IBI-Weblog » Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Szenarien des elektronischen Publizierens in den Geisteswissenschaften, ein Projektseminar im Sommersemester 2015 http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=12413/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=12413/index.html#comments Sun, 15 Feb 2015 19:26:13 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=12413 Es wird im Sommersemester 2015 am IBI ein Projektseminar zu aktuellen Entwicklungen im Publizieren und zur Fachkommunikation in den Geisteswissenschaften geben. Hier die Kurzbeschreibung aus dem Fu-PusH-Weblog: Sommersemester 2015 (Do 10-12 | R 121 (IBI) | Dozenten: Ben Kaden und Michael Kleineberg) Das wissenschaftliche Publikationswesen und damit auch das wissenschaftliche Bibliothekswesen befinden sich massiv im Umbruch. [...]]]>

Es wird im Sommersemester 2015 am IBI ein Projektseminar zu aktuellen Entwicklungen im Publizieren und zur Fachkommunikation in den Geisteswissenschaften geben. Hier die Kurzbeschreibung aus dem Fu-PusH-Weblog:

Sommersemester 2015 (Do 10-12 | R 121 (IBI) | Dozenten: Ben Kaden und Michael Kleineberg)

Das wissenschaftliche Publikationswesen und damit auch das wissenschaftliche Bibliothekswesen befinden sich massiv im Umbruch. Nahezu alle Prozesse der wissenschaftlichen Kommunikation sind mittlerweile digital geprägt. Dies betrifft auch die Geisteswissenschaften, die traditionell tiefer und robuster in der Buch- und Printkultur verankert sind als andere Wissenschaftsfelder.

Das DFG-Projekt „Future Publications in den Humanities“ (Fu-PusH), angesiedelt an der Universitätsbibliothek der HU, untersucht, wie der digitale Wandel auf geisteswissenschaftliche Disziplinen und ihre Publikations- und Kommunikationsverfahren wirkt. Dabei werden auch Anwendungsszenarien entwickelt, bei denen erweiterte Funktionalitäten wie beispielsweise Multimedialität, semantische Strukturierung, Forschungsdatenintegration, Annotationen und Social Reading eine zentrale Rolle spielen.

Das einmalig stattfindende Projektseminar vermittelt aufbauend auf den Erkenntnissen des Fu-PusH-Projektes einen Überblick über aktuelle Trends der geisteswissenschaftlichen Wissenschaftskommunikation und ermöglicht den TeilnehmerInnen aktiv an der Erarbeitung und Evaluation einschlägiger Publikationsszenarien von der Konzeption bis zur fertigen Veröffentlichung mitzuwirken. Das Seminar bietet die Gelegenheit, einen unmittelbaren Einblick in die immer häufiger anzutreffende angewandte Forschungsarbeit an der Schnittstelle zwischen Fach- und Bibliothekswissenschaft zu erhalten.

Das Projektseminar wendet sich an Bachelor- und Masterstudierende des Instituts für Bibliotheks- und Informationswissenschaft.

Für Rückfragen stehen wir gern zur Verfügung – entweder per E-Mail (Kontaktdaten) oder auch gern über Twitter @fupush.

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Occupy und Bibliotheken. Zu einem Beitrag Mark Greifs in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9218/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9218/index.html#comments Wed, 04 Jan 2012 17:19:46 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=9218 Wer heute das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung aufschlug, hat es vielleicht bemerkt: Mark Greif, laut SZ „einer der wichtigsten jüngeren Essayisten Amerikas“ hat seinem doppelspaltigen Artikel über die Occupy-Bewegung ein kleines wunderbares Loblieb auf die öffentliche Bibliothek als Institution und Symbol des Gemeinsinns eingeschriebem. (Mark Greif: Eine uralte Sehnsucht. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 3/04.01.2012, S. [...]]]>

Wer heute das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung aufschlug, hat es vielleicht bemerkt: Mark Greif, laut SZ „einer der wichtigsten jüngeren Essayisten Amerikas“ hat seinem doppelspaltigen Artikel über die Occupy-Bewegung ein kleines wunderbares Loblieb auf die öffentliche Bibliothek als Institution und Symbol des Gemeinsinns eingeschriebem. (Mark Greif: Eine uralte Sehnsucht. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 3/04.01.2012, S. 11) Ein bedrohtes Symbol übrigens, wie die polizeiliche Aussonderungs- und Auflösungsaktion an der Occupy-Bibliothek im Zuccotti Park nur noch einmal mit dem Vorschlaghammer vorführte. Die Occupy-Camps erscheinen Mark Greif als Reanimation des ur-amerikanischen Formats der Zivilgesellschaft: Das Gemeinwesen einer Kleinstadt „mit ihrem Postamt, ihrer städtischen Bücherei, dem Speiselokal – jenen Orten, an denen sich die Bürger der Stadt in einem informellen Rahmen begegnen konnten.“ Der Bestand dieser Bibliotheken ist tatsächlich Medium, nämlich der Vermittlungsgrund auf dem das kommunikative Zusammentreffen, aus dem sich Öffentlichkeit in ihrem politischen Sinne ergibt, entsteht.

Die Räumungsaktion der Bibliothek im Zuccotti-Park ist für Mark Greif gleichermaßen ein Symbol für die Auflösung der Institution Public Library in den USA allgemein:

„Die Bibliothek von Zuccotti Park ist in derseben Weise in den Müll gewandert, wie auch andere Bibliotheken in den USA verschwinden. Bibliotheken, deren Buchbestände aufgelöst werden, um jene „Technikzentren“ zu errichten, die man aufsucht, um auf Facebook und eBay zu gehen und das Netz nach Steuertipps und Pornographie zu durchstöbern – so wie das andere Bürger in den eigenen vier Wänden tun; und Bibliotheken, die man deshalb schließt, weil man sie bei der städtischen Budgetplanung nicht mehr berücksichtigt hat.“

Abgesehen von der etwas sehr moralisierenden Spitze auf das konkrete Nutzerverhalten, tritt in diesem Zitat deutlich ein Strukturwandel in der Bibliotheks- und Medienöffentlichkeit zu Tage, der – bisher abgeschwächt – auch in der Bundesrepublik spürbar ist. Dieser nimmt der in der Kombination von digitalen Rückkanalmedien und Ökonomisierung tatsächlich öffentliche Institutionen – Mark Greif erwähnt auch noch die US Post, der so langsam das Verhältnis von infrastrukturellem Aufwand zu Bilanz entgleitet und für die es rührende Rettungsaktionen gibt – zunehmend von der Bildfläche und bevorzugt bestimmte Lebensstilgruppen gegenüber anderen. Dass diese neben höherer Bildung (also idealerweise höherem Einkommen) auch eine größerer Affinität zu bestimmten Erlebnisformen und besonders zum Konsum allgemein aufweisen, liegt in der Natur der Sache.

Denn hinter dieser Entwicklung steckt in gewisser Weise die umfassende Entfaltung kapitalistischer Prinzipien in unser post-traditionellen Sozialsphäre: Mediennutzung und Kommunikation werden privatisiert und in dieser privaten Variante zugleich massiv in ehemals oder noch öffentliche Räume getragen. Digitale Medien tragen zweifellos auch zur Erhöhung von Teilhabechancen bei. Das internetfähige Smartphone ermöglicht es aber auch, in eine Allgegenwart des Geldausgebens zu tauchen. Die digitale Revolution liegt immer auch in den Händen von den Vodafone, Facebook und Apple. Die dominanten Strukturen und Akteure lassen bestimmte Spielräume zu, bauen zugleich jedoch auf die Erzeugung von Abhängigkeiten. Die Instrumente des Personal Branding, der Selbstvermarktung in den Sozialen Netzwerken von XING bis Twitter, totalisieren den Wettbewerb gegenüber der Gemeinschaft. Ein Facebook-Profil und -Netzwerk sind Anlagen des persönlichen (sozialen) Humankapitals und in den AGBs stecken die Spielregeln für Teilhabe an der digitalen Weltgemeinschaft so wie im BGB die für das nationale Miteinander.

Der Buchbestand einer kommunalen Bibliothek lässt sich nicht zuletzt als manifestes gemeinschaftliches Vermögen auch in der Bedeutung potentiellen Orientierungs- und Handlungswissens verstehen. Die digitalen Kommunikationen und Zugriffe auf Medienschnipsel sind dagegen unüberschaubar virtuell, permanent in Veränderung und hinterlassen in jeder Browserverlaufsgeschichte andere Spuren. In der konkreten Nutzung mag der Unterschied gar nicht mal so gravierend sein. Auf der symbolischen Ebene ist es jedoch eine gewaltige Verschiebung. Und das nicht nur, weil in digitalen Netzen jeder Zugriff protokolliert, bewertet und bei Bedarf abgerechnet werden kann.

Das Ersetzen des Eigenwertes der öffentlichen Bibliothek als Baustein der Gemeinschaft durch den Erwartungshorizont der Kosten-Leistungsrechung und Budgetierung führt schließlich bisweilen dazu, dass man sie als obsolet aus den kommunalen Finanzplanungen, die eben weitgehend vordergründig berechenbare Werte heranziehen, einfach streicht. Dadurch aber, dass man dabei eben nicht nur eine städtische Luxusausgabe reduziert, sondern ein grundlegendes Symbol von Gemeinschaft löscht, stützt man bestimmte gesellschaftliche Tendenzen, gegen die sich unter anderem die Occupy-Bewegung ausspricht. Der Stadtkämmerer berücksichtigt diese Dimension naturgemäß in den seltensten Fällen. Er freut sich seiner professionellen Spezialisierung entsprechend, wenn er Kosten externalisieren oder verringern kann. Im Sinne eines sozialen Ausgleichs ist jede Schließung einer Bibliothek aber ein deutliches politisches Signal gegen die Gemeinschaft. Das Verschwinden öffentlicher Räume, von denen öffentliche Bibliotheken eine Variante sind, steht immer auch für das Verschwinden einer Alternative zum rein Ökonomischen. Nach der Erosion von Tradition und Glauben bleibt uns dahingehend nicht mehr viel. Die Occupy-Bewegung in den USA versucht sich nun einen solchen Raum zurückzuerschließen und – so Mark Greif – an die Idee der Demokratie in Amerika wieder ernsthaft anzuschließen. „Aber kann [...] das“, so der Essayist, „überhaupt gelingen ohne unsere Bibliothek, ohne die Bücher, die wir liebgewonnen haben und die unsere Spuren tragen, ohne einen Ort, an dem wir Fremde treffen können, die dieselbe Idee von Amerika haben wie wir, ohne den Anspruch auf ein kleines Fleckchen Land, kurz: ohne unseren Park?“

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Die Bibliothekswissenschaft als Zentaurenstall? Warum das Fach den Digital Humanities besonders nahesteht. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9205/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9205/index.html#comments Wed, 14 Dec 2011 21:33:50 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=9205 Angesichts der Grundsätzlichkeit des Themas war das mediale Echo zur Tagung „Forschungsinfrastrukturen in den Geistes- und Sozialwissenschaften: Stellenwert – Förderung – Zukunftsperspektiven“ vom letzten Freitag sogar vergleichsweise zurückhaltend. Immerhin widmete die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Mittwochsausgabe dem ausgesprochen gut besetzten und besuchten Zusammentreffen in Bonn addiert in etwa drei Spalten Text als Rahmung  einer [...]]]>

Angesichts der Grundsätzlichkeit des Themas war das mediale Echo zur Tagung „Forschungsinfrastrukturen in den Geistes- und Sozialwissenschaften: Stellenwert – Förderung – Zukunftsperspektiven“ vom letzten Freitag sogar vergleichsweise zurückhaltend. Immerhin widmete die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Mittwochsausgabe dem ausgesprochen gut besetzten und besuchten Zusammentreffen in Bonn addiert in etwa drei Spalten Text als Rahmung  einer übergroß gedruckte Fotografie (dieser hier) der Thomas Burgh Library des Trinity College in Dublin, die so wie ein trotziges Gegenbild zur digitalen Verflüssigung geisteswissenschaftlich relevanter Materialien (z.B. Bibliotheksbestände) anmutet. Der von Eleganz triefende visuelle Bibliotheksfels in der Zeitung passt denn auch ganz gut zum Bericht Thomas Thiels, dem das Thema insgesamt recht wenig Stil zu besitzen scheint.

Zum Ausdruck kommt dies beispielsweise in dem schönen Wort “Funktionslyrik”, der Gegengattung zur “Antragsprosa” (vgl. diesen FAZ-Artikel vom 30.11.2011), mit der sie jedoch semantisch auf einer Zeile liegt. Dass von der Tagung nicht viel mehr als ein Einpendeln der Richtung zu erwarten war (und diese Erwartung also weitgehend erfüllt wurde) zeigen auch informell kommunizierte Besuchereindrücke. Thomas Thiel fasst es für die Druckseite so:

“In Bonn versuchte man im Gespräch zwischen Forschern und Förderern Angebot und Nachfrage genauer aufeinander abzustimmen und sich zunächst einmal darüber klarzuwerden, was mit dem Technokratenwort [Forschungsinfrastrukturen] überhaupt gemeint sein sollte.”

und demonstriert nicht nur, dass die Online-Version in diesem Moment (21:12:56) auf das Wort “Forschungsdaten” nach “Technokratenwort” im Gegensatz zur Druckausgabe verzichtet, sondern auch, wie man durch einen kleinen Zusatz aus einer sperrigen Funktionsvokabel einen Dysphemismus macht.

