Die Medialisierungsfalle

ist der Titel eines Buches, ja doch Buch!!!, von Stefan Weber, Medienwissenschaftler aus Wien, in welchem er sich kritisch u.a. mit der zeitgenössischen Rezeptions- und Formulierungskultur auseinandersetz. Eine seiner Befürchtungen geht in die Richtung, dass unsere Wissenskultur durch das Internet zerstört würde. Heute gab es in Dradio Kultur ein kurzes Gespräch (11 min) dazu, das man nachhören kann. Hoffentlich hier:
drk_20081104_1109_300c4bf9.mp3
oder besser noch hier!

4 Responses to “Die Medialisierungsfalle”


  1. Ich finde es faszinierend, wie populär dieses kulturpessimistische Räsonieren über die Medienrevolution des Internets im deutschen Sprachraum ist. Was für eine grandiose Vereinfachung und Formalisierung: Früher wars besser, und Bücher sind die “besseren Medien”, und statt originell zu sein schreibt die Jugend heute nur noch ab.

  2. 2najko

    Getroffene Hunde bellen! Gerade die Annahmen der Bibliothek 2.0 stammen zuvorderst nicht aus wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern sind aufgegriffene Versatzstuecke aus dem Internet. In der Konsequenz sehe ich mich mit einer Vielzahl an Zuschreibungen gegenueber Webtechnologien und sozialen Praxen konfrontiert, die vor ihrem Postulat weder einer empirischen noch einer begrifflichen Analyse unterzogen worden sind. Warum auch, benoetigt ein Erkenntnisinteresse doch sehr viel Zeit.
    Dies scheint doch gerade die These von Weber zu sein; die Schnelligkeit der Rezeption der Quellen, ungeachtet der Art und Weise ihrer medialen Repraesentation, fuehrt nur selten zu einer hinreichenden Beantwortung einer Forschungsfrage. Anstelle dessen tritt der Versuch, diejenige Agenda, die man persoenlich als die Richtige ansieht, zu bestaetigen.
    Weber erkennt klar den hypothetischen Charakter seiner Thesen an und erwaehnt selbst Strategien, wie diese bestaetigt oder widerlegt werden koennen. Er laedt zu einer weitergehenden Debatte ein, die wir in der Bibliothekswissenschaft aufgreifen sollten!
    Die Debatte mit dem Verweis auf einen im deutschen Sprachraum verbreiteten Kulturpessismus (Wo denn, und warum ausgerechnet im deutschsprachigen Raum?) abzubrechen, empfinde ich als wenig hilfreich und entlarvend.

  3. Die aufgeladene Rhetorik des Glaubens lässt Skepsis gegenüber den neuen Medien schnell als kleingeistig und kulturpessimistisch erscheinen – ein tödlicher Vorwurf in jedem Fortschrittsdiskurs.

    – da hat Susanne Gaschke in ihrem ZEIT-Artikel Die digitale Erlösungslehre in ein ähnliches Wespennest gestochen, jedenfalls drängt sich dem, der die Leserkommentare zum Beitrag liest, dieser Eindruck auf. Dort wird genau dieses Argument wieder auf den Tisch gelegt: Es sei der Lauf des Fortschritts, das wir immer und überall frei sind und zwar lösgelöst von der schweren Materialität der Erde und schwerelos im digitalen Kosmos. Wer sich dagegen stellt (bzw. diesen Illusionismus kritisch hinterfragt), hätte einst bestimmt auch den Buchdruck, das Radio, die Eisenbahn oder das Telefon verteufelt.

    Lambert führt bei uns noch das nationales Klischee, dass wir Deutschen (bzw. der deutsche Sprachraum) besonders vehement die Entwicklung ablehnen, als “Argument” ein. In eine solche Falle sollte man einfach nicht tappen.

    Andererseits kann man z.B. nach einer Beteiligung an den Löschdiskussionen in der deutschen Wikipedia ebenso mutmaßen, dass die Deutschen besonders gründlich auch im Fanatismus des freien Wissens, über dessen Relevanz eine übersichtliche Gruppe von Wikipedianern entscheidet, sind. Und dass andere Nationen, die sich vielleicht nicht mit dem Luxusproblem, ob man sich als Wissensbefreier schon dieses oder erst nächstes Jahr einen neuen Macbook holen sollte, befassen, die ganze Problematik etwas lockerer angehen. Dennoch: Nationalität sollte bei einem globalen Phänomen kein vorrangiges Bewertungskriterium sein.

    Unübersehbar ist vielmehr, dass die globale Internetökonomie auf Gedeih und Verderb von wenigen Akteuren dominiert wird, die bestimmte Interessen, wie die allgegenwärtige Zugänglichmachung des “Wissens” der Welt und die räumliche und zeitliche Entgrenzung der Kommunikation, die in der konsequenten Durchführung womöglich hin und wieder einen dystopischen Zug in den Kopfbahnhof des 24-Stunden-Tages rangiert, aufweisen.
    Bei einer Revolution, auch der Medien, gibt es immer Verlierer und Gewinner. Und natürlich Opportunisten, die es schon immer gewusst haben, während sich die auf den Barrikaden immerhin den Kopf haben einschlagen lassen, der bei den Anderen aufgrund von Umstrukturierungen z.B. in den den Zeitgeist erkennenden Zeitungsredaktionen ohnehin schon ab ist. Na gut, die digitale Medienrevolution im Internet ist jedenfalls für die Early Adopters etwas sanfter gestaltet. Für die anderen gibt es einen Sozialplan.

