Na klar stimmt das, ich hab’s aus der FAZ! Der Mittwoch als Tag des Urheberrechtsstreits.

Sollte die Universität ihre Vorstellung durchsetzen können, würden ihre Forscher keine Bücher mehr veröffentlichen. Macht dieses Beispiel Schule, so läuft das auf eine Verabschiedung der geisteswissenschaftlichen Forschung von der Buchproduktion und tendenziell auf eine Abschaffung des wissenschaftlichen Buches und des geisteswissenschaftlichen Verlagswesens hinaus.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fährt in ihrer heutigen Ausgabe eine wahre Armada an Beiträgen zum Thema Urheberrecht und digitale Medien und generell gegen den Open Access auf. Wirklich überzeugen kann sie dabei aber nicht. Drei Lektüreeindrücke:

1. Open Access und die totale Kontrolle – mit Michael Hagner

Der mal berühmten, mal berüchtigten Open Access-Idee widmet der Zürcher Wissenschaftshistoriker Michael Hagner einen satten Dreispalter (Open access als Traum der Verwaltungen. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.05.2009 Seite N5, online), und die Bildredaktion stellt ihm einen schönen schiefen Bücherturm ins Zentrum. Er lobt die deutsche Situation, wie sie Volker Rieble sieht (vgl. auch hier), und schimpft ob des Zwanges, den die ETH mutmaßlich per Arbeitsvertrag auch auf die Geisteswissenschaftler dahingehend ausübt, dass sie ein Nutzungs- und Verwertungsrecht für “sämtliche im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erstellten Werke, Erfindungen und Computerprogramme” von ihren Mitarbeitern einfordert.

Man versteht schnell, dass dies so manchen Wissenschaftler tief im Kern seines Selbstverständnisses trifft und muss damit auch als Freund des Open Access-Gedankens nicht unbedingt einverstanden sein.

Dennoch fragt man sich, ob der Sturm, den man hier zusammenbraut, der tatsächlichen Praxis oder nicht eher einem Quirlen im Wasserglas entspricht. Welche Sanktionsmöglichkeiten bleiben eigentlich der Universität, wenn ein Geisteswissenschaftler eben doch selbst erst zum Verlag geht, diesem viel Arbeit macht und nicht daran denkt, seinen Text der Universität zu schenken? Wird sie ihn abmahnen? Fristlos entlassen? Wird sie ihre Wissenschaftler davonjagen und die Fakultäten der renitenten OA-Verweigerer auflösen?

Wahrscheinlicher ist, dass diese Geschichte gar nicht so heiß gegessen wird, wie man sie der Öffentlichkeit aufbrüht. Es wäre schön, wenn die ETH sich einmal offen dazu äußerte und Michael Hagner plus Kollegen versichern würde, dass sie auch zukünftig mit einer Monographie, “die am Abend, an den Wochenenden, in der vorlesungsfreien Zeit und vielleicht sogar im Forschungsfreisemester, das einem die Universität gewährt hat, entsteht”, zu einem mittelständischen Wissenschaftsverlag ziehen dürfen. Dann wäre das Kartenhaus der Kampfdebatte aus Heidelberg und anderswo ziemlich schnell seiner Standfestigkeit beraubt, denn man baut, so weit zu sehen ist, nahezu ausschließlich auf den Sand dieser zugegeben sehr unglücklichen Formulierung.

Das Zitationsproblem, das Hagner sieht, wenn er das Manuskript auf den Server legt, ist dagegen am Ende womöglich ein nicht ganz so riesiges:

“Sollen zwei Fassungen publiziert werden, eine vorläufige auf dem Universitätsserver und eine definitive als Buch im Verlag? Das wäre absurd, denn nach welcher sollte dann zitiert werden?”

Eine digitale Editionsphilologie wäre doch auch sehr spannend. Zitiert wird in praxi natürlich die der jeweils der Argumentation zugrunde gelegten Variante.

Eine zeitgemäße Wissenschaft ist sich nun mal ihrer Vorläufigkeit bewusst und wenn sich Open Review als offene Diskursform etabliert, gewöhnt man sich sicher schnell daran, auch mal den Rohschliff zu lesen, zumal wenn es sich bei den Zutaten der Verlage nur um “Sichtung, Lektorat, Umbruch, Satz” handelt. Inhaltlich sollte sich dann eigentlich nicht mehr viel zwischen digitalem Manuskript und Druckausgabe verschieben.

