Die Freiheit im Digitalen: Ein Text zum Open Access im Freitag.

Es wird nicht viel Wasser den Fluss hinabfließen, bis Open Access auch in den Geisteswissenschaften weltweit zum Standard wissenschaftlichen Publizierens wird – ganz ohne „technokratische Machtergreifung“ und äußeren Zwang. Ich als Altertumswissenschaftler brauche schon heute gedruckte Bücher und Open Access – und Verlage mit im Boot, die mir beides ermöglichen.

Hier sind wir wieder im freien Prognostizieren. Joachim Losehand rechnet heute im Freitag seine Rezeptionspraxis hoch und es ist natürlich schwer, ihm nicht Recht zu geben. (Losehand, Joachim: Der Zwang zur Freiheit. In: Freitag online. 20.05.2009 05:00) Allerdings muss man nicht unbedingt mit dem Revoutionsvokabular mitstürmen, das er – nicht unpassend zur aktuellen Linie des Wochenblattes – benutzt, wenn er zum Jubiläum die Bedeutung des Mauerfall mit dem anderen Jubiläum der Erfindung des WWW (“eine viel größere und bedeutsamere Revolution”) zusammenspielt. Die Koinzidenz ist verführerisch, aber das gegeneinander Aufwägen ist ein Schritt zuviel und am Ende klingt das Freiheitslied, das hier aufgespielt, etwas zu einfach komponiert: Alles frei, alles besser und ein paar Ewiggestrige vom Politbüro der Deutungshoheit (Andrew Keen, Marek Lieberberg, Susanne Gaschke, Thomas Schmid und man kann aus der heutigen ZEIT auch noch Adam Soboczynski ergänzen) “fürchten um die Integrität ihrer Werke, ihre Souveränität als Urheber, um die Existenz der traditionellen Verlage, oder gleich um den Erhalt der literarischen und wissenschaftlichen Kultur”. Dabei steht doch eine neue, bessere Kultur erst ins Haus: “In dem Wunsch, die Wissenschaftler zur Publikation unter den Regeln von Open Access zu verpflichten, drückt sich nicht ein Ruf nach Enteignung aus, sondern die Stimme der Freiheit.”

So ganz simpel rollen die Würfel dann aber doch nicht zum Sechserpasch für alle. Die wissenschaftssoziologische Erfahrung zeigt, dass es neben dem idealistischen Ziel, der Menschheit vermittels Bekanntgabe von Erkenntnis etwas mehr oder weniger Gutes zu tun, in der Wissenschaft auch andere, ganz auf das eigene Dasein des Wissenschaftlers bezogene Motivationen vorliegen: Der Aufbau von Reputation. Open Access, so meine These, gelingt dann und dort, wo es dafür einen Beitrag leisten kann. Dann setzt es sich auf diesem Markt konkurrierender Publikationsformen durch.

Die Debatte, die um diesen Reibungspunkt geführt wird, lässt sich nämlich nicht nur als freiheitsgetriebener Durchsetzungswillen von progressiven Eingesperrten gegen rückständige Sachwalter der alten Zeit sehen, sondern ist durchaus insgesamt auch als Wettbewerb bis Machtkampf zu lesen: Wo es den einen mittels einer technischen Innovation darum geht, sich selbst – ganz wertfrei gemeint – zu profilieren und sich eine möglichst breite Existenzgrundlage zu sichern, die rhetorisch mit Deutungsanspruch für das, was morgen sein soll (und wird), also einem Zukunftsversprechen, verkauft wird, fühlen sich die anderen zwangsläufig in ihrer Position und ihrem Daseinsentwurf gefährdet. “Du musst dein Leben ändern” – der Imperativ auf dem Gemeinplatz schwingt mit (bzw. im Freitag: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen“).

“Der vom gebundenen Buch befreite Text gilt ihnen, da scheinbar unkontrolliert und dem kritischen Auge des Verlages entzogen, für qualitativ minderwertig.”

