Die Entführung aus dem Serail (des Werkes) in das Stadion (des Textes): Ein weiteres Heidelberger Sprachbild

Ob nach all dem die Urheber selbst profitieren werden, die von den verschiedenen Interessensvertretern gerne vorgeschickt werden, weil “Urheberrecht” edler klingt als “Verwerterinteresse”, bezweifelte der Juraprofessor Alexander Peukert von der Uni Frankfurt, der beim Book Settlement alles in allem einen abweichenden Standpunkt vertrat, in der Frage der Google Buchsuche nicht dramatisieren wollte und rundheraus bestritt, dass es irgendwo tatsächlich einen “Publikationszwang” im Namen von Open Access gebe. Er schien das für einen Popanz zu halten, hinter dem sich die besagten Interessen verschiedener Akteure verbargen. Peukert sprach auch als einziger den Ruf der Medienkonzerne nach einem Leistungsschutzrecht an und zog damit die Proteste des Börsenvereins auf sich, der beteuerte, anders als die Zeitungskonzerne keine derartigen Rechte einführen zu wollen. Den totalen Eigentumsanspruch der Autoren Reuß und Rieple wehrte Peukert mit einem Spruch des Bundesverfassungsgerichts ab: “Werke gehen in das Allgemeingut ein.”

Wer gestern etwas Vernünftigeres vorhatte, als sich vor Ort den offensichtlich die Taktik der Zermürbung verfolgenden Hauptakteuren aus dem Heidelberger Appell-Zirkel auszusetzen, tat das Richtige und findet eine angemessene Zusammenfassung der Tagung zur “Autorschaft als Werkherrschaft in digitaler Zeit” im Ententeich des Perlentauchers: Die Früchte des Internets.

Die Argumentation der  Meinungsvorführer büßt langsam deutlich an Verve ein und beruht weitgehend nur noch auf einem sehr tönern aufgebockten und vor allem trotzigen Elitarismus. Vom Argument hat man sich dagegen ziemlich verabschiedet. Es ist wohl die Freude am rhetorischen Spiel um eine inhaltlich eigentlich leere Mitte, die sich hier Bahn bricht. Da spaltet man dann schon einmal in grotesker Form das eine Haar, welches Alexander Peukert in der Google-Kalkulation um die Verteilung der Werbeeinnahmen fallen lässt, um sich nicht mit den durchaus schlüssigen Argumenten des “nur” Tenure-Track-JuniorprofessurAlexander Peukert auseinander setzen zu müssen, der im anachronistischen Hierarchiegedenke eines Teiles der Anwesenden schon aufgrund seiner Position offensichtlich weit weniger gilt, als der ordentlicher Universitätsprofessor Volker Rieble. Da nützt auch die Provinienz im Rechtsgebiet (Peukert: Immaterialgüterrecht, Rieble: Arbeitsrecht) wenig. Ohnehin setzt man offensichtlich viel lieber auf eine für Außenstehende nur noch als Farce erklärbare Emotionalisierung:

“Er [Reuss] sei wie der Vater seiner Werke. Der von ihm beschworene Zwang zu Open Access und Googles Bemächtigung erschienen wie eine Entführung seiner Kinder in ein Stadion, wo sie dann ohne weitere Aufsicht einem entfesselten Mob ausgeliefert wären.”

Hier denkt man natürlich sofort an einen anderen Kafka-Experten: Vladimir Nabokov und das gräßliche Schicksal von David Krug in Bend Sinister. Das wäre doch einmal ein Bild für die Debatte: das Internet als absurdes, von der Party of the Average Man beherrschtes Padukgrad, dass um jeden Preis – und sei es der der Vernichtung – das Werk eines Professors für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren sucht.