Die Monographie bleibt natürlich selbstredend als zentrale Rezeptions- und Referenzversion solange die Wissenschaftsgemeinschaft dies möchte. Das System der Wissenschaftskommunikation ist traditionell weitgehend selbst organisierend und daran kann auch eine einzelne Universitätsverwaltung wenig drehen. Sollte die Monographie innerhalb der Gemeinschaft als das optimale Kommunikationsmedium akzeptiert bleiben, wird es sie auch geben. Entwickeln sich Kommunikationsformen, die besser geeignet sind, scheint es eigentlich widersinnig, gegen diese anzufechten. Anzugehen wären also hier für den konservativen Vertreter einer Disziplin im (langsamen) Wandel eher die Vertreter der eigenen Zunft, die von der heiligen Kuh des gedruckten Buches abfallen und lieber in anderer Form publizieren. Nur muss die Wissenschaft dies unter sich aushandeln und nicht nach übergreifender Regulierung rufen. Soviel Selbstvertrauen in die Fähigkeit zur Selbstorganisation der Wissenschaftsgemeinschaft setzt man doch eigentlich voraus.

Obendrein wird – so einfach ist das – bei entsprechend moderater Preisgestaltung niemand Lust haben, sich ein Lehrbuch zur Wissenschaftsgeschichte raubauszudrucken. Oder am Bildschirm lesen.

Wenn die Verlage also wirklich derart formal qualitativ hochwertige Monographien herstellen, sollten sie keine elektronische Version fürchten. Sie tun es anscheinend dennoch und Michael Hagner gleich mit, denn erwartungsgemäß geht es in seinem Text auch wieder nicht ohne dem schlimmstmöglichen Fall: Den Dolchstoß, zu dem die Universität ausholt, um das grundlegende Kommunikationsmedium der Geisteswissenschaften plant, also das Buch, auszulöschen. Denn es ist der verbliebene Dorn im Auge einer, so erscheint es in der vorliegender Argumentation, nach totaler Kontrolle strebenden Verwaltung, eine letzte Bastion freier Wissenschaft.

Die Universitäten werden dafür in der Beweisführung in ihrer potentiellen Schurkigkeit bzw. Indifferenz gegenüber dem Medium Buch mit den renditewilden Großverlagen Wiley, Elsevier oder Springer “die den Heidelberger Appell nicht unterzeichnet haben” (oha! Welch Zeichen!) in eine Ecke geschoben. Und über allem steht als Mahnung der Albtraum der aktuellen französischen Wissenschaftspolitik.

Dass “H-Faktor”-Versessenheit aber nicht zwangsläufig etwas mit Open Access zu tun hat und Open Access auch nicht unbedingt etwas mit der Gleichmacherei von Publikationen auf einem “Leviathanschen Server”, also mit totaler Kontrolle der Wissenschaft durch die Universitätsverwaltung, sollte man vielleicht doch deutlicher herausstellen. Michael Hagner lässt sich mit seinem ziemlich nach Versöhnung formulierten Einstieg die Möglichkeit zwar offen, schlägt dann aber bald perjorativ im Volker-Rieble-Stil (OA ist gut für den qualitativen Bodensatz: “Es ließe sich viel Papier sparen.”, vgl. hier) zu und überspitzt das Gesamtbild derart, dass der unkundige Leser meint, auf den Schultern des Open Access ritte der Beelzebub der Knechtung freier Wissenschaft einher – “keine Überraschungen und Exzentrizitäten mehr möglich”? Hier lässt sich problemlos die Brücke wohl eher nach Bologna schlagen (vgl. auch den Beitrag von Pirmin Stekeler-Weithofer auf der selben Seite), das in der Lehre vormacht, wie man es in der Forschung nicht machen sollte und von da vielleicht zum McKinseyanismus, der in der Wissenschaftspolitik unglücklicherweise als Leitstern und Irrlicht zugleich aufging. Die freie Wissenschaft kämpft gegen eine die totale Kontrolle anstrebende Verwaltung – so die Essenz des Textes. Soweit so gut. Open Access aber zum Werkzeug dieser Verwaltung bei der Durchsetzung ihres vermeintlichen Kontrollwahns abzustempeln, verfehlt das Ziel komplett. Gerade um einer Überregulierung von Wissenschaft vorzubeugen, sollte man eher den Open Access-Gedanken als Form alternativer, offener Publikationsformen stützen. Das Weihwasser, das hier versprüht wird, trifft eigentlich irgendwie die Falschen.