Das stimmt natürlich nicht, denn wer in die Buchhandlungen geht und an den Regalen entlang schaut, sieht nicht unbedingt nur Werke, die Zeugnis eines besonders kritischen Verlagsauges geben. Aber es kann verkauft werden und es wird verkauft. Das vermeintliche Kriterium einer qualitativen Wertigkeit als Scheidelinie zwischen gedruckt und elektronisch wurde spätestens mit dem Einstieg der Verlage ins elektronische Publizieren überholt. Und kontrolliert wird der Text für die meisten Nutzer auch: Über die Zugangsprovider, die sich aus Marktgründen hüten, dies willkürlich zu tun. Dennoch: Wenn Vodafone die Funkmasten abschaltet, hat es sich auch mit dem freien digital Lifestyle. Die Kontrollinstanz ist nur eine andere. Wir sind aber nicht ausgebrochen, schon gar nicht aus dem Marktprinzip, denn nach wie vor verdient man mit uns Geld: wir sehen Anzeigen bei jeder Suchanfrage – d.h. wir zahlen mit unserer Aufmerksamkeit – und wir überweisen monatlich eine mittlere zweistellige Summe an die Zugangsprovider. Wir bezahlen also in gewisser Weise nach wie vor, um Inhalte zu rezipieren. Das ist auch notwendig, denn die Serverparks, auf denen wir unser digitales Leben einlagern und vollziehen, müssen am Laufen gehalten werden.

Jenseits dieser für den Freitag-Autor “einzigen Barrieren” und doch hochrelevanten Hürden des Zugangs bietet die Digitalität eine unendliche und vielfältig nutzbare Abbildungsfläche für symbolischen Ausdruck. Das Medienwandelargument ist dabei der Drehpunkt. Für Joachim Losehand ist das Aufkommen der digitalen Produktion, Distribution und Rezeption in ihrer Wirksamkeit mit dem Aufkommen der Schrift als Ergänzung zur Oralität vergleichbar. Ich (und vermutlich nicht nur ich) habe an anderer Stelle die Überlegung geäußert, dass besonders in Medienformen wie den Sozialen Netzwerken oder Twitter und auch vielen Weblogs, eigentlich eine Verschriftlichung des Gesprächs stattfindet. Die in den Jahrhundert elaborierten Kriterien der Schriftkultur werden dabei übergangen. Kurz: Man schreibt, was man sonst sagen würde und oft, wie man es sagen würde. Es wird der reine Kommunikationsakt dokumentiert, ohne den Willen, Aussagen im Sinn und in der Form dessen, was wir uns unter Geschriebenem vorstellen, zu fixieren. Die Rahmentechnologie des Speicherns und Durchsuchbarmachen hebt dabei die unmittelbare Vergänglichkeit des Gesprochenen auf, nivelliert technisch die Bedeutung der Äußerung. Das geschriebene Gesprochene und das Geschriebene klassischer Art gelten vor dem Suchroboter gleichermaßen. Wir zeichnen dadurch einen größeren Ausschnitt unseres Erlebens digital auf. Daraus erwächst eine ungeheure Komplexität, vor der verständlicherweise die, deren traditionelle Funktion es ist, das Geschehen der Welt zu deuten, erschrecken, weil es sie hoffnungslos überfordert.

