinen Zweck erfüllt.

Leider rufen Volker Gerhardt, der seinen Text eigentlich erfreulich moderat beginnt, und auch andere Beiträger zu der Debatte beim Leser ein wenig den Eindruck hervor, dass irgendeine dritte Macht versucht, der Wissenschaft eine Open-Access-Bürokratie aufzuzwingen, die wissenschaftliches Arbeiten, wie man es bisher kennt, nachhaltig beschädigen wird.

Open Access, woher er wirklich kommt

Dabei entfällt, dass Open Access eine Initiative aus der Wissenschaft heraus ist, die aus oft genannten, wohl bekannten und richtigen Gründen entstand – nämlich einerseits als Gegenreaktion zur so genannten Zeitschriftenkrise, die den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen durch das Monopol bestimmter wissenschaftsexterner Marktakteure kaum bis unbezahlbar machte und andererseits als Nutzung der zeitnahen und kostengünstigen technischen Möglichkeiten für die innerwissenschaftliche Kommunikation, die elektronischen Kommunikationsumgebungen nun einmal bieten.

Gleichwohl darf man sich nicht einbilden, mit dem Imperativ des Open Access der Wissenschaft etwas Gutes zu tun. Sie leidet schon lange genug unter der Verwechslung von Quantität mit Qualität, mit der das Rating an die Stelle der Urteilskraft tritt und die im Übrigen ein sicheres Indiz dafür ist, dass die Wissenschaft sich nicht mehr nach ihren eigenen Kriterien bewertet.

Dass das, was der Mensch so gern tut vom zu wenig ins zu viel kippt, ist eine Grunderfahrung nicht nur aus dem elektronischen Umfeld. Auch der Printmarkt überschüttet jeden leicht über engste disziplinäre Eingrenzungen hinaus Blickenden mit weitaus mehr Inhalten, als er vernünftig rezipieren kann. Das Klagelied: “Wer soll das alles lesen!” ist noch älter als “Wer soll das bezahlen!” Die Dokumentation hat mit den Abstract-Zeitschriften und ähnlichen Ansätzen vor weit mehr als hundert Jahren bereits Ausgleichsformen zur Komplexitätsreduktion entwickelt, die immer Perpetual Beta waren. Dies ist nun einmal der charakteristische Zug eines gesellschaftlichen Tätigkeitsfelds, das genuin nach Neuem strebt: Dynamik. Die Kommunikationswerkzeuge folgen immer mit einer gewissen Verzögerung dem tatsächlichen Geschehen. Es muss erst das Problem auftreten, bevor man die Lösung durchsetzen kann.

Im elektronischen Publizieren – denn eigentlich geht es Volker Gerhardt nicht nur um Open Access, sondern an sich um elektronisches Publizieren mit seinen Nebenwirkungen – ist dies genauso der Fall. Da diese Kommunikationsumgebungen mit so aussagearmen Kriterien wie Klick- und Downloadraten zunächst einmal exzellente quantitative Messmöglichkeiten bieten, greift jeder, der in der Lage ist, bewerten zu wollen oder zu müssen, zunächst beherzt zu. Wenn er dann aber schließlich darauf kommt, wie fehlgeleitet seine Schlussfolgerung aus einem rein mengenorientierten Ranking sein kann, wird er sich an die Entwicklung differenzierterer Ansätze machen. Es gibt durchaus rege Tätigkeit auf diesem Feld. Dass quantitative Evaluation wenig über die Güte von Wissenschaft aussagt ist mittlerweile ein Allgemeinplatz.

Eitel schreibt am meisten?

Warum hat Volker Gerhardt eigentlich so wenig Vertrauen in die Selbstregulierung der Wissenschaftsgemeinschaft?:

Jeder ist sein eigener Lektor, der dem Autor großzügig jede Eitelkeit durchgehen lässt. Mit der Verständlichkeit der Ausführungen hat er jedenfalls keine Probleme, schließlich hat er den Text ja selber verfasst. Von der Illusion umfangen, die Ablagerung im Netz sei schon die Aufnahme durch die wissenschaftliche Welt, verwechselt er die Produktion des Textes mit dessen Rezeption.

Glaubt er, dass seine Peers einen schlechten, im Netz abgelagerten Artikel seiner Feder unreflektiert rezipieren und applaudieren? Mit entsprechenden Diskussionsstrukturem im Web stände wohl eher schnell bei einem rezeptionsbasierten Post-Review-Verfahren an der entsprechenden Stelle: „Mir scheint, Sie sind ein eitler Geck/und schreibens nur zum eigenen Zweck“ – allerdings in der Etikette entsprechender Wissenschaftssprache. Traditionell reguliert die Wissenschaft, was sie für wissenschaftlich hält und nicht der Lektor im Verlag. Dieser markiert bestenfalls eine Schranke, die dafür sorgt, dass das Publizierte ins Verlagsprogramm passt. Er urteilt in erster Instanz nach Verkaufbarkeit, wobei Wissenschaftlichkeit bei wissenschaftlichen Verlag ein relevantes Kriterium ist. Zeitgeist aber auch. Der Abgelehnte geht im Regelfall einfach zu einem anderen Verlag und irgendwann wird sein Text doch gedruckt.

Fünf Stufen in die Versenkung

Wie dem auch im Print auch sei, für das Publizieren im Internet sieht Volker Gerhardt stufenweisen Schwund an Kultur und Kultiviertheit. Seine fünf „Sinkstufen“ zur Zersetzung der Schriftkultur sind allerdings nur der schematisierte Ausdruck, dass er sich eine Welt, in der der idealtypische Wissenschaftsverlag nicht mehr das tut, was man idealtypisch von ihm erwartet, nicht vorzustellen vermag.