Dass bürokratische Verwaltung und Technik nicht unbedingt bis zur Oberkante von ästhetischem Ausdruckswillen gefüllt sind, wusste man freilich schon zuvor. Auch unter Geisteswissenschaftlern. Und in der Tat ist die sinnliche Lücke vom digitalen Volltext zur Brinkmann & Bose-Ausgabe (die Ausstellung zum Verlag im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst wird zwei Seiten zuvor äußerst lobend besprochen) gewaltig. Allerdings will man kaum glauben, dass die Digital Humanities die kultivierten Geisteswissenschaften komplett zur Maschinendisziplin transformieren sollen. Obwohl Thomas Thiel da vielleicht widerspräche und sich mancher Apologet der Allround-Digitalisierung einer solchen Fantasie hingibt. Insofern ist es schon ganz gut, wenn sich die FAZ als Widerstandsnest gegen die Extrempole eines binären Zeitgeistes erweist.

Ich denke aber, dass die Digital Humanities sich eher zu einer neue Variante der Wissenschaft entwickeln, die mit den klassischen geisteswissenschaftlichen Methodenspektren und Theorien nur bedingt Schnittmengen aufweist. Daher ist die bekannte Reiberei, die sich auch in den FAZ-Bericht mit dem holzschnittigen Gegensatzpaar dynamisch und durchlässig vs. ruhend und beständig drängt, eher deplatziert. Dass die klassischen Geisteswissenschaften nach der allgemeinen auf Optimierung, Funktion und Vergleichbarkeit ausgerichteten Heißmangelung durch den wissenschaftlichen Zeitgeist der letzten Jahrzehnte nicht in voller Blüte stehen, ist offensichtlich (vgl. dazu auch diesen Text). Die Idee der möglicherweise im Bemühen um Schmissigkeit etwas irreführend so benannten Digital Humanities hat damit aber wenig zu tun.

Ich kann mich selbstverständlich irren, aber mir scheint es stärker, als schlösse sich mit den dahinter stehenden konzeptionellen Ansätzen vielmehr eine Lücke für einen bestimmten Bedarf, der bislang in der Wissenschaftsgeschichte wenig angesprochen wurde und werden konnte, dank digitaler Technik und Vernetzung nun aber angesprochen werden kann: Eine makrokosmische Perspektive auf die Art und Weise, wie Kultur bestimmte Artefakte erzeugt, benutzt und bewahrt. Oder, wenn man es so sagen will (wie ich es sagen will), ihre semiotischen Spuren legt. Oder (wie es andere sagen würden): Die Big Science dringt in die Bibliothek.

An dieser Stelle sind wir direkt im Aufgabenfeld der Bibliothekswissenschaft, denn seit je lesen wir nicht die Millionen Bücher. Aber wir können eine ganze Menge andere Dinge mit ihnen machen. Am etabliertesten ist bislang unsere Praxis, sie zu bewahren und in Infrastrukturen wie der Thomas Burgh Library bei Bedarf zugänglich zu machen. Integrieren wir nun aber die Überlegungen von Vorreitern quantitativer, nun ja irgendwie, geisteswissenschaftlicher Methoden (z.B. die eines Franco Morettis, vgl. auch hier), dann zeigt sich, dass die Bonner Tagung eigentlich eine Konferenz für eine Bibliothekswissenschaft des 21. Jahrhunderts war:

“Die Digitalisierung soll kein blindes, theoriefreies Anhäufen von Datenbergen sein [...]“

schreibt Thomas Thiel. Die Digitalisierung als Fortführung von Bestandsaufbau, -erschließung, -erhaltung und -vermittlung mit computertechnischen Mitteln läuft jedenfalls meiner Meinung nach in ziemlich direkter Linie zur klassischen Bibliotheksarbeit mitten hinein in die Gegenwart.

Diese, so eine Überlegung, erreichte nicht zuletzt unter dem Einfluss der Dokumentation auf dem Gebiet der Sacherschließung genau zu dem weltgeschichtlichen Zeitpunkt den exakt notwendigen Reifegrad, der es ihr nun ermöglicht, besonders auf dem Feld der Digital Humanities als Ergänzungsstück zur reinen, vielleicht etwas angereicherten Zugangsvermittlung eine gestaltende Rolle zu übernehmen. Die digitalen Geisteswissenschaften stehen also beispielsweise der Philologie oder der Literaturwissenschaft eben so nah, wie es die Bibliothekswissenschaft der letzten zweithundert Jahre tat. Mit dem Lesen hatte das Fach noch nie viel zu tun. Sondern mit Ordnen. Die neuen methodischen Auseinandersetzungen mit den Aufzeichnungsmedien und aufgezeichneten Inhalten zu eng mit den bestehenden Geisteswissenschaften zusammenzuführen, würde demzufolge beiden Gebiete nicht gerecht.

Das obige vorausgesetzt ist die Bibliothekswissenschaft nun natürlich in der Pflicht, entsprechend aktiv zu werden und etwas vorzulegen, was bei 1,5 offiziellen Hochschulprofessuren in Deutschland sicher nicht ganz leicht ist. Mit Projekten kann man zweifellos einiges kompensieren, wobei, wie Thomas Thiel nun wirklich nachvollziehbar ausführt, Projekte allein kein Standbein auf Dauer sein können:

“Ein zweiter Weg ist es, aus Forschungsprojekten institutionelle Dauerstrukturen zu entwickeln, die mit langem Atem unter der insulären Forschung und der Hatz der Projekte hinwegtauchen. Die Möglichkeit, Projekte zu verstetigen, sei deshalb in die Antragsprofile der Förderorganisationen aufzunehmen. Die DFG zeigte Verständnis.”

Was für die Studierenden des Instituts beruhigend sein dürfte, ist der übergreifend geäußerte Bedarf an Mitarbeitern, die mit einem soliden z.B. textinformatischen Hintergrund zugleich Technik, Inhalte und Verstehen verstehen. Hochentwickelte Mash-Up-Qualifikationen aus traditionell sich gern ausschließenden Leidenschaften und Interessen sind gefragt. In diesem Fach bekommt man sie. Wo der Wissenschaftsrat recht trocken und präzise einfordernd schreibt:

“Da das dafür notwendige Fachpersonal mit Zusatzqualifikationen in der Informatik und im Bereich der Kommunikationstechnologien nach wie vor kaum existiert, müssen die erforderlichen Konsequenzen in der Ausbildung der Studierenden so rasch wie möglich gezogen werden.”

hat der geisteswissenschaftlich übrigens auch an der Humboldt-Universität sozialisierte Thomas Thiel ein schmückenderes Bild im Repertoire:

“Auch die Zahl geisteswissenschaftlicher Kentauren mit informationstechnischer Expertise, in den Digitalisierungsprojekten sehr begehrt, sei auszubauen.”

An dieser Zitatstelle zeigt sich die Unsicherheit, die allgemein in der wissenschaftlichen Zwischenzone der digitalen Geisteswissenschaften besteht, deutlich: Die mythische Pferdemensch (bzw. das Menschenpferd) wird administrativ zur Planziffer degradiert. Passender in der Formulierung wäre indes statt “auszubauen” “nachzuzüchten” gewesen. In der deutschen Wissenschaftslandschaft sieht man nun nach der Bonner Tagung und den Berichten dazu vielleicht einen Kompassnadelausschlag genauer, wohin uns das digitale  Herumgaloppieren führen kann. Aber man sitzt (nicht nur mit den Sprachbildern) längst noch nicht sicher im Sattel. Vielleicht würde es helfen,  wenn das halbe Ross noch stärker als bisher den Reiter führte.

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http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=9205 0
Wieviel Ethik braucht das Fach? Zu einer möglichen Diskussion. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9198/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9198/index.html#comments Mon, 12 Dec 2011 13:02:27 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=9198 Es ist (aus verschiedenen Gründen und leider) nicht mehr oft der Fall, dass sich im IBI-Weblog noch inhaltliche Debatten entfalten – so selten, dass sogar der Direktlink von der umgestalteten Homepage des Instituts verschwunden ist. Ein Beitrag von Alexander Struck deutete allerdings jüngst wieder einmal an, wie Themendiskussionen in Weblogs entstehen können und da das [...]]]>

Es ist (aus verschiedenen Gründen und leider) nicht mehr oft der Fall, dass sich im IBI-Weblog noch inhaltliche Debatten entfalten – so selten, dass sogar der Direktlink von der umgestalteten Homepage des Instituts verschwunden ist. Ein Beitrag von Alexander Struck deutete allerdings jüngst wieder einmal an, wie Themendiskussionen in Weblogs entstehen können und da das Thema Berufsethik bzw. ebenso die Frage nach der politischen Positionierung von Bibliothekaren und Infomationsspezialisten jedes Fachbewusstsein permanent begleiten sollte, möchte ich sie aus dem Kommentar-Thread noch einmal herausheben und zugleich auf einen anderen Beitrag zum Thema hinweisen. Bibliothekare und Informationsspezialisten haben in der Tat ein breites Berufsfeld vom Archiv und Volksbibliothek über Ratingagenturen, Anwaltskanzleien, Suchmaschinenanbieter bis hin eben auch – das war der Ausgangspunkt der Kommentarfolge – zu Geheimdiensten vor sich. Professionalität wird nicht selten unter dem traditionsreichen Wendung “wes’ Brot ich ess, des Lied ich sing” zusammengefasst. Andererseits gibt es Positionen, die darauf bestehen, dass gerade unsere Berufsgruppe mit einem ausgeprägteren ethischen Bewusstsein handeln sollte. Dave Lankes beschreibt dies in einem aktuellen Beitrag in seinem Weblog Virtual Dave so:

“I believe that librarians must be political. That is they must be aware of politics, aid their members in political pursuits, and actively participate in the political process. Now directors of libraries will see this as nothing new, but I believe that all librarians must be politically savvy. Why? Well, let’s start with my definition of politics: politics is the process by which a community allocates power and resources.”

Genaugenommen rückt hier die Polarität mit den Polkappen a) konsequente Dienstleistungsorientierung vs. b) demokratischer Bildungsauftrag in den Mittelpunkt der Betrachtung. Mit Dave Lankes lässt sich hier der Unterschied zwischen den (zu a) Konsumenten und (zu b) den Bürgern als Zielgruppe anbringen:

“Just as a library is product of people (community, librarians, staff), so too is our government. It is the role of librarians to first remind our communities that every citizen is responsible for the performance of our government and that the best elected government is one that is elected in the light of knowledge. This is the difference between citizen and consumer. A citizen is a participant who does not simply vote and forget.”

Natürlich lässt sich ein solch idealistisches Rollenbild berufspraktisch nur in Öffentlichen bzw. öffentlich geförderten Bibliotheken resolut vertreten, also Einrichtungen die mehr oder weniger direkt im Dienst der Allgemeinheit unter der Prämisse einer demokratischen Gesellschaftsidee stehen. Bibliothekare, die die Literaturversorgung beispielsweise in einer Wirtschaftskanzlei übernehmen, dürften sich diesen ethischen Luxus als handlungspraktische Orientierung selbst bei fester innerer Überzeugung vermutlich nicht herausnehmen, jedenfalls wenn er in einen Widerspruch zu den Interessen der Kanzlei führen würde. Der bibliothekarische Berufsidealismus muss in solchen Einrichtungen entweder mit den Ziel des Unternehmens synchronisiert werden oder auf eine rein handwerkliche Standesehre (Die effizienteste Informationsvermittlung, die machbar ist o.ä.) beschränkt bleiben. Dabei stehen Bibliothekare auch in solchen Fällen in gewisser Weise im Dienst einer Community, allerdings einer mit bisweilen sehr konkreten Zielen. Dieser Umstand macht derartige Beispiele auch zu guten Szenarien in der Nussschale, an denen man die Vertracktheit des Problems erörtern kann.

Wenn die Kommentarin Anja nun schreibt:

“Naja, wenn man LIS studiert, um beim CIA andere Menschen auszuspionieren…..ich weiß nicht. Dann wäre ich lieber arbeitslos als das…”

dann adressiert sie sicher einen Extrempunkt, der formal allerdings auch im Auftrag der demokratischen Idee bzw. der Interessen von hinter dieser stehenden Institutionen agiert.

Letztlich befinden wir uns hier in einem Übergangsraum, dessen Grenzen nicht leicht bestimmbar sind. Die simpleste Antwort ist sicher, dass man nur in einer Organisation eine Stelle annimmt, wenn man sich mit deren übergeordneten Zielen zu identifizieren vermag – was übrigens für beide Seiten die beste Variante darstellt. Da die meisten Absolventen des IBI, wie eine aktuelle Verbleibstudie ergab, in wissenschaftlichen Bibliotheken unterkommen, dürfte ihnen die Gewissensfrage in dieser Hinsicht erspart bleiben und ein demokratisch-politisches Engagement, wie es sich Dave Lankes wünscht, mit dem Arbeitsalltag vereinbar sein. Andererseits könnte man natürlich fragen, ob die von Dave Lankes vertretene Ausrichtung, die einen bestimmten normativen Konsens einfordert, überhaupt so allgemeingültig sein kann, wie es scheint:

“The quest for a better community and a better tomorrow requires the most fertile of grounds.”

