IBI-Weblog » Starbucks http://weblog.ib.hu-berlin.de Weblog am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Wed, 28 Jun 2017 08:24:09 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.0.4 Der Starbucks-Leser. Die FR testet den Kindle. http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=5918/index.html http://weblog.ib.hu-berlin.de/p=5918/index.html#comments Thu, 21 Aug 2008 08:53:55 +0000 Ben http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=5918 Wer einen Starbucks mit den Maßstäben alteuropäischer Kaffeehauskultur misst, der kann leicht in tiefen Kulturpessimismus verfallen. Statt Porzellan gibt es Styropor, statt Marmor auf dem Fußboden Linoleum, statt literarische Gespräche zu führen starrt das Publikum auf Laptops, und statt eines ordentlichen Großen Braunen wird eine amerikanische Parodie von Cappuccino serviert, auf Wunsch verhunzt mit Dingen [...]]]>
Wer einen Starbucks mit den Maßstäben alteuropäischer Kaffeehauskultur misst, der kann leicht in tiefen Kulturpessimismus verfallen. Statt Porzellan gibt es Styropor, statt Marmor auf dem Fußboden Linoleum, statt literarische Gespräche zu führen starrt das Publikum auf Laptops, und statt eines ordentlichen Großen Braunen wird eine amerikanische Parodie von Cappuccino serviert, auf Wunsch verhunzt mit Dingen wie Vanillesirup. Ein idealer Ort also, um einen “Kindle” auszuprobieren.
Natürlich. Und so tut es die Frankfurter Rundschau heute auch und schaut sich genau dort, in einem Starbucks-Coffeeshop irgendwo da draußen in der Welt der Nicht-Ort, das Lektüre-U-Boot Kindle, das ab- und auftaucht um den alten dicken Kreuzfahrtpott “gedrucktes Buch” zu attackieren, an: Das Versenken neu lernen. Am Ende des Artikels liest man dann zur Frage der Fragen eine dekorative Antwort:
Und wie ist es nun mit der Zukunft des Abendlandes oder zumindest mit der Zukunft des Buches aus Papier und Druckerschwärze? Der freundliche Kindle-Vorführer im Starbucks erzählt, er habe, seit er einen Kindle besitze, von seinen etwa 700 Büchern dreihundert ausgemistet – zumeist Standardwerke in billigen Ausgaben, die es bei Amazon für eine Handvoll Dollar auf den Kindle gibt. Von den übrigen könne er sich jedoch nicht trennen, schon, weil eine Wohnung ohne Bücher für ihn unvorstellbar sei. So unvorstellbar eben, wie eine Welt ohne Bücher. Aber vielleicht ist das ja nur eine Frage der Generation.
Schon weil für uns ein Bücherregal ohne Bücher unvorstellbar ist.
Wenn Starbucks also den idaeltypischen Nicht-Ort – sehr schön das der äußerst lesenswerte Marc Augé so rege im Alltag präsent ist – darstellt, so wie Multiplex-Kinos, Supermärkte oder der Hannoveraner Hauptbahnhof es tun, dann müsste man beim Kindle konsequenterweise vom Nicht-Buch sprechen.
Es will uns die rundum polierte Illusion vermitteln, wir würden noch Bücher lesen, so wie uns die Starbucks-Kaffeehäuser erzählen, wir würden uns im Café befinden. Und in gewisser Weise tun wir dies ja auch noch, nur dass es keinen Unterschied mehr dahingehend gibt, ob wir in Kuala Lumpur oder in Berlin-Mitte sind. Es geht nicht um Eigensinn des Ortes, Eindruck und Erlebnis, sondern um Zerstreuung, Nivellierung und zeit- und ort- und gegenstandslosen Konsum. Nicht um das Besondere, auch gern einmal Imperfekte und Dissonante. Sondern um Gleiche, Abgerundete und Vorsortierte. Um um den Ausschluß des Unerwarteten.

So wie Nicht-Orte in diesem Sinne als polierte Beliebigkeit aus Frappuccinos erscheinen, könnte es doch sein, dass es uns mit dem Kindle, auf dem wir ja nicht das bestimmte Buch mit seinen ganzen äußeren Qualitäten und Defekten mit in die U-Bahn genommen haben, sondern gleich 500 verschiedene und und technisch rundum angeglichene Titel, beliebig wird, was wir gerade lesen.
Dem dematerialisierten Text fehlt es dann womöglich an etwas, woran es auch dem Coffeshop sehr mangelt: an Charme.

]]>
http://weblog.ib.hu-berlin.de/?feed=rss2&p=5918 10