Stufe 1: Kurz gesagt: Der Wissenschaftler stellt die Texte lieber selbst ins Netz und lässt die Verlage außen vor. Die dürfen ihn zwar noch drucken, erhalten aber keine Rechte – was eigentlich bedeutet: keine Exklusivrechte. Volker Gerhardt flüchtet sich an dieser Stelle in eine eher peinliche Polemik:

Zwar räumen sie den Verlagen die Möglichkeit zur Publikation der Ergebnisse ein, sind aber nicht bereit, ihnen auch Rechte zuzugestehen. Wie kämen sie auch dazu, wenn doch offensichtlich ist, dass die Verlage nur ihre Profite machen wollen? Unter Berufung auf den Konsens, der den Open Access so selbstverständlich macht, kann ein Wissenschaftler es doch nicht zulassen, dass sich ein Verlag an der Vermarktung von Ergebnissen bereichert, die unter Einsatz öffentlicher Mittel erzielt worden sind.

Derartig schlicht funktional ticken Wissenschaftler nicht. Es geht im Open Access nicht darum, den Verlagen ihre Leistung abzuerkennen oder sie zu beschädigen. Daher bestehen auch Embargo-Szenarien, die den Verlagen einen bestimmten Zeitraum geben, einen Titel sogar exklusiv zu vermarkten. Nur danach, wenn die Restauflage in der Backlist verschwindet oder remittiert wird, versteht man nicht, warum der Text nicht auch frei zugänglich im Netz stehen darf. Das Ziel eines Open Access-Ansatzes ist an dieser Stelle mehr ein Ausbalancieren der Interessen der Wissenschaft und der Verlage und nicht, letzteren die Existenzgrundlage zu nehmen. Selbst bei Pre-Prints ist die Verlagspublikation –sofern der Verlag seine Arbeit (gut) macht – eben nicht identisch mit dem E-Produkt. Das erklärt sich schon rein aus der Materialität des Druckwerks und schließt im Idealfall das Lektorat mit ein. Der Verlag publiziert in solch einem Szenario mit der ersten Auflage die zweite verbesserte und überarbeitete Ausgabe eines Textes.

Es ist unverständlich, warum diejenigen, die sich damit am besten auskennen, grundsätzlich annehmen, niemand würde eine solche Optimierungs- oder Veredelungsleistung honorieren und doch das Buch kaufen, obschon es denn Inhalt frei online gibt. Aus anderen Bereichen – z.B. der DRM–Diskussion – kennt man das Prinzip, dass Anbieter ihren Kunden grundsätzlich als Gefahr und Feind bewerten. Die Verlage begeben sich momentan oft in eine ähnliche Richtung und werden sicher von ihrem Misstrauensgrundsatz nicht profitieren. Sie vergessen gern, dass man sie nie für die Inhalte selbst bezahlte, sondern nur dafür, dass sie diesen eine rezeptionsadäquate Form gaben. Oder, weil sie der einzige Weg waren, um die Inhalte überhaupt zur Kenntnis nehmen zu können. Der zweite Punkt verschwindet zugegeben mit Open Access und trägt damit der Verfasstheit immaterieller Güter wie der wissenschaftlichen Information konsequent Rechnung. Der erste Punkt bleibt, gerade im elektronischen Umfeld, hoch relevant.

Die zweite Stufe betrifft das Wegfallen der Bibliotheken als Käufer von Büchern:

Die zweite Sinkstufe besteht darin, dass die Verlage keine Möglichkeit mehr sehen, Texte herauszubringen, die ihnen noch nicht einmal mehr die Bibliotheken abkaufen, weil ja ohnehin alles kostenlos im Netz zu haben ist.

Es wurde schon vermehrt darauf hingewiesen, dass im Bibliotheksetat ein übergroßer Anteil in die objektiv überteuerten Zeitschriftenpakete einige Monopolverlage gehen, was sich negativ auf die Monographieetats auswirkt. Gerade hier müssten die mittelständischen Wissenschaftsverlage Open Access befürworten, da dadurch wieder Geld für ihre Produkte frei werden könnte. Internetpublikationen erweisen sich für die argumentativ ausgerichteten Disziplinen nicht als zwingend vorteilhaft. Wenn die Wissenschaftler als Bibliotheksbenutzer also einen entsprechenden Bedarf artikulieren und als mündige Nutzer auftreten, die nicht alles hinnehmen, was ihnen die Sparvorhaben eines Berliner Senats aufdrängen möchten, dann werden sie auch mit längerer Perspektive das Printprodukt ins Freihandregal bekommen, das sie möchten. In der Bibliothekswelt predigt man jedenfalls andauernd, wie wichtig Nutzerorientierung ist. Man wird das gedruckte nicht gegen den Willen der Wissenschaftler aus dem Bestand nehmen. Dass die Einrichtungen Dienstleister für die Wissenschaft sind, ist weitgehend Konsens. Dass Bibliothekare bislang als Sinnenmenschen selbst zumeist Bücher bevorzugen, ist auch bekannt.

Ein anderer Punkt ist das grundsätzliche Vorurteil, Netzpublikationen seien per se von minderer Qualität, denn sie basieren „auf der dilettantischen Textbearbeitung durch die Editoren.” Wer sagt denn, dass nicht inner- und außeruniversitär Raum für professionelle Edition auch von Netz- und OA-Dokumenten ist? Wieso sollen ausschließlich die traditionellen Verlage entsprechende Kompetenzen aufweisen? Wenn die Verlage clever sind, dann orientieren sie sich verstärkt auf dieses Feld und entwickeln ansprechende und hochwertige Formen für die netzpublizierten Inhalte. Fast niemand erfreut sich daran, Inhalte auf Quellcodeniveau oder im Rohschnitt zu lesen. Warum sollte man längerfristig daran Geschmack entwickeln?