Hier knackt die Grundlage weg, sobald man sich an die Konkretisierung wagt. Denn davon, was eine bessere Gemeinschaft und ein besseres Morgen sein können und könnten, gibt es – dank der in einer demokratischen Gesellschaft verfassungsrechtlich verankerten Meinungsfreiheit – doch sehr unterschiedliche Vorstellungen.

Alexander erweitert in seinem Kommentar die Grundfrage auf die Bibliotheks- und Informationswissenschaft:

“Sollte auch die LIS Forschung ueber ihre gesellschaftliche Verantwortung reflektieren? (Bsp. User Tracking etc)”

Als Ja-Nein-Frage gelesen ist die Antwort darauf eindeutig. Geht es jedoch um das Wie, dann wird es auch hier schwieriger. Die Berufsethik ist dann betroffen, wenn wir davon ausgehen, dass die Bibliotheks- und Informationswissenschaft entsprechende Leitlinien erarbeiten soll, darf und kann, also als eine die Praxis unterstützende Gesellschaftswissenschaft agiert. Das Beispiel User-Tracking weist dagegen in Richtung Forschungs- und Wissenschaftsethik.

Gäbe es am Institut ein dezidiertes Seminar zum Thema und wäre ich dessen Dozent, würde ich gleich in der ersten Sitzung zunächst einmal das Problem mit der Frage einhegen, welche Themen, technischen Entwicklungen und Forschungsfragen ebenfalls unter dem Verdacht stehen, ethisch wenigstens zweischneidig zu sein? Inwieweit das vielleicht sogar bereits Thema im Seminar “Information und Gesellschaft” (51 806) war, entzieht sich meiner Kenntnis, ist aber im nächsten Flurgespräch mit der Dozentin bestimmt Gegenstand einer kleinen Anfrage. Die Ausrichtung stimmt laut Kursbeschreibung jedenfalls:

“Ziel der Vorlesung ist eine Sensibilisierung für die Wechselwirkung von Information und Gesellschaft. Die Studierenden erhalten auf nationaler und internationaler Ebene ein Orientierungswissen über die wesentlichen Akteure des BI-Bereichs, einschließlich Wissenschaft und Bildung. Am Ende der Vorlesung sollen die Studierenden in der Lage sein, die Bedeutung von Informationspolitik, -recht und -ethik beurteilen zu können.”

Abgesehen davon scheint die Frage auch unabhängig von der jüngsten Verkündung des Internetanalysten George Colony, wir würde uns in die Phase des “Post-Social-Web” begeben, in jedem Fall relevant genug, um hier trotz allgemeiner “social media fatigue” und “social saturation” weiter diskutiert zu werden. Und wer lieber ein richtiges Diskussionspapier daraus machen will, kann sich gern an redaktion@libreas.eu wenden. Auch wenn die Ausgabe zum Thema Ethik und Zensur erschienen ist, bleiben die damit verknüpften Fragen, Herausforderungen und Widersprüche dauerhaft bedeutsam genug, um immer wieder auf die Agenda zu gelangen.

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LIBREAS-Lesung am IBI: Marc Schweska liest aus ‘Zur letzten Instanz’ http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9187/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9187/index.html#comments Mon, 05 Dec 2011 15:14:57 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=9187 Etwas in der Zeit versetzt und mit dem Zweck der Erinnerung sei nun auch hier noch einmal auf die vermutlich erste Veranstaltung des LIBREAS. Verein (mit freundlicher Unterstützung des IBI) hingewiesen. Nachfolgend die Meldung aus dem LIBREAS-Weblog: Der LIBREAS. Verein freut sich, zu einer Lesung mit direktem Bezug zur Bibliothekswissenschaft in Berlin einladen zu können. [...]]]>

Etwas in der Zeit versetzt und mit dem Zweck der Erinnerung sei nun auch hier noch einmal auf die vermutlich erste Veranstaltung des LIBREAS. Verein (mit freundlicher Unterstützung des IBI) hingewiesen. Nachfolgend die Meldung aus dem LIBREAS-Weblog:

Der LIBREAS. Verein freut sich, zu einer Lesung mit direktem Bezug zur Bibliothekswissenschaft in Berlin einladen zu können. Marc Schweska wird aus seinem Buch Zur letzten Instanz lesen. In diesem Roman geht es unter anderem um die Kybernetik-Forschung in der DDR, die einstmals im heutigen Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der HU Berlin betrieben wurde. Der Autor wird insbesondere auf diese Stellen seines Buches eingehen.

Zur Einführung sei auf die Besprechung von Ben Kaden zum Buch verwiesen: Die Dinge in Kybernesien.

Die Lesung findet am 09.12.2011, ab 18.30 Uhr, am gegebenen Orte (Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der HU Berlin, [heutige] Dorotheenstraße 26, Berlin) statt. Der Eintritt ist frei. Über Ihr Kommen würden wir uns freuen.

Die Einladung als PDF zum Ausdrucken hier.

Die Lesung findet im Raum 12 des Instituts statt.

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Die Schließung öffentlicher Bibliotheken ist rechtswidrig, in England http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9175/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9175/index.html#comments Thu, 17 Nov 2011 19:08:33 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=9175 Aus Großbritannien erreichen uns heute erfreuliche Nachrichten. Dort entschied nämlich gestern der High Court of Justice, immerhin das höchste Zivilgericht für England und Wales, dass die Schließung kommunaler Bibliotheken unzulässig sei, da sie gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung verstoße: “Judge Martin McKenna ruled that, as the closures would hurt disadvantaged groups such as the elderly [...]]]>

Aus Großbritannien erreichen uns heute erfreuliche Nachrichten. Dort entschied nämlich gestern der High Court of Justice, immerhin das höchste Zivilgericht für England und Wales, dass die Schließung kommunaler Bibliotheken unzulässig sei, da sie gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung verstoße:

“Judge Martin McKenna ruled that, as the closures would hurt disadvantaged groups such as the elderly and the disabled, which is contrary to the conditions laid down in equalities legislation, the councils would just have to scrap their plans and think again. And he also made it crystal clear – as he quashed the closure decisions and told the councils to pay campaigners’ legal costs – that he was sending a message to other local authorities intent on restructuring their library services.”

Der Guardian kommentiert die Entscheidung für das öffentliche Bibliothekswesen nicht ohne Sympathie:  Campaign against library closures has scored a vital victory.

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http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=9175 0
Kurzlebig. Bit.ly erforscht die Halbwertzeiten seiner Links. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9083/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9083/index.html#comments Thu, 08 Sep 2011 13:18:51 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=9083 Über den Bits-Blog der New York Times erreichen uns heute ein paar schöne Zahlen aus der Schnelllebigkeit digitaler Kommunikationsumwelten. Und eigentlich hätten sie uns die auf den 07.09. datierte Meldung zur Halbwertzeit von Links spätestens gestern (mit Zeitverschiebung heute morgen) auffallen müssen, aber mitunter ist es ja auch erhellend, etwas asynchron zu lesen und zu [...]]]>

Über den Bits-Blog der New York Times erreichen uns heute ein paar schöne Zahlen aus der Schnelllebigkeit digitaler Kommunikationsumwelten. Und eigentlich hätten sie uns die auf den 07.09. datierte Meldung zur Halbwertzeit von Links spätestens gestern (mit Zeitverschiebung heute morgen) auffallen müssen, aber mitunter ist es ja auch erhellend, etwas asynchron zu lesen und zu melden – was dann freilich die Lebensdauer von Links verlängern könnte.

Der Link-Shorten-Dienst Bit.ly hat jedenfalls aus seinem Datenbestand 1000 populäre Links auf die Nutzung über die Zeit hin ausgewertet (Mason, Hilary (06.09.2011) You just shared a link. How long will people pay attention? In: bitly blog. http://bit.ly/oUBGNQ). Dabei kam heraus, dass die Zeitspanne, in der ein Link angeklickt wird, bei Nachrichten kürzer ist, als es dauert, dieses Blogposting zu schreiben. Die – wie ein Kommentator aus dem Publikum anmerkt methodisch nur als Tendenz gemessene – Halbwertzeit liegt bei fünf Minuten. Bei Twitter werden ihm im Schnitt immerhin 2,8 Stunden, bei Facebook 3.2 Stunden, bei über E-Mail verschickten Verknüpfungen 3,4 Stunden gegönnt. Und bei YouTube fast ein Arbeitstag: 7,4 Stunden.

Bei Nachrichten ist übrigens klar, woraus sich die knappe Spannen ergibt: Neue Nachrichten drängen nach und verdrängen die alten aus dem Wahrnehmungshorizont der Nutzer. Nicht nur für die Suchmaschinenoptimierung wäre es interessant, zu untersuchen, inwiefern verschiedenen Präsentations-Modi unterschiedliche Ergebnisse nach sich ziehen. Hier stehen die aktualisierte Anzeige von prominenten Links über Facebooks “Top News” gegen Twitters “Re-Tweets”. Dies schlägt die Brücke zurück zu bit.ly, wo man eher an die Relevanz des Inhalts glaubt:

“This leads us to believe that the lifespan of your link is connected more to what content it points to than on where you post it: on the social web it’s all about what you share, not where you share it!”

Ein Inhalt, der im Gespräch bleibt, lebt eben länger. Und der Link darauf ebenfalls.

Die Zusammenfassung bei bits.blogs.nytimes.com:  The Lifespan of a Link.

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Google, was geht? Das Scenario Magazine berichtet aus dem Beta Lab. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9071/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9071/index.html#comments Wed, 07 Sep 2011 15:42:20 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=9071 Thomas Geuken, Psychologe vom Copenhagen Institute for Future Studies, das thematisch zwangsläufig vieles erforscht, was auch die Bibliotheks- und Informationswissenschaft umtreibt, fuhr für das institutseigene Scenario Magazine ins New Yorker Beta Lab Googles und hat dabei ein an Einblicken reiches Interview mit der im Unternehmen für Forschung und Entwicklung verantwortlichen Corinna Cortes geführt. Beispielsweise zeigt [...]]]>

Thomas Geuken, Psychologe vom Copenhagen Institute for Future Studies, das thematisch zwangsläufig vieles erforscht, was auch die Bibliotheks- und Informationswissenschaft umtreibt, fuhr für das institutseigene Scenario Magazine ins New Yorker Beta Lab Googles und hat dabei ein an Einblicken reiches Interview mit der im Unternehmen für Forschung und Entwicklung verantwortlichen Corinna Cortes geführt.

Beispielsweise zeigt bereits die Kernfrage, was denn die wissenschaftliche Herausforderung der Arbeit bei Google ist, deutliche Parallelen zu dem, was unsere Disziplin tut:

“[...] how to learn in an incomplete world and a digital universe full of dirty data (vast amounts of user-generated data of very poor quality; ed.). This is where the true challenge for Google lies – to provide users with relevant and valid knowledge on the basis of a large quantitative body of data,”

In gewisser Weise lebt hier das alte Ziel der Fédération Internationale de Documentation (FID) fort, nämlich

“the collection and storage, classification, dissemination and utilization of all types of information” (vgl. Gisela Ewert and Walther Umstätter: “Die Definition der Bibliothek,” in Bibliotheksdienst 33 (1999), S.961)

Sie wird nur um die explizite Ausrichtung auf das Verhältnis zwischen dem Nutzer mit seinem konkreten Informationsbedürfnis und dem ubiquitären Infoversum erfüllt von dirty data erweitert. Google erscheint also als eine Art FID des 21. Jahrhunderts und da das Geschäftsmodell zu stimmen scheint, wohl auch mit stabilerer Perspektive und unbestritten gesamtgesellschaftliche größerer Wirkung. Das Ziel wird nicht nur formuliert und als Utopie skizziert, sondern in den Labs direkt in mannigfaltiger Weise durchgetestet.

Eine Variante betrifft das, was man als Social Curating und/oder Human Sorting bezeichnen kann. Die Prozessierung digital erfasster sozialer Beziehungen ermöglicht eine starke Individualisierung des Retrievals und beruht nicht zuletzt auf der Idee umfassender Empfehlungssysteme: Was meine Peers relevant erscheint, könnte auch für mich von Interesse sein. Weblogs wie dieser sind eine Vorstufe, Facebook und Google+ der Stand der Zeit. Sind Datenmengen und Datennutzungsgeschichte (was oft zusammend fällt) umfassend genug ist, sind solche Verfahren auch relativ präzise und natürlich datenschutzrechtlich hoch problematisch.

Das Ziel Googles ist, so der Beitrag und so die Beobachtung um Google+, die Zusammenführung der klassischen algorithmisierten Prozessierung enormer Datenmengen mit der zusätzlichen sozusagen Gegenspiegelung des Datennutzungsverhaltens. So jedenfalls lese ich den Satz:

“Mankind’s ability to find qualitative bits of data and knowledge is, in other words, something that Google would like to use to make their own data even more valid.”

Cortes betont, dass die “guten Daten” der Nutzer perspektivisch die Hälfte des verarbeiteten Datenbestandes bei Google ausmachen sollen. Hier zeigt sich schön der Unterschied zum Facebook-Ansatz: Dienen dort die Inhalte zur digitalen Konstruktion und Abbildung sozialer Beziehungen, nutzt man bei Google soziale Interaktionen zur Konstruktion und Abbildung von Datenstrukturen und Relevanzen.

