Die elektronische Ethik. Das E-Book vom Guardian betrachtet

Die E vs. P-Debatte in der Tagespresse rotiert eifrig weiter. Gestern las man auf faz.net davon, dass das Papier von heute das Vinyl von morgen und also eher etwas für Nostalgiker in der Nische der Medienlandschaft ist (sh. auch hier). Heute verlinkt Najko auf seiner Facebook-Pinwand in den Guardian, in dem die britische Schriftstellerin Naomi Alderman – immerhin fast selbst aus der Generation der Digital Natives, in jedem Fall Bloggerin – sich über ihren Iliad beugt und sinniert, ob E-Book-Reader möglicherweise nicht die ethisch korrektere, weil grünere Alternative zum Taschenbuch sind: Library of the future.

Auch hier ist es beinahe interessanter auf den Stil zu achten, als auf den Inhalt: Sie gibt sich gleich eingangs als eine Bekehrte (“I never used to believe in ebooks.”) und holt den als typisch antizipierten Guardian-Leser dort ab, wo sie ihn vermutet. Bei seiner Skepsis. Im nächsten Schritt preist sie noch einmal Wert und Schönheit der Buchkultur, die Sinnlichkeit des Gegenstands und die damit verbundene positive Wirkung. Dies zeigt sich ihr aber im Konkreten als verklärte Nacht. Beim Lichte gesehen ist der Glanz dahin:

Printed books are not what they were; many are cheaply produced, smell peculiarly of chemicals, and bow or split before you’ve even finished reading them. Many of my parents’ books, paperbacks bought in the 1960s and 1970s, are now unreadable: the glue in the spines has turned to brittle flakes, the pages are yellowed and fall out as soon as you open them. I always thought I’d keep my books for ever but it begins to be clear that they, like so many other products, have a built-in obsolescence.

Das Buch ist nicht mehr, was es einmal war. Es ist im Taschenbuchbereich ein holzig anmutender Gebrauchsgegenstand zur einmaligen Nutzung. Tatsächlich besteht erfahrungsgemäß ein buchkultureller Unterschied hinsichtlich der Qualität der oft vergleichsweise teuren Taschenbüchern deutscher Produktion und dem, was man am Regal für fremdsprachige Literatur entdeckt. Es ist eine kleine, aber interessante  Differenz in Gestaltung, Material und Verarbeitung. Die Taschenbücher aus dem Insel-Verlag sind auch nach drittem Durchgang lesenswert, wogegen die Pocket-Book Ausgabe des Lost Horizon, die hier neben mir gerade aus der Regalreihe auftaucht, durchaus das erfüllt, was Naomi Alderman schildert. Die deutschen Verlage, die sich auf dem E-Book-Markt profilieren wollen, sollten also zunächst einmal die Qualität ihrer Druckausgaben auf britisches Taschenbuchniveau senken. Dann wird nämlich der sinnliche Unterschied zwischen dem Lesegerät aus Papier und dem Lesegerät aus Elektronik eher so positiv für Letzteres sprechen, wie es im Artikel aufscheint:

Meanwhile my iLiad ebook reader is sleek and beautiful. It’s a pleasant object to hold, and with its useful page-turning bar, one-handed reading is simple. The matt non-backlit screen is easy on the eye, the design is elegant and unfussy, and it is simple to make notes in the text using the stylus, or to make the font larger or smaller.

Wer solch ein Wunderwerk der Lesetechnik in den Händen hält, dem kommt die Bindung zum Gedruckten etwas “childish” vor. Denn: Das Wort ist Wort in welcher Form auch immer. Wenn die bekehrte Autorin mit dem Iliad durch die Zirkel ihrer Peer Group zieht,  erweist sich als beste Vertreterin für das Gerät. Die “bookish people” sind überzeugt und wollen es auch: “I need one of these.”

Bei der FAZ wäre der Artikel vielleicht jetzt zu Ende, denn es ist schon verraten, dass allein die innere Ausstrahlung eines schönen, simplen Lesegerätes auch eingefleischte Liebhaber des gedruckten Buches überzeugt:

If these people take to the ebook reader with ease, the future of books may indeed be electronic.