Wenn es nicht höchst unfair wäre, könnte man andererseits auch darüber sinnieren, ob die von Roland Reuß edierten Autoren – übrigens auch eine Art Zweitverwertung von bestehenden Inhalten mit Annotation, so wie man es in der Blogosphäre nur eben mit tagesaktuellen Inhalten macht  – sich ähnliches fragen würden, wenn sie es denn könnten. Immerhin wollte Franz Kafka seinen Nachlass auch nicht unbedingt publiziert sehen, sondern bat vielmehr Max Brod explizit um die Vernichtung der Tagebücher und Briefe. Dieser hielt sich nicht daran und so können wir jetzt z.B. in einem Brief aus Meran an Milena Jesenská aus dem Jahr 1920 lesen:

“Wenn ein Fremder ohne Kenntnis der Sache das lesen würde, müßte er denken: “Was für ein Mensch! In diesem Fall scheint er Berge versetzt zu haben.” Unterdessen hat er gar nichts getan, kein Finger (außer dem Schreibefinger) gerührt, nährt sich von Milch und guten Dingen, ohne immer (wenn auch oft) “Tee und Äpfel” vor sich zu sehn und läßt im übrigen die Dinge ihren Gang gehn und die Berge auf ihren Plätzen.”

So wird es dann hoffentlich auch in dieser Debatte aus dem Glashaus des Urheberrechts enden. Besonders hervorstehende Sprachspielereien und Formulierungen sollte man dennoch schon aus Gründen der Dokumentation sammeln. Netzpolitik.org hat jedenfalls auch eine gewisse Freude daran: Die Selbsthilfegruppe “Heidelberger Appell” tagt.

5 Responses to “Die Entführung aus dem Serail (des Werkes) in das Stadion (des Textes): Ein weiteres Heidelberger Sprachbild”


  1. 1Matthias Ulmer

    Lieber Herr Kaden, ich vermute, SIe haben auch besseres vor gehabt und die Mühe der Teilnahme in Frankfurt gescheut?

    Jedenfalls ist es ausgesprochen problematisch, wenn man polemisch über eine Konferenz berichtet, über die man nur einen polemischen Bericht aus dem Perlentaucher kennt. Wäre nicht eine Auseinandersetzung mit den Argumenten angemessener? SIe bezeichnen die Zusammenfassung im Perlentaucher als “angemessen”. Wie können Sie das sagen, wenn Sie nicht anwesend waren?

    Schon Ihre Überschrift verwendet ein Sprachbild, das Reuss nicht verwendet hat. Er verglich die Sorgfalt, mit der ein Autor sich seinen Verlag aussucht mit der Sorgfalt, die Eltern bei der Wahl der Schule für Ihre Kinder walten lassen. Und verglich dann die zwangsweise Veröffentlichung OA mit dem Verschleppen aller Kinder aus den Schulen um sie in einem Stadion zusammen einzupferchen. Ob das ein gutes Bild ist oder nicht, das sei dahin gestellt. Sie aber unterstellen Reuss ein Bild, das er nie benutzt hat und machen sich dann über ihn lustig. Nicht sehr stark, finde ich.

    Im übrigen hat Chervel das auch gemacht, indem er dem reusschen Bild den Begriff Mob wertend anfügte, als ob Reuss die Vergesellschaftung mit anderen Werken auf einem Server deshalb ablehne, weil er da mit einem Mob zusammen käme. Reuss hat das Wort Mob oder ähnliches nicht erwähnt, Sie aber zitieren Chervel und unterstellen prompt Herrn Reuss auch diese Untat. Anständig ist das nicht.

    Haarsträubend ist, dass Sie den Teilnehmern eine Mißachtung von Prof. Peukert vorwerfen, weil er nur Juniorprofessor sei. Bis zu Ihrem Beitrag habe ich das nicht gewusst und ich kenne auch keine Ankündigung oder Information, auf der der eine als ordentlicher, der andere als Juniorprofessor bezeichnet würde. Die Stigmatisierung, mit der Sie das Auditorium schlecht machen wollen, stammt von Ihnen. Das ist nicht mehr nur schlechter Stil.

