Bitte mehr Mut zum Bedienen des eigenen Verstandes: Die FAZ beleuchtet Nicholas Carr

In der Digression besteht der Mehrwert. Der künstlichen Intelligenz sind wir allein durch Assoziationen überlegen, durch genießende Ineffizienz, durch energieverzehrende Trampolinsprünge im neuronalen wie im weltweiten Netz, durch, ja, Offenheit für das Abgelenktwerden, auch von der Ablenkung selbst und wieder hin zum „deep reading“. Der intellektuelle Flaneur ist die geistige Leitfigur der Zeit, heute nicht anders als vor hundert Jahren – und, seien wir ehrlich, er flaniert längst durch das Internet, das nicht Infomaschine ist, sondern mentales Großkunstwerk.

In der heutigen Samstagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung reflektiert Oliver Jungen über Nicholas Carrs Überlegungen zum uns verdummenden Internet (vgl. hier) und kommt zu der nicht allzu originellen, aber ziemlich nachvollziehen Einsicht, dass es vor allem an einem selbst liegt, für wie dumm man sich erklären lässt. Die Blogs sind jedenfalls nicht daran schuld, dass wir den Tolstoi nicht mehr zu Hand nehmen, sondern, dass wir die Blogs lesen.

Clay ” here comes everybody” Shirky behauptet allerdings, so der Artikel, dass Leos Bücher seine Zeit nicht wert sind. Kompetenz im Umgang mit dem Internet zeichnet sich aber ja bekanntlich schon länger dadurch aus, dass man nicht schlicht als everybody Shirky hinterläuft, sondern sich z.B. durchaus auch mal die Tage zum Deep Reading von Krieg und Frieden Zeit nimmt. Vor Tolstoi aber vielleicht auch für Oliver Jungen, der sich, den eher knappen Aufmerksamkeitspanne im WWW angepasst, auf zwei Spalten beschränkt: Selbst schuld, wer im Netz verblödet.

P.S. Es ist nur eine eher unbestimmte Wahrnehmung, aber ich kann mich bei der Lektüre der Feuilletons der großen Tageszeitungen des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eine Blogifizierung in der Hinsicht stattfindet, dass ausgesprochen gerne schlicht im WWW auffindbare Texte – häufig aus den entsprechende die Agenda bestimmenden US-Medien – referiert und mit eigenen Assoziationen angereichert werden. So wie wir es hier auch gern machen. Ich halte dies zunächst nur fest, lese weiter und komme vielleicht später bei anderer Gelegenheit noch einmal darauf zurück.

Bei dieser kann man dagegen gleich nochmal auf die eigenartige und eher unangenehme allseits gebloggte Gemeinplätze aneinanderreihende Aufklärung zum Thema Google aus der Süddeutschen Zeitung vom 25.07. hinweisen: Das Monopoooooool.

Dort liest man z.B. die bemerkenswerte dämliche Formulierung:

“Wir werden sagen können, wir sind dabei gewesen. Wir haben den Moment miterlebt, in dem die Wörter “Information” und “informieren” ersetzt wurden durch “Google” und “googlen”.”

Aus gut informierter Quelle war zu erfahren, dass sich Claude Shannon im Grab umgedreht hat…

Wie schrieb Oliver Jungen:

“Auch ohne Internet gibt es genug Anreize, von der Tiefenlektüre abzuzweigen; Zeitungen sind nur ein Beispiel.”

und

“Heute wird im Netz glossiert, kommentiert, argumentiert, ediert, demontiert, überredet, kurz: das gesamte rhetorische Register gezogen. Dass dort, wo jeder schreibt, auch viel Mediokres zu finden ist, wird nur zu einem Aufschwung der guten Stilisten führen, jenen, die über „plainness“ hinausgehen.”

Die SZ hat es in diesem Fall nicht geschafft. Sowohl im Netz wie im auch in der Zeitung.

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