Im Guardian reicht das Argument allerdings noch nicht, zumal man sich in der Rubrik zum ethischen Leben befindet. Das Überlegen sein durch Handlichkeit wird daher zeitgeistnah mit der Ökobilanz verknüpft. Naomi Alderman gibt zunächst einmal zu, dass dies nicht einfach zu bewerten ist, rechnet dann aber durch, dass die elektronischen Bücher weniger Co2 in die sich erwärmenden Atmosphäre stoßen. Dagegen ist im Einzelstück nichts einzuwenden. Da wir aber unser elektronisches Lesen oft in ein permanentens Online-Leben einbinden, dass ständig Server in aller Welt erhitzt, könnte man diesen  Bogen gern auch mal auf den Digital Lifestyle an sich spannen. Man muss natürlich nicht, denn nur den Reader zu nutzen, heißt nicht zwangsläufig, dass man das Internet öfter als zum Download der Bücher benutzt.

Als zurecht problematisch erscheint der Autorin dagegen das Lesegerät selbst, welches irgendwann als Elektroschrott in den Sondermüllbehälter fällt. Bei der Entsorgung punkten die Bücher aus Papier nach wie vor.

Als zweites ethisches Problem wird der Albtraum der Kreativindustrien, das Raubkopieren, genannt. Hier ist die Lösung für die optimistische Schriftstellerin zweigeteilt und sehr, sehr simpel. Einerseits sieht sie die Verlockung zur Piraterie gesenkt, ” as long as publishers act now to allow people to buy ebooks cheaply online.” Siehe dazu hier. Andererseits ist das Beispiel der Musikindustrie aufgrund der unterschiedlichen Zielgruppen nach ihrer Ansicht kaum für den Buchmarkt gültig:

Seekers of new literature tend to be older, with less time but more money to spend.

Jenseits der Ethik, die tatsächlich hinter der etwas großspurigen Überschrift mit zwei Absätzen zu ihrem Recht gekommen ist, sieht sie das zweifellos gegebene Potential, E-Book-Texte interaktiv zu gestalten und: “The ebook could become a whole new art form.” Dazu muss es aber rückkopplungsfähig sein. Beim Iliad ist dies noch nicht übermäßig ausgeprägt.

Für Naomi Alderman dürfte sich daraus ein Dilemma ergeben: Sie plädiert dafür, dass wir aus der Welt des gedruckten Buches übernehmen, Bücher gemeinhin nur schweren Herzens in den Container zu werfen. Dasselbe sollten wir auch bei unseren Lesegeräten beherzigen – was sich bei den aktuellen Einstiegspreisen ohnehin ergeben düfte.

Nun setzt die Entwicklung hin zu einer interaktiven art form letztlich doch Produktinnovation voraus. Auch die Hersteller der Geräte werden wenigstens im Ansatz darauf hoffen, dass die Zielgruppe ihre Reader, Iliads und Kindle ab und an erneuert, denn davon leben sie. Naomi Alderman sieht mit ihrer der Wegwerfgesellschaft entgegentretenden Ethik dagegen einen anderen Wirtschaftszweig im Aufwind: “the ebook repairer.” Um die Technik aber auf dem Stand zu halten, der das Innovationspotential nutzbar macht, müssten sich zu den Reparturannahmestellen für elektronische Bücher notwendig auch Tuning-Studios gesellen. Ob die Hersteller soweit gehen, dass sie sich ihre Produkte freimütig aufbohren und upgraden lassen, daran zweifelt man auch als Optimist.

In der Zusammenfassung scheint es eher so, als wäre es besser, den ethischen Deckmantel gänzlich beiseite zu lassen und etwas nüchterner und konfliktbereinigter an die Sache heranzutreten. Die Eigenwerte der jeweiligen Medienform herausstellen ist sinnvoll. Sie aufzurechnen eher nicht. Ein Produkt dem anderen gegenüber abzuwerten folgt zumeist der klaren Intention, dass überlegene entweder am Markt zu halten oder in diesen hineinzubringen. Es ist das Prinzip des Verkaufsgesprächs und interessanterweise agieren Journalisten als die Vertreter. E-Book-Reader benötigen keine Rechtfertigung. Sie sind da und funktionieren in ihrem Rahmen. Bücher auch. Die “Library of the future” weiß dies hoffentlich und wird aus beidem bestehen.

2 Responses to “Die elektronische Ethik. Das E-Book vom Guardian betrachtet”


  1. Den Beitrag Naomi Aldermans gibt es auch in einer deutschen Sprachversion mit deutlich abweichender Überschrift und zwar im Freitag: Die Schönheit des digitalen Buches.

  1. [...] Die elektronische Ethik [...]

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