Entsprechend redundant ist dritte „Sinkstufe“. Volker Gerhardt vermisst bei Netzpublikationen die “kundige Bearbeitung durch professionelle Lektoren und Produzenten”. So etwas ist für ihn im Open Access scheinbar ausgeschlossen, denn die Wissenschaftler selbst bekommen nur die elementaren Forschungsvoraussetzungen. Allerdings sind spätestens seit dem DTP Wissenschaftler nicht selten ihre eigenen Setzer und Korrekturleser. Nicht, weil sie es wollen, sondern weil manche Verlage so wenig von der „kundigen Bearbeitung durch professionelle Lektoren und Produzenten“ halten, dass sie diese lieber einsparen und die Devise pflegen: „Formatier selbst oder publizier eben nicht.“ In den Bibliotheken finden sich durchaus nicht wenige Publikationen, bei denen „eine sinnfällige Gestalt, eine brauchbare Oberfläche und eine solide Tiefenstruktur“ für die Verlage bei weitem nicht so wichtig waren, wie ein Relevanz verkündender Titel und ein entsprechend tüchtiger Preis.

Bei den Open Access-Verfahren bleibt die Zusatzbelastung des Wissenschaftlers natürlich gleich. Aber auf die schwarzen Schafe unter den Wissenschaftsverlagen ist er immerhin nicht mehr angewiesen. Das Schema der professionelleVerlag hier, der dilettantische Wissenschaftler da ist so nicht haltbar. Zudem kann man sich durchaus vorstellen, dass den Wissenschaftlern z.B. in Bibliotheken Fachleute mit dem Zuschnitt der Unterstützung im Publikationsprozess zur Seite stehen oder gegebenenfalls die Publikationsvorbereitung übernehmen. Nicht zuletzt erweist sich der Universitätsverlag, der in Deutschland eine eher geringe Tradition hat, als Möglichkeit, eine Qualitätskontrolle zu etablieren. Volker Gerhardt zeigt sich weitaus pessimistischer:

Die zuständigen Forscher werden kaum mehr als Arbeitsgrundlagen zur Verfügung stellen. Von Büchern, die man wenigstens mit Hilfe eines i-books lesen möchte, kann keine Rede mehr sein. Die Pflege der Websites ist damit noch gar nicht berührt.

Die Pflege der Websites wird doch eigentlich weitgehend sauber geleistet? Das Apple-Product-Placement wirkt dagegen etwas zu aufgesetzt. Wenn sogar das E-Book vergehen wird, dann doch lieber auf dem Kindle

Die vierte Sinkstufe bietet in der Aussage nichts substantiell anderes, als die vorhergehenden bereits enthielten. Die Ergänzung liegt darin, dass es seiner Rechnung nach billiger ist, die Bücher von Verlagen zu kaufen, als die Wissenschaftler mit dem „Sachverstand in den Verlagen“ auf eine Kompetenzstufe zu heben. Da aber im Open-Access-Kontext die ganze Vermarktungsmaschinerie entfällt, also das kaufmännische Element, spart man wieder etwas ein.

Gerechter war diese Finanzierung durch den Nutzer allemal. Doch das ist dann bereits Vergangenheit, die sich nicht zurückholen lässt, weil die Etats der Wissenschaft mit Sicherheit nicht ausreichen, um alles das zu finanzieren, was derzeit noch die Verlage bieten.

Auch hier sollte sich Volker Gerhardt einmal mit den Kollegen von der Universitätsbibliothek kurzschließen und erfragen, wie gerecht eigentlich die Preisgestaltung bei den großen STM-Verlagen ist, der die Bibliotheken und indirekt die Wissenschaftler folgen müssen.

Die Stufe Fünf entspricht dem Verlust des kulturellen Erbes. Denn ohne gedruckte Originale, so das Argument, sind die digitalen Daten verloren, wenn sie verloren gehen. Von LOCKSS oder vergleichbaren Ansätzen hat Volker Gerhardt womöglich noch nichts gehört. Das muss er auch nicht unbedingt. Aber er könnte sich durchaus denken, dass diejenigen, die sich permanent und professionell mit Fragen des elektronischen Publizierens befassen, auch die Fragen der Langzeitarchivierung von digitalen Inhalten in ihrem Wahrnehmungs- und Entwicklungsradius berücksichtigen.

Fazit

Eigentlich ist der Niedergang der Kultur, den Volker Gerhardt hier ausmalt, ein Niedergang des Verlagswesens, wie wir es kennen. So weit so schlimm. Die Frage ist, ob er überhaupt eintritt. Die Bandbreite möglicher Entwicklungen umfasst durchaus positive Szenarien, die auch Verlagen eine Rolle selbst in Open-Access-Kontexten zugestehen.

Was weitaus stärker erstaunt, ist, wie sehr hier die selbstregulierende Funktion des Kommunikationssystems Wissenschaft unterschätzt wird. Die Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass es immer um ein Ausbalancieren zwischen dem Machbaren, dem Wünschbaren und dem Zweckmäßigen. Letzteres setzt sich für eine Weile durch, unterliegt aber permanenter Modifikation durch die anderen beiden Einflussgrößen. Eine mediale Grundform besetzte bisher immer ein bestimmtes Zeitfenster und einen bestimmten disziplinären Wirkungsrahmen als dominante Größe. Dann verlor es an Bedeutung. Das kulturelle Erbe hat dabei bisher weniger durch Medienwechsel als durch Ignoranz Schaden genommen. Mangelnde Sensibilität ist in jeder Hinsicht ein Problem. Das „Monopol“ elektronischer Medien ist genauso wenig zu begrüßen, wie das Monopol des Papiers. Noch im 19. Jahrhundert galt das Schreiben dem Reden in der Wissenschaft als nachgeordnet. Vielleicht ist es im 21. Jahrhundert so, dass die in elektronischen Umgebungen möglichen Echtzeitkommunikationen über Plattformen, die wir bisher kaum kennen, zu einer Rückkehr der Oralität in verschriftlicher Form auch in der Wissenschaft führen. Die Kritik, denn der Peer direkt an der richtigen Textstelle im Pre-Print einfügt und auf den der Autor dann wieder eingeht, sind eine sinnvolle Variante für einen unmittelbaren und lebendigen Diskurs. Nachträglich lesen muss man das eigentlich nur, wenn die Debatte wieder zu dem Punkt zurückkehrt. Man könnte es, denn es ist sauber dokumentiert. Was im Idealfall am Ende steht und bleibt, ist das geschriebene Wort. In einer erweiterten, nicht versunkenen Schriftkultur.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=7098 13
Na klar stimmt das, ich hab’s aus der FAZ! Der Mittwoch als Tag des Urheberrechtsstreits. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6866/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6866/index.html#comments Tue, 05 May 2009 23:50:15 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6866 Sollte die Universität ihre Vorstellung durchsetzen können, würden ihre Forscher keine Bücher mehr veröffentlichen. Macht dieses Beispiel Schule, so läuft das auf eine Verabschiedung der geisteswissenschaftlichen Forschung von der Buchproduktion und tendenziell auf eine Abschaffung des wissenschaftlichen Buches und des geisteswissenschaftlichen Verlagswesens hinaus. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fährt in ihrer heutigen Ausgabe eine wahre Armada [...]]]>