Wofür das Unternehmen diese Relationierung nutzen kann, zeigt der Abschnitt What do the users think? Was hier pragmatisch zum Filtern sozusagen der Gelben Seiten dargestellt wird, nämlich Nutzern aufgrund der Reviews eine wertende Sortierung (“service”, “price” and “staff”) von verfügbaren Dienstleistern anzubieten, ist auf nahezu alles anwendbar, was sich adressieren und mit maschinenlesbaren Eigenschaften markieren lässt.

Steht das Verfahren, können auch Einzelaussagen in Texten nach bestimmten Kriterien von der Crowd bewertet und relationiert werden. Für Anwendungen des Semantic Web in der Wissenschaftskommunikation z.B. im Sinne eines Post-Reviewings dürfte dies von erheblichem Belang sein. Auch hier – und das wäre dann eine Aufgabe für die Forschung des Instituts für Bibliotheks- und Informationswissenschaft – lassen sich die vergleichsweise “schmutzigen” (bzw. semantisch eher armen) Daten automatisierter Zitationsanalysen mit qualitativen Verfahren zur Diskursannotation koppeln. Die große Frage ist dabei, ob die Crowd der Wissenschaftsgemeinschaften sich auf so etwas einzulassen bereit ist.

Google forscht offensichtlich zunächst lieber auf anderen Gebieten, z.B. der so genannten Augmented Reality:

“Corinna Cortes takes out her Android phone and snaps a photo of a Sprite can on the table in front of us. In best science fiction style, a scanning line runs back and forth on the display, and voilà, the telephone tells us that it is a Sprite in front of us and provides a lot of information about the object.”

Weiterhin erfährt der Autor des Beitrags etwas über den Übersetzungsdienst und erhält einen kleinen Einblick in das Engagement des Unternehmens bei der Entwicklung von Robot Cars, das wenigstens die Sportwagenliebhaber nicht allzusehr begeistern dürfte.

Inwiefern der Allround-Kuratierungsdienst Google als großer Datenverarbeitungsbruder uns damit und auch mit den anderen Diensten auf einen digitalen Paternalismus zuführt, wird an anderer Stelle zu diskutieren sein. Der Mensch ist offensichtlich ein Optimierungstier und liebt Sicherheit und Überblick. Beides verspricht das Unternehmen. Thomas Geuken geht damit leider ziemlich unkritisch um. Aber das war wohl auch Ziel des kleinen Reports, der mit viel Sympathie für Google und Corinna Cortes sowie Liebe zum Detail geschrieben wurde:

“She wears sneakers even at work.”

Den Artikel aus dem Scenario Magazine kann man hier abrufen: What’s up Google, New York?

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Küssen und Morden: Hubert Spiegel schreibt in der morgigen FAZ sehr schön über Bibliotheken. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9033/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9033/index.html#comments Sun, 07 Aug 2011 20:44:11 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=9033 Während das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Aufmacher am Montag Charlotte Roches neues Buch “Schoßgebete” großformatig und sicher in Richtung Bestseller-Listenspitzenplatz schickt, bekommt zwei Seiten später Hubert Spiegel etwas weniger Platz, über die für uns noch relevantere und in ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit außergewöhnliche Münchener Ausstellung Die Weisheit baut sich ein Haus zu berichten. Der mit [...]]]>

Während das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Aufmacher am Montag Charlotte Roches neues Buch “Schoßgebete” großformatig und sicher in Richtung Bestseller-Listenspitzenplatz schickt, bekommt zwei Seiten später Hubert Spiegel etwas weniger Platz, über die für uns noch relevantere und in ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit außergewöhnliche Münchener Ausstellung Die Weisheit baut sich ein Haus zu berichten. Der mit großem Foto illustrierte (Die Mátrix der Megabiblioteca José Vasconcelos in Mexiko-Stadt) Text ist dabei ein gelungenes Beispiel für präzise und zielführende Informationsverdichtung: Er kennt (und nennt) sowohl Gabriel Naudé wie die Kamelbibliothek des persischen Großwesirs Abdul Kassem Ismael – also zugleich bedeutende und kuriose Eckpunkte der Bibliotheksgeschichte. Damit gelingt es ihm, in vielleicht 1400 Wörtern glasklar kulturhistorisch nachvollziehbar herauszustellen, welchen maßgeblichen Anteil die Institution Bibliothek an der Entstehung unserer Kultur besitzt und dass sie, entgegen manchen auf ein mögliches baldiges Ableben schnellschießenden Behauptungen, wenigstens neubautechnisch noch sehr fidel daherkommt. Und dabei in verdoppelter Form:

Heute stehen die Konzepte der introvertierten und der extrovertierten Bibliothek gleichberechtigt nebeneinander.”

Diese bizentrische Gelassenheit wirkt denn auch für uns, die wir uns professionell mit den Verschiebungen der Institution Bibliothek und ihrer Möglichkeiten befassen, angemessener, als beispielsweise das traurige Lied, dass aus der Besprechung derselben Veranstaltung in der Frankfurter Rundschau heraufklang. (vgl. hier) Die Jahrtausende dicke, im Zeitfluss dahinströmende Spur von Bibliothek und Buch, die in der Digitalkultur ein sich permanent verästelndes Delta gefunden hat, scheint doch wirkmächtiger in unsere Kultur eingeschrieben, als dass wir uns grundlegend um ihre Zukunft sorgen müssten.  Sorgen wären erst dann angezeigt, wenn wir vergessen hätten, woran das Feuilleton der überregionalen Tagespresse freundlicherweise auch seine anderen Zielgruppen erinnert, nämlich

“dass es wohl keine menschliche Tätigkeit gibt, die sich in der Bibliothek nicht ausüben ließe, vom Essen und Schlafen bis zum Küssen und Morden.”

Und nebenbei die Konstruktion aller Facetten unserer kulturgestalteten Lebenswelt.

(Spiegel, Hubert: Auch die Karawane muss alphabetisiert sein. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 08.08.2011, S.25)

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http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=9033 0
Wenn das Leck aber nun keine Arche hat? Die Frankfurter Rundschau sieht die Bibliothek angeschlagen. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8990/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8990/index.html#comments Wed, 20 Jul 2011 13:03:11 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8990 „Die Niederschrift, die von den pariser Passage handelt, ist unter freiem Himmel begonnen worden wolkenloser Bläue […]“ Wenn Oliver Herwig heute für seinen Besprechungsartikel (mit dem schwierigen Titel Die Arche mit dem Leck ) zu einer Ausstellung über Bibliotheken schon Walter Benjamin (neben Karl Marx) als den üblichen Vorzeigelesesaalbenutzer herausstellt, dann ist es schwer, nicht [...]]]>

„Die Niederschrift, die von den pariser Passage handelt, ist unter freiem Himmel begonnen worden wolkenloser Bläue […]“

Wenn Oliver Herwig heute für seinen Besprechungsartikel (mit dem schwierigen Titel Die Arche mit dem Leck ) zu einer Ausstellung über Bibliotheken schon Walter Benjamin (neben Karl Marx) als den üblichen Vorzeigelesesaalbenutzer herausstellt, dann ist es schwer, nicht an diese himmelhochziehende Passage, die sich über das Passagenwerk spannt, zu denken.

Dazwischen knüpft der Journalist dann eine Wäscheleine vom großen Weltgestalter Internet – dem Schöpfer gewordenen Infrastrukturkonzept – in der immer richtig-falschen Grundaussage „Das Internet verändert alles.“ bis zur ebenso charakterisierbaren Normvorgabe für die Institution Bibliothek: „Sie wird sich weiter öffnen müssen.“

An diese heftet er einige Vorstellungsbilder einer Basisbetrachtung, die bei Konrad Gessner beginnt und einzelne Eindrücke der für ihn „seltsam melancholische[n] Ausstellung“ Die Weisheit baut sich ein Haus. Architektur und Geschichte von Bibliotheken zu einem rückschauenden Rundgang am Ende der Bibliothek, wie wir sie kennen, zusammenklammert:

„Mit einer Phalanx von Folianten, Plänen, Modellen, Fotos und Filmen stimmt das Architekturmuseum der Technischen Universität München einen Abgesang an auf die Welt der Büchereien, der Ausleihschalter und Kataloge. Die Bibliothek als Arche, dahinter steht die Angst, im Mahlstrom des Netzes unterzugehen, das erst alles Wissen verschlingt und später in wohl dosierten Bits und Bytes kommerziell verwertet.“

Es ist ein wenig wie die Weihnachtszeit der Älterwerdenden: Aus der durchaus berechtigten Furcht, so käme man nie wieder zusammen, führt man sich die Elementartatsache der Vergänglichkeit alles Seienden in wohliger Heimeligkeit vor Augen, kostet die Wonne dieser emotionalen Ambivalenz tief aus und staunt nicht einmal, dass man im nächsten Jahr wieder in der Vorabschiedsstimmung zusammenfindet. Dies mit einem gleichen Paar Socken in golden glitzerenden Geschenkpapier unterm Tannenbaum. (Argyle-Muster scheinen immer in Mode zu sein.)

Nicht nur „Bibliotheken sind zweifellos der Versuch, die chaotische Welt zu ordnen und ihr ein anderes, ein aufklärerisches Antlitz zu verleihen“, wobei hinter der Aufklärung nichts anderes steht, als der Versuch, eine bewusste Form zu finden, die prinzipielle Begrenztheit des Lebens zu meistern. Das schließt Bestätigung und Aufbruch in denselben Band ein. Denn natürlich hat „Weltwissen […] stets auch revolutionären Charakter“, so wie sich Lebendigkeit stets durch Bewegung auszeichnet.

Oliver Herwigs Feuilleton-Beitrag ist daher eine ganz willkommene Heimkehr für alle, die sich lebensmittelpunktlich mit Bibliotheken befassen. Allein einzelne querliegende Formulierungen wie „Geldspeicher Suchmaschine“ bilden rhetorische Geschwindigkeitshügel für das weiche Gleiten durch den sympathischen Text. „Angst ist ein guter Baumeister“ aber nicht zwingend ein guter Metaphernschmied. Denn auf einmal läuft Dagobert Duck (oder Walter Elias) durchs Bild und versucht sich bei Walter Benjamin einzuhaken. Diese Spannung zerhebelt die Vanitas-Idylle des Ausstellungsberichts und macht wieder empfänglich für die Myopie von Fehlvergleichen wie

„Wer braucht noch Studierzimmer und Lesesaal, der über Breitbandinternet und WLAN verfügt?“

Für Oliver Herwig eröffnet sich damit die Möglichkeit zu einer vorsichtigen Kritik an der Schau:

„Was aber bedeutet Bibliothek heute? Wer etwa die wunderbar offene und leutselige Stadtbücherei von Amsterdam erlebt hat, ahnt, warum inzwischen auch in der Stadtteilbibliothek München-Pasing eine Espressomaschine steht. Büchereien wandeln sich zu Wohlfühlorten, auch wenn Kritiker darauf verweisen, dass sie immer noch weniger bildungsfernen Familien dienen als bürgerlichen Bildungsfreunden zur Selbstvergewisserung. Doch davon schweigt die Ausstellung.“

Er selbst schweigt aber von der Tatsache, dass die Idee der Öffnung der Bibliothek  bzw. die Erkenntnis, „[d]ie beste Sicherung ist womöglich keine aus Mauern“ bei all denen, die sensibel genug waren und sind, Bibliothek nicht nur als hohlköpfiges Verwaltungsverfahren zu betrachten und betreiben, die Selbstverständlichkeit schlechthin darstellen.

Deren Welt war und ist niemals bipolar. Internet und Gedächtnis – individuell und kulturell – dürften gerade für aufgeklärte Akteure nur in der Weise in Relation stehen, wie sich Schnellbahntrasse und der gemütliche Luxus zweier Wohnsitze vereinbaren lassen. Verdrängung und Ausschließlichkeit mögen zeitgeistliche Faszinosa einer klappernden Beratungsindustrie sein, die pikanterweise in allerlei Kulturräume von Zeitungsredaktionen bis zu Bibliotheksverwaltungen eigenartige Szenarien des unbedingten, einseitigen Wandelgängelns hinein trompetet. Aber gerade reflexionsbegabte Geistesmenschen sollten vor dem Tönen solcher Weltanschauungen nicht übermäßig ehrfürchtig zusammenzucken. Schlössen sie sich zusammen, könnten sie diese Narrative mit Leichtigkeit zerpflücken und entzaubern und so etwas wie Google ohne jede Hysterie in seinen funktionalen Schranken erkennen. Eigenartigerweise tun sie es nicht…

Walter Benjamins Passagenwerk-Passage wendet den freien und offenen Himmel ins Diesseitige der Bibliothek in einer berauschenden Form, die sicher nicht alle nachvollziehen mögen, die aber in jedem Fall die Simulakren der Touch-Screen-Digitalität bisher völlig überfordert, welche mit ihrer Bildschirmbindung viel stärker konzentrierend wirken, als mancher annimmt:

„[…] wolkenloser Bläue, die überm Laube sich wölbte und doch von den Millionen von Blättern, in denen die frische Brise des Fleißes, der schwerfällig Atem des Forsches, der Sturm des jungen Eifers und das träge Lüftchen der Neugier rauschten, mit vielhundertjährigem Staube bedeckt worden. Denn der gemalte Sommerhimmel, der aus Arkaden in den Arbeitssaal der pariser Nationalbibliothek hinuntersieht, hat seine träumerische, lichtlose Decke über ihr ausgebreitet.“

Der Salle Labrouste war genauso Ort räumlicher Entgrenzung und geistiger Diffusion wie das, was Oliver Herwig sich als virtuelle Welt vorstellt. Bibliotheken waren genau genommen immer Zugangsmittel zu unüberschaubaren virtuellen Welten und der Lesesaal somit das iPad der letzten Jahrhunderte. Ob sich die Bibliotheksbenutzer auf Dauer mit der flexiblen Schrumpfform im Handtaschenformat zufrieden gegeben haben werden, wird uns möglicherweise eine entsprechende, seltsam melancholische Ausstellung eines Museums für digitale Kommunikationstechnik im Sommer 2034 aufzeigen. (Kein Katalog.)

