Retooltime. In Kanada findet man evolutionäre Worte für die Demontage des Schulbibliothekswesens

“We are not, and I reiterate, we are not closing libraries. We are retooling”

Im der sonst dem Vorurteil nach ziemlich vorbildlichen Bibliothekswelt Nordamerikas sehen sich wenigstens die Schulbibliotheken aktuell einer Art Erdbeben ausgesetzt. Der aktuelle Beitrag aus der Zeitung The Windsor aus der kleinen Stadt Windsor, Ontario gegenüber dem ungleich größeren, schrumpfenden und ebenfalls bibliotheksschließenden Detroit ist in dieser Hinsicht einerseits nur ein Beispiel von ziemlich vielen und andererseits vor allem aus Gründen der angewandten Sprachforschung am Euphemismus interessant. Der eingangs zitierte Satz stammt vom dortigen District Catholic School Board director of education, Paul Picard, der sich ein wenig im Handlungsnotstand befindet. Denn Eltern, Schüler, Lehrer, natürlich die Bibliothekare und – hier entscheidend – die lokalen Medien begehren angesichts einer angekündigten Schließung der Grundschulbibliotheken, Freistellung nahezu des gesamten Personals und massiven Umgestaltungen der High-School-Bibliotheken auf. Letztere werden zukünftig nicht mehr von bibliothekarischem Fachpersonal sondern von Lehrern mitbetreut.

Picard, der sich anscheinend im Vokabular des Lean Management bestens auskennt, findet dafür überraschend positive Worte:

“Contrary to suggestions they were being mothballed, the libraries will undergo an “evolution” that will allow greater access, and they’ll be staffed by teachers, he said, including before and after school. He said this won’t require more teachers. Instead, their time will be “reallocated.”

Mit dieser Phraseologie aus der staubigsten New Labour-Kiste  (“and in the context of this difficult situation, we see opportunity”) lässt sich mustergültig die Vorher-Nachher-Konstellation auszeichnen und so zaubert er eine schöne neue Schulbibliothekswelt aus dem Direktorenhut:

“The new library — the board calls it a learning commons area — won’t be hush-hush quiet, he said. “It’s a much more boisterous hub, much like you would see at a student centre at the university,” with wireless connections and a teacher (a library technician isn’t a teacher, so can’t fulfil that role, he said) helping them with research and digital literacy. “

Selbstredend gelingt ihm auch die verständnisvolle Verbindung zu all den Nostalgikern, die sich nicht so recht mit “flex rooms” für Grundschüler anfreunden können:

““We all have a fondness for the traditional library. I do. But that’s not the reality of the future our students are going into.”

Die Argumentationsstruktur heißt Sachzwang, die rhetorische Krücke heißt “Vergangenheit gegen Zukunft” (und anschaulich “P vs. E”), beides ist ziemlich billig und vor allem dann fehl am Platz, wenn sie mit buntem Anstrich nichts anderes decken soll, als eine drastische Kürzungspolitik. Allerdings leben weder wir noch die Bürger von Windsor noch im Jahr 1994 und entsprechend kurios mutet es an, wenn jemand heute noch glaubt, mit solch blumigen Taschenspielerformulierungen überzeugen zu können.

Alles Weitere zu diesem Thema beim Windsor:  Catholic school libraries will be ‘retooled’: Picard

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