Sollte die Universität ihre Vorstellung durchsetzen können, würden ihre Forscher keine Bücher mehr veröffentlichen. Macht dieses Beispiel Schule, so läuft das auf eine Verabschiedung der geisteswissenschaftlichen Forschung von der Buchproduktion und tendenziell auf eine Abschaffung des wissenschaftlichen Buches und des geisteswissenschaftlichen Verlagswesens hinaus.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fährt in ihrer heutigen Ausgabe eine wahre Armada an Beiträgen zum Thema Urheberrecht und digitale Medien und generell gegen den Open Access auf. Wirklich überzeugen kann sie dabei aber nicht. Drei Lektüreeindrücke:

1. Open Access und die totale Kontrolle – mit Michael Hagner

Der mal berühmten, mal berüchtigten Open Access-Idee widmet der Zürcher Wissenschaftshistoriker Michael Hagner einen satten Dreispalter (Open access als Traum der Verwaltungen. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.05.2009 Seite N5, online), und die Bildredaktion stellt ihm einen schönen schiefen Bücherturm ins Zentrum. Er lobt die deutsche Situation, wie sie Volker Rieble sieht (vgl. auch hier), und schimpft ob des Zwanges, den die ETH mutmaßlich per Arbeitsvertrag auch auf die Geisteswissenschaftler dahingehend ausübt, dass sie ein Nutzungs- und Verwertungsrecht für “sämtliche im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erstellten Werke, Erfindungen und Computerprogramme” von ihren Mitarbeitern einfordert.

Man versteht schnell, dass dies so manchen Wissenschaftler tief im Kern seines Selbstverständnisses trifft und muss damit auch als Freund des Open Access-Gedankens nicht unbedingt einverstanden sein.

Dennoch fragt man sich, ob der Sturm, den man hier zusammenbraut, der tatsächlichen Praxis oder nicht eher einem Quirlen im Wasserglas entspricht. Welche Sanktionsmöglichkeiten bleiben eigentlich der Universität, wenn ein Geisteswissenschaftler eben doch selbst erst zum Verlag geht, diesem viel Arbeit macht und nicht daran denkt, seinen Text der Universität zu schenken? Wird sie ihn abmahnen? Fristlos entlassen? Wird sie ihre Wissenschaftler davonjagen und die Fakultäten der renitenten OA-Verweigerer auflösen?

Wahrscheinlicher ist, dass diese Geschichte gar nicht so heiß gegessen wird, wie man sie der Öffentlichkeit aufbrüht. Es wäre schön, wenn die ETH sich einmal offen dazu äußerte und Michael Hagner plus Kollegen versichern würde, dass sie auch zukünftig mit einer Monographie, “die am Abend, an den Wochenenden, in der vorlesungsfreien Zeit und vielleicht sogar im Forschungsfreisemester, das einem die Universität gewährt hat, entsteht”, zu einem mittelständischen Wissenschaftsverlag ziehen dürfen. Dann wäre das Kartenhaus der Kampfdebatte aus Heidelberg und anderswo ziemlich schnell seiner Standfestigkeit beraubt, denn man baut, so weit zu sehen ist, nahezu ausschließlich auf den Sand dieser zugegeben sehr unglücklichen Formulierung.

Das Zitationsproblem, das Hagner sieht, wenn er das Manuskript auf den Server legt, ist dagegen am Ende womöglich ein nicht ganz so riesiges:

“Sollen zwei Fassungen publiziert werden, eine vorläufige auf dem Universitätsserver und eine definitive als Buch im Verlag? Das wäre absurd, denn nach welcher sollte dann zitiert werden?”

Eine digitale Editionsphilologie wäre doch auch sehr spannend. Zitiert wird in praxi natürlich die der jeweils der Argumentation zugrunde gelegten Variante.

Eine zeitgemäße Wissenschaft ist sich nun mal ihrer Vorläufigkeit bewusst und wenn sich Open Review als offene Diskursform etabliert, gewöhnt man sich sicher schnell daran, auch mal den Rohschliff zu lesen, zumal wenn es sich bei den Zutaten der Verlage nur um “Sichtung, Lektorat, Umbruch, Satz” handelt. Inhaltlich sollte sich dann eigentlich nicht mehr viel zwischen digitalem Manuskript und Druckausgabe verschieben.