    Dass allerdings der digitale Lebensstil durchaus die Gefahr birgt, mit aller Macht und wenig Rücksicht sämtliche Lebensbereiche bestimmter Zielgruppen nach seinen Bedingungen ausrichten zu wollen, scheint keine ganz abwegige Wahrnehmung zu sein und ist auch nicht brandneu, auch wenn Susanne Gaschke eine durchaus lesenswerte Zusammenfassung präsentiert.
    Der Medientheoretiker Roger Silverstone hat es 1999 – vor dem Web 2.0 – bereits recht treffend beschrieben:

    “Die neue Ideologie der Interaktivität freilich, die die Reichweite unseres Handelns nochmals ausweiten und unsere Fähigkeit unterstreichen soll, selbst zu bestimmen, was wir wann und wie konsumieren, gilt als ein Schritt in eine andere Richtung. Sie verspricht die Verhältnisse der letzten hundert Jahre umzukehren, in denen ein Sender viele Rezipienten bediente und die fortschreitende Infantilisiertung eines immer passiveren Publikums bediente. Sie ist ein Ausdruck des mit der Jahrtausendwende verbundenen Zukunftsglaubens. Sie formuliert die utopischen Ideen eines neuen Zeitalters, in dem die Macht angeblich endgültig übergeht – allerdings nur an jene, die Zugang zu Maus und Tastatur haben und diese auch zu bedienen wissen.”

    und

    “Als ob Sehen und Hören gleichbedeutend wären mit Verstehen. Als ob Informationen dasselbe wären wie Wissen. Als ob Zugang gleichbedeutend wäre mit Partizipation. Als ob Partizipation automatisch positive Konsequenzen nach sich zöge. Als ob Interessengemeinschaften interessante Gemeinschaften ersetzen könnten. Als ob globaler Klatsch, ob er nun gleichzeitig stattfindet oder zeitversetzt, Kommunikation wäre.”(Silverstone, Roger: Anatomie der Massenmedien. Frankfurt/Main: 2007 (1999), S. 185f.; S. 219)

    Da ist natürlich auch viel Rhetorik im Spiel. Aber eine sehr notwendige Gegenrhetorik, die darauf hinweist, dass die Kernfragen der Inhalte, der Auswahl der Inhalte und der Technikfolgen für die Gesellschaft erst noch angegangen werden muss.

    Die Fetischisierung von Werkzeugen und das Ausklammern der Frage: Was können wir damit sinnvoll machen?, die beim Blick auf Web 2.0 und Bibliothek 2.0 nicht so oft wie nötig gestellt wurde, führt am Ende doch zu einer Verdrängung, auch wenn die begeisterten Pioniere der Digitalität dies mit Nachdruck bestreiten. Die Ressource auf den Digitalen Märkten ist Zeit (und Aufmerksamkeit), die man so prima zur Ware machen kann. (Silverstone, S. 161ff.) Je länger der Nutzer/Kunde auf Facebook herumklickt, desto besser. Aber warum? Und für wen?
    Das Versprechen eines adäquaten Ersatzes (oder auch nur einer Ergänzung) für die reale Gemeinschaft haben diese Portale bislang allerdings noch nicht eingelöst. Dass dem denkenden Menschen das Herz angesichts der totalen Kommerzialisierung seiner sozialen Beziehungen auch nicht gerade aufgeht, sondern eher leichte Skepsis erwächst, ist sicher auch nicht verwunderlich.

    Im Internet ist der Mensch jedenfalls so frei und unabhängig, wie in der Behaglichkeit einer Starbucksfiliale. Es ist völlig in Ordnung, so laufen die Dinge. Google, Yahoo, McDonald’s, H&M, Starbucks, IKEA, Coca Cola, Sony, Apple: Es gibt eine Handvoll globale Marktakteure, die einen gewissen und steigenden Anteil des Durchschnittsalltags bestimmen. Problematisch wird es dann, wenn sie sich als alternativlos erweisen.
    Wenn der “ethische Imperativ” des in der Informationswissenschaft ja gern nicht ernst genommenen Heinz von Foerster: “Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst.” vom mehr oder weniger freien Internet nicht mehr eingelöst wird, da die dort treibenden Akteure Ausschließlichkeit (oder Marktbeherrschung) auf bestimmten Feldern anstreben. Dann hat die Medienrevolution des Internets womöglich eine Tyrannis des digitalen Marktes zur Folge. Vielleicht auch nicht.

    Man sollte aber in jedem Fall darüber diskutieren und vor allem danach fragen dürfen, wer bei dieser Medienrevolution gewinnt, wer verliert und wo Kollateralschäden zu befürchten sind, ohne gleich das Brandzeichen der Rückständigkeit und des Pessimismus (Skeptizismus wäre wohl passender) eingebrannt zu bekommen. Neu, bunt und schnell ist am Ende nicht immer automatisch gut, hell und besser. Es muss nicht immer Tool Time mit Tim Taylormade Informations- und Kommunikationsdiensten sein. Wer drängt uns denn? Und vor allem: Wie kann man sich nicht drängen lassen? Najko bemerkt nicht ganz verkehrt: Erkenntnis benötigt sehr viel Zeit. Und die Ausbildung eines Interesses an bestimmter Erkenntnis sicher auch schon.

    P.S. Andererseits sind vielleicht einfach bei Susanne Gaschke, Najko und mir ventrales Striatum und Hippocampus nicht ganz so intensiv verdrahtet. Was also auch wieder ein Problem mit der Vernetzung bedeuten würde…

  1. [...] “Wer drängt uns denn?” meines jüngsten Kommentars zur Medialisierungsfalle habe ich noch ein paar Fragen nachzureichen, die vielleicht ganz gut in [...]

Leave a Reply

You must login to post a comment.