Wer versucht, die Äußerungen zu einem Themengebiet – z.B. Open Access – im Netz mittels der zur Verfügung stehenden Technologien (RSS-Feeds) zeitnah mitzuverfolgen, kann sich in der Kommunikationsphäre im Minutentakt mit neuen Nachrichten konfrontieren, die zu lesen, zu verstehen und einzuordnen sind. Praktisch und sachgerecht leistbar ist es nicht. Auch in einer dematerialisierten, beschränkungsfreien Kommunikationswelt bleibt die Materie die Grenze, nämlich die der Körperlichkeit des Rezipienten. Die knappe Ressource in digitalen Lebenswelten ist nicht Geld, sondern Aufmerksamkeit. Hier gibt es sicher auch generationale Verschiebungen, ich bezweifle jedoch, dass die Wahrnehmung diesbezüglich unbegrenzt optimierbar ist. Letztlich zeigt sich der Nutzer (oder der Informationsrezipient) als ambivalente Größe: Auf ihn sind alle Entwicklungen und Erwartungen, ob totale Befreiung oder der Absatz von Büchern, projiziert, nur bleibt er trotz aller Nutzerbefragungen und Verhaltensanalysen eine Black Box, an der die Deutungseliten von gestern, heute und morgen ihre Vorstellungen von Welt ausprobieren.  Die wirkliche Freiheit in der Digitalität würde die Möglichkeit beinhalten, sich dieser auch zu verweigern und nicht wenige tun es in der Tat, manche sogar aus ökonomischen Gründen, da ihnen ein Internetzugang auch mit billigster Flatrate noch zu teuer scheint. Darin liegt auch ein Unschärfe im Text Joachim Loshands und vieler anderer, die ihre eigene Erfahrungswelt (hier: Buch und Web werden parallel genutzt) als Maßstab anlegen. Sie – und ich eingeschlossen – repräsentieren immer einen bestimmten informationellen Verhaltenstypus, der sich aufgrund seiner Webaffinität viel und permanent äußert und daher im Diskurs überproportional präsent ist. Dass die Hochrechnung der eigenen Rolle aber dann versagt, wo die Rollenmuster nicht gelten, wird oft vergessen. Joachim Losehand schreibt für und über den idealtypischen Freitag-Leser. Andere, durchaus legitime Weltsichten bleiben dabei allerdings naturgemäß außen vor. Und auch die begrenzte Perspektive ist oft allein quantitativ schon zuviel zum Lesen, Bewerten und bei Bedarf zum Kommentieren.

Jenseits der abgegrenzten, bekannten und durchschauten Fachcommunity ist es noch ungleich schwerer, Indikatoren für die Einschätzung der Relevanz von Äußerungen zu finden. Besonders wenn als Zugang nur die Volltextsuche bleibt. Da benötigt man viel Zeit zur Diskurssichtung und Tiefenlektüre. Folgerichtig versucht man die Darstellung zu optimieren und arbeitet an semantischen Technologien, die den Menschen bei der Relevanzbewertung unterstützen. Praktisch Wirksames findet sich momentan dabei leider noch nicht. Man ist in digitalen Umgebung bewusster denn je in dem klassischen Dilemma, immer zwischen zuviel und zu wenig zu stehen. Und noch mehr zu wollen. Bzw. wollen zu müssen: Es gibt weitaus zuviel Material, um mit traditionellen Methoden wissenschaftsgerecht, d.h. systematisch und annähernd umfassend, hindurchzusteigen. Das Gefühl, was einen angesichts der Regalkilometer in den Bibliotheksmagazin umfing, diese Empfindung immer am Bruchteil des Bruchteils eines Bruchteils herumzuarbeiten, stellt sich auch und manchmal besonders im dematerialisierten Zustand der Texte ebenfalls ein. Andererseits geht es aber auch darum, möglichst noch viel mehr digital verfügbar zu haben. Googles quasi-utopische Leitvorstellung, das Wissen der Welt an einer Stelle zu bündeln, ist dafür die prominenteste Variante.

Es gilt aber auch für die Wissenschaft und nicht zuletzt unter dem ökonomischen Zwang, die Investition in ein Repository auch vor dem Unterhaltsträger legitmieren zu können. Unbestritten meist dem Willen zur Verbesserung der Wissenschaftskommunikation nachgeordnet. Die allseits dahinterstehende Annahme lautet, dass es, wenn alles (in Zeichenform repräsentierte) Wissen der Welt in gleichen oder vergleichbaren Datenmodellen vorliegt, möglich wird, dies mit der entsprechenden Technologie viel effizienter nutzen zu können.

Die idealistischen Vertreter dieser – mitunter nur implizit mitschwingenden – Auffassung, gehen davon aus, dass sie mit dadurch die Welt verbessern. Die pragmatischen Vertreter erwarten neue Geschäftsmodelle. Die derzeit Etablierten sehen sich bedroht und versuchen entweder den Widerstand oder die Anpassung.

Aber wahrscheinlich ist es für alle tatsächlich wie am 9. November am Übergang an der Bornholmer Straße: Niemand weiß so recht, was passiert, nur alle spüren, dass etwas passiert und hoffen, dass es für sie gut ausgeht. Was aber eigentlich geschieht, erkennt man dann erst wieder in der Rückschau aus der Distanz.