Die Monographie bleibt natürlich selbstredend als zentrale Rezeptions- und Referenzversion solange die Wissenschaftsgemeinschaft dies möchte. Das System der Wissenschaftskommunikation ist traditionell weitgehend selbst organisierend und daran kann auch eine einzelne Universitätsverwaltung wenig drehen. Sollte die Monographie innerhalb der Gemeinschaft als das optimale Kommunikationsmedium akzeptiert bleiben, wird es sie auch geben. Entwickeln sich Kommunikationsformen, die besser geeignet sind, scheint es eigentlich widersinnig, gegen diese anzufechten. Anzugehen wären also hier für den konservativen Vertreter einer Disziplin im (langsamen) Wandel eher die Vertreter der eigenen Zunft, die von der heiligen Kuh des gedruckten Buches abfallen und lieber in anderer Form publizieren. Nur muss die Wissenschaft dies unter sich aushandeln und nicht nach übergreifender Regulierung rufen. Soviel Selbstvertrauen in die Fähigkeit zur Selbstorganisation der Wissenschaftsgemeinschaft setzt man doch eigentlich voraus.

Obendrein wird – so einfach ist das – bei entsprechend moderater Preisgestaltung niemand Lust haben, sich ein Lehrbuch zur Wissenschaftsgeschichte raubauszudrucken. Oder am Bildschirm lesen.

Wenn die Verlage also wirklich derart formal qualitativ hochwertige Monographien herstellen, sollten sie keine elektronische Version fürchten. Sie tun es anscheinend dennoch und Michael Hagner gleich mit, denn erwartungsgemäß geht es in seinem Text auch wieder nicht ohne dem schlimmstmöglichen Fall: Den Dolchstoß, zu dem die Universität ausholt, um das grundlegende Kommunikationsmedium der Geisteswissenschaften plant, also das Buch, auszulöschen. Denn es ist der verbliebene Dorn im Auge einer, so erscheint es in der vorliegender Argumentation, nach totaler Kontrolle strebenden Verwaltung, eine letzte Bastion freier Wissenschaft.

Die Universitäten werden dafür in der Beweisführung in ihrer potentiellen Schurkigkeit bzw. Indifferenz gegenüber dem Medium Buch mit den renditewilden Großverlagen Wiley, Elsevier oder Springer “die den Heidelberger Appell nicht unterzeichnet haben” (oha! Welch Zeichen!) in eine Ecke geschoben. Und über allem steht als Mahnung der Albtraum der aktuellen französischen Wissenschaftspolitik.

Dass “H-Faktor”-Versessenheit aber nicht zwangsläufig etwas mit Open Access zu tun hat und Open Access auch nicht unbedingt etwas mit der Gleichmacherei von Publikationen auf einem “Leviathanschen Server”, also mit totaler Kontrolle der Wissenschaft durch die Universitätsverwaltung, sollte man vielleicht doch deutlicher herausstellen. Michael Hagner lässt sich mit seinem ziemlich nach Versöhnung formulierten Einstieg die Möglichkeit zwar offen, schlägt dann aber bald perjorativ im Volker-Rieble-Stil (OA ist gut für den qualitativen Bodensatz: “Es ließe sich viel Papier sparen.”, vgl. hier) zu und überspitzt das Gesamtbild derart, dass der unkundige Leser meint, auf den Schultern des Open Access ritte der Beelzebub der Knechtung freier Wissenschaft einher – “keine Überraschungen und Exzentrizitäten mehr möglich”? Hier lässt sich problemlos die Brücke wohl eher nach Bologna schlagen (vgl. auch den Beitrag von Pirmin Stekeler-Weithofer auf der selben Seite), das in der Lehre vormacht, wie man es in der Forschung nicht machen sollte und von da vielleicht zum McKinseyanismus, der in der Wissenschaftspolitik unglücklicherweise als Leitstern und Irrlicht zugleich aufging. Die freie Wissenschaft kämpft gegen eine die totale Kontrolle anstrebende Verwaltung – so die Essenz des Textes. Soweit so gut. Open Access aber zum Werkzeug dieser Verwaltung bei der Durchsetzung ihres vermeintlichen Kontrollwahns abzustempeln, verfehlt das Ziel komplett. Gerade um einer Überregulierung von Wissenschaft vorzubeugen, sollte man eher den Open Access-Gedanken als Form alternativer, offener Publikationsformen stützen. Das Weihwasser, das hier versprüht wird, trifft eigentlich irgendwie die Falschen.

2. Open Access und die Überfischung der Wissenschaft – mit Jürgen Kaube

Jürgen Kaube setzt das Feuerwerk eindringlicher Untergangsbilder gleich neben Michael Hagners Albtraum der totalen Verwaltung fort und führt anlässlich der Darmstadt-Download-Debatte den nicht schlüssigen Vergleich zwischen offenen digitalen Lesegründen und der Überfischung der Weltmeere an(“Ein immergrüner wissenschaftlicher Weidegrund”, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.05.2009 Seite N5). Digitale Dokumente haben nun mal – man kann es nicht oft genug betonen – die Eigenschaft, sich nicht abzunutzen, auch wenn sie 1000 Mal kopiert und gelesen werden. Die “wissenschaftliche Allmende” lässt sich nicht auf den blanken Stein abgrasen, sondern bleibt strukturell immergrün. Auch mit Standesdünkel gegen die “copy and paste”-Praxis gespickt wird solche Argumentation nicht richtiger.

Wenn der Verlag Eugen Ulmer sich gegen eine zeitgemäße elektronische Nutzung seiner E-Books ausspricht, empfiehlt sich wohl eher, auf elektronische Publikationen ganz zu verzichten, als hier mühsam mit irgendeinem unsinnigen DRM-System herumzubasteln. Vom hohen Ross des Qualitätsjournalismus-Labels herunter die Rezeptionspraxis (bzw. die “sinngemäße Benutzung eines Lehrbuches”) als Argumentationsmaßstab anzulegen, wirkt dagegen unangenehm überheblich. In der Tat ist die Aufgabe der Bibliotheken in einem freien Wissenschaftssystem eben keine erzieherische, indem sie den Nutzern vorschreibt, wie sie Texte zu lesen haben. Bibliotheken sammeln, erschließen Inhalte und bieten den Zugang an. Nicht mehr und nicht weniger. Was der Nutzer mit den ihm zur Verfügung stehenden Quellen anfängt, ist ihm weitesgehend selbst überlassen. Ein freier wissenschaftlich Arbeitender würde sich vermutlich auch ausdrücklich dagegen verwehren, dass die Bibliothek ihm sagt, was er wie zu rezipieren und zu verarbeiten hat.

