“Die Zeit scheint eine neue Ordnung der Dinge herbeiführen zu wollen”. Ein kurzer Blick auf Adam Soboczynskis postdemokratische Netzgesellschaftstheorie.

“Das Web 2.0 ist vor- und zugleich nachdemokratisch. Es hebelt nicht nur nationale Gesetzgebung aus, formale Strukturen politischer Partizipation, es verdrängt nicht nur die alten Medien, sondern lässt einen neuen, gleichsam alten Menschentypus auf die Bühne treten: den sozial hyperaktiven, den um Status und Witz kämpfenden Höfling, den reaktionsschnellen und bewertungssüchtigen, den geistreichen Parvenü.” (ZEIT, 48/2009, S. 51)

Aus der nicht allzu üppig bestetzten  Generation der jungen Netzkritiker ragt der 1975 geborene Schriftsteller und Feuilletonredakteur bei der ZEIT Adam Soboczynski mit bemerkenswerter Schroffheit hervor. Das mag unter anderen auch daran liegen, dass sein Medium ihm dennoch genug Publizität verschafft, um auch im Internet permanent sichtbar und zu einem vielgeklickten Autoren zu werden. Im diskursökonomischen Gemenge treibt seine Stimme jedenfalls häufig weit an der Oberfläche.

Wenn man seine Publikationsbiografie zum Beispiel vom Meilenstein-Text Das Netz als Feind. (Untertitel: Warum der Intellektuelle im Internet mit Hass verfolgt wird) aus dem Jahr 2009 ausgehend verfolgt (vergleiche dazu auch hier), dann hat man jedoch auch als jemand, der dem unreflektierten Gebrauch des Kommunikationsnetzwerks Internet gern mal mit Skepsis, mal mit Kritik gegenüber steht, wenig Grund, ein Fan zu werden. Das Eingangszitat demonstriert anschaulich, dass für den ZEIT-Artikel nicht unbedingt ein Kalligraph des ausgewogenen Sacharguments an den Tasten saß, sondern ein Mann weniger mit einer Mission als mit einem klar umrissenen Feindbild.

So wie die Shirkyianische Fraktion der Webgesellschaftstheorie (die sich in der Bibliothekswelt oft mit einem Holzschwert namens Library 2.0 ins diskursive Feld wagte) bisweilen mehr als einen Tick zur affirmativ an ihren Gegenstand heranzugehen scheint, so schlicht sind auch die Trampelpfade, die der Journalist durch sein Betrachtungsfeld legt. Es ist klar, dass Feuilleton-Journalismus sehr von der Zuspitzung lebt. Aber manchmal wird die Spitze doch arg spitz, damit brüchig und der Leser fühlt sich schlicht instrumentalisiert, wenn er sieht, wie Soboczynski in seiner Besprechung des Frank Schirrmacher Buches “Payback” vorgeht. Ein Satz in dem er alle Debatten neben der von ihm geführten pauschal abwatscht, reicht, um die Diskurshoheit zu übernehmen:

“Zu den Eigentümlichkeiten der jüngeren Computer- und Internetdebatten gehört, dass es keineswegs ausreicht, sachkundig zu argumentieren, um als zeitgemäß zu gelten. Es genügt auch nicht, technischen Entwicklungen eine ungeheure Relevanz zuzusprechen. Nein, man muss sie grundsätzlich befürworten.” (ZEIT, 19.11.2009, S. 51)

Diese für Zeitungsartikel nicht untypische und mit der Provokation spielende Theseneröffnung ist leider nicht raffiniert genug, um den dahinterstehenden Trick zu verbergen. Eigentlich geht er sogar ziemlich plump vor mit der Steigerung von der erforderlichen Sachkunde (stimmt jeder zu) über die Relevanzzusprechung (lässt sich empirisch kaum abstreiten) zum Umschlagspunkt ins vermeintlich Normative. Wer in der Debatte mitreden möchte, so Soboczynskis finstere Unterstellung, der braucht als Basisqualifikation hauptsächlich den Willen, vielleicht auch die Feigheit zur Affirmation. Mit dieser Prämisse rückt er sich dann die passende Zielscheibe gleich selbst vor den Bogen.

Zugleich erhöht er seine eigene mutmaßlich löwenmutige Randstellung (und zweifelsohne auch die Frank Schirrmachers): als vermeintlich einsame Rufer in der digitalen Wüste übernehmen sie dankend die Rolle der Propheten im netzkommunikativen Land, die nichts gelten, freilich aber richtig liegen.

Jeder weiß freilich, dass sie als Tambourmajore einer weit verbreiteten, nicht selten leider wirklich wenig sachkundigen langen Kolonne Digitalskeptiker marschieren. Skepsis selbst ist ein schönes und hehres Gut und jeder sollte grundlegend das Recht haben, die Technik, die ihn nicht begeistert, aus seinem Leben ausschließen zu können. Die Marketingabteilungen der von der Rasanz der Entwicklung profitierenden Industrien leisten dagegen angehend exzellente Arbeit und dringen gerade bei wenig Bemittelten leicht an den Punkt vor, an dem der Druck des nervigen Werbespots zum sozialen wird. Hier muss Kritik unbedingt greifen.

Allerdings ist nicht das Medium der Ansprechpartner, sondern das Totalitätsgebahren der Werbetrommler. Abgesehen davon sollte ein aufgeklärter Bundesbürger des 21. Jahrhunderts durchaus in der Lage sein, das Tempo und die Intensität, mit dem/der ihn Mobile-Computing, HD-Fernsehen und Soziale Webnetzwerke umspinnen, selbst zu regulieren.

Dass Schirrmacher und Soboczynski mit ihrem krampfigen Bemühen zur elitären (im Falle Schirrmachers fast Gattopardo-inspiriert anmutenden) Kritik genau die Hysterie, die ihrer Meinung nach die Gesellschaft erfasst hat, noch fördern, erweist sich als für möglicherweise verunsicherte Zeitgenossen sicher nicht als das Stützbein, das sie von einer souveränen Presse erwarten. Die publikative Gewalt bedient in dieser Form journalistischer Meinungsbilder nicht selten die Klischees, die sie attackiert.

Etwas weniger Kulturkampf und etwas mehr Durchleuchtkraft wären nicht von Schaden in dieser Debatte, die wenigstens aus der Warte derer, die sich einen aufgeklärten Diskurs zum Thema wünschen, ziemlich unangenehme Schlieren trägt. Hier trifft Ideologie auf nicht immer ungeschickt vorgetragene Gegenideologie. Selbige wischt denn auch mit dickem schwarzen Pinsel über alle Grauschattierungen und findet Einsichten wie diese:

“Glaubte man lange Zeit an den Tüchtigen, der überlebt, so ist es heute der Bestinformierte, der sich durchsetzt. Unsere urinstinkthafte und hässliche Gier nach Neuigkeiten befriedigen Suchmaschinen, die – entgegen dem Klischee vom freien Netz – nach reinen Machtgesetzen strukturiert sind.” (Wir Süchtigen. ZEIT vom 19.11.2009, S. 51)

Das tugendhafte – aber nicht definierte – Tüchtig-Sein wird zum vermeintlich moralen niederwertigen Status des Informiertseins (das auch im Gegensatz zum Wissen steht) in eine Beziehung gesetzt, wo eigentlich keine besteht. Das verquirlt man am besten mit der Mär von der Verlust der Triebkontrolle und schon ist der homo digitalis ein quasi entmündigtes Wesen unter der Knute von Code und Code-Erschließungsmaschinen.

Mittlerweile ist im Web allerdings deutlich geworden, dass die Retrieval-maschinenbasierte Informationssuche ein Hut teils der schnöden Notwendigkeit, teils nur von gestern ist. Die Gossiperie findet nicht über die Google-Suche statt. Man könnte nun überlegen, ob die Explizierung der üblen Nachrede auf entsprechenden Plattformen diese auf eine Stufe hebt, die sie vom Korridortratsch maßgeblich unterscheidet. So wie es Soboczynski selbst zum Beispiel angesichts des Dauerthemas Jugendgewalt macht, wenn er, zugegeben spitzfederig in der Ausgabe vom 5.Mai auch wieder viel zu kurz gesagt das Medium in der Schuld sieht:

“Die Alltagsgewalt hat mit YouTube wieder einen Marktplatz [im Sinne der öffentlichen Richtstätte] gefunden, einen archaischen Ort, an dem die Grausamkeit als öffentliche Unterhaltung wiederkehrt.” (Stars der Gewalt. ZEIT vom 05.05.2011, S. 44)

Die Sichtbarmachung der vermeintlichen Alltagsgewalt auf den U-Bahnhöfen verdankt die Medienöffentlichkeit nämlich vor allem der dort allgegenwärtigen Videoüberwachung. Diese stellt die maßgebliche technische Grundlage, auf der Mitschnitte über Seiten wie YouTube oder Liveleak die ganze Palette von Gefährdungen für Leib und Leben in deutlichster Art und Weise präsentieren.

Für Polizei und Staatsanwaltschaft sind die Clips dagegen ermittlungstechnisch hilfreich. Dass die Mehrzahl der Zuseher von vornherein davon ausgehen darf, dass keine der gezeigten Personen aus ihrem näheren Umfeld stammt, ist der Nebeneffekt, den die Institutionen im Zuge der Aufklärungsarbeit in Kauf nehmen. Die Sachlage ist also viel verzwackter, als man es uns hier glauben machen möchte.

In der aktuellen Ausgabe der ZEIT  (vom 22.06.) findet sich nun unter der Überschrift “Dichter & Fälscher” (S.1) ein eindrucksvoll moralisierendes Stück Kommentar, dass anhand der jüngsten Plagiatsfälle den Stand der politischen Öffentlichkeit erklärt. Da wir die Gegenwart vor allem in Kontrast zur Vergangenheit erkennen, bietet sich ein Früher-Heute-Vergleich an. Soboczynski weiß daher zu berichten:

“Natürlich gab es Fälschungen und Plagiate schon früher, und die Fälle waren nicht weniger skandalträchtig.”

Doch heute ist es die Lage doch noch eine andere. Den Kunstskandal des sammlergoldgeblendeten Marktes mal ausgeklammert, lautet die Diagnose zu den Promotionsplagiaten einiger Politiker (z.T. a.D.):

“Offenbar musste der schöne Schein, der dem Volk präsentiert wurde, durch seriöse akademische Weihen legitimiert werden. Dabei scheinen die Selbstdarsteller vergessen zu haben, dass der Doktortitel mehr ist als ein persönliches Dekor, nämlich eine Stütze des akademischen Systems.”

Nun ist der Dekorativdoktor zu Guttenberg tatsächlich die am leichtesten zu treffende Piñata, die man gerade finden kann. Allerdings auch schon ein wenig ausgeprügelt. Der Fall ist geklärt. Daher kann Soboczynski nicht nur Milde mit dem Wertkonservativen walten und auch das weiche Tuch des Verständnisses, rührend basierend auf Guttenbergs Selbsterklärung entfalten lassen:

“Man empfindet angesichts der aufgeflogenen Politiker auch längst ebenso viel Mitleid wie Empörung: Sie schlüpfen in zu viele Rollen, um diese noch sachgerecht ausfüllen zu können.”

Dass Volk und seine Erwartungshaltung haben ihn wenigstens teilweise dahin genötigt, wo er ging. Und dieser Anschluss gibt ihm sogleich Gelegenheit, das Rad des Geschehens ordentlich zu verdrehen und erneut auf ziemlich fadenscheinige Weise eine wie auch immer motivierte Attacke gegen seinen üblichen Butz zu reiten.

“So sehr wir Plagiate, Fälschungen und Hochstapelei zu Recht missbilligen, es kommen in der Suche nach Fehlleistungen von Politikern auch bei einigen der Entlarver ungute Leidenschaften zum Vorschein: der kollektive Neid auf Karrieren und die Häme, jemanden stürzen zu sehen. Die Entlarvung von Plagiaten geschieht per Schwarmintelligenz. Unzählige anonyme Nutzer begeben sich auf die Suche nach kopierten Stellen einer Dissertation und tragen diese auf Vroniplag zusammen. Das ist nicht frei von Ironie: Ausgerechnet im Netz, dort, wo massenhaft Musikstücke und Filme unter Missachtung des Urheberrechts kopiert werden, tummeln sich die Plagiatsjäger.”

Ohne Not werden hier zwei Aspekte schön manipulativ vermischt, die man besser getrennt betrachtete: Das geschickt platzierte “So sehr..” führt auf einen relativierenden Vergleich hin, der sich getreu der Grunderkenntnis, dass niemand ohne Schuld ist, den negativen Charakterzügen des niederen, parvenürenen Höflingspublikum widmet. Selbiges sei – wie schon den Intellektuellen im Netz als Feind gegenüber – neidisch und hämisch. Das Plagiat, so der Eindruck, wiegt zwar schwer, wird aber leichter, wenn man bedenkt, auf welchem Weg es aufgedeckt wurde.

Im Abschlusssatz wird dann noch der Vektor aufgezeichnet, der Filesharer (kriminell) mit Plagiatsjägern verbindet,  als wäre hier grundsätzlich Personalunion zwangsläufig zu erwarten. Der auf seine eigenen politischen Gallionsfiguren neidgelb starrende Pöbel, so muss man den Artikel vermutlich lesen, hat schon den Pflasterstein in der Hand, plündert nebenbei noch die Geistigen Eigentümlichkeiten der Unterhaltungsindustrie, um dann im rechten Moment die Lücke (z.B. das Plagiat) für den entscheidenden Wurf zu erkennen. Im Anschluss ergötzt sie sich an der vom Thron purzelnden Elite.

Die Relativierung des unabweislich stümperhaften Plagiats von zu Guttenberg für ein Breitwalzen eines Traditionsressentiments zu benutzen hat wenig mit dem zu tun, was man von einer soliden journalistischen Erörterung erwartet. Es ist überhaupt an sich nichts Schlechtes an einem gesunden Elitismus zu finden. Die Frage ist nur, wie man ihn konstruiert.

Soboczynski konstruiert ihn bedauerlicherweise mit sehr wenig Überzeugungskraft, da er seine Stammtischlerei nur selten mitreflektiert. Sonst würde ihm auffallen, dass ein einsilbiges Fluchen auf ein Werkzeug, manchmal die Werkzeugmacher und ansonsten die paar Webhandwerker, deren Arbeit er sich zusammengoogelt, im toten Winkel ignoriert, dass die Mehrheit der einfachen Internetnutzer einen ziemlich gelassenen, zuweilen sanftmütig amateurhaften Umgang mit dem Medium pflegt, welches ihre Welt ein wenig bereichert, sie jedoch weder voyeuristischer noch pöbelhafter noch naseweiser noch höflingshafter werden lässt. Die maßlose Überschätzung des Mediums teilt Soboczynski also mit denen, die er in schmucken Schimpfgirlanden einwickelt in der selben Weise, wie die hilflose Verdrängungsrhetorik.

Soboczynski ist freilich klug genug, um zu wissen, woher die Kritik kommen wird. Und daher schichtet er die stichige Crème-Torte aller für ihn vorstellbaren Affronts selbst auf:

“Er [der Parvenü] verachtet all jene, die nicht aus der Deckung kommen. Sie werden eh hinweggefegt werden: die Geisteswissenschaftler altväterlicher Manier mit klobigen Büchern, die ängstlichen Journalisten, die sich an ihre Festanstellung klammern, die verbildet Hochnäsigen, die im gewitzten sozialen Austausch im Netz nur Oberflächlichkeit wittern. Das ist die alte, die durch und durch unerotische Welt, die immer noch nicht begreift, dass die Programmierer weniger, aber rasant wachsender Internetkonzerne die neuen Sonnengötter sind. Der Souverän ist nicht mehr souverän. Die Zeit scheint eine neue Ordnung der Dinge herbeiführen zu wollen, und wir werden davon zunächst nichts als bloß den Untergang der alten erleben.” (Höfische Gesellschaft 2.0. ZEIT vom 22.10.2009, S. 47)

Mir ist nicht klar, vor welchem Zuckerberg er sich seinen abstrakten Parvenü als wilden Hinwegfeger eigentlich vorstellt. Denn die, die das zelebrieren, was er ihnen als Leitbild unterstellt, sind eine wirklich rare Kaste. Aber wer davon ausgeht, dass man Programmcode und digitale Kommunikationsnetzwerke an Kriterien der Erotik messen kann, sucht vermutlich ohnehin an der falschen Stelle.

1 Response to ““Die Zeit scheint eine neue Ordnung der Dinge herbeiführen zu wollen”. Ein kurzer Blick auf Adam Soboczynskis postdemokratische Netzgesellschaftstheorie.”


  1. Zur Nacht gab es dann noch die Meldung, dass die Schwarmintelligenz des GuttenPlag immerhin den Grimme-Online-Preis erhält:

    Die freiwilligen Mitarbeiter des „GuttenPlag Wiki“ erhielten die Auszeichnung in der Kategorie „Spezial“ für die Idee, Initiative und Autorenschaft. Die Jury lobte den Angaben zufolge die „faire und unvoreingenommene Arbeitsweise der Administratoren des Wikis“. Das Projekt mache deutlich, dass Textvergleiche gut kollaborativ organisiert werden könnten und welche Möglichkeiten das Netz für gemeinsames Arbeiten biete.

    Grimme-Online-Preis für „GuttenPlag Wiki“:

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