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Wirtschaft und Gesellschaft? Eine Anmerkung zu Googles unabhängigem Forschungsinstitut aus Sicht der Bibliotheks- und Informationswissenschaft. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8969/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8969/index.html#comments Wed, 13 Jul 2011 21:14:04 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8969 “wer braucht jetzt noch ein Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften?” fragt beinahe rührend eine unbekannte Solveig in ihrem Kommentar zu Alexanders kleinem Posting zum von Google finanzierten Unabhängige[n] Forschungsinstitut für Internet und Gesellschaft mit den Gesellschaftern Humboldt-Universität zu Berlin, Universität der Künste Berlin und Wissenschaftszentrum Berlin. Tatsächlich verfehlt die Frage aber den Punkt, denn soweit [...]]]>

“wer braucht jetzt noch ein Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften?”

fragt beinahe rührend eine unbekannte Solveig in ihrem Kommentar zu Alexanders kleinem Posting zum von Google finanzierten Unabhängige[n] Forschungsinstitut für Internet und Gesellschaft mit den Gesellschaftern Humboldt-Universität zu Berlin, Universität der Künste Berlin und Wissenschaftszentrum Berlin. Tatsächlich verfehlt die Frage aber den Punkt, denn soweit sichtbar, wird sich dieses neue Institut doch noch viel sozialwissenschaftlicher auf das Themenfeld stürzen, als es das Institut in seiner Agenda aktuell macht. In den aktuellen Forschungsschwerpunkten Digitale Bibliotheken, Informationsmanagement, Wissensmanagement sowie Information Retrieval finden sich nur sporadisch Anschlusspunkte zu gesamtgesellschaftlichen Fragen, was man bedauern mag, aber nicht unbedingt aus dem Augenblick heraus ändern kann.

Das neugegründete Institut am traditionsreichen Bebelplatz stößt also in eine interdisziplinäre Lücke vor, an die das bibliotheks- und informationswissenschaftliche mit seiner Erkenntnisproduktion sicherlich andocken sollte (weit ist es ja nicht), dessen Aufgaben es aber höchstens dann in ähnlichem Umfangen übernehmen könnte, wenn auch ein ähnliches Fördervolumen in die Dorotheenstraße flösse.

Für die Humboldt-Universität übernimmt der Rechtswissenschaftler Ingolf Pernice die Untersuchung der Themengebiete “Rechtsphilosophie und Verfassungsrecht”, ohne dass in der Pressemitteilung die exakte Relation zum Überthema spezifiziert wird. Aber man muss nicht nur an das Google Book Search Settlement denken oder an Datenschutzprobleme bei Facebook, die sich vielleicht in ähnlicher Form oder auch ganz anders ebenso im real life sharing von Google+ wiederfinden, um zu sehen, dass der Bedarf einer regelorientierten und also rechtlichen Reflexion der Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und digitalen Kommunikationsformen enorm ist. Geistiges Eigentum inklusive. Die Trubelei in der mit der zum neuen Institut ziemlich ähnlich klingenden Enquete-Kommission des deutschen Bundestages hat schon mal eine Untersuchungsagenda offenbart (vgl. auch hier).

Dennoch bleibt für Beobachter des Geschehens die Frage, wieso Google den Betriebsumsatz von sechs Konzernarbeitsstunden ausgerechnet in Deutschland in ein solches Institut steckt? Oder, wie es Frank Rieger am Donnerstag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Ist dieser soziale Blindenhund bissig?, FAZ vom 14.07.2011, S. 29) formuliert:

“Wozu benötigt [Google] ein neues Institut? Zur Erforschung von Fragen, die hausinterne Wissenschaftler durch einen analytischen Spaziergang in den eigenen Datenhalden beantworten könnten?”

Der zweite Aspekt wäre tatsächlich mal etwas für das IBI, dass gerade für solche Strukturanalysen eine grundlegende Kompetenz besitzt. Aber darum geht es Google nach Einschätzung des FAZ-Artikels nicht. Sondern, so der Beitrag, um eine kreative Variante der Teilhabe am öffentlichen Diskurs:

Google lernt in Amerika gerade schmerzlich, wie wichtig die langfristige Beeinflussung des politischen Meinungsbildes für die Erhaltung der eigenen Geschäftsmodelle ist. Der Konzern hat ein Machtpotential angesammelt, das intensive Rufe nach Regulierung, Beschränkung, Kontrolle lautwerden lässt. Dass Google sich nun aber anschickt, die akademische Seite der anstehenden europäischen Debatten über den Weg in die durchdigitalisierte Gesellschaft frühzeitig zu beeinflussen, kann nicht weiter verwundern.”

In der Tat. Und eigentlich müsste man genau deshalb auch die Google-unabhängige Forschung zu der digitalen Gesellschaft stärken, damit man ein zugleich alternativen wie auch Vergleichsrahmen hat, an dem man den Output des Instituts für Internet und Gesellschaft messen kann. Wo Frank Rieger der deutschen Forschungspolitik eine “schallende Ohrfeige” verpasst sieht, gilt es tatsächlich einen Missstand zu beheben:

Echte Forschung zu den Folgen und Auswirkungen von Computerisierung und Vernetzung findet an deutschen Universitäten traditionell nämlich nur ganz am Rande statt, getragen von einer vergleichsweise kleinen Zahl unterfinanzierter Wissenschaftler, die um ihre Lehrstühle hart kämpfen müssen, wenn es an die nächste Kürzungs- oder Umverteilungsrunde geht.”

Auch wenn die deutsche Wissenschaft punktuell etwas stärker zu diesem Thema aufgestellt ist, als es die Aussage vermuten lässt, fehlt tatsächlich eine systematische Annäherung an die Gemengelage relevanter Fragestellungen, von denen sich einige zwar in der Globalagenda der Bibliotheks- und Informationswissenschaft wiederfinden (z.B. Informationsethik, Informationsphilosophie, Technikfolgenabschätzung, Medienpluralismus und -nutzung, etc.), selbige aber aktuell bei den Schwerpunktsetzungen in den Lehr- und Forschungsplänen ein wenig kurz kommen.

Da jedoch eine Transformation der Disziplin hin zu einem die aktuell sehr dominanten technologischen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkte vermehrt auch in Beziehung zu deren Wirkungen auf die Gesellschaft reflektierenden Fach eine zähe und  langwierige Angelegenheit darstellen dürfte, (vgl. dazu auch diese aktuelle Erhebung), müssen andere Akteure solche bleibenden Lücken schließen. Ohne interdisziplinären Dialog wird es nicht gehen. Gerade auch die Bibliotheks- und Informationswissenschaft und ihre Diskurse scheinen von einem im FAZ-Beitrag geäußerten Gedanken geprägt:

Die Belohnung durch mehr Sponsorengeld gibt es vor allem für die verlässliche Produktion von in der Wirtschaft reibungslos verwendbaren Absolventen und für das Beackern von möglichst anwendungsnahen Forschungsfeldern.”

Man kann ihr das schwer vorwerfen, denn letzlich sucht sie darin ihre Lebensversicherung. Wissenschaft anno 2011 ist ein Produkt, das verkaufbar gemacht werden muss. Sogar für das Freikämpfen von Nischen für ergebnisoffene oder gar kritische Forschung fehlen im Wissenschaftsalltag häufig einfach die Ressourcen.

Gerade das macht es Google so leicht, hier öffentlichkeitswirksam zu punkten. Für eine vergleichsweise fast vernachlässigbare Summe lässt sich Stifterkultur genau dieser Tönung (frei, offen) erfolgreich zu Image-Pflege auf den deutschen Wissenschaftsmarkt bringen. Dabei handelt es sich genauso um ein Produkt, nur um eines zweiter Ordnung: So wie das Unternehmen als Hegemon den Zugang zu digitalen Informationen überwacht und als freundlicher, selbstironisch auftretender Souverän auftritt, der seinen Strukturpaternalismus hinter fröhlichen Grafiken über dem Suchschlitz verbirgt, so wird es hier zum Geldgeber der Institution, die antizipiert die wissenschaftliche Deutungshoheit für die Auswirkungen des Digitalen auf die Gesellschaft übernimmt. Der vertrauenssuchende Leitspruch des don’t be evil wird durch das unabhängig ersetzt. Die Abhängigkeit bleibt natürlich bestehen.

Es wäre allerdings vollkommener Schmarrn, hinter Google eine Weltverschwörung und in der expliziert kantisch inspirierten Missionsleitlinie der Freiheit und Offenheit einen Rauchvorhang zu mutmaßen. Dazu ist das Unternehmen viel zu abgeklärt und smart. Auch die von Frank Rieger an der so genannten “creepy line” angeklammerte Vermutung, es ginge Google in der Perspektive um Ergebnisse für die marktgerechte Produktentwicklung (wie weit kann man in welchem Kulturkreis gehen), erscheint mir nur als Nebenaspekt.

Entscheidend ist in meinen Augen, dass wir als Bibliotheks- und Informationswissenschaft dort, wo es ums Digitale geht, zwangsläufig in einem sehr spärlich beleuchteten Raum operieren und nicht einmal für die Erkenntnis der Geschehnisse in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart genügend Leuchtkraft besitzen, um wirklich zu verstehen, was in ihm vorgeht, uns aber im gleichen Moment aktiv und mit allem, was wir haben in die Gestaltung von Dienstleistungen für die Zukunft stürzen.

Dieses Missverhältnis scheint mir des Problempudels Kern zu sein. Der soziale Blindenhund sitzt also in einer anderen Hütte, als Frank Rieger vermutet, hängt dort an kurzer Leine und wirkt etwas zahnlos. Und wie beim Google Book Settlement muss man dem Unternehmen fast dankbar sein, dass es mit einem wuchtigen Schritt auf einem Gebiet, auf dem es wenig zu verlieren hat, erneut auf eine Disproportionalität aufmerksam macht. Daher bleibt uns eigentlich nichts anderes, als die Gründung des Instituts für Internet und Gesellschaft vollauf zu begrüßen. Und sei es nur aus dem Grund, dass jemand von Mountain View aus in der Mitte Berlins einer Energiesparlampe angeknipst hat. Ich bin gespannt, was es hier in Zukunft noch zu sehen gibt.

P.S. Hoffentlich ist das unter dem Beitrag im FAZ-Feuilleton abgedruckte Gedicht La capelletta von Susanne Stephan nicht programmatisch zu verstehen:

“Das Portal fest verriegelt,

aber seitlich ein Fenster in Scherben. …”

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http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=8969 1
Das Protestensemble: Jens Bisky berichtet in der SZ über eine DFG-externe Veranstaltung zur Zukunft der DFG. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8932/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8932/index.html#comments Mon, 04 Jul 2011 11:36:22 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8932 “‘Fünf gegen die Deutsche Forschungsgemeinschaft’ hätte die Vorstellung heißen können, die am Freitag im Foyer des Berliner Ensembles gegeben wurde.” Und wir hätten die Veranstaltung des Heidelberger Instituts für Textkritik um Roland Reuss und Uwe Jochum gern besucht. Aber manchmal schiebt sich etwas anderes dazwischen und so sind wir auf den Bericht Jens Biskys im [...]]]>

“‘Fünf gegen die Deutsche Forschungsgemeinschaft’ hätte die Vorstellung heißen können, die am Freitag im Foyer des Berliner Ensembles gegeben wurde.”

Und wir hätten die Veranstaltung des Heidelberger Instituts für Textkritik um Roland Reuss und Uwe Jochum gern besucht. Aber manchmal schiebt sich etwas anderes dazwischen und so sind wir auf den Bericht Jens Biskys im Feuilleton der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung angewiesen. (17000 Anträge, 2000 Liter Wasser, S. 12)

Es ist bedauerlicherweise nicht bekannt, ob die Wut-Bürger-inspirierte Neuschöpfung Wut-Wissenschaftler von Jens Bisky oder von der sprachgewandten Feuilleton-Endredaktion der SZ stammt. Die Wendung selbst als Ausdruck für um die Wissenschaftsfreiheit mit öffentlichkeitswirksam artikuliertem Protest loskämpfende Akademiker ist zwar nicht elegant aber be- und überhaupt merkenswert. Allerdings ist Jens Bisky, der durch die Feuilleton-Sichtungs-Redaktion von Perlentaucher.de zum Sympathisanten der Ensemble-Session erklärt wurde, von vornherein eher skeptisch ob eines möglichen Erfolges:

“Sie artikulierten ihre Wut: einseitig, parteilich und in der Hoffnung, damit eine überfällige Debatte auszulösen. Bewusst war niemand von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeladen worden, auch kein anderer, der hätte opponieren können.”

