Das Kommißbrot des Bibliotheksalltags, beschrieben vom Bundespräsidenten

Was aber hat die Leiterin einer maroden Stadtteilbibliothek in Dortmund, Offenbach oder Berlin davon, dass am Mittwoch eine der schönsten Bibliotheken der Welt glanzvoll wiedereröffnet wurde? Nichts, müsste die Antwort lauten, hätte Köhler nicht kurzentschlossen den Sprung von der Fest- zur Brandrede gewagt.Mit wenigen Sätzen skizzierte er die desolate Gesamtsituation der öffentlichen Bibliotheken in Deutschland und machte so selbst den ersten Schritt zur Verwirklichung seiner Forderung, Bibliotheken auf die “politische Tagesordnung zu setzen”. Köhler beklagte nicht nur die dürftige Versorgung auf dem Land, das Fehlen von Bibliotheken in mehr als achtzig Prozent aller Schulen und die nicht selten lächerlich zusammengeschrumpften Ankaufsetats vieler Universitätsbibliotheken, sondern er machte vor allem deutlich, dass in Deutschland das Bewusstsein dafür fehlt, dass Bibliotheken auch im Medienzeitalter die entscheidenden Bildungsorte neben den Schulen sind.

Hubert Spiegel kommentiert heute im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Rede des Bundespräsidenten zum Tag der Bibliotheken in Weimar (vgl. auch hier). Wie bewusst die Formulierung “Brandrede” in den Text rutschte, ist schwer zu beurteilen. Aber irgendwie passt sie schon, denn Bibliotheken müssen nicht unbedingt buchstäblich abbrennen und können trotzdem Schaden nehmen. Beispiele dafür gibt es in Deutschland eine ganze Menge. Mit der nur zur Begrüßenden Forderung “Bibliotheken auf die politische Tagesordnung” befindet sich der Bundespräsident auch in wunderbarer Harmonie mit dem Ziel der aktuellen IFLA-Präsidentin. Es wäre wirklich schön, wenn die etwas stille deutsche Bibliothekspolitik dadurch ordentlich Schwung bekommen würde.

Damit sich dies ändert, hat Köhler den Festgästen in Weimar nicht nur schöne Worte, sondern auch “ein wenig Schwarzbrot aus dem Alltag unserer öffentlichen Bibliotheken” offeriert. Besser als mit dieser Schwarzbrot-Rede hätte der Bundespräsident den Festtag nicht nutzen können.

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