2. Open Access und die Überfischung der Wissenschaft – mit Jürgen Kaube

Jürgen Kaube setzt das Feuerwerk eindringlicher Untergangsbilder gleich neben Michael Hagners Albtraum der totalen Verwaltung fort und führt anlässlich der Darmstadt-Download-Debatte den nicht schlüssigen Vergleich zwischen offenen digitalen Lesegründen und der Überfischung der Weltmeere an(“Ein immergrüner wissenschaftlicher Weidegrund”, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.05.2009 Seite N5). Digitale Dokumente haben nun mal – man kann es nicht oft genug betonen – die Eigenschaft, sich nicht abzunutzen, auch wenn sie 1000 Mal kopiert und gelesen werden. Die “wissenschaftliche Allmende” lässt sich nicht auf den blanken Stein abgrasen, sondern bleibt strukturell immergrün. Auch mit Standesdünkel gegen die “copy and paste”-Praxis gespickt wird solche Argumentation nicht richtiger.

Wenn der Verlag Eugen Ulmer sich gegen eine zeitgemäße elektronische Nutzung seiner E-Books ausspricht, empfiehlt sich wohl eher, auf elektronische Publikationen ganz zu verzichten, als hier mühsam mit irgendeinem unsinnigen DRM-System herumzubasteln. Vom hohen Ross des Qualitätsjournalismus-Labels herunter die Rezeptionspraxis (bzw. die “sinngemäße Benutzung eines Lehrbuches”) als Argumentationsmaßstab anzulegen, wirkt dagegen unangenehm überheblich. In der Tat ist die Aufgabe der Bibliotheken in einem freien Wissenschaftssystem eben keine erzieherische, indem sie den Nutzern vorschreibt, wie sie Texte zu lesen haben. Bibliotheken sammeln, erschließen Inhalte und bieten den Zugang an. Nicht mehr und nicht weniger. Was der Nutzer mit den ihm zur Verfügung stehenden Quellen anfängt, ist ihm weitesgehend selbst überlassen. Ein freier wissenschaftlich Arbeitender würde sich vermutlich auch ausdrücklich dagegen verwehren, dass die Bibliothek ihm sagt, was er wie zu rezipieren und zu verarbeiten hat.

Wenn man so will, geht es tatsächlich um eine “Verbreitung von Datensätzen”. Ob Professor Schulze und sein Verlag und Jürgen Kaube damit nun glücklich sind oder nicht, liegt nicht im Zuständigkeitsbereich der Bibliotheken. Nochmal: Wenn der Verleger Matthias Ulmer mit elektronischen Büchern sein Geschäft machen möchte, muss er sich auch mit den Besonderheiten des Mediums auseinandersetzen. Der beste digitale Kopierschutz ist bislang die Print-only-Ausgabe. Und Jürgen Kaube sollte man bei der Gelegenheit vielleicht auch noch einmal mitteilen, dass bei weitem nicht alle Bibliothekare Verfechter der “freien Zugänglichkeit” sind. Solche Schubladereien sollten in einer distinguierten Zeitung wie der FAZ eigentlich keinen Platz finden.

3. Open Access und Kompetenzeinbußen – mit Stefan Weber

Das „Google-Copy-Paste-Syndrom“ treibt aber nicht nur Jürgen Kaube, sondern – und zwar schon eine ganze Weile und hauptberuflich – auch den Salzburger Netzplagiatorenjäger Stefan Weber um. Die FAZ räumt ihm ganz passend zu ihrem Schwerpunkt ebenfalls viel Platz ein, um seine üblichen Überlegungen ein weiteres Mal zu präsentieren (Na klar stimmt das, ich hab’s aus dem Netz! Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.05.2009 Seite N3). Auch hier dominiert Endzeit, denn

“Der Matthäus-Effekt des Netzes könnte weiter dazu führen, dass Qualität und Innovation systematisch untergehen. Open Access und die Google-Buchsuche sind Schritte zur Abschaffung der Druckkultur. Offenbar kollabiert damit auch deren Referenzkultur. Irgendwann könnten dann auch die Texte selbst, so wie wir sie derzeit noch kennen, obsolet werden.”

Man beachte den wegkippenden und wiederkehrenden Konjunktiv. So ganz festlegen möchte sich nun mal niemand gern. Aber wenn, dann ist Open Access schuld, denn es führt, da “alle neuen Texte digital und gratis verfügbar” sind, zum Aussterben – so der eigenwillige Schluß – wissenschaftsgrundierender Kompetenzen wie “quellenkritische[s] Rezipieren, Verstehen, Interpretieren und Einordnen”. Selbstverständlich lernt sich wissenschaftliches Arbeiten nicht von allein. Schon gar nicht in so gestreuten Informations- und Kommunikationsräumen wie dem WWW.