Er bestätigt damit eine generelle Wahrnehmung, die man gerade bei dieser internen Argumentationsgemeinschaft häufiger antrifft: Die Diskutanten haben sich ihre Thesen zwar verschiedentlich bestätigt. Es kommt aber darauf an, sie in eine allgemeine Diskussion einzubringen. Privatdiskurse sind legitim und wichtig, neigen aber dazu, kein wirkliches Momentum zu erzeugen. Sondern höchstens freundliche Einspalter im Kulturteil der Tageszeitungen neben einem Foto von Tom Hanks in kurzen Cargos. Oder eine Handvoll Blogbeiträge. Der Text Jens Biskys ist dabei eigentlich ganz schön und weist nicht völlig grundlos auf den Aspekt hin, dass der Selbstdarstellung der DFG eventuell mehr Selbstreflexion hinsichtlich des Anspruchs Authentizität nicht schaden würde, die die nüchterne Wissenschaftsöffentlichkeit mehr goutiert, als die Werbesprache, mit der ein Journalist schnell einen wirklich unbeliebten Vergleich ziehen kann:

Der Jahresbericht 2010 läse sich, so Bisky, wie “eine Propagandabroschüre nach sowjetischem Vorbild”.

Ob dieser Vergleich angesichts des laufenden Deutsch-Russischen Jahr für Bildung, Wissenschaft und Innovation aber wirklich nötig war? Mal sehen, was Jens Bisky zur DFG-geförderten “Woche des Jungen Wissenschaftlers” im September in Kasan, Geburtsstadt einer ganzen Reihe von Größen der sowjetischen Naturwissenschaft, sagt.

Dass der DFG-Jahresbericht mit einer kruden Kombination aus Zahlen und Trinkwasserverbrauch aufwartet, hat allerdings mehr mit der in einer  Bilanzrhetorik zu tun, die sich als hilfloses Ausdrucksmittel einer marktwirtschaftlich gewendeten Wissenschaft voller Evaluations- und Legitimationsvorgaben immer wieder in institutionellen Selbstdarstellungen niederschlägt. Hinter diesem Zahlenschleier findet sich nichts anderes als die Aussage: Wir machen viel. Und die wird ja wohl durchgängig erwartet. Es gibt weder Grund “einzuschlafen oder rappelig zu werden” noch, wie Roland Reuss es der Wissenschaftscommunity unterstellt, mit “Anpassung, melancholische[r] Gleichgültigkeit oder einverstandene[m] Zynismus” zu reagieren.

Wenn Bisky über die DFG schreibt: “Sie ist also verfasst wie der ADAC oder ein Kleingärtnerverein.”, dann verwundert, dass er sich wundert, wenn ihre Berichte dazu passend verfasst sind. Man muss sich einfach sagen: Hier versucht sich jemand nicht unbedingt hinreissend an einem Werbetext für die Öffentlichkeit. Wem bekannt ist, mit welchem Stilbewusstsein professionelle Texter dieser häufig begegnen (einfach, anschaulich, kurze klare Botschaften), der entdeckt darin aber nicht mehr Propaganda als im Gros der Schriften, die zum Wohle der Public Relations deutscher Vereine und Unternehmen zusammengeschrieben werden. Kein Sowjet weit und breit.

Man könnte nur diskutieren, ob die Form der Inhaltsdarstellung einer Wissenschaftsorganisation würdig ist, die das wohlausgewogene Wort, die Redekunst und Begriffsschärfe als entsprechende spezialisierte Funktionseinheit der Gesellschaft zu reflektieren in der Lage sein sollte wie sonst höchstens noch die überregionale Tagespresse. Hier aber in die Schublade der Planwirtschaftspropaganda zu greifen, entspricht schon einem albernen Kanönchen, mit dem man auf einen Ziervogel zielt. Und verfehlt den eigentlichen Spatzen.

Denn weitaus problematischer ist, dass man über keinen Link auf der DFG-Seite zum 2010er oder 2009-Bericht findet, sondern nur zu einer Mitteilung:

Die angeforderte Seite http://www.dfg.de/ jahresbericht/ index.jsp konnte nicht gefunden werden.

Ich lasse die Verknüpfung für den Fall aktiviert , dass es später wieder einen abrufbaren Inhalt dahinter gibt.

Für mich scheinen zwei Punkte des Artikels aus der Süddeutschen besonders relevant:

Erstens: “Im Berliner Ensemble stieß auch der von der DFG massiv geförderte Wandel zur ‘E-Science’ auf Kritik. Er gehe, so Uwe Jochum, zu Lasten der Bibliotheksetats, da die Universitäten Open-access-Publikationen mit 25 Prozent fördern müssen, wenn sie DFG-Gelder erhalten wollen. Man greife in die Etat-Hoheit der Universitäten ein, sie würden digital ferngesteuert. Nun ist es etwas albern, sich gegen die digitale Revolution zu stellen. Wenn die DFG dafür sorgt, dass Digitalisierung und Internet-Publikationen mit mehr bibliothekarischem Sachverstand erstellt werden, als dies die Analphabeten von Google tun, kann sich der Leser nur freuen.”

Ich plädiere nachhaltig dafür, den ebenfalls mehrdeutigen Begriff der Revolution in Verbindung mit digital nur dort zu verwenden, wo es wirklich revolutionär zugeht. E-Science ist in vielen Fällen vor allem die Fortsetzung der Printkultur mit neuen medialen Möglichkeiten und daher passt digitale Wandlung möglicherweise besser und entschärft nebenbei rhetorische Blitzschläge, die – einmal die Kiste des sowjetischen Vorbilds aufgerissen – die Zusammenkunft am Schiffbauerdamm als weißgardistisches Geheimtreffen erscheinen lässt, mit dem man aufrecht und stolz der pikanterweise in Bonner Hinterzimmern eingefädelten digitalen Fernsteuerung und also einer – Achtung! Best-of der Rhetorik der letzten zwei Jahre -  e-bolschewistisch geprägten staatskapitalistischen Planwissenschaft entgegen tritt, die mit digitalem Jakobinismus die Wissenschaftsfreiheit und ihre Ausdrucksformen im Förderfahrstuhl zum Schaffott stecken lässt. Wer weiß, was so sonst auf dem Spielplan des Berliner Ensembles steht, sieht hier Väter Courage am Zug. Oder, wenn man böswillig ist,: Claus Peymann kauft sich eine Posse.

Solch ein Konfettiregen der Kampfbilder ist zwar höchst unterhaltsam. Aber auch niedrigst zielführend. Im Übrigen ist nicht davon auszugehen, dass bei Google Analphabeten am Werk sind, denn dazu plündert das Unternehmen zu systematisch den Arbeitsmarkt nicht zuletzt von hochqualifizierten Absolventen der Library and Information Science (LIS)-Studiengänge. Nur geht das Digitalisierungsteam aus Mountain View beim Digitalisieren im Unterschied zu den meisten bibliothekarischen Projekten erst einmal pragmatisch und konsequent auf Masse. Wenn der Korpus steht, kann man in nahezu beliebiger Komplexität nachjustieren, clustern und relationieren. Darin, nicht in den schludrigen Scans, liegt eine viel erschreckendere Faktizität des Google Books Project: Das Unternehmen digitalisiert nicht die Medien, sondern das, was manche das gedruckte kulturelle Gedächtnis des Abendlandes nennen. Allein schon die automatisierte Auswertung von bibliografischen Kopplungen und Proximitäten zwischen einzelnen Akteuren birgt ein ungeheures Potential zur Optimierung der Erschließung und entsprechend verbunden mit der Auswertung der Nutzungsgewohnheiten dieser Inhalte den Grundstock für grandios schillernde Filter Bubbles, in denen durchleuchtete Webnutzer ihr binarisiertes Leben vollziehen. Das wäre dann vielleicht eine post-alphabetische Welt.

Abgesehen davon freut man sich natürlich über jede positive Würdigung bibliothekarischer Kompetenz in den Medien.

Der zweite Punkt ist für die Wissenschaftsdebatte relevanter, denn er verweist auf das Problem, dass allzu starke Abhängigkeiten selten gut sind. Für die Wissenschaft, die möglichst wenig fremdbestimmt agieren sollte, gilt dies umso mehr. Jens Bisky schreibt:

“Allerdings zeigt das Beispiel schlagend, dass die Macht der DFG wesentlich auf der Schwäche der tradierten Institutionen beruht.”

In solch einer Diagnose des Stands der Wissenschaftslandschaft fände die Diskussion um die Wissenschaftsförderung in Deutschland in der Tat einen angemesseneren Ansatzpunkt. Denn dass die Wissenschaftsprogramme an den Universitäten nicht unbedingt in einer Weise handlungsfähig sind, die den Dienst an der Gesellschaft ermöglicht, den die Gesellschaft von einer zeitgemäßen Wissenschaft zu erwarten hat, nämlich die Gesellschaft (a) in ihren ganzen Verästelungen (Mikroebene), (b) ihren Rahmenbedingungen (Makroebene) sowie (c) den sich daraus ergebenden Wechselwirkungen (Mesoebene) aus diversen Blickwinkeln frei Erkenntnis schaffend zu betrachten, leuchtet jedem ein, der in dieses instutionelle Gefüge eingebunden ist. Wissenschaft bewegt sich immer, dem Motto des Kleistjahrs entsprechend, zwischen den Koordinaten Krise und Experiment. Und selbstverständlich hätte man dabei lieber nur abstrakt wissenschaftsethische Kriterien als Orientierungsmaßstab als auf parlamentarischer Ebene zuweilen sehr einem ungreifbaren Zeitgeist nah beschlossene Forschungsleitlinien, denen man in der Rückkopplung nicht selten stärker mit taktischen Schritten, als mit erkenntnisleitenden begegnet.

Wenn die Zuweisung von bestehensnotwendigen Ressourcen hauptsächlich an Markt- und Wettbewerbsprinzipien angebunden wird, dann entstehen zwangsläufig die üblichen Popularitätseffekte, die nicht in jedem Fall ein ausgeglichenes Funktionieren des Wissenschaftssystems nach dem beschriebenen Anspruch garantieren.

Dass Jens Bisky zum Ende seines Textes resigniert feststellt

“In den vergangenen zehn Jahren haben die Hochschullehrer und Universitätsverwaltungen sehr brav und oft wider die eigene Einsicht alle Reformmaßnahmen hingenommen und umgesetzt: die Verschulung der Studiengänge, den zeitfressenden Wahnwitz der Exzellenzinitiative, die Absenkung der Gehälter. Der Protest im Namen der Wissenschaftsfreiheit des Einzelnen klingt da wie ein Ruf aus ferner Vergangenheit, als man sich um die eigenen Angelegenheiten noch kümmerte.”

ist vor diesem Hintergrund genauso ein falsches Signal, wie, dass die öffentliche Diskurshoheit zu dieser Frage einem kleinen, internen Kreis textkritischer Rhetoriker überlassen wird, die ihre faszinierenden Wortschöpfungen vermutlich gerade deswegen aufwirbeln können, weil sie immer wieder auf den gleichen Argumenten herumdreschflegeln. Man braucht Kritik mehr denn je. Aber sie muss anschlussfähig sein. Es wäre demnach schön, wenn die Debatte zum Dialog erweitert würde. Für die PR-Arbeit wäre es gar nicht verkehrt, wenn gerade die DFG ein entsprechendes Forum unter Einbeziehung konträrer und dissidenter Positionen mitinitiieren könnte. Das wäre dann übrigens auch souverän unendlich fern von wie auch immer gestrickten sowjetlichen Vorbild-Vorwürfen.

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http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=8932 3
Wie die Wissensgeschichte zur Wahrheit kommt. Die FAZ über das Entstehen einer neuen Mikro-Disziplin. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8927/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8927/index.html#comments Tue, 28 Jun 2011 20:57:28 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8927 Die Bibliothekswissenschaft, so meine hier und heute vertretene These, ist ein weiche Disziplin. Unter weichen Disziplinen verstehe ich solche, die recht jung sind (was auf die Bibliothekswissenschaft alter Prägung allerdings nur bedingt zutrifft, vgl. hier) und/oder aus einer Notwendigkeit geborene Schnittstellendisziplinen zwischen anderen Disziplinen darstellen. Ein gutes Beispiel ist die Bildwissenschaft. Inwieweit die Disziplin Bibliothekswissenschaft [...]]]>

Die Bibliothekswissenschaft, so meine hier und heute vertretene These, ist ein weiche Disziplin. Unter weichen Disziplinen verstehe ich solche, die recht jung sind (was auf die Bibliothekswissenschaft alter Prägung allerdings nur bedingt zutrifft, vgl. hier) und/oder aus einer Notwendigkeit geborene Schnittstellendisziplinen zwischen anderen Disziplinen darstellen. Ein gutes Beispiel ist die Bildwissenschaft. Inwieweit die Disziplin Bibliothekswissenschaft tatsächlich mit meiner These in Übereinstimmung zu bringen ist, muss zugegeben noch geprüft werden. Und dafür gibt es, wie Stefan Laube im Wissenschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Mittwoch vermeldet (Wie es einst zur Wahrheit kam. In: FAZ, 29.06.2011, S. N4), nun eine weitere weiche Disziplin, die das Rüstzeug für derartige Betrachtungen entwickeln könnte: die der Wissensgeschichte.

Der Impuls, sich auf das Wagnis einer Fachneubegründung einzulassen, liegt in diesem Fall, so der Beitrag, darin, dass bestimmte als wichtig angesehene Aspekte der Metabetrachtung der Grundlagen von Wissenschaft in den dafür traditionell bekannten Fächern an den Rand der Agenden gedrängt werden:

“Wissensgeschichte kann sich auf ein großes Erbe aus Ideengeschichte, Philosophiegeschichte und Wissenssoziologie berufen, die seit geraumer Zeit ein marginales Dasein in ihren angestammten Fächern fristen.” (FAZ, S. N4)

Die Veranstalter der Tagung „Was ist Wissensgeschichte?”, von der die FAZ berichtet, sehen in diesem Ansatz ein über die reine Wissenschaftsgeschichte, die neben dem Aspekt des Wissens natürlich vor allem auch soziostrukturelle Aspekte betrachtet, hinausreichendes Konzept:

E[s] umfasst nicht nur zusätzlich die Geschichte der Geistes- und Sozialwissenschaften, sondern auch die Geschichte jener Wissensformen, die sich traditionell von einem engeren Kreis der Wissenschaft ausgeschlossen sahen: etwa technisches Wissen, praktisches Wissen, prozedurales Wissen, Verwaltungswissen, Alltagswissen, soziales Wissen und ästhetisches, zumal visuelles Wissen.” (vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=16358)

Das man im Umkreisen des Themas über eine Inklusions-/Exklusionsauslotung zwangsläufig immer wieder auf wissenschaftliches Wissen zurückfinden kann, versteht sich fast von selbst. Genauso offensichtlich ist der Bezug zu einer Bibliothekswissenschaft bzw. Bibliothekswissenschaftsgeschichte, stellt doch die Auseinandersetzung mit den Entwicklungslinien der Klassifikation als Prinzip der Ordnung des in Büchern manifest gewordenen Wissens eine vorzügliche und in den Katalogsystemen ebenso vorzüglich dokumentierte Annährungsmöglichkeit an den jeweils zeitgenössischen Umgang mit Wissen dar. (Das gilt selbstverständlich nur für Zeiten und Gesellschaftsbereiche, in denen Bibliotheken relevant und existent waren.)

Im FAZ-Artikel findet sich die eindeutige und eindeutig richtige Feststellung:

Ohne Medien kann Wissen nicht an eine größere Anzahl von Menschen gelangen. ”

Die Medien sind, wie wir wissen, in Archiven, Museen und in üppigster Zahl in Bibliotheken gesammelt, erschlossen und manchmal auch verschlossen. Die Motivationen, mit denen diese Sammlungen, Erschließungen und Verschließungen erfolgten, enthalten mutmaßlich einiges an Potential, um Aussagen zu treffen, die uns beim Verständnis des heutigen Er- und Ausschließens von Wissensrepräsentationen in den gegenwärtigen Ordnungsinstitutionen des Wissens helfen. Und kaum jemand, dem an gesellschaftlichen Fragen liegt, wird bestreiten, dass es geradezu geboten ist, die Filter Bubble und ähnliche Phänomene frühzeitig zu durchschauen.

Im Programm der Tagung fehlte die bibliothekswissenschaftliche  Facette allerdings, aber sofern sich die Disziplin konsolidiert, werden sicher weitere Veranstaltungen dieser Art folgen und dann wäre es gar nicht verkehrt, wenn auch Vertreter unseres Faches ihre Kompetenz einbrächten.

Der Bericht der FAZ referiert als roten Faden entsprechend einen anderen Schwerpunkt, den für die Bibliothekswissenschaft bewusst zu machen eine noch weitgehend ausstehende Aufgabe darstellt: die “Kehrseiten des Wissens”.  Die Problematisierung des Phänomens liest sich in der FAZ dann folgendermaßen:

Wenn Wissen das ist, was der Fall ist, worüber man eine Aussage treffen kann, so schöpfen derartige propositionale Formen meist aus einem Pool implizierter, visionärer oder visueller Annahmen, die jenseits der Ratio stehen.”

Nun ist die soziale Vorkonstruktion wissenschaftlicher Praxen ein ziemlich gut beforschtes Gebiet und wer sich damit befassen mag, findet beispielsweise in der Bibliografie Helen Longinos von ihrem Science as Social Knowledge (1990) bis zu ihrem 2005er Buch The Fate of Knowledge einen gründlich durchgearbeiteten und sehr zur Lektüre empfohlenen Argumentationsstrang zum Thema.

Das Reizvolle am Konzept einer Wissensgeschichte liegt aber gerade in der Erweiterung über diese vergleichsweise sauber strukturierte Dimension des wissenschaftlichen Wissens hinaus: In der Wechselbeziehung zur permanent in einem dem Menschen nur bedingt kontrollierbares Tohuwabohu einer hochkomplexen Welt des Sozialen, das sich aus allerlei Facetten sozialen Wissens in Interaktion ständig verschiebend hervorbringt und manchen als entropisches Unheil an sich, anderen dagegen als fantastische Spielweise erscheint, lassen sich gerade auch Rückschlüsse für die Geschichte des wissenschaftlichen Wissens und dem Soziotop “Wissenschaft” ziehen.

Spannend sind hier die Übergänge. Und zwar auf zwei Ebenen: Einerseits in den Biografien und außerwissenschaftlichen Lebenswirklichkeiten der beteiligten Akteure, deren disziplinärer Erkenntniswillen, wie jeder Wissenschaftler beim Blick in den Badezimmerspiegel feststellen kann, von einer Vielzahl von nicht-wissenschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt wird. Und – von diesen Partikularitäten abhängig – andererseits in den in der Community erzeugten Mechanismen zum Ein- und Ausschluss bestimmter Themen, Aspekte und Perspektiven.

Gegenstandsbestimmung, Methodenwahl und -adaption und schließlich die Theoriebildung sind Prozesse eines Miteinanders, das gerade nicht mit dem Skalpell aus der restlichen Lebenswelt getrennt wurde, sondern an einer narbigen Naht entlang mit dieser verbunden existiert und mitunter erbärmlich mickert, mitunter ordentlich wuchert. Ein Labor, in dem ein Mensch mit eigenem Bewusstsein, eigenen Gefühlen und eigenen Zielen agiert, ist hinsichtlich der vielgepriesenen Laboratmosphäre sofort relativiert. Eigentlich ist schon die Idee des Labors bereits selbst ein es relativierendes Element.

Die Schilderung der Tagung verweist für die Realität der wissensgeschichtlichen Forschung bisher auf eine andere Ausrichtung: Hier wird vor allem erst einmal wenig weit ausholend untersucht, was man wie erkennen kann. Was auch sinnvoll ist, kommt doch die Analyse idealerweise vor der Kritik.

Faszinierend wäre allerdings, wenn die sich formierende Community ihr Gegenstandsbewusstsein für eine Beobachtung des Entstehens ihres eigenen Denkstils, ihrer typischen Paradigmen und ihrer wissenschaftssoziologischen Grundverfasstheit nutzte, um in gewisser Weise on the fly selbst zu beobachten, zu dokumentieren und zu diskutieren wie ihr wissensgeschichtliches Wissen entsteht. Also dafür, eine Genealogie der Wissensgeschichte als fortlaufendes Tagebuch und damit als Spiegel zur Selbsterkenntnis anzulegen.

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“Die Zeit scheint eine neue Ordnung der Dinge herbeiführen zu wollen”. Ein kurzer Blick auf Adam Soboczynskis postdemokratische Netzgesellschaftstheorie. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8897/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8897/index.html#comments Wed, 22 Jun 2011 18:59:50 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8897 “Das Web 2.0 ist vor- und zugleich nachdemokratisch. Es hebelt nicht nur nationale Gesetzgebung aus, formale Strukturen politischer Partizipation, es verdrängt nicht nur die alten Medien, sondern lässt einen neuen, gleichsam alten Menschentypus auf die Bühne treten: den sozial hyperaktiven, den um Status und Witz kämpfenden Höfling, den reaktionsschnellen und bewertungssüchtigen, den geistreichen Parvenü.” (ZEIT, [...]]]>

“Das Web 2.0 ist vor- und zugleich nachdemokratisch. Es hebelt nicht nur nationale Gesetzgebung aus, formale Strukturen politischer Partizipation, es verdrängt nicht nur die alten Medien, sondern lässt einen neuen, gleichsam alten Menschentypus auf die Bühne treten: den sozial hyperaktiven, den um Status und Witz kämpfenden Höfling, den reaktionsschnellen und bewertungssüchtigen, den geistreichen Parvenü.” (ZEIT, 48/2009, S. 51)

Aus der nicht allzu üppig bestetzten  Generation der jungen Netzkritiker ragt der 1975 geborene Schriftsteller und Feuilletonredakteur bei der ZEIT Adam Soboczynski mit bemerkenswerter Schroffheit hervor. Das mag unter anderen auch daran liegen, dass sein Medium ihm dennoch genug Publizität verschafft, um auch im Internet permanent sichtbar und zu einem vielgeklickten Autoren zu werden. Im diskursökonomischen Gemenge treibt seine Stimme jedenfalls häufig weit an der Oberfläche.

Wenn man seine Publikationsbiografie zum Beispiel vom Meilenstein-Text Das Netz als Feind. (Untertitel: Warum der Intellektuelle im Internet mit Hass verfolgt wird) aus dem Jahr 2009 ausgehend verfolgt (vergleiche dazu auch hier), dann hat man jedoch auch als jemand, der dem unreflektierten Gebrauch des Kommunikationsnetzwerks Internet gern mal mit Skepsis, mal mit Kritik gegenüber steht, wenig Grund, ein Fan zu werden. Das Eingangszitat demonstriert anschaulich, dass für den ZEIT-Artikel nicht unbedingt ein Kalligraph des ausgewogenen Sacharguments an den Tasten saß, sondern ein Mann weniger mit einer Mission als mit einem klar umrissenen Feindbild.

So wie die Shirkyianische Fraktion der Webgesellschaftstheorie (die sich in der Bibliothekswelt oft mit einem Holzschwert namens Library 2.0 ins diskursive Feld wagte) bisweilen mehr als einen Tick zur affirmativ an ihren Gegenstand heranzugehen scheint, so schlicht sind auch die Trampelpfade, die der Journalist durch sein Betrachtungsfeld legt. Es ist klar, dass Feuilleton-Journalismus sehr von der Zuspitzung lebt. Aber manchmal wird die Spitze doch arg spitz, damit brüchig und der Leser fühlt sich schlicht instrumentalisiert, wenn er sieht, wie Soboczynski in seiner Besprechung des Frank Schirrmacher Buches “Payback” vorgeht. Ein Satz in dem er alle Debatten neben der von ihm geführten pauschal abwatscht, reicht, um die Diskurshoheit zu übernehmen:

“Zu den Eigentümlichkeiten der jüngeren Computer- und Internetdebatten gehört, dass es keineswegs ausreicht, sachkundig zu argumentieren, um als zeitgemäß zu gelten. Es genügt auch nicht, technischen Entwicklungen eine ungeheure Relevanz zuzusprechen. Nein, man muss sie grundsätzlich befürworten.” (ZEIT, 19.11.2009, S. 51)

Diese für Zeitungsartikel nicht untypische und mit der Provokation spielende Theseneröffnung ist leider nicht raffiniert genug, um den dahinterstehenden Trick zu verbergen. Eigentlich geht er sogar ziemlich plump vor mit der Steigerung von der erforderlichen Sachkunde (stimmt jeder zu) über die Relevanzzusprechung (lässt sich empirisch kaum abstreiten) zum Umschlagspunkt ins vermeintlich Normative. Wer in der Debatte mitreden möchte, so Soboczynskis finstere Unterstellung, der braucht als Basisqualifikation hauptsächlich den Willen, vielleicht auch die Feigheit zur Affirmation. Mit dieser Prämisse rückt er sich dann die passende Zielscheibe gleich selbst vor den Bogen.

Zugleich erhöht er seine eigene mutmaßlich löwenmutige Randstellung (und zweifelsohne auch die Frank Schirrmachers): als vermeintlich einsame Rufer in der digitalen Wüste übernehmen sie dankend die Rolle der Propheten im netzkommunikativen Land, die nichts gelten, freilich aber richtig liegen.

Jeder weiß freilich, dass sie als Tambourmajore einer weit verbreiteten, nicht selten leider wirklich wenig sachkundigen langen Kolonne Digitalskeptiker marschieren. Skepsis selbst ist ein schönes und hehres Gut und jeder sollte grundlegend das Recht haben, die Technik, die ihn nicht begeistert, aus seinem Leben ausschließen zu können. Die Marketingabteilungen der von der Rasanz der Entwicklung profitierenden Industrien leisten dagegen angehend exzellente Arbeit und dringen gerade bei wenig Bemittelten leicht an den Punkt vor, an dem der Druck des nervigen Werbespots zum sozialen wird. Hier muss Kritik unbedingt greifen.

Allerdings ist nicht das Medium der Ansprechpartner, sondern das Totalitätsgebahren der Werbetrommler. Abgesehen davon sollte ein aufgeklärter Bundesbürger des 21. Jahrhunderts durchaus in der Lage sein, das Tempo und die Intensität, mit dem/der ihn Mobile-Computing, HD-Fernsehen und Soziale Webnetzwerke umspinnen, selbst zu regulieren.

Dass Schirrmacher und Soboczynski mit ihrem krampfigen Bemühen zur elitären (im Falle Schirrmachers fast Gattopardo-inspiriert anmutenden) Kritik genau die Hysterie, die ihrer Meinung nach die Gesellschaft erfasst hat, noch fördern, erweist sich als für möglicherweise verunsicherte Zeitgenossen sicher nicht als das Stützbein, das sie von einer souveränen Presse erwarten. Die publikative Gewalt bedient in dieser Form journalistischer Meinungsbilder nicht selten die Klischees, die sie attackiert.

Etwas weniger Kulturkampf und etwas mehr Durchleuchtkraft wären nicht von Schaden in dieser Debatte, die wenigstens aus der Warte derer, die sich einen aufgeklärten Diskurs zum Thema wünschen, ziemlich unangenehme Schlieren trägt. Hier trifft Ideologie auf nicht immer ungeschickt vorgetragene Gegenideologie. Selbige wischt denn auch mit dickem schwarzen Pinsel über alle Grauschattierungen und findet Einsichten wie diese:

“Glaubte man lange Zeit an den Tüchtigen, der überlebt, so ist es heute der Bestinformierte, der sich durchsetzt. Unsere urinstinkthafte und hässliche Gier nach Neuigkeiten befriedigen Suchmaschinen, die – entgegen dem Klischee vom freien Netz – nach reinen Machtgesetzen strukturiert sind.” (Wir Süchtigen. ZEIT vom 19.11.2009, S. 51)

Das tugendhafte – aber nicht definierte – Tüchtig-Sein wird zum vermeintlich moralen niederwertigen Status des Informiertseins (das auch im Gegensatz zum Wissen steht) in eine Beziehung gesetzt, wo eigentlich keine besteht. Das verquirlt man am besten mit der Mär von der Verlust der Triebkontrolle und schon ist der homo digitalis ein quasi entmündigtes Wesen unter der Knute von Code und Code-Erschließungsmaschinen.

Mittlerweile ist im Web allerdings deutlich geworden, dass die Retrieval-maschinenbasierte Informationssuche ein Hut teils der schnöden Notwendigkeit, teils nur von gestern ist. Die Gossiperie findet nicht über die Google-Suche statt. Man könnte nun überlegen, ob die Explizierung der üblen Nachrede auf entsprechenden Plattformen diese auf eine Stufe hebt, die sie vom Korridortratsch maßgeblich unterscheidet. So wie es Soboczynski selbst zum Beispiel angesichts des Dauerthemas Jugendgewalt macht, wenn er, zugegeben spitzfederig in der Ausgabe vom 5.Mai auch wieder viel zu kurz gesagt das Medium in der Schuld sieht:

“Die Alltagsgewalt hat mit YouTube wieder einen Marktplatz [im Sinne der öffentlichen Richtstätte] gefunden, einen archaischen Ort, an dem die Grausamkeit als öffentliche Unterhaltung wiederkehrt.” (Stars der Gewalt. ZEIT vom 05.05.2011, S. 44)

Die Sichtbarmachung der vermeintlichen Alltagsgewalt auf den U-Bahnhöfen verdankt die Medienöffentlichkeit nämlich vor allem der dort allgegenwärtigen Videoüberwachung. Diese stellt die maßgebliche technische Grundlage, auf der Mitschnitte über Seiten wie YouTube oder Liveleak die ganze Palette von Gefährdungen für Leib und Leben in deutlichster Art und Weise präsentieren.

Für Polizei und Staatsanwaltschaft sind die Clips dagegen ermittlungstechnisch hilfreich. Dass die Mehrzahl der Zuseher von vornherein davon ausgehen darf, dass keine der gezeigten Personen aus ihrem näheren Umfeld stammt, ist der Nebeneffekt, den die Institutionen im Zuge der Aufklärungsarbeit in Kauf nehmen. Die Sachlage ist also viel verzwackter, als man es uns hier glauben machen möchte.

In der aktuellen Ausgabe der ZEIT  (vom 22.06.) findet sich nun unter der Überschrift “Dichter & Fälscher” (S.1) ein eindrucksvoll moralisierendes Stück Kommentar, dass anhand der jüngsten Plagiatsfälle den Stand der politischen Öffentlichkeit erklärt. Da wir die Gegenwart vor allem in Kontrast zur Vergangenheit erkennen, bietet sich ein Früher-Heute-Vergleich an. Soboczynski weiß daher zu berichten:

“Natürlich gab es Fälschungen und Plagiate schon früher, und die Fälle waren nicht weniger skandalträchtig.”

Doch heute ist es die Lage doch noch eine andere. Den Kunstskandal des sammlergoldgeblendeten Marktes mal ausgeklammert, lautet die Diagnose zu den Promotionsplagiaten einiger Politiker (z.T. a.D.):

“Offenbar musste der schöne Schein, der dem Volk präsentiert wurde, durch seriöse akademische Weihen legitimiert werden. Dabei scheinen die Selbstdarsteller vergessen zu haben, dass der Doktortitel mehr ist als ein persönliches Dekor, nämlich eine Stütze des akademischen Systems.”

Nun ist der Dekorativdoktor zu Guttenberg tatsächlich die am leichtesten zu treffende Piñata, die man gerade finden kann. Allerdings auch schon ein wenig ausgeprügelt. Der Fall ist geklärt. Daher kann Soboczynski nicht nur Milde mit dem Wertkonservativen walten und auch das weiche Tuch des Verständnisses, rührend basierend auf Guttenbergs Selbsterklärung entfalten lassen:

“Man empfindet angesichts der aufgeflogenen Politiker auch längst ebenso viel Mitleid wie Empörung: Sie schlüpfen in zu viele Rollen, um diese noch sachgerecht ausfüllen zu können.”

Dass Volk und seine Erwartungshaltung haben ihn wenigstens teilweise dahin genötigt, wo er ging. Und dieser Anschluss gibt ihm sogleich Gelegenheit, das Rad des Geschehens ordentlich zu verdrehen und erneut auf ziemlich fadenscheinige Weise eine wie auch immer motivierte Attacke gegen seinen üblichen Butz zu reiten.

“So sehr wir Plagiate, Fälschungen und Hochstapelei zu Recht missbilligen, es kommen in der Suche nach Fehlleistungen von Politikern auch bei einigen der Entlarver ungute Leidenschaften zum Vorschein: der kollektive Neid auf Karrieren und die Häme, jemanden stürzen zu sehen. Die Entlarvung von Plagiaten geschieht per Schwarmintelligenz. Unzählige anonyme Nutzer begeben sich auf die Suche nach kopierten Stellen einer Dissertation und tragen diese auf Vroniplag zusammen. Das ist nicht frei von Ironie: Ausgerechnet im Netz, dort, wo massenhaft Musikstücke und Filme unter Missachtung des Urheberrechts kopiert werden, tummeln sich die Plagiatsjäger.”

Ohne Not werden hier zwei Aspekte schön manipulativ vermischt, die man besser getrennt betrachtete: Das geschickt platzierte “So sehr..” führt auf einen relativierenden Vergleich hin, der sich getreu der Grunderkenntnis, dass niemand ohne Schuld ist, den negativen Charakterzügen des niederen, parvenürenen Höflingspublikum widmet. Selbiges sei – wie schon den Intellektuellen im Netz als Feind gegenüber – neidisch und hämisch. Das Plagiat, so der Eindruck, wiegt zwar schwer, wird aber leichter, wenn man bedenkt, auf welchem Weg es aufgedeckt wurde.

Im Abschlusssatz wird dann noch der Vektor aufgezeichnet, der Filesharer (kriminell) mit Plagiatsjägern verbindet,  als wäre hier grundsätzlich Personalunion zwangsläufig zu erwarten. Der auf seine eigenen politischen Gallionsfiguren neidgelb starrende Pöbel, so muss man den Artikel vermutlich lesen, hat schon den Pflasterstein in der Hand, plündert nebenbei noch die Geistigen Eigentümlichkeiten der Unterhaltungsindustrie, um dann im rechten Moment die Lücke (z.B. das Plagiat) für den entscheidenden Wurf zu erkennen. Im Anschluss ergötzt sie sich an der vom Thron purzelnden Elite.

Die Relativierung des unabweislich stümperhaften Plagiats von zu Guttenberg für ein Breitwalzen eines Traditionsressentiments zu benutzen hat wenig mit dem zu tun, was man von einer soliden journalistischen Erörterung erwartet. Es ist überhaupt an sich nichts Schlechtes an einem gesunden Elitismus zu finden. Die Frage ist nur, wie man ihn konstruiert.

Soboczynski konstruiert ihn bedauerlicherweise mit sehr wenig Überzeugungskraft, da er seine Stammtischlerei nur selten mitreflektiert. Sonst würde ihm auffallen, dass ein einsilbiges Fluchen auf ein Werkzeug, manchmal die Werkzeugmacher und ansonsten die paar Webhandwerker, deren Arbeit er sich zusammengoogelt, im toten Winkel ignoriert, dass die Mehrheit der einfachen Internetnutzer einen ziemlich gelassenen, zuweilen sanftmütig amateurhaften Umgang mit dem Medium pflegt, welches ihre Welt ein wenig bereichert, sie jedoch weder voyeuristischer noch pöbelhafter noch naseweiser noch höflingshafter werden lässt. Die maßlose Überschätzung des Mediums teilt Soboczynski also mit denen, die er in schmucken Schimpfgirlanden einwickelt in der selben Weise, wie die hilflose Verdrängungsrhetorik.

Soboczynski ist freilich klug genug, um zu wissen, woher die Kritik kommen wird. Und daher schichtet er die stichige Crème-Torte aller für ihn vorstellbaren Affronts selbst auf:

“Er [der Parvenü] verachtet all jene, die nicht aus der Deckung kommen. Sie werden eh hinweggefegt werden: die Geisteswissenschaftler altväterlicher Manier mit klobigen Büchern, die ängstlichen Journalisten, die sich an ihre Festanstellung klammern, die verbildet Hochnäsigen, die im gewitzten sozialen Austausch im Netz nur Oberflächlichkeit wittern. Das ist die alte, die durch und durch unerotische Welt, die immer noch nicht begreift, dass die Programmierer weniger, aber rasant wachsender Internetkonzerne die neuen Sonnengötter sind. Der Souverän ist nicht mehr souverän. Die Zeit scheint eine neue Ordnung der Dinge herbeiführen zu wollen, und wir werden davon zunächst nichts als bloß den Untergang der alten erleben.” (Höfische Gesellschaft 2.0. ZEIT vom 22.10.2009, S. 47)

Mir ist nicht klar, vor welchem Zuckerberg er sich seinen abstrakten Parvenü als wilden Hinwegfeger eigentlich vorstellt. Denn die, die das zelebrieren, was er ihnen als Leitbild unterstellt, sind eine wirklich rare Kaste. Aber wer davon ausgeht, dass man Programmcode und digitale Kommunikationsnetzwerke an Kriterien der Erotik messen kann, sucht vermutlich ohnehin an der falschen Stelle.

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LIBREAS.Verein, in Gründung http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8889/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8889/index.html#comments Tue, 14 Jun 2011 15:25:37 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8889 Man hätte die Sache vielleicht auch mit einem kleinen Feuerwerk auf der Unkonferenz frei<tag> am letzten Freitag hochgehen lassen können. Aber dann hätte man möglicherweise ein Quintchen zuviel Fracht in die randvolle Konferenzwoche gelegt. So trafen sich ein Teil der LIBREAS-Redaktion und einige andere Eingeweihte am gestrigen Pfingstmontag in kleinerem Kreis, lasen und korrigierten ein [...]]]>

Man hätte die Sache vielleicht auch mit einem kleinen Feuerwerk auf der Unkonferenz frei<tag> am letzten Freitag hochgehen lassen können. Aber dann hätte man möglicherweise ein Quintchen zuviel Fracht in die randvolle Konferenzwoche gelegt. So trafen sich ein Teil der LIBREAS-Redaktion und einige andere Eingeweihte am gestrigen Pfingstmontag in kleinerem Kreis, lasen und korrigierten ein paar Stunden lang in einem Satzungsentwurf und hatten am Ende einen Verein i.G. (in Gründung) in der Tasche: LIBREAS. Verein zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation.

Die Kurzform wird LIBREAS.Verein sein, die Webadresse des frei<tag>s, www.bibliothekswissenschaft.eu, ab demnächst darauf verweisen und weitere Informationen über die einschlägigen Kanäle bekannt gegeben. Wer vorab etwas wissen oder sich aktiv einbringen möchte, darf gern über die E-Mail-Adresse verein@libreas.eu eine Nachricht senden.

Weitere Informationen zu Zielen und Zwecken des Vereins finden sich im LIBREAS.Weblog:  Gründung von „LIBREAS. Verein zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation“.

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