Wenn man so will, geht es tatsächlich um eine “Verbreitung von Datensätzen”. Ob Professor Schulze und sein Verlag und Jürgen Kaube damit nun glücklich sind oder nicht, liegt nicht im Zuständigkeitsbereich der Bibliotheken. Nochmal: Wenn der Verleger Matthias Ulmer mit elektronischen Büchern sein Geschäft machen möchte, muss er sich auch mit den Besonderheiten des Mediums auseinandersetzen. Der beste digitale Kopierschutz ist bislang die Print-only-Ausgabe. Und Jürgen Kaube sollte man bei der Gelegenheit vielleicht auch noch einmal mitteilen, dass bei weitem nicht alle Bibliothekare Verfechter der “freien Zugänglichkeit” sind. Solche Schubladereien sollten in einer distinguierten Zeitung wie der FAZ eigentlich keinen Platz finden.

3. Open Access und Kompetenzeinbußen – mit Stefan Weber

Das „Google-Copy-Paste-Syndrom“ treibt aber nicht nur Jürgen Kaube, sondern – und zwar schon eine ganze Weile und hauptberuflich – auch den Salzburger Netzplagiatorenjäger Stefan Weber um. Die FAZ räumt ihm ganz passend zu ihrem Schwerpunkt ebenfalls viel Platz ein, um seine üblichen Überlegungen ein weiteres Mal zu präsentieren (Na klar stimmt das, ich hab’s aus dem Netz! Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.05.2009 Seite N3). Auch hier dominiert Endzeit, denn

“Der Matthäus-Effekt des Netzes könnte weiter dazu führen, dass Qualität und Innovation systematisch untergehen. Open Access und die Google-Buchsuche sind Schritte zur Abschaffung der Druckkultur. Offenbar kollabiert damit auch deren Referenzkultur. Irgendwann könnten dann auch die Texte selbst, so wie wir sie derzeit noch kennen, obsolet werden.”

Man beachte den wegkippenden und wiederkehrenden Konjunktiv. So ganz festlegen möchte sich nun mal niemand gern. Aber wenn, dann ist Open Access schuld, denn es führt, da “alle neuen Texte digital und gratis verfügbar” sind, zum Aussterben – so der eigenwillige Schluß – wissenschaftsgrundierender Kompetenzen wie “quellenkritische[s] Rezipieren, Verstehen, Interpretieren und Einordnen”. Selbstverständlich lernt sich wissenschaftliches Arbeiten nicht von allein. Schon gar nicht in so gestreuten Informations- und Kommunikationsräumen wie dem WWW.

Es gibt aber sicher keinen ernstzunehmenden “Open-Access-Befürworter”, der von derartigen autodidaktischen Effekten ausgeht und eine methodische Grundausbildung im Studium durch bloßes Bereitstellen von digitalen Dokumenten ersetzt sehen mag. Die beiden Schuhe passen also nicht so recht zusammen, aber, so glaubt man wohl, lassen sich dadurch passend machen, dass man permanent alles zusammenrührt und auf das Unliebsame Geißel und Bedrohung und dann dick drunter Es ist fünf vor zwölf! schreibt. Andererseits könnte man auch anstatt der allgemeinen Verdammnis die Option in Betracht ziehen, Diskursregeln für digitale Räume zu elaborieren. Es ist durchaus sinnvoll zu überlegen, wie man Quellenintegrität und Vertrauenswürdigkeit in elektronischen Symbolzusammenhängen hinterlegt. Dazu existiert ernsthafte Forschung, nur schafft diese es selten in das Feuilleton, zu dem man die heutige Ausgabe der geisteswissenschaftlichen Sektion der FAZ zählen muss.

Alarmismus statt solider Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte erscheint hier als rhetorisches Mittel der Wahl zur Einflußnahme, denn bei nahezu allen Beiträgen, die sich zum Thema in der Zeitung finden, wird der Impetus sehr deutlich. Für die richtige Lehre, die da heißt (1) Erhaltung der Gutenberg-Galaxis – die gar nicht bedroht ist – und (2) Übertragung von analogen Vorstellungen auf eine in grundsätzlichen Struktureigenschaften vollkommen differenten digitalen Medienwelt – was freilich holprig verglichen so funktioniert, als wollte man die Straßenverkehrsordnung eins zu eins in den Luftverkehr übertragen – darf man in der Qualitätspresse auch mal über die Strenge schlagen, alles was zum gewünschten Ziel führt herumbiegen und zusammenschustern und schließlich dem verhassten Open Access ein Heidelbergisches Stigma nach dem anderen aufdrücken. Wenn es denn nur für die richtige Stimmung sorgt. Als sonderlich nachhaltig über den Tag hinaus dürfte sich solch ein Vorgehen nicht erweisen. Aber kaputt geht dabei leider eben doch einiges.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=6866 4
Gegen ist ohne Zukunft. Ein Leserbrief zur OA-Debatte in der FAZ http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6845/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6845/index.html#comments Wed, 29 Apr 2009 20:32:42 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6845 Für die Wissenschaftsverlage ist der Trend zum „open access“ vielleicht doch gar kein so großes Problem. Es spricht vieles dafür, dass vollständig im Internet vorliegende Texte trotzdem in Druckform gekauft werden, weil sich die Begeisterung, stundenlang zu lesen, offenbar in Grenzen hält. Dass sich die Verlage im Übrigen Gedanken machen müssen, wie sie mit dem [...]]]>

Für die Wissenschaftsverlage ist der Trend zum „open access“ vielleicht doch gar kein so großes Problem. Es spricht vieles dafür, dass vollständig im Internet vorliegende Texte trotzdem in Druckform gekauft werden, weil sich die Begeisterung, stundenlang zu lesen, offenbar in Grenzen hält. Dass sich die Verlage im Übrigen Gedanken machen müssen, wie sie mit dem und nicht gegen das Internet in Zukunft Geschäfte machen können, liegt gleichwohl auf der Hand.