Es gibt aber sicher keinen ernstzunehmenden “Open-Access-Befürworter”, der von derartigen autodidaktischen Effekten ausgeht und eine methodische Grundausbildung im Studium durch bloßes Bereitstellen von digitalen Dokumenten ersetzt sehen mag. Die beiden Schuhe passen also nicht so recht zusammen, aber, so glaubt man wohl, lassen sich dadurch passend machen, dass man permanent alles zusammenrührt und auf das Unliebsame Geißel und Bedrohung und dann dick drunter Es ist fünf vor zwölf! schreibt. Andererseits könnte man auch anstatt der allgemeinen Verdammnis die Option in Betracht ziehen, Diskursregeln für digitale Räume zu elaborieren. Es ist durchaus sinnvoll zu überlegen, wie man Quellenintegrität und Vertrauenswürdigkeit in elektronischen Symbolzusammenhängen hinterlegt. Dazu existiert ernsthafte Forschung, nur schafft diese es selten in das Feuilleton, zu dem man die heutige Ausgabe der geisteswissenschaftlichen Sektion der FAZ zählen muss.

Alarmismus statt solider Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte erscheint hier als rhetorisches Mittel der Wahl zur Einflußnahme, denn bei nahezu allen Beiträgen, die sich zum Thema in der Zeitung finden, wird der Impetus sehr deutlich. Für die richtige Lehre, die da heißt (1) Erhaltung der Gutenberg-Galaxis – die gar nicht bedroht ist – und (2) Übertragung von analogen Vorstellungen auf eine in grundsätzlichen Struktureigenschaften vollkommen differenten digitalen Medienwelt – was freilich holprig verglichen so funktioniert, als wollte man die Straßenverkehrsordnung eins zu eins in den Luftverkehr übertragen – darf man in der Qualitätspresse auch mal über die Strenge schlagen, alles was zum gewünschten Ziel führt herumbiegen und zusammenschustern und schließlich dem verhassten Open Access ein Heidelbergisches Stigma nach dem anderen aufdrücken. Wenn es denn nur für die richtige Stimmung sorgt. Als sonderlich nachhaltig über den Tag hinaus dürfte sich solch ein Vorgehen nicht erweisen. Aber kaputt geht dabei leider eben doch einiges.

4 Responses to “Na klar stimmt das, ich hab’s aus der FAZ! Der Mittwoch als Tag des Urheberrechtsstreits.”


  1. Danke für den Artikel; ich merke, wie ich müde werde, immer aufs Neue zu widersprechen, und finde es umso besser, wenn es anderen gelingt, den Widerspruchsgeist wachzuhalten!

  2. In der Tat ist das Ganze etwas redundant und stagniert in der Argumentation derart, dass es schwer fällt, nicht selbst übermäßig redundant zu werden. Immerhin reicht man bisher die prominenten Namen noch in linearer Folge durch, so dass es dahingehend immer wieder die eine oder andere Besonderheit zu lesen gibt. Und da ich ohnehin begeisterter Zeitungsleser bin, hält sich die Ermüdung bislang bei mir in Grenzen. Ganz verdecken kann ich die Heidelberg-Fatigue aber niemandem.

  3. Erstmal vielen Dank für diesen kritisch-differenziert gehaltenen Beitrag. Was mich an dieser ganzen Debatte stört, sind die Vermengung der unterschiedlichen Begriffe Urheberrechtsverletzungen, OpenAcces und digitale Publikation. Und das auch noch von Seiten der Geisteswissenschaft, die sich selbst doch der kritischen Denkweise rühmt! In der Diskussion laufen momentan die unterschiedlichsten Stränge zusammen, die ihren gemeinsamen Nenner nur in der Ablehnung haben. Ich kann mich des Eindrucks überhaupt nicht mehr erwehren, daß es hier eigentlich nur um die Verteilung von Kuchenstücken geht, des alten (der klassische Publikationsweg über den Druck) und des gerade zu backenden (über den digitalen Zugang). Für die Verlagsbranche kann ich nur sagen: in einer Marktwirtschaft ist es die Aufgabe der Verlage, unter den Bedingungen von Urheberrechtsschutz neue Geschäftsmodelle für die digitale Publikation zu entwickeln, und nicht nach staatlichem Protektionsschutz zu schreien. Und da kann eben OpenAccess und digitale Publikation neben der klassischen zwei weitere Möglichkeiten sein.

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