IBI-Weblog » Bibliothekswissenschaft http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Die Bibliothekswissenschaft als Zentaurenstall? Warum das Fach den Digital Humanities besonders nahesteht. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9205/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9205/index.html#comments Wed, 14 Dec 2011 21:33:50 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=9205 Angesichts der Grundsätzlichkeit des Themas war das mediale Echo zur Tagung „Forschungsinfrastrukturen in den Geistes- und Sozialwissenschaften: Stellenwert – Förderung – Zukunftsperspektiven“ vom letzten Freitag sogar vergleichsweise zurückhaltend. Immerhin widmete die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Mittwochsausgabe dem ausgesprochen gut besetzten und besuchten Zusammentreffen in Bonn addiert in etwa drei Spalten Text als Rahmung  einer [...]]]>

Angesichts der Grundsätzlichkeit des Themas war das mediale Echo zur Tagung „Forschungsinfrastrukturen in den Geistes- und Sozialwissenschaften: Stellenwert – Förderung – Zukunftsperspektiven“ vom letzten Freitag sogar vergleichsweise zurückhaltend. Immerhin widmete die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Mittwochsausgabe dem ausgesprochen gut besetzten und besuchten Zusammentreffen in Bonn addiert in etwa drei Spalten Text als Rahmung  einer übergroß gedruckte Fotografie (dieser hier) der Thomas Burgh Library des Trinity College in Dublin, die so wie ein trotziges Gegenbild zur digitalen Verflüssigung geisteswissenschaftlich relevanter Materialien (z.B. Bibliotheksbestände) anmutet. Der von Eleganz triefende visuelle Bibliotheksfels in der Zeitung passt denn auch ganz gut zum Bericht Thomas Thiels, dem das Thema insgesamt recht wenig Stil zu besitzen scheint.

Zum Ausdruck kommt dies beispielsweise in dem schönen Wort “Funktionslyrik”, der Gegengattung zur “Antragsprosa” (vgl. diesen FAZ-Artikel vom 30.11.2011), mit der sie jedoch semantisch auf einer Zeile liegt. Dass von der Tagung nicht viel mehr als ein Einpendeln der Richtung zu erwarten war (und diese Erwartung also weitgehend erfüllt wurde) zeigen auch informell kommunizierte Besuchereindrücke. Thomas Thiel fasst es für die Druckseite so:

“In Bonn versuchte man im Gespräch zwischen Forschern und Förderern Angebot und Nachfrage genauer aufeinander abzustimmen und sich zunächst einmal darüber klarzuwerden, was mit dem Technokratenwort [Forschungsinfrastrukturen] überhaupt gemeint sein sollte.”

und demonstriert nicht nur, dass die Online-Version in diesem Moment (21:12:56) auf das Wort “Forschungsdaten” nach “Technokratenwort” im Gegensatz zur Druckausgabe verzichtet, sondern auch, wie man durch einen kleinen Zusatz aus einer sperrigen Funktionsvokabel einen Dysphemismus macht.

Dass bürokratische Verwaltung und Technik nicht unbedingt bis zur Oberkante von ästhetischem Ausdruckswillen gefüllt sind, wusste man freilich schon zuvor. Auch unter Geisteswissenschaftlern. Und in der Tat ist die sinnliche Lücke vom digitalen Volltext zur Brinkmann & Bose-Ausgabe (die Ausstellung zum Verlag im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst wird zwei Seiten zuvor äußerst lobend besprochen) gewaltig. Allerdings will man kaum glauben, dass die Digital Humanities die kultivierten Geisteswissenschaften komplett zur Maschinendisziplin transformieren sollen. Obwohl Thomas Thiel da vielleicht widerspräche und sich mancher Apologet der Allround-Digitalisierung einer solchen Fantasie hingibt. Insofern ist es schon ganz gut, wenn sich die FAZ als Widerstandsnest gegen die Extrempole eines binären Zeitgeistes erweist.