Der vernünftigste Beitrag, den die Frankfurter Allgemeine derzeit zum Verhältnis von Open Access und Urheberrecht dieser Tage druckt, ist bezeichnenderweise ein Lesebrief (Ausgabe 30.04.2009, S.35). Der Münchener Kulturhistoriker Hubertus Kohle leuchtet so differenziert, wie es in dieser Form möglich ist, aus, welche Rolle Publizieren im Internet und nach einem Open Access-Modell spielt und vielleicht spielen wird und wäscht dabei dem Heidelberger Appell und seinen Hauptvertretern ein wenig den Kopf:

Man muss in der Tat den Mut haben, die Kultur von der Zukunft her zu denken und nicht immer die Bedingungen der Vergangenheit absolut zu setzen, die gerade dabei sind, radikal verändert zu werden. Und man muss willens sein, der Wirklichkeit ins Gesicht zu sehen, ob man sie mag oder nicht.

Blinde Zukunftseuphorie wäre sicher das andere Extrem. Ich bin mir aber sicher, dass Hubertus Kohle nicht darauf hinaus will. Ihm geht es, wie auch vielen anderen, deren Stimmen leider oft hinter schnellen und vordergründigen Zuspitzungen verloren gehen, um eine konstruktive Debatte zu dem, was sich gerade vollzieht und was perspektivisch an Entwicklung sinnvoll erscheint. Zur Frage allerdings, ob es gegen das geltende Recht verstößt, “wenn ein Geldgeber Auflagen für die Mittelverwendung formuliert”, kann er sich ja mal mit Volker Rieble unterhalten.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=6845 1
Open Access:Das Adenauer-Staatsfernsehen der Wissenschaft? In der FAZ geht’s ums Recht. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6829/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6829/index.html#comments Tue, 28 Apr 2009 21:04:58 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6829 Morgen früh erwartet alle Beobachter der Debatte um den Heidelberger Appell und Open Access in der Rubrik “Forschung und Lehre” der Mittwochsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine kleine Überraschung. Denn jetzt wird die Argumentation juristisch. Der Münchener Arbeitsrechtler Volker Rieble hat sich dem Komplex angenommen, ihn u.a. verfassungsrechtlich durchleuchtet und kommt zu der Einsicht: “Man [...]]]>

Morgen früh erwartet alle Beobachter der Debatte um den Heidelberger Appell und Open Access in der Rubrik “Forschung und Lehre” der Mittwochsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine kleine Überraschung. Denn jetzt wird die Argumentation juristisch. Der Münchener Arbeitsrechtler Volker Rieble hat sich dem Komplex angenommen, ihn u.a. verfassungsrechtlich durchleuchtet und kommt zu der Einsicht:

“Man kann also Roland Reuß und seinem „Heidelberger Appell“ zweifach zustimmen: Der einzelne Wissenschaftler darf nicht einmal „sanft“ an der freien Wahl des Veröffentlichungsmediums für seine Erkenntnisse gehindert werden. Universitäten und Großforschungseinrichtungen haben keine wissenschaftspublizistische Funktion. Wissenschafts- und Pressefreiheit setzen auf freie Autoren und freie Verleger. Das Kosten- und das Sparinteresse des Wissenschaftsverbrauchers rechtfertigt keine Freiheitsbeschränkung.”

Das Argument lautet also, dass es Universitäten “mithin verboten” ist, wissenschaftspublizistisch tätig zu werden. Das bedeutet also, dass Wissenschaftsverlage und von Universitäten publizierte Zeitschriften und erst recht die Repositorien, sofern sie als Veröffentlichungsplattformen gehandhabt werden, nicht nur eine unliebsame Konkurrenz für kommerzielle Verleger darstellen, sondern obendrein gesetzwidrig handeln. Ob dem tatsächlich so ist, liegt zu beurteilen fern meiner juristischen Kompetenz. Ich muss mich zunächst an das halten, was die Zeitung auf und zwischen den Zeilen schreibt. Und so sehe ich: Die Volte, die hier geschlagen wird, ist grandios, denn solch einen argumentativen Angriff aus der schon aufgeschlagenen Deckung hat die Open-Access-Bewegung sicher nicht erwartet. Wie plump dagegen das selbstgerechte Nachtreten Michael Hanfelds, der dem eingestellten Blog medienlese heute im FAZ-Feuilleton auf Schulhofniveau die Nase drehte. Qualitätsjournalismus fast wie beim ARD-Brennpunkt.

Hier sieht man im freien Publizieren, sofern es eine staatliche Forschungseinrichtung subventioniert, einen Anschlag auf die “staatsfreie Meinungsbildung”. Man darf gespannt sein, wann das Bundesverfassungsgericht Open Access-Publikationen über Hochschulserver untersagt. Was bei Publikationen über Hochschulen für Rieble in der Zuspitzung folgt, ist ein Monopol, das geradewegs in die Zensur führt (z.B. “durch Political Correctness”). In gewisser Weise wird hier der Publikationszwang auf OA-Servern, der der Bewegung unterstellt wird, geradezu gewendet. Aber eigentlich möchte auch Rieble Universitätsserver nicht verbieten. Vielmehr sieht er deren Aufgabe eindeutig, wenn auch nicht juristisch, definiert:

“Auch ein eigener (elektronischer) Universitätsverlag für eigene Schriften wie Dissertationen, Habilitationen ist denkbar. Traditionelle Nutzer sind froh, wenn schlechte Dissertationen auf Servern verschimmeln.”

