Im Himmel des Jahrmarkts: das Web 2.0 und seine Gründer.

Für einen Euro gibt es in der Tat ein ziemlich dickes Heft. 206 Seiten (inklusive des für solche Publikationen eher geringen Quantums an Werbung) Umfang misst die erste Ausgabe der deutschen Vanity Fair (das laut Chefredakteur Ulf Poschardt “Werder Bremen” des deutschen Pressemarktes).

Darin enthalten ist ein toller Mix von allerlei Informationen, die man ganz gut in der Badewanne oder im Warteraum beim Orthopäden lesen und gleich wieder ohne schlechtes Gewissen vergessen kann: Es finden sich ein paar hübsche Fotos von hübschen Frauen (dem Titelmädchen Gisele Bündchen, Beyoncé Knowles, Scarlett Johansson etc.) verbunden mit einer erhellenden Auswertung der Forschungen zum Thema Schönheit (Fazit: Schöne haben besseren Sex), man lässt Österreichs Ex-Finanzminister Grasser (brustfrei) in Valentino und Charvet posieren – ein Beispiel das hoffentlich nicht in Deutschland Schule macht, Hans-Dietrich Genscher darf über “des Putins Kern” schreiben und niemand Geringeres als Anthony Giddens berichtet, was Muammar al-Gaddafi so (um)treibt. Außerdem erläutert Robert Hazen, was eigentlich “Leben” ist, Andreas Gursky ist auch noch irgendwo dabei, Wowi sowieso, “Dichter” Rainald Goetz (“einer der wichtigsten deutschen Autoren”) und Hubert de Givenchy dito und schließlich darf sich die neue deutsche Schauspielerinnenelite von Karoline Herfurth bis Nina Hoss in schicker Schale (Snake-Plateaupumps von Celine, Blousonjacke von Brioni…) zeigen. Ganz am Ende wartet noch die Ursula von der Leyen und verrät u.a., dass ihr Lieblingslehrer Monsieur Dupont hieß und sie “von der Stange” kauft.

Man bekommt also alles was gerade angesagt ist oder von dem man irgendwie annimmt, das es das wäre prima komprimiert und verrührt, nicht geschüttelt. Zu diesen hippen Themen zählt, und deswegen schreibe ich diesen kleinen Exkurs auf den Jahrmarkt der (trendigen) Einzelheiten, selbstverständlich auch das Phänomen Web 2.0. Über acht ganze Seiten beschäftigt sich die Vanity Fair Redaktion damit. Auf fünfeinhalb davon werden allerdings die neuen deutschen bzw. deutschsprachigen Web 2.0-Macher ersteinmal ganzseitig fotografisch eingeführt: Das Miaplaza-Team Stefan Petry und Johannes Ziegler im schönen Home-Story-Stil am Barbecue-Grill, natürlich mit Notebook (Dell), die JAJAH-Chefs Daniel Mattes und Roman Scharf im Pop-Art-Lagerhallen-Besprechungsraum mit Longboard im Vordergrund und ebenfalls mit aufgeklapptem Laptop (Sony Vaio), MyBlog.de Gründer Nico Wilfer beim Warten auf seine Erschießung (so schaut’s jedenfalls aus) und das Lokalisten.de-Team auf grünen Plastikstühlchen mitten auf’m Dach. Dann gibt es kleinformatiger noch die Last.FM-Gang, welche man beinahe mit den später noch im Heft auftauchenden Flaming Flips verwechseln könnte, und die Ehrensenf-Redaktion samt Hund (und genau dieser und nicht Katrin Bauerfeind, wie irrtümlich im Beschreibungstext vermerkt, besetzt die Bildmitte). Die Profile der Menschen hinter dem neuen Internetaufschwung sind also visuell der Gesamtatmosphäre der Publikation angepasst und vom Leser binnen zwei Minuten (maximal) abgefrühstückt. Für den Text können es ruhig fünf sein und er ist gar nicht mal am Thema vorbei. Was bei der Routine des verdienten FAZ-Feuilletonisten Andreas Rosenfelder auch nicht zu erwarten war. Mein Lieblingszitat ist dieses:

