Küssen und Morden: Hubert Spiegel schreibt in der morgigen FAZ sehr schön über Bibliotheken.

Während das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Aufmacher am Montag Charlotte Roches neues Buch “Schoßgebete” großformatig und sicher in Richtung Bestseller-Listenspitzenplatz schickt, bekommt zwei Seiten später Hubert Spiegel etwas weniger Platz, über die für uns noch relevantere und in ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit außergewöhnliche Münchener Ausstellung Die Weisheit baut sich ein Haus zu berichten. Der mit großem Foto illustrierte (Die Mátrix der Megabiblioteca José Vasconcelos in Mexiko-Stadt) Text ist dabei ein gelungenes Beispiel für präzise und zielführende Informationsverdichtung: Er kennt (und nennt) sowohl Gabriel Naudé wie die Kamelbibliothek des persischen Großwesirs Abdul Kassem Ismael – also zugleich bedeutende und kuriose Eckpunkte der Bibliotheksgeschichte. Damit gelingt es ihm, in vielleicht 1400 Wörtern glasklar kulturhistorisch nachvollziehbar herauszustellen, welchen maßgeblichen Anteil die Institution Bibliothek an der Entstehung unserer Kultur besitzt und dass sie, entgegen manchen auf ein mögliches baldiges Ableben schnellschießenden Behauptungen, wenigstens neubautechnisch noch sehr fidel daherkommt. Und dabei in verdoppelter Form:

Heute stehen die Konzepte der introvertierten und der extrovertierten Bibliothek gleichberechtigt nebeneinander.”

Diese bizentrische Gelassenheit wirkt denn auch für uns, die wir uns professionell mit den Verschiebungen der Institution Bibliothek und ihrer Möglichkeiten befassen, angemessener, als beispielsweise das traurige Lied, dass aus der Besprechung derselben Veranstaltung in der Frankfurter Rundschau heraufklang. (vgl. hier) Die Jahrtausende dicke, im Zeitfluss dahinströmende Spur von Bibliothek und Buch, die in der Digitalkultur ein sich permanent verästelndes Delta gefunden hat, scheint doch wirkmächtiger in unsere Kultur eingeschrieben, als dass wir uns grundlegend um ihre Zukunft sorgen müssten.  Sorgen wären erst dann angezeigt, wenn wir vergessen hätten, woran das Feuilleton der überregionalen Tagespresse freundlicherweise auch seine anderen Zielgruppen erinnert, nämlich

“dass es wohl keine menschliche Tätigkeit gibt, die sich in der Bibliothek nicht ausüben ließe, vom Essen und Schlafen bis zum Küssen und Morden.”

Und nebenbei die Konstruktion aller Facetten unserer kulturgestalteten Lebenswelt.

(Spiegel, Hubert: Auch die Karawane muss alphabetisiert sein. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 08.08.2011, S.25)

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