    Das der Beitrag von Peukert Schwächen hatte lag vor allem daran, dass er in weiten Teilen schlecht informiert war. Das überdeckte die sachlichen und ausgleichenden Elemente seines Vortrags.

    Wenn es Ihnen um die Sache gehen würde und nicht darum, Partei zu ergreifen und wieder einen Farbbeutel auf die anderen zu werfen, dann hätten Sie aus der Veranstaltung durchaus etwas mitnehmen können:

    Etwa dass ein Zwang zu OA verfassungswidrig ist und warum. Und dass die Allianz der Wissenschaftsgesellschaften hier auch klarstellte, dass es ein Mißverständnis sei und sie keineswegs bei der Vergabe der Gelder eine OA-Publikation fordern. Das wurde bisher so klar noch nicht gesagt. Es wurde herausgearbeitet, welche Ansätze es für ein Eingreifen beim Google Book Settlement gibt. Und welche Ansätze es für einen Amicus curiae Brief gibt. Weiter wurde vom Justizministerium vorgetragen, dass man einen solchen vorbereitet. In den DIskussionen gab es noch zahlreiche andere Argumente, Informationen und Anregungen. Das alles findet man natürlich nicht, wenn man einer Tagung fern bleibt und sich im Readers Digest Perlentaucher aus zweiter Hand informiert.

  2. Lieber Herr Ulmer,

    wie immer vielen Dank für die Anmerkung. Sie können sich aber sicher sein, dass der Perlentaucher nicht meine einzige Informationsquelle war und ist. Die Überschrift ist sozusagen die schöpferische Kombinationsleistung, die ich als “Content-DJ” beimische. Außerdem soll sie verdeutlichen, dass auch die Rabauken aus dem Nachbarblog nicht nur mit Trivialkultur befasst sind.

    Ansonsten geht es mir gar nicht um Parteinahme und auch nicht um Farbbeutel. Vielleicht um Farbtupfer. Ich bin schlicht und einfach und anhaltend verwundert bis verblüfft, in welche Rhetorik einige Vertreter des Appells ihre Argumentation kleiden. Dieser Facette kann man mittlerweile eigentlich nur noch mit Ironie begegnen. Im Beitrag ist hoffentlich deutlich die satirisch angehauchte Überspitzung zu erkennen.

    Strenggenommen benutze ich das Perlentaucher-Zitat als Ausgangspunkt für eine Assoziation. Ich unterstelle also Herrn Reuß gar nichts direkt. Ich mache mich auch nicht über ihn lustig, sondern höchstens über die von ihm verwendete Rhetorik.

    “Hier denkt man..” ist natürlich eine eher weitreichende Verallgemeinerung. Aber ich hatte das Bild aus der Dystopie Nabokovs sofort vor Augen und finde es erstaunlich. Dass man seine Werke als Kinder bezeichnet und vor dem Internet schützen mag, kenne ich bereits von Gary Larson, ca. aus dem Jahr 1996, und fand es schon damals schwer nachvollziehbar. Aber vielleicht publiziere ich dafür zu wenig oder zu wenig fruchtbringend.

    Die Hierarchieattacke auf Herrn Peukert stand nicht im Perlentaucher, sondern beruht auf einer direkten Zeugenaussage. Es ist ein subjektiver Eindruck, der durch das “offensichtlich”, hier in der Bedeutung “anscheinend” gesetzt, eine entsprechende Relativierung erfährt. “Offenbar” wäre sicher das treffendere Wort gewesen. Offenbar war ihr Eindruck ein anderer und ich freue mich, dass sie diesen ergänzt haben.

    Vielleicht wäre auch bei meinem Gewährsmann ein anderer Eindruck entstanden, wenn sich die entsprechenden Diskussionsteilnehmer wohlwollend auf die “sachlichen und ausgleichenden Elemente seines [Peukerts] Vortrags” konzentriert hätten. Sie fordern das – übrigens ganz zurecht – ja auch von mir.