Der sozialistische Traum von der Vergesellschaftung des Eigentums schien mit der “Social Software” Wirklichkeit zu werden. Denn im Kern aller Geschäftsideen stand die Utopie des freien Austauschs.

wobei Utopie sogar im eigentlichen Wortsinn angesichts des enträumlichten Charakters der Netzkommunikation die allerpassenste Vokabel ist. Kurz darauf (“Und auch mit dem Web 2.0 ist das Internet nicht zum neuen Utopia geworden.”) wird diese geschickte Wortwahl allerdings gleich wieder etwas ungeschickt relativiert. Der Satz kommt auf jeden Fall im nächsten Web 2.0-Seminar auf die Zitateliste. Seine Formulierung im Präterium deutet jedoch schon an, dass dieser real existierende frei Austausch mittels Sozialer Software im mittlerweile Einzug haltenen “Post-Web-2.0-Zeitalter” überholt ist:

Aber das ist nicht weiter schlimm – denn “soziale Software” war gegen Ende auch eine penetrante Werbemasche. Jede simple Verlinkung wurde angepriesen, als wäre gerade der Gesellschaftsvertrag neu erfunden worden.

Ebenfalls zitierwürdig, allerdings flankiert von der Frage, warum sich die Autoren der kleinen Abhandlung derart bar je Differenzierungsgabe zwischen denen, die auf den Zug aufspringen und ihn putzig mit der üblichen Siegermarkenmentalität auszulabeln versuchen und dem eigentlichen Inhalt der Sache, der dank del.icio.us und Ähnlichem – und das trotz der kommerziellen Anbindung zu den großen Mitspielern im Internet-Geschäft – gar nicht überwunden ist, sondern mittlerweile für viele so zum Web-Alltag gehört, wie das Medium E-mail, zeigen. Jetzt sind wir – laut Vanity Fair – jedenfalls am Ende der Web 2.0-Gründerzeit und “die Gründerfiguren der deutschen Web-2.0-Bewegung können stolz sein auf ihre Unternehmen. Sie haben gezeigt, dass nichts auf der Welt so vollkommen ist, dass man es nicht neu erfinden könnte.” Das gilt hoffentlich auch für das Web 2.0 selbst, denn dann bieten die Protagonisten des entsprechenden Revivals (nächsten August vielleicht) ebenfalls erstrangiges Material für den nächsten Artikel des schmucken Lifestyle-Heftes, dass sich immerhin verdienstvoll bemüht, uns die Tatsache, dass das Web 2.0 richtig im Kochgeschirr des Mainstream brutzelt, noch einmal daumendick auf das Butterbrot zu schmieren. Dafür bedanken wir uns – eher daunendick – mit diesem Posting und führen die deutsche Vanity Fair, quasi in einem virtuellen Gegenakt zur für die Patienten und ihr Recht auf Ausblick eher Vanity-unFairen Verhüllung des Charité-Hochhauses, in die Biblioblogosphäre ein. Ab gleich bei Technorati zu ersuchen. Und ich fülle jetzt schnell mal die Leserevaluation für “Vanity Fair Research” (sic!) aus und hoffe auf eines von acht Jahresabonnements und was man sonst so bekommen kann, wenn man seinen Konsum-, Demografie- Einkommens- und Meinungsspiegel freimütig in der Welt rumschickt…

Rosenfelder, Andreas; Koch Christoph: Am Ende des Tages. Die wilden Jahre des Web 2.0 sind vorbei. Aus den Abenteurern sind stolze Gründer geworden. Jetzt müssen sie sich im harten Wirtschaftsalltag beweisen. In: Vanity Fair. Nr. 8 (15. Februar 2007), S. 98-105

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