Paper Passionsfrucht. Das FAZ-Feuilleton entdeckt den Librarian Chic.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist nun wahrlich nicht als Trend-Medium bekannt. Sondern eher dafür, dass sie die Gegenwartskultur mit einer ziemlich bodenständigen, bildungsbürgerlichen, bewahrensorientierten Elle misst und Ausdrücke wie Arrière-Garde richtig zu gebrauchen versteht. Daher mutet es mitunter beinahe rührend an, wenn sie doch zu Scherenelementen am Pauschenpferd der Modewelt des digitalen Lifestyles ansetzt. Im Feuilleton der morgigen Ausgabe ist es denn wieder so weit (Kafka pour homme. In: Ausgabe vom 28.04.2011, S. 29). Angesichts der Ankündigung Karl Lagerfelds, einen Duft des Buches zu kreieren, schwingt sich der Kolumnist namens dhaa Daniel Haas zu einer sinnlichen Kür über sein Gerät, dass es mir fast schwer fällt, auf diesen Hut der duften Medienreflektion noch einen zweiten zu setzen:

“Wenn das Buch ausstirbt, was wird aus Lesezeichen, Bibliotheken, Bücherregalen? Sie wandern ins Museum, traurige Reminiszenzen an eine vergangene Zeit. Es sei denn, Lagerfeld wird in umfassender Weise aktiv, als Archivar quasi all jener Formen, die zum Buch gehörten. So wäre eine Modelinie denkbar mit dem Bibliothekar als Stilvorbild. Viel Cord käme zum Einsatz, gesunde Sandalen und Backenbärte.”

Genaugenommen ist es auch nicht notwendig, denn der in der FAZ gelüpfte ist ein eher alter. Die Kollegen von der Frankfurter Allgemeinen müssen nur mal ihre Berliner Seiten aufziehen, die anderhalb Blöcke von dem Büro in der Mittelstraße zum Dudler-Bau wandern und schon laufen ihnen Lagerfeld-in spe-Schnittmuster nach der obigen Beschreibung im Dutzenderpack über den Weg. (Vielleicht abzüglich der Sandalen. Als Fußbekleidung sollten es doch lieber ein Paar Veronique Branquinhos sein…) Bibliothekare sind längst Stilvorbild. Fashion-Untergrund waren sie vielleicht 2002, als Bands wie die 10,000 Maniacs (mit Frontfrau Natalie Merchant) die gewitzte Nerdiness als Profilierungsmittel erkannten. Thomas Helbing fragte – eigentlich ziemlich spät – 2008 in der LIBREAS-Popausgabe:

“Der Beruf des Bibliothekars erlebt eine Renaissance. Deren verschrobener Modestil inspiriert die Modedesigner; Streberlook und Krankenkassenbrillengestelle gelten als hipp. Warum?”

Mayer Hawthorne zeigte 2009 mit nonchalanter Grandezza, wo und wie der Cardigan zu hängen hat. Andere sinnieren stetig und stabil über die Hipsterisierung des Mediums Buch. Spätestens seit Christopher Brosius Kreation “In the Library” zieht ein mild parfümisierter Bücherduft auch durch Bielefelder Bibliotheksflure. Und während mir noch immer regelmäßig eine Ampulle “Opus II” aus der Amouage Library Collection mahnend über den Weg rollt und auf ihre Besprechung für LIBREAS wartet, hat Christopher Chong bereits den Teil V (Thema: Wissen im Internet) hervorgemischt. Der Bibliotheks-Chic ist längst in Knightsbridge angekommen (bzw. war er dort wahrscheinlich immer bereits Basisausstattung). Wir zelebrieren diesen natürlich gern und postmodern gebrochen schon aus Gründen der Standesehre. Da man mir allerdings jüngst sagte, dass der Memoir-Schleier, mit dem ich mich aus konzeptuellen Gründen zu umgeben neigte, etwas altrosa duftet, überlege ich nun ernsthaft, den Restflakon vor der nahe FAZ-Dependance abzustellen. Als Nachhilfe in Sachen Erinnerungs-Fashion oder eben – passend zum Thema – als Madeleine zum drauflosprousten.

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