Angriff sei die beste Verteidigung sagt man, und dieser kleine Baustein könnte sich bald in einer weitaus größeren Mauer wiederfinden. Im Anreißer zum Artikel liest man noch “Open Access? Ja, gerne, aber ohne Zwang.” Im Text findet man kein gerne mehr.

Aber noch eine messerscharfe Analyse dessen, was Bibliotheken sind und was ihnen droht:

“Klar ist zunächst eines: Aus der Bibliotheksfunktion lassen sich keine Publikationsrechte ableiten. Eine Bibliothek produziert nicht; sie hat nur Hilfsfunktion. Digitalisierung wird Bibliothekare verdrängen.”

Ob dieser letzte Satz womöglich noch eine verstärkte Aufforderung an die Bibliothekare zum Maschinenstürmen ist? Da hat er die Rechnung ohne die Etatkalkulation gemacht, die jedem Bibliothekar täglich zeigt, dass, wer Monographien kaufen möchte, an Elsevier-Zeitschriften sparen muss. Beziehungsweise umgekehrt. Die Front, die hier aufgezogen wird, verläuft sich hoffentlich im Magazin.

Quelle: Rieble, Volker: Forscher sind nicht normale Angestellte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 29.04.2009 Seite N5

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=6829 7
“bereit, auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen”? Kein bisschen, meint die FAZ, wenn sie an unsere Bibliotheken denkt. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6561/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=6561/index.html#comments Wed, 04 Feb 2009 17:43:00 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6561 Wie stehen die führenden deutschen Bibliotheken in diesem magischen Moment zum Digitalisierungsangriff durch Google? Handeln sie, solange es noch möglich ist, gute Bedingungen aus? Arbeiten sie an einem Gegenmodell? Kämpfen sie vielleicht gezielt gegen Google? Der FAZ-Feuilletonist Oliver Jungen hat die Überlegungen Robert Darntons (vgl. hier) zum Anlass genommen, um das Thema heute für seine [...]]]>

Wie stehen die führenden deutschen Bibliotheken in diesem magischen Moment zum Digitalisierungsangriff durch Google? Handeln sie, solange es noch möglich ist, gute Bedingungen aus? Arbeiten sie an einem Gegenmodell? Kämpfen sie vielleicht gezielt gegen Google?

Der FAZ-Feuilletonist Oliver Jungen hat die Überlegungen Robert Darntons (vgl. hier) zum Anlass genommen, um das Thema heute für seine Zeitung noch einmal im großen Stil aufzurollen, abzuspulen und den deutschen Bibliotheken ordentlich ins Gesicht zu Fausten:

Nichts davon. Es herrscht vielmehr eine Gemütlichkeit vor, wie sie sich aus den Zeiten des Positivismus wohl einzig in deutschen Archiven erhalten hat.

Besonders schlecht tritt Milan Bulaty von der HU-Universitätsbibliothek aus der Kurzumfrage und ärgert sich heute bei der Lektüre vermutlich tüchtig, dem Journalisten, der ihn regelrecht vorführt, überhaupt geantwortet zu haben:

Milan Bulaty, der Direktor der Bibliothek der Berliner Humboldt-Universität, hält die ganze Digitalisierungseuphorie für übertrieben: „Als das Fax kam, dachte man ja auch, niemand schreibt mehr Briefe.“ Technisch sei ja ganz faszinierend, was Google da treibe, aber Bibliotheken werde es weiter geben, stellt er klar, obwohl das gar nicht die Frage war. Eine wirkliche Meinung zu den Google-Plänen hat er nicht: „Wir Bibliothekare sind konservativ, von Berufs wegen.“ Das soll wohl heißen, man macht weiter, wie man es immer gemacht hat, und guckt in zehn Jahren noch einmal aus dem Keller heraus.

Ansonsten stehen noch ein paar weitere deutsche Bibliotheksprominente vom Wolfenbütteler Direktor Helwig Schmidt-Glintzer bis zur Staatsbibliothekarin Barbara Schneider-Kempf mit ihren Meinungen zum Thema in den vier Spalten und da Oliver Jungen das ermittelte Meinungsbild nicht innovationsgeladen und offensiv genug gegen Google drängt, versucht er sich mit einem kulturpessimistischen Weckruf der Güteklasse 1 und schlägt im Abschlusssatz seines Artikels gleich dem ganzen Land vor den digitalen Latz:

Aber das ist nun mal der Lauf: In Deutschland fängt man niemals an. In Deutschland hört man auf.

Ob sich Milan Bulaty oder Barbara Schneider-Kempf darauf hin zu einer Haltung des “Jetzt zeigen wir’s ihm aber!” durchringen oder geduldig die andere Wange hinhalten, schlicht wissend, dass die Digitalisierung von Altbeständen nunmal nur einen Teil der Hefe im großen Kuchen digitaler Bibliotheksdienstleistungen beisteuert, bleibt abzuwarten. Sicher bereitet es Vergnügen, das Schreckensszenario der vom Google-Pudel leergeschossenen deutschen Kompaktmagazine so eloquent auszumalen, wie Oliver Jungen es vornimmt. Aber der FAZ-Feuilleton-Öffentlichkeit weismachen zu wollen, dass sich die deutsche Bibliothekslandschaft angesichts des “konzentrierten Digitalisierungsangriffs” aus Mountain View schändlicherweise lieber im Luftschutzkeller verkriecht, als zum Gegenangriff zu trompeten, vermutet Googles Zielscheibe doch ein wenig zu hoch gehängt und die deutschen Bibliotheken wohl mindestens ein Geschoß zu tief.

Den Artikel liest man auf der Frankfurter Allgemeine Webseite: Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=6561 1