9 Responses to “Die Freiheit im Digitalen: Ein Text zum Open Access im Freitag.”


  1. 1Joachim Losehand

    Ich kann es nachvollziehen, wenn Sie meine „Ode an die Freiheit“ als stellenweise zu gefällig harmonisiert und zu pathetisch instrumentalisiert finden. In einem anderen Blog-Beitrag (vom 14.3.9) hatte ich den traditionellen Geschäftsmodellen der Verlagsbranche auf Jericho-Posaunen (Grundstimmung: strahlendes B) ein „Verlage, hört die Signale!“ aufgespielt. Aber wenn die Befürworter des „Heidelberger Appells“ sich der gefühlswallenden Romantik bedienen, warum ihnen dann nicht bisweilen im gleichen Ton anworten?

    Mein Beitrag zur OA-Debatte darf natürlich auch nicht mit dem Anspruch gelesen werden, ich würde eine Art „Meinungsmaxime“ formulieren; jeder Vergleich ist immer nur begrenzt aussagefähig und die subjektiven Beschränkungen, denen der Autor unterliegt, sind auch die Grenzen seiner Texte. Niemand kann sich gerechtfertigter Weise hinsetzen und sagen: „Jetzt erklär’ ich Euch mal die Welt!“ (Und schon gar nicht in rund 7000 Zeichen). Ich schreibe, was ich denke – und nicht, was andere denken sollen.

    Die Verschriftlichung von mündlicher (flüchtiger) Kommunikation hat ja auch schon im „usenet“ ihr Medium gefunden, dann mit den über Mobiltelefone verbreitbaren Kurznachrichten, die manches Telefonat überflüssig machen. „Twitter“ und andere soziale Netzwerke sind nur deren weitreichendere Weiterentwicklung. Das sind zwei parallele und zugleich gegenläufige Entwicklungen, die auch die Bedeutsamkeit in der Vielfältigkeit der Wirkung des Internets (www, E-Mail, usenet usw.) deutlich machen.

    Apropos Wirkung: Der Effekt, daß Open Access dem auch für (mich persönlich als) Wissenschaftler ärgerlichen kostenlosen „total buy-out“ ein Ende bereitet, wird nur von kurzer Dauer sein. Ich stimme Ihnen zu: Nachhaltiger und sicherlich wirkungsvoller ist die Motivation, durch das Web und im speziellen durch Open Access, die, wie ich schrieb „Wahrnehmbarkeit der eigenen Texte“ deutlich und international zu verbessern. Das ist eine vorsichtige Umschreibung dessen, was Sie „Reputation“ nennen und was ich als eines der grundlegenden Beweggründe dafür ansehe, überhaupt an die Öffentlichkeit zu treten; auch altruistisches Sendungsbewußtsein hat seine egoistischen Seiten. Der Autor und sein Text wollen und sollen wahrgenommen werden. In den Wissenschaften gilt nicht die PR-Weisheit, daß nur keine Nachrichten wirklich schlechte Nachrichten sind, auch wenn man wie Heribert Illig („Das erfundene Mittelalter“) mit überspannten Thesen durchaus zu Bekanntheit, dennoch aber keinesfalls zu Reputation gelangen kann.

    So begeistert ich von den – wie die Redaktion des „Freitag“ im Vorspann formulierte – „großartigen Chancen“ von Open Access bin, so wenig glaube ich, daß das Internet die „Welt verbessern“ wird. Denn schon der in derselben Ausgabe erschienene Beitrag „Der Bachelor als Collage“ von Ralf Klausnitzer zeigt Gefahren der durch die Digitalisierung möglichen „Googlelisierung“ von Wissen auf. Ganz zu schweigen davon, daß die Rezeption von Fachliteratur an das Schöpfen von Wasser mit einem Sieb erinnert und man Gefahr läuft, in sekundärer Literatur zu ertrinken. Es wäre einfältig, gerade als Historiker einem Fortschrittsglauben zu huldigen, der nur Gewinner und eine irdische Verwirklichung eschatologischer Hoffnungen „in der Zeit“ angebrochen sieht. Was wir an einer Stelle gewinnen, verlieren wir an anderer.