    Man sollte sicher hervorheben, wenn man wieder zum Inhalt der Debatte zurückkehrt,dass der Vortrag von Herrn Beck wohl eine sehr sachgerechte Ergänzung zu dem sehr emotionalisierten Vorprogramm darstellte.

    Dass der wahrgenommene Zwang zum Open Access durch die Wissenschaftsorganisationen ein Missverständnis sein muss, war eigentlich vor dem 15. Juli und jedem bekannt, der in Deutschland einmal mit der Praxis des Open Access in Berührung gekommen ist. Gerade deshalb waren ja weiter Teile der auf diesem Feld Aktiven derart erstaunt. Klar gesagt wurde dies von Anfang an und an diversen Stellen. Manchmal sollte man vielleicht doch einmal Blogs lesen. Da die Prämisse “Es gibt einen Zwang für die Autoren, OA zu publizieren” falsch war, war es schwer, etwas anderes zu sagen als: Ihr irrt euch, es gibt keinen Zwang. Nun ist es ja endlich angekommen und nun muss man vielleicht auch nicht mehr darüber schimpfen.

    Noch einmal als Klarstellung: Dieser Beitrag und auch der gestrige sind als eine überspitzende Kritik an einer bestimmten und in meinen Augen nicht sonderlich fruchtbaren Form der Rhetorik geschrieben. Wer sich derart in die Öffentlichkeit begibt, muss mit solchen Reaktionen rechnen. Das gilt übrigens auch für mich. Wäre Vergleichbares aus den Reihen der Open Access-Bewegung zu hören, würde es mich natürlich genauso reizen, zur Farbe zu greifen. Lagerkämpfe und Parteilichkeit sagen mir, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, dagegen so gar nicht zu. Obendrein glaube ich fest daran, dass sich die inhaltliche Seite der Debatte in einer ganz anderen und viel langweiligeren Form erledigen wird, als wir heute vermuten. Bis dahin betrachte ich sie aber gern und intensiv und nehme mit Freude in der einen oder anderen Weise, im Grunde meines Herzens aber sehr gelassen an ihr teil.

    Mit bestem Gruß,

    Ben Kaden

  3. Als Nachtrag:

    Solche hinkenden Vergleiche – Erziehung ist eine lebenslange Aufgabe, während ein Buch doch irgendwann fertig ist – tragen natürlich ebenso wenig zur Versachlichung der Debatte bei wie die Rede vom „Wörterbuch des neuen Unmenschen“ (gemeint war der Ausdruck „Zugriff“) oder Breitseiten gegen die parasitäre, selbst „unfruchtbare“ „Content-Mafia“. Aber Versachlichung ist vielleicht auch nicht immer angemessen. Das unbestreitbare Verdienst des Heidelberger Appells – bei aller Kritik im Detail – ist es, die deutsche Verlags- und Wissenschaftslandschaft zu den Waffen gerufen zu haben.

    Richard Kämmerlings Bericht zur Veranstaltung findet sich morgen früh in der Frankfurter Allgemeinen auf Seite 33 und wird natürlich noch einmal gründlich als Frühstückslektüre gelesen. Online gibt es dagegen Hannes Hintermeiers Schilderung von Deutschlands Bedenken gegen Google.

  1. [...] in alle Welt verschickt wird, um die Deutsche Kultur vorzustellen. Der zweite Beitrag „Die Entführung aus dem Serail (des Werkes) in das Stadion (des Textes): Ein weiteres Heidelberge… weist darauf hin, dass Reuß selber sein Geld damit verdient, dass er die Werke anderer kommentiert [...]

  2. [...] Die Entführung aus dem Serail (des Werkes) in das Stadion (des Textes): Ein weiteres Heidelberger S… (tags: Urheberrecht) [...]

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