Ich denke aber, dass die Digital Humanities sich eher zu einer neue Variante der Wissenschaft entwickeln, die mit den klassischen geisteswissenschaftlichen Methodenspektren und Theorien nur bedingt Schnittmengen aufweist. Daher ist die bekannte Reiberei, die sich auch in den FAZ-Bericht mit dem holzschnittigen Gegensatzpaar dynamisch und durchlässig vs. ruhend und beständig drängt, eher deplatziert. Dass die klassischen Geisteswissenschaften nach der allgemeinen auf Optimierung, Funktion und Vergleichbarkeit ausgerichteten Heißmangelung durch den wissenschaftlichen Zeitgeist der letzten Jahrzehnte nicht in voller Blüte stehen, ist offensichtlich (vgl. dazu auch diesen Text). Die Idee der möglicherweise im Bemühen um Schmissigkeit etwas irreführend so benannten Digital Humanities hat damit aber wenig zu tun.

Ich kann mich selbstverständlich irren, aber mir scheint es stärker, als schlösse sich mit den dahinter stehenden konzeptionellen Ansätzen vielmehr eine Lücke für einen bestimmten Bedarf, der bislang in der Wissenschaftsgeschichte wenig angesprochen wurde und werden konnte, dank digitaler Technik und Vernetzung nun aber angesprochen werden kann: Eine makrokosmische Perspektive auf die Art und Weise, wie Kultur bestimmte Artefakte erzeugt, benutzt und bewahrt. Oder, wenn man es so sagen will (wie ich es sagen will), ihre semiotischen Spuren legt. Oder (wie es andere sagen würden): Die Big Science dringt in die Bibliothek.

An dieser Stelle sind wir direkt im Aufgabenfeld der Bibliothekswissenschaft, denn seit je lesen wir nicht die Millionen Bücher. Aber wir können eine ganze Menge andere Dinge mit ihnen machen. Am etabliertesten ist bislang unsere Praxis, sie zu bewahren und in Infrastrukturen wie der Thomas Burgh Library bei Bedarf zugänglich zu machen. Integrieren wir nun aber die Überlegungen von Vorreitern quantitativer, nun ja irgendwie, geisteswissenschaftlicher Methoden (z.B. die eines Franco Morettis, vgl. auch hier), dann zeigt sich, dass die Bonner Tagung eigentlich eine Konferenz für eine Bibliothekswissenschaft des 21. Jahrhunderts war:

“Die Digitalisierung soll kein blindes, theoriefreies Anhäufen von Datenbergen sein [...]“

schreibt Thomas Thiel. Die Digitalisierung als Fortführung von Bestandsaufbau, -erschließung, -erhaltung und -vermittlung mit computertechnischen Mitteln läuft jedenfalls meiner Meinung nach in ziemlich direkter Linie zur klassischen Bibliotheksarbeit mitten hinein in die Gegenwart.

Diese, so eine Überlegung, erreichte nicht zuletzt unter dem Einfluss der Dokumentation auf dem Gebiet der Sacherschließung genau zu dem weltgeschichtlichen Zeitpunkt den exakt notwendigen Reifegrad, der es ihr nun ermöglicht, besonders auf dem Feld der Digital Humanities als Ergänzungsstück zur reinen, vielleicht etwas angereicherten Zugangsvermittlung eine gestaltende Rolle zu übernehmen. Die digitalen Geisteswissenschaften stehen also beispielsweise der Philologie oder der Literaturwissenschaft eben so nah, wie es die Bibliothekswissenschaft der letzten zweithundert Jahre tat. Mit dem Lesen hatte das Fach noch nie viel zu tun. Sondern mit Ordnen. Die neuen methodischen Auseinandersetzungen mit den Aufzeichnungsmedien und aufgezeichneten Inhalten zu eng mit den bestehenden Geisteswissenschaften zusammenzuführen, würde demzufolge beiden Gebiete nicht gerecht.

Das obige vorausgesetzt ist die Bibliothekswissenschaft nun natürlich in der Pflicht, entsprechend aktiv zu werden und etwas vorzulegen, was bei 1,5 offiziellen Hochschulprofessuren in Deutschland sicher nicht ganz leicht ist. Mit Projekten kann man zweifellos einiges kompensieren, wobei, wie Thomas Thiel nun wirklich nachvollziehbar ausführt, Projekte allein kein Standbein auf Dauer sein können:

“Ein zweiter Weg ist es, aus Forschungsprojekten institutionelle Dauerstrukturen zu entwickeln, die mit langem Atem unter der insulären Forschung und der Hatz der Projekte hinwegtauchen. Die Möglichkeit, Projekte zu verstetigen, sei deshalb in die Antragsprofile der Förderorganisationen aufzunehmen. Die DFG zeigte Verständnis.”

Was für die Studierenden des Instituts beruhigend sein dürfte, ist der übergreifend geäußerte Bedarf an Mitarbeitern, die mit einem soliden z.B. textinformatischen Hintergrund zugleich Technik, Inhalte und Verstehen verstehen. Hochentwickelte Mash-Up-Qualifikationen aus traditionell sich gern ausschließenden Leidenschaften und Interessen sind gefragt. In diesem Fach bekommt man sie. Wo der Wissenschaftsrat recht trocken und präzise einfordernd schreibt:

“Da das dafür notwendige Fachpersonal mit Zusatzqualifikationen in der Informatik und im Bereich der Kommunikationstechnologien nach wie vor kaum existiert, müssen die erforderlichen Konsequenzen in der Ausbildung der Studierenden so rasch wie möglich gezogen werden.”

hat der geisteswissenschaftlich übrigens auch an der Humboldt-Universität sozialisierte Thomas Thiel ein schmückenderes Bild im Repertoire:

“Auch die Zahl geisteswissenschaftlicher Kentauren mit informationstechnischer Expertise, in den Digitalisierungsprojekten sehr begehrt, sei auszubauen.”

An dieser Zitatstelle zeigt sich die Unsicherheit, die allgemein in der wissenschaftlichen Zwischenzone der digitalen Geisteswissenschaften besteht, deutlich: Die mythische Pferdemensch (bzw. das Menschenpferd) wird administrativ zur Planziffer degradiert. Passender in der Formulierung wäre indes statt “auszubauen” “nachzuzüchten” gewesen. In der deutschen Wissenschaftslandschaft sieht man nun nach der Bonner Tagung und den Berichten dazu vielleicht einen Kompassnadelausschlag genauer, wohin uns das digitale  Herumgaloppieren führen kann. Aber man sitzt (nicht nur mit den Sprachbildern) längst noch nicht sicher im Sattel. Vielleicht würde es helfen,  wenn das halbe Ross noch stärker als bisher den Reiter führte.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=9205 0
Wieviel Ethik braucht das Fach? Zu einer möglichen Diskussion. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9198/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=9198/index.html#comments Mon, 12 Dec 2011 13:02:27 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=9198 Es ist (aus verschiedenen Gründen und leider) nicht mehr oft der Fall, dass sich im IBI-Weblog noch inhaltliche Debatten entfalten – so selten, dass sogar der Direktlink von der umgestalteten Homepage des Instituts verschwunden ist. Ein Beitrag von Alexander Struck deutete allerdings jüngst wieder einmal an, wie Themendiskussionen in Weblogs entstehen können und da das [...]]]>

Es ist (aus verschiedenen Gründen und leider) nicht mehr oft der Fall, dass sich im IBI-Weblog noch inhaltliche Debatten entfalten – so selten, dass sogar der Direktlink von der umgestalteten Homepage des Instituts verschwunden ist. Ein Beitrag von Alexander Struck deutete allerdings jüngst wieder einmal an, wie Themendiskussionen in Weblogs entstehen können und da das Thema Berufsethik bzw. ebenso die Frage nach der politischen Positionierung von Bibliothekaren und Infomationsspezialisten jedes Fachbewusstsein permanent begleiten sollte, möchte ich sie aus dem Kommentar-Thread noch einmal herausheben und zugleich auf einen anderen Beitrag zum Thema hinweisen. Bibliothekare und Informationsspezialisten haben in der Tat ein breites Berufsfeld vom Archiv und Volksbibliothek über Ratingagenturen, Anwaltskanzleien, Suchmaschinenanbieter bis hin eben auch – das war der Ausgangspunkt der Kommentarfolge – zu Geheimdiensten vor sich. Professionalität wird nicht selten unter dem traditionsreichen Wendung “wes’ Brot ich ess, des Lied ich sing” zusammengefasst. Andererseits gibt es Positionen, die darauf bestehen, dass gerade unsere Berufsgruppe mit einem ausgeprägteren ethischen Bewusstsein handeln sollte. Dave Lankes beschreibt dies in einem aktuellen Beitrag in seinem Weblog Virtual Dave so:

“I believe that librarians must be political. That is they must be aware of politics, aid their members in political pursuits, and actively participate in the political process. Now directors of libraries will see this as nothing new, but I believe that all librarians must be politically savvy. Why? Well, let’s start with my definition of politics: politics is the process by which a community allocates power and resources.”

Genaugenommen rückt hier die Polarität mit den Polkappen a) konsequente Dienstleistungsorientierung vs. b) demokratischer Bildungsauftrag in den Mittelpunkt der Betrachtung. Mit Dave Lankes lässt sich hier der Unterschied zwischen den (zu a) Konsumenten und (zu b) den Bürgern als Zielgruppe anbringen:

“Just as a library is product of people (community, librarians, staff), so too is our government. It is the role of librarians to first remind our communities that every citizen is responsible for the performance of our government and that the best elected government is one that is elected in the light of knowledge. This is the difference between citizen and consumer. A citizen is a participant who does not simply vote and forget.”

Natürlich lässt sich ein solch idealistisches Rollenbild berufspraktisch nur in Öffentlichen bzw. öffentlich geförderten Bibliotheken resolut vertreten, also Einrichtungen die mehr oder weniger direkt im Dienst der Allgemeinheit unter der Prämisse einer demokratischen Gesellschaftsidee stehen. Bibliothekare, die die Literaturversorgung beispielsweise in einer Wirtschaftskanzlei übernehmen, dürften sich diesen ethischen Luxus als handlungspraktische Orientierung selbst bei fester innerer Überzeugung vermutlich nicht herausnehmen, jedenfalls wenn er in einen Widerspruch zu den Interessen der Kanzlei führen würde. Der bibliothekarische Berufsidealismus muss in solchen Einrichtungen entweder mit den Ziel des Unternehmens synchronisiert werden oder auf eine rein handwerkliche Standesehre (Die effizienteste Informationsvermittlung, die machbar ist o.ä.) beschränkt bleiben. Dabei stehen Bibliothekare auch in solchen Fällen in gewisser Weise im Dienst einer Community, allerdings einer mit bisweilen sehr konkreten Zielen. Dieser Umstand macht derartige Beispiele auch zu guten Szenarien in der Nussschale, an denen man die Vertracktheit des Problems erörtern kann.

Wenn die Kommentarin Anja nun schreibt:

“Naja, wenn man LIS studiert, um beim CIA andere Menschen auszuspionieren…..ich weiß nicht. Dann wäre ich lieber arbeitslos als das…”

dann adressiert sie sicher einen Extrempunkt, der formal allerdings auch im Auftrag der demokratischen Idee bzw. der Interessen von hinter dieser stehenden Institutionen agiert.

Letztlich befinden wir uns hier in einem Übergangsraum, dessen Grenzen nicht leicht bestimmbar sind. Die simpleste Antwort ist sicher, dass man nur in einer Organisation eine Stelle annimmt, wenn man sich mit deren übergeordneten Zielen zu identifizieren vermag – was übrigens für beide Seiten die beste Variante darstellt. Da die meisten Absolventen des IBI, wie eine aktuelle Verbleibstudie ergab, in wissenschaftlichen Bibliotheken unterkommen, dürfte ihnen die Gewissensfrage in dieser Hinsicht erspart bleiben und ein demokratisch-politisches Engagement, wie es sich Dave Lankes wünscht, mit dem Arbeitsalltag vereinbar sein. Andererseits könnte man natürlich fragen, ob die von Dave Lankes vertretene Ausrichtung, die einen bestimmten normativen Konsens einfordert, überhaupt so allgemeingültig sein kann, wie es scheint:

“The quest for a better community and a better tomorrow requires the most fertile of grounds.”

Hier knackt die Grundlage weg, sobald man sich an die Konkretisierung wagt. Denn davon, was eine bessere Gemeinschaft und ein besseres Morgen sein können und könnten, gibt es – dank der in einer demokratischen Gesellschaft verfassungsrechtlich verankerten Meinungsfreiheit – doch sehr unterschiedliche Vorstellungen.

Alexander erweitert in seinem Kommentar die Grundfrage auf die Bibliotheks- und Informationswissenschaft:

“Sollte auch die LIS Forschung ueber ihre gesellschaftliche Verantwortung reflektieren? (Bsp. User Tracking etc)”

Als Ja-Nein-Frage gelesen ist die Antwort darauf eindeutig. Geht es jedoch um das Wie, dann wird es auch hier schwieriger. Die Berufsethik ist dann betroffen, wenn wir davon ausgehen, dass die Bibliotheks- und Informationswissenschaft entsprechende Leitlinien erarbeiten soll, darf und kann, also als eine die Praxis unterstützende Gesellschaftswissenschaft agiert. Das Beispiel User-Tracking weist dagegen in Richtung Forschungs- und Wissenschaftsethik.

Gäbe es am Institut ein dezidiertes Seminar zum Thema und wäre ich dessen Dozent, würde ich gleich in der ersten Sitzung zunächst einmal das Problem mit der Frage einhegen, welche Themen, technischen Entwicklungen und Forschungsfragen ebenfalls unter dem Verdacht stehen, ethisch wenigstens zweischneidig zu sein? Inwieweit das vielleicht sogar bereits Thema im Seminar “Information und Gesellschaft” (51 806) war, entzieht sich meiner Kenntnis, ist aber im nächsten Flurgespräch mit der Dozentin bestimmt Gegenstand einer kleinen Anfrage. Die Ausrichtung stimmt laut Kursbeschreibung jedenfalls:

“Ziel der Vorlesung ist eine Sensibilisierung für die Wechselwirkung von Information und Gesellschaft. Die Studierenden erhalten auf nationaler und internationaler Ebene ein Orientierungswissen über die wesentlichen Akteure des BI-Bereichs, einschließlich Wissenschaft und Bildung. Am Ende der Vorlesung sollen die Studierenden in der Lage sein, die Bedeutung von Informationspolitik, -recht und -ethik beurteilen zu können.”

Abgesehen davon scheint die Frage auch unabhängig von der jüngsten Verkündung des Internetanalysten George Colony, wir würde uns in die Phase des “Post-Social-Web” begeben, in jedem Fall relevant genug, um hier trotz allgemeiner “social media fatigue” und “social saturation” weiter diskutiert zu werden. Und wer lieber ein richtiges Diskussionspapier daraus machen will, kann sich gern an redaktion@libreas.eu wenden. Auch wenn die Ausgabe zum Thema Ethik und Zensur erschienen ist, bleiben die damit verknüpften Fragen, Herausforderungen und Widersprüche dauerhaft bedeutsam genug, um immer wieder auf die Agenda zu gelangen.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=9198 3
Wie die Wissensgeschichte zur Wahrheit kommt. Die FAZ über das Entstehen einer neuen Mikro-Disziplin. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8927/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=8927/index.html#comments Tue, 28 Jun 2011 20:57:28 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=8927 Die Bibliothekswissenschaft, so meine hier und heute vertretene These, ist ein weiche Disziplin. Unter weichen Disziplinen verstehe ich solche, die recht jung sind (was auf die Bibliothekswissenschaft alter Prägung allerdings nur bedingt zutrifft, vgl. hier) und/oder aus einer Notwendigkeit geborene Schnittstellendisziplinen zwischen anderen Disziplinen darstellen. Ein gutes Beispiel ist die Bildwissenschaft. Inwieweit die Disziplin Bibliothekswissenschaft [...]]]>

Die Bibliothekswissenschaft, so meine hier und heute vertretene These, ist ein weiche Disziplin. Unter weichen Disziplinen verstehe ich solche, die recht jung sind (was auf die Bibliothekswissenschaft alter Prägung allerdings nur bedingt zutrifft, vgl. hier) und/oder aus einer Notwendigkeit geborene Schnittstellendisziplinen zwischen anderen Disziplinen darstellen. Ein gutes Beispiel ist die Bildwissenschaft. Inwieweit die Disziplin Bibliothekswissenschaft tatsächlich mit meiner These in Übereinstimmung zu bringen ist, muss zugegeben noch geprüft werden. Und dafür gibt es, wie Stefan Laube im Wissenschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Mittwoch vermeldet (Wie es einst zur Wahrheit kam. In: FAZ, 29.06.2011, S. N4), nun eine weitere weiche Disziplin, die das Rüstzeug für derartige Betrachtungen entwickeln könnte: die der Wissensgeschichte.

Der Impuls, sich auf das Wagnis einer Fachneubegründung einzulassen, liegt in diesem Fall, so der Beitrag, darin, dass bestimmte als wichtig angesehene Aspekte der Metabetrachtung der Grundlagen von Wissenschaft in den dafür traditionell bekannten Fächern an den Rand der Agenden gedrängt werden:

“Wissensgeschichte kann sich auf ein großes Erbe aus Ideengeschichte, Philosophiegeschichte und Wissenssoziologie berufen, die seit geraumer Zeit ein marginales Dasein in ihren angestammten Fächern fristen.” (FAZ, S. N4)

Die Veranstalter der Tagung „Was ist Wissensgeschichte?”, von der die FAZ berichtet, sehen in diesem Ansatz ein über die reine Wissenschaftsgeschichte, die neben dem Aspekt des Wissens natürlich vor allem auch soziostrukturelle Aspekte betrachtet, hinausreichendes Konzept:

E[s] umfasst nicht nur zusätzlich die Geschichte der Geistes- und Sozialwissenschaften, sondern auch die Geschichte jener Wissensformen, die sich traditionell von einem engeren Kreis der Wissenschaft ausgeschlossen sahen: etwa technisches Wissen, praktisches Wissen, prozedurales Wissen, Verwaltungswissen, Alltagswissen, soziales Wissen und ästhetisches, zumal visuelles Wissen.” (vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=16358)

Das man im Umkreisen des Themas über eine Inklusions-/Exklusionsauslotung zwangsläufig immer wieder auf wissenschaftliches Wissen zurückfinden kann, versteht sich fast von selbst. Genauso offensichtlich ist der Bezug zu einer Bibliothekswissenschaft bzw. Bibliothekswissenschaftsgeschichte, stellt doch die Auseinandersetzung mit den Entwicklungslinien der Klassifikation als Prinzip der Ordnung des in Büchern manifest gewordenen Wissens eine vorzügliche und in den Katalogsystemen ebenso vorzüglich dokumentierte Annährungsmöglichkeit an den jeweils zeitgenössischen Umgang mit Wissen dar. (Das gilt selbstverständlich nur für Zeiten und Gesellschaftsbereiche, in denen Bibliotheken relevant und existent waren.)

Im FAZ-Artikel findet sich die eindeutige und eindeutig richtige Feststellung:

Ohne Medien kann Wissen nicht an eine größere Anzahl von Menschen gelangen. ”

Die Medien sind, wie wir wissen, in Archiven, Museen und in üppigster Zahl in Bibliotheken gesammelt, erschlossen und manchmal auch verschlossen. Die Motivationen, mit denen diese Sammlungen, Erschließungen und Verschließungen erfolgten, enthalten mutmaßlich einiges an Potential, um Aussagen zu treffen, die uns beim Verständnis des heutigen Er- und Ausschließens von Wissensrepräsentationen in den gegenwärtigen Ordnungsinstitutionen des Wissens helfen. Und kaum jemand, dem an gesellschaftlichen Fragen liegt, wird bestreiten, dass es geradezu geboten ist, die Filter Bubble und ähnliche Phänomene frühzeitig zu durchschauen.

Im Programm der Tagung fehlte die bibliothekswissenschaftliche  Facette allerdings, aber sofern sich die Disziplin konsolidiert, werden sicher weitere Veranstaltungen dieser Art folgen und dann wäre es gar nicht verkehrt, wenn auch Vertreter unseres Faches ihre Kompetenz einbrächten.

Der Bericht der FAZ referiert als roten Faden entsprechend einen anderen Schwerpunkt, den für die Bibliothekswissenschaft bewusst zu machen eine noch weitgehend ausstehende Aufgabe darstellt: die “Kehrseiten des Wissens”.  Die Problematisierung des Phänomens liest sich in der FAZ dann folgendermaßen:

Wenn Wissen das ist, was der Fall ist, worüber man eine Aussage treffen kann, so schöpfen derartige propositionale Formen meist aus einem Pool implizierter, visionärer oder visueller Annahmen, die jenseits der Ratio stehen.”

Nun ist die soziale Vorkonstruktion wissenschaftlicher Praxen ein ziemlich gut beforschtes Gebiet und wer sich damit befassen mag, findet beispielsweise in der Bibliografie Helen Longinos von ihrem Science as Social Knowledge (1990) bis zu ihrem 2005er Buch The Fate of Knowledge einen gründlich durchgearbeiteten und sehr zur Lektüre empfohlenen Argumentationsstrang zum Thema.

Das Reizvolle am Konzept einer Wissensgeschichte liegt aber gerade in der Erweiterung über diese vergleichsweise sauber strukturierte Dimension des wissenschaftlichen Wissens hinaus: In der Wechselbeziehung zur permanent in einem dem Menschen nur bedingt kontrollierbares Tohuwabohu einer hochkomplexen Welt des Sozialen, das sich aus allerlei Facetten sozialen Wissens in Interaktion ständig verschiebend hervorbringt und manchen als entropisches Unheil an sich, anderen dagegen als fantastische Spielweise erscheint, lassen sich gerade auch Rückschlüsse für die Geschichte des wissenschaftlichen Wissens und dem Soziotop “Wissenschaft” ziehen.

Spannend sind hier die Übergänge. Und zwar auf zwei Ebenen: Einerseits in den Biografien und außerwissenschaftlichen Lebenswirklichkeiten der beteiligten Akteure, deren disziplinärer Erkenntniswillen, wie jeder Wissenschaftler beim Blick in den Badezimmerspiegel feststellen kann, von einer Vielzahl von nicht-wissenschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt wird. Und – von diesen Partikularitäten abhängig – andererseits in den in der Community erzeugten Mechanismen zum Ein- und Ausschluss bestimmter Themen, Aspekte und Perspektiven.

Gegenstandsbestimmung, Methodenwahl und -adaption und schließlich die Theoriebildung sind Prozesse eines Miteinanders, das gerade nicht mit dem Skalpell aus der restlichen Lebenswelt getrennt wurde, sondern an einer narbigen Naht entlang mit dieser verbunden existiert und mitunter erbärmlich mickert, mitunter ordentlich wuchert. Ein Labor, in dem ein Mensch mit eigenem Bewusstsein, eigenen Gefühlen und eigenen Zielen agiert, ist hinsichtlich der vielgepriesenen Laboratmosphäre sofort relativiert. Eigentlich ist schon die Idee des Labors bereits selbst ein es relativierendes Element.

Die Schilderung der Tagung verweist für die Realität der wissensgeschichtlichen Forschung bisher auf eine andere Ausrichtung: Hier wird vor allem erst einmal wenig weit ausholend untersucht, was man wie erkennen kann. Was auch sinnvoll ist, kommt doch die Analyse idealerweise vor der Kritik.

Faszinierend wäre allerdings, wenn die sich formierende Community ihr Gegenstandsbewusstsein für eine Beobachtung des Entstehens ihres eigenen Denkstils, ihrer typischen Paradigmen und ihrer wissenschaftssoziologischen Grundverfasstheit nutzte, um in gewisser Weise on the fly selbst zu beobachten, zu dokumentieren und zu diskutieren wie ihr wissensgeschichtliches Wissen entsteht. Also dafür, eine Genealogie der Wissensgeschichte als fortlaufendes Tagebuch und damit als Spiegel zur Selbsterkenntnis anzulegen.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=8927 1