  2. Besten Dank für die ausführliche Antwort. Nur kurz hierzu:

    “Aber wenn die Befürworter des „Heidelberger Appells“ sich der gefühlswallenden Romantik bedienen, warum ihnen dann nicht bisweilen im gleichen Ton anworten?”

    Weil nach der unglaublich unsachlichen Kritik von Roland Reuß an Gudrun Gersmann anläßlich ihrer überaus sachlichen Kritik an Reuß’ wirren “Con Crema”-Enteignungs-Artikel, in der er ihr vorwirft, nicht mit einer Polemik, sondern mit Sachkenntnis und Argumenten auf seinen Text zu reagieren, wohl deutlich wurde, dass man, wenn man im Diskurs den rhetorischen Mitteln der Heidelberger Appell-Praxis folgt, nicht weit kommt, sondern eigentlich nur das tut, was Roland Reuß erwartet.
    Bekanntlich hat er auch die “parteiische” Reaktion der “Nerds” in der Blogosphäre vorausgesehen. Dies sogar zum Teil richtig, denn alle (auch ich) sind immer neu und mit großem Staunen auf seinen Köder angesprungen. Irgendwann ist aber alles so klar gestellt, dass sogar die FAZ Abstand nimmt.

    Mittlerweile kann man sich also m.E. getrost vom Heidelberger Appell und dem mit diesen in den Diskurs eingezogenen Stil emanzipieren. Die Themen sind auf der Agenda und damit hat der Appell den sinnvollen Teil seiner Ziele erreicht. Nun kann eine differenzierte Diskussion zu den Themenfelden “Google Books” mit “Settlement” und “Open Access in den Geisteswissenschaft” folgen, die nicht permanent ihr Herz an Heidelberg verliert.

  3. 3Joachim Losehand

    Ich nehme den “Heidelberger Appell” wahr als einen emotionalen Ausdruck des Unbehagens gegenüber den kulturellen Umwälzungen, die angestoßen wurden durch das und vollzogen wurden mit dem Web. Als solchen nehme ich den Appell und seine Unterzeichner ernst und verstehe sie, auch wenn ich ihnen nicht zustimmen kann.

    Der Text und dessen Rezeption vermischt ja gerade so Verschiedenes und doch so miteinander in Beziehung Stehendes wie Google Books, “Raubkopiererei” und die wiss. Open Access-Bewegung. Das Gefühl, daß die Unterzeichner und Sympathisanten sich überrollt fühlen von etwas, das sie als feindlich oder ungeheuerlich empfinden, diese Emotionen finden da ihren Niederschlag.

    Alleine mit nüchterner Sachlichkeit und präzisen Argumenten darauf zu reagieren, hieße, wie ein Arzt auf das Entsetzen eines Todgeweihten mit professioneller Distanz zu reagieren. Nach wie vor werden von Autoren, wie letzens am 13.5. in der WELT, Befürchtungen und Vorbehalte geäußert und diese teilen, obwohl rein sachlich kaum zutreffend, auch viele Wissenschaftler in den Geisteswissenschaften.

    Mir ist die z. T. körperlose Zurückhaltung der Wissenschaften in Deutschland, die im Text zum Ausdruck kommende fehlende Empathie als besonderes Merkmal für Wissenschaftlichkeit schon immer fremd gewesen. Hier bin ich Roland Reuß persönlich vielleicht näher als Ihnen, was – ganz sachlich gesehen – uns beide ganz und gar nicht nicht stören muß.

    Roland Reuß schreibt als Geisteswissenschaftler Plädoyers gegen Open Access und ich schreibe als Geisteswissenschaftler Plädoyers für Open Access. Marek Lieberberg schreibt als “Künstlervater” gegen die Blog-Kultur und die “Kostenlos-Kultur” und ich schreibe als “Künstlersohn” für die Blog-Kultur und für die “Kostenlos-Kultur”. Und Susanne Gaschke, ach ja …

    Es wird aus unterschiedlichen Ecken und aus unterschiedlichen Gründen gegen OA Krach geschlagen – warum sollte man nicht auch zurücklärmen dürfen? Das soll ja nicht eine detailgesättigte Sachdiskussion ersetzen, wie auch OA das Buch nicht ersetzen soll, sondern ergänzen.

