Neues aus dem Feuerland: Die FAZ sieht auf der Buchmesse das Buch untergehen

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zieht als Erkenntnis aus der diesjährigen Buchmesse, die einen Rekordzulauf aufwies, die Bilanz, dass das Bücherland abgebrannt sei. So wird einerseits ein Durchschlagen der Krise befürchtet und andererseits ein Durchschlagen der Digitalisierung, wobei man nie so richtig weiß, ob das Feuilleton tatsächlich versteht, was das Wort bedeutet:

Vor allem die jungen Leser, die zu Tausenden in Kostümen schriller Comicfiguren durch die Messehallen strömen, scharen sich um die Stände mit den elektronischen Lesegeräten. Die junge, mobile Gesellschaft sei ihre Zielgruppe, sagen die Hersteller. Wer oft unterwegs sei, im Zug, in der S-Bahn oder im Urlaub, brauche künftig keine schweren Taschen voller Bücher mehr mitzuschleppen, sondern nur den kleinen Reader, der Speicherplatz hat für Hunderte E-Books.

Das Argument des Hamstertransporters also: Rechnet man pro Buch einen Tag Lektüre, kann sich jeder Cosplay-Fan nun locker ein Jahrespensum auf dem Schulweg im ÖPNV mitnehmen. Auf dem Laptop habe ich schon seit einigen Jahren einige hundert PDF-Texte – die Wissenschaft ist vom digitalen Publizieren ja längst durchdrungen. Da ist kein Reader nötig:

Am E-Book, das ist nach Leipzig klar, führt kein Weg mehr vorbei. Bald werden alle Bücher, ob wissenschaftliche Werke, Sachbücher, Anthologien oder Romane, online verfügbar sein. Und diese verspätete digitale Revolution wird die Branche gehörig durchschütteln.

Das mag sein. Aber wie gesagt: gerade die Wissenschaftskommunikation zählt zu den Early Adoptern elektronischer Texte. Das man die Bücher nun auch als Druckvorlagen-PDF oder als E-Pub ausliefert, scheint keine besondere Neuerung zu sein. Da ist schon der Bruch in der Medienrezeption, den Michael Giesecke gestern im Interview in der Süddeutschen Zeitung (Ausgabe Nr. 61/2009, S. 19)  kurz beschwor, relevanter:

“Die Buch- und Industriekultur hat die technisierten Medien und das standardisierte, symbolische Wissen, meist das verschriftete prämiert, Deren derzeitige Entwertung eröffnet die Chancen, alternativen Kommunikationsmöglichkeiten, vor allem den leiblichen Medien, wieder mehr Platz einzuräumen.”

Der Cosplay-Trend schlägt genau in diese Kerbe. Im digitalen Umfeld lässt sich dagegen eine Aufwertung kommunikativer Akte gegenüber der Rezeption sehen. Letztere findet natürlich statt, aber gerade bei der jüngeren Weise dahingehend interaktiv, dass die Inhalte unmittelbar kommentiert, bewertet und geteilt werden. Ob diese Zielgruppe ausgerechnet auf einen abgeschlossenen Reader wartet, bezweifle nicht nur ich, sondern auch der Medienforscher Giesecke, der trocken bemerkt:

“Ich denke, dass das E-Book nicht viele Menschen brauchen werden.”

Wissenschaft funktioniert ohnehin als Wechselwirkung aus Lesen und Schreiben und wenn ich Digitaltexte lese, dann brauche ich kein Zusatzgerät neben dem Rechner.

Und ob sich die Verleger dann tatsächlich, wie Sandra Kegel für die FAZ behauptet, von einem Mitglied des Chaos Computer Clubs in Furcht unterrichten lassen, bleibt ebenfalls fraglich:

Das Fürchten lehrt die Verleger auf der Messe ein junger Mann mit Pferdeschwanz. Der Vertreter des Chaos Computer Clubs verbreitet Ansichten, die die Branche herausfordern, etwa wenn er angriffslustig in Frage stellt, dass man fürs Schreiben überhaupt entlohnt werden müsse, das könne ebenso gut der Selbstverwirklichung dienen. Die klassischen Vertriebswege von Büchern, davon ist er überzeugt, werden bald nicht mehr existieren. Die Verlage müssten sich der Tatsache stellen, dass es das Netz gibt. „Wer nicht möchte, dass er digitalisiert wird“, so der Mann vom Club, „existiert bald nicht mehr.“

Das Schreiben und Schreiben durchaus verschiedene Tätigkeiten sein können und nicht jedes Blogpost literarisches Höchstniveau erreichen möchte und kann, dass also Qualität durchaus und nach wie vor einen Preis haben wird, da sie nicht alltäglich und beliebig erzeugbar ist, ignoriert der Mann aus der Computerecke. Gute Literatur ist immer zuerst Selbstverwirklichung. Schlechte meist auch. Dies steht aber in keinem Zusammenhang mit der Möglichkeit ein verkaufbares Buchprodukt als Rahmen drumzubinden. Denn Literatur ist auch Arbeit und Selbstverwirklichung zahlt keine Miete. Die Frage ist also eher, woher die Entlohnung für die Schriftsteller bekommt. Oder anders: In Deutschland betreiben unzählige Menschen aktiv den Fußballsport. Und dennoch gibt es welche, dafür Geld bekommen und andere nicht. Deprofessionalisierung ist sehr selten eine sinnvolle Option. Das letzte Argument kann man aber auch im Kontext des Textes anders herum lesen: Der digitale Text gleich welcher Qualität ist beliebig reproduzierbar und die Verlage wissen es, wenn sie digitalisieren. Der beste Kopierschutz für sie wäre eigentlich die Nichtdigitalisierung.

Dass die Buchstadt Leipzig kein Verlagsmittelpunkt mehr ist, kann man aber nur schwer dem E-Book anrechnen, das sich – nachdem bereits analog in Frankfurt im Herbst Ähnliches verbreitet wurde – nun in Leipzig “erstmals für den breiten Markt materialisiert”. Auch nicht primär dem Internet. Sondern vielmehr einem Zwang und/oder Willen, auch im Verlagsgeschäft breit zu rationalisieren. Einen ideellen Standort in einer alten Tradition zu bewahren, ist für den wirtschaftlich denkenden Verleger nunmal kein Kernanliegen. Man sollte nun also vielleicht fragen, ob zwanzig Jahre nachdem die Verlagskulturen von Ost und West ihrer politischen Funktion weithin enthoben wurden, nun womöglich eine neue Generation von Verlegern die Landschaft bestimmt, die mehr die Bilanz als die kulturelle Rolle im Auge hat.

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