    Open Access wird – historisch zu Recht – wahrgenommen als Kind des WWW, eines Mediums, das so umwälzend ist, daß einem immer wieder neue (und immer hinkende) Vergleiche einfallen, um seiner intellektuell und gefühlsmäßig gerecht zu werden. Und – ich muß mich wiederholen – diese Umwälzungen werden emotional erfahren und nicht als intrinsischer differenzierter Diskurs verstandesmäßiger Abwägung von Vor- und Nachteilen.

    Ich sehe meinen Beitrag nicht als Beispiel einer “neuen Unsachlichkeit”, sondern schlicht als einzelnes persönliches Bekenntnis zu und Zeugnis meiner Begeisterung.

    Daß man sich mit Open Access in den Geisteswissenschaften auch anders nähern kann, zeigt ja der Beitrag von Lilian Landes (Libreas 1/9). Gerade die Vielfalt und die Unterschiedlichkeit in der Auseinandersetzung ist es, die einen Diskurs wertvoll und fruchtbar macht.

  4. Gerade die Vielfalt und die Unterschiedlichkeit in der Auseinandersetzung ist es, die einen Diskurs wertvoll und fruchtbar macht.

    An dieser Stelle treffen wir uns wiederum. Welch ein versöhnlicher Einstieg in den Feiertag!

    Falls Sie mögen, können Sie auch gern die hier geäußerten Gedanken für einen Beitrag in LIBREAS zusammenfassen. Wir von der Redaktion würden uns jedenfalls sehr freuen.

  5. Mir leuchtet ganz und gar nicht ein, wieso dieser über Gebühr grämliche Dolchstoß gegen einen ebenso informativen wie parteiischen Artikel sein musste. Ich bin froh, dass es Leute gibt, die ihre Pro-Open-Access-Position in den von anschwellendem Bocksgesang geprägten Anti-Internet-, Anti-Web-2.0- (siehe Adam Soboczynski in der ZEIT), Anti-Google-, Anti-Open-Access-Diskurs der Journaille einbringen können.

  6. Lieber Herr Graf,

    besten Dank für den Kommentar. Ich denke nicht, dass es sich um einen Dolchstoß handelt. Ich bin einfach an einigen Stellen etwas anderer Meinung und darüber hinaus für Lagerkämpfe gleich welcher Art nicht zu haben.
    Womöglich folgen wir unterschiedlichen Zielen in der selben Sache, was für mich auch völlig in Ordnung ist: Mir geht es weniger darum, eine bestimmte Position zu etablieren oder zu bekämpfen, sondern mehr um den Austausch im Gespräch und zwar weniger mit der allgemeinen Medienöffentlichkeit und mehr mit den Experten. Und dieser Dialog hat sich ja auch eingestellt.

    Was die Frage Pro- und Anti-Open-Access bzw. -Internet angeht, bin ich relativ gelassen. Natürlich muss man mit unserem professionellen Hintergrund deutlich benennen und erklären, worum es geht (soweit wir es einschätzen können). Ansonsten glaube ich aber fest daran, dass sich das Zweckmäßige über lange Sicht einfach durchsetzen wird. Hieraus eine ideologische Frage zu machen, wie es in den Massenmedien häufig geschieht, scheint mir insgesamt für keine Seite hilfreich. Und stände der Institution Wissenschaft auch nicht gut zu Gesicht.

  7. Es geht doch im Kern darum, ob Enthusiasmus und Begeisterung für Open Access formuliert werden darf oder ob spießige Bedenkenträger daran rummäkeln dürfen. Bei einer stark emotionalisierten Auseinandersetzung muss es erlaubt sein, auch die positiven Emotionen einzusetzen.

  1. [...] Das kann man auch anders sehen. Wie z.B. Ben Kaden im IBI-Weblog. [...]

  2. [...] Die Freiheit im Digitalen: Ein Text zum Open Access im Freitag, in: IBI-Weblog vom 20.05.2009, http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6984 [...]

Leave